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einheitlichen Zusammenhange, dem durchweg harmonischen Verhältnisse aller Teile des Alls.

Nicht minder wichtig als die Aufzählung der Verdienste der Pythagoreer ist nun aber für die Erkenntnistheorie die Hervorhebung der Punkte, in welchen sie als die Repräsentanten fundamentaler Irrtümer des naiven menschlichen Denkens gelten können. Die Zahl ist bei ihnen sozusagen der Weltenschöpfer. Die Zahl wird von ihnen, wenn nicht personifiziert, so doch substanziiert, hypostasiert, d. h. sie wird für ein unabhängig von unserem Denken in der Natur liegendes Objektives gehalten, dergestalt, dass z. B. nach ihrer Anschauung die Form eines Krystalls durch die in seinem Stoffe wirkende Zahl sich bildet. Es ist eine ungemein wichtige Epoche, wo das menschliche Denken auf die Subjektivität der mathematischen Verhältnisse, also ihrer allgemeinsten Grundvorstellungen, Raum und Zeit, aufmerksam wird und die naive Anschauungsweise des unbelehrten Verstandes überwindet. Darin ferner, dass die Pythagoreer die Zahl für ein objektives Wesen halten, zeigt sich, dass sie eine ausserordentlich wichtige logische Unterscheidung, nämlich die des Sachgrundes (Realgrundes) und des Erkenntnis grundes (Idealgrundes) noch nicht vollzogen haben. Eine Vergiftung möge auf der menschlichen Haut eigentümliche Flecken hervorrufen. So sind diese Flecken das Symptom, an welchem der Arzt die Vergiftung erkennt; sie sind für den Arzt der Grund seiner Erkenntnis jenes Zustandes die Flecken sind aber nicht der Grund der Erkrankung der Organe, vielmehr die Folgen derselben; der Grund der Erkrankung ist das Gift. Dieses ist der Sach- oder Realgrund der Krankheit, die Flecken der Erkenntnis oder Idealgrund derselben. Die Unkenntnis dieser einfachen Unterscheidung, die Verwechslung des Sach- und des Erkenntnisgrundes giebt nicht bloss im gewöhnlichen Leben, sondern auch in der Wissenschaft zu unzähligen Irrtümern Anlass, wozu sich mit Leichtigkeit von überall her Beispiele vorbringen liessen. Die Pythagoreer halten die Zahl für den Sachgrund der harmonischen Formen, während sie doch in Wahrheit nur der Erkenntnisgrund ist, denn dass ein harmonisches Verhältnis besteht, erkennen wir, indem wir alle Elemente jenes Verhältnisses genau mit ein

ander vergleichen und sie messen d. h. sie nach konventionellen Einheiten zählen. Wenn daher die Pythagoreer behaupten: die Welt ist harmonisch so sagen sie wohl, dass es so ist; da aber ihr Realgrund der Harmonie, die Zahl, in Wahrheit nur ein Erkenntnisgrund ist, so wissen sie nicht zu sagen, warum es so ist. Wenn die Geometrie behauptet, die Winkel im Dreieck sind gleich zwei Rechten, so sagt sie zwar, dass es so ist; bekanntlich ist es ihr aber bis heute noch nicht gelungen, zu sagen, warum es so ist. Ganz wie die Geometrie im angeführten Falle des Dreiecks, beschreiben die Pythagoreer die Welt als eine harmonische, aber sie erklären nicht die Entstehung dieser Harmonie sie geben eine (logische oder mathematische) Definition dieser Harmonie, nicht aber eine genetische Erklärung, ebenso wie die Mathematik in Bezug auf alle ihre Grundvoraussetzungen wohl Definitionen, nicht aber genetische Erklärungen liefert. So geben sie auf die Frage nach der Urkausalität der Welt ebensowenig eine erklärende Antwort, wie z. B. die heutige Physik, wenn sie eine Reihe von Erscheinungen auf eine mathematische Formel zurückgeführt hat, denn in diesem menschlichen Ausdruck der Erscheinungen durch die Formel beschreibt zwar die Physik, wie jene Erscheinungsreihe für die menschliche Auffassung sich darstellt, nicht aber erklärt sie damit genetisch, warum diese Erscheinungsweise gerade so ist, wie sie sich darstellt.

Schon diese ersten Anfänge haben uns demnach die folgenden wichtigen Unterschiede in Bezug auf die Kausalität kennen gelehrt. Die Kausalität wird gefasst als übernatürliche und als natürliche, als lebendiger Stoff (Hylozoismus Keimform des Materialismus) und als Form (Anfang des Idealismus). Der Sachgrund darf nicht mit dem Erkenntnisgrund, die Beschreibung (die logische Definition) nicht mit der genetischen Erklärung verwechselt werden.

Zweites Kapitel.

Werden und Sein.

Heraklit und die Eleaten.

Das Werden.

Inhalt: Die Verwandlung von Stoff und Form.

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Der

Kampf als Vater aller Dinge. Der feurige Weltäther. Die Welt als Entwicklung. Heraklit und Darwin. Das Gesetz der Erhaltung der Energie. - Die Widersprüche im Begriffe des Werdens (der Entwicklung) und der Kausalität. Erster (logischer) Widerspruch. Zweite (empirische) Schwierigkeit.

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Dieselben Widersprüche im Begriffe der Bewegung, der Entwicklung, des mathematisch unendlich Kleinen und des physikalisch unendlich Kleinen (des Atoms). Dritter Widerspruch (der endlose Regress und die tautologische Ableitung). Vierter Widerspruch (die erste Ursache). Dieselben Widersprüche im Schöpfungsbegriff. Die eleatischen Philosophen. Die Lehre

des Parmenides.

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Das eleatische ,,Sein" in abstracto und in concreto. Die Beweise Zenos. Der Beweis gegen die Vielheit, die Zahl, den Raum, die Sinneswahrnehmung, die Bewegung. Achilleus und die Schildkröte. Der fliegende Pfeil. Die Verdienste der Eleaten. Die Richtung auf das unendlich Kleine. Atom, Differential, Zelle. Die Sinneswelt und die Welt an sich. Die Subjektivität des Raumes. Die Schuld der Eleaten. Die Ontologie. Das ontologische Schlussverfahren und seine Folgen. Der dogmatische Idealismus. Versuche der Vereinigung der vier Prinzipien: Stoff, Form, Werden, Sein. Ihre Unvereinbarkeit.

Über

toff und Form wurden für die allgemeinsten Prinzipien aller Dinge gehalten und zwar auf Grund von legungen, die, wie wir zeigten und was wir noch besonders hervorheben wollen, sich auf die rein sinnliche Wahrnehmung und sogar ganz äusserliche, auf der Oberfläche verweilende, erfahrungsmässige Beobachtung stützen, sodass die Keime des Materialismus sowohl wie des Idealismus aus der rein sinnlichen Wahr

nehmung hervorwachsen. Die ersten Philosophen sind durchaus Empiriker und Sensualisten, und es heisst ganz fremde Anschauungen auf sie übertragen, wenn man in ihren Lehren nach Hegelscher Weise schon tief abstrakte, metaphysische Spekulationen wittert. Auch Heraklit, zu dem wir jetzt übergehen, ist nichts anderes als ein solcher Empirist und Sensualist. Was er als Prinzip aufstellt, findet sich als Anlage schon in den Lehren des Anaximenes und Anaximander vor.

Wenn wir nämlich die Dinge beobachten, so zeigen sie nicht bloss Stoff oder Form, sondern vor Allem auch eine ununterbrochene Veränderung des Stoffes und der Form. Ein Stoff geht aus dem andern hervor, eine Form in die andere über. Niemals tritt völlige Ruhe und Stillstand ein, sondern in jedem Augenblick herrscht Bewegung und Wechsel, in denen Form und Stoff sich vor unseren Augen verwandeln. Es giebt also etwas in den Dingen, das mächtiger ist als Stoff und Form, da diese von ihm nach Belieben zerstört und wieder erzeugt werden. Was ist dieses Allgewaltige, vor dem Stoff und Form sich als hinfällig erweisen, vor dem sie sich widerstandslos beugen? Es ist eben die Veränderung, das Werden, der ewige Wandlungsprozess selbst weder der Stoff, noch die Form sind der Urgrund der Dinge, denn sie sind abhängig von jener Werdemacht.

Nach Heraklit von Ephesos (etwa von 535-475 v. Chr.) ist dieses Werden die Urkausalität der Welt. Das Urprinzip der Welt ist nicht Stillstand, sondern ewige Wandlung und Veränderung; Alles ist und ist gleich darauf nicht mehr, was es ist, d. h. es ist anders. So ist alles in ewigem Flusse (πάντα ῥεῖ). Trotz seines Widerstrebens wird jedes aus seinem Zustand in einen anderen hinübergerissen; so steht alles im Kampf mit einander, da jedes gegen jedes strebt. Der Kampf ist dasjenige, was den Werdeprozess weiter treibt, der Kampf ist der Vater aller Dinge (πόλεμος πατὴρ πάντων).

Und umzuschaffen das Geschaffne,

Damit sich's nicht zum Starren waffne,
Wirkt ewiges lebendig's Thun.

Und was nicht war, jetzt will es werden

Zu reinen Sonnen, farb'gen Erden,
In keinem Falle darf es ruhn.

Es muss sich regen, schaffend handeln,
Erst sich gestalten, dann verwandeln;
Nur scheinbar steht's Momente still.
Das Ew'ge regt sich fort in allen:
Denn alles muss in Nichts zerfallen,
Wenn es im Sein beharren will.

(Goethe,,,Eins und Alles": Gedichte, Bd. II.:,,Gott und Welt“.)

Aber was ist dieses Werdende, Verändernde, Verwandelnde? Es ist bei Heraklit kein abstraktes Prinzip, sondern ein konkret existierendes Stoffliches, zugleich aber ein mit Leben und Denken begabtes, also hylozoistisches Sein: Es ist das göttliche Feuer, welches nicht das gewöhnliche irdische Feuer, sondern identisch mit der reinsten Ätherluft ist. Dieser feurige Weltäther verwandelt sich in Luft, Wasser, Erde und diese wieder zurück in den Weltäther. So gehen in unaufhörlichem Wandlungsprozess die Welt und so nach einander unendlich viele Welten aus dem Urfeuer hervor und lösen sich wieder in dasselbe auf, sie haben alle ,,die Sonne passiert". Heraklit stimmt also in seinem Hylozoismus völlig mit den ionischen Physiologen überein und unterscheidet sich von ihnen nur dadurch, dass er auf die Entwicklung der Dinge aus dem Urprinzip noch mehr Gewicht legt, als es Anaximenes und Anaximander schon gethan hatten.

Wenn die Pythagoreer den Gedanken eines einheitlichen, gesetzmässigen Alls oder der Weltharmonie aufstellten, so war es Heraklit, der diesen Gedanken erweiterte und vertiefte. Die Harmonie der Pythagoreer ist ein von Ewigkeit zu Ewigkeit unveränderlicher Zustand der Welt. Dieser Harmonie fügt Heraklit die Disharmonie hinzu. Aus Kampf und Feindschaft, aus der Disharmonie erst geht die Harmonie der Welt hervor. Jede Harmonie löst sich in Disharmonie und diese wieder in Harmonie auf. So erhalten wir eine kontinuierliche Kette von Harmonie und Disharmonie, so erst ein wahres Entwicklungswelt all. In dieser der modernen Wissenschaft viel näher als die pythagoreische

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