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cessionen im Sinne der Reform bedrängt, aber bisher hat sich noch jedes Toryministerium mit einem Minimum von Concessionen in Nebendingen begnügt und in der Hauptsache das Princip festgehalten. So hielt es auch Disraeli in der von ihm eingebrachten sparsamen Reformbill fest, im Frühjahr 1867.

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Mit Recht bewundert man den Rechtssinn und die Loyalität des gemeinen Volks in England, welches oft massenhaft im tiefsten Elend schmachtet und dem Hungertode preisgegeben ist und doch niemals eine Revolution anzettelt. In London leben viele hunderttausend Arbeiter und doch machen sie keine Revolution gleich denen in Paris. Im Beginn des April 1867 wurde der Augsb. Allg. Zeitung aus London geschrieben: „Amtlicher Erhebung zufolge betrug die Einwohnerzahl der Stadt London am Ende des vorigen Jahrs 3,037,000. Seit 1861 ist die Bevölkerung um 234,002 Einwohner gestiegen. Das ganze Königreich Württemberg zählt in runder Zahl 1,800,000 Einwohner - 1,300,000 weniger als jene einzige Riesenstadt. Daß ein solches Stadtungeheuer nicht mehr schön seyn kann, liegt auf der Hand. ist geradezu schauderhaft zu denken, welchen physischen und moralischen Schmutz-Zubehör die Existenz einer solchen Menschenmasse auf einem Fled voraussetzt. Und dieß unter Londons Rauch- und Nebelatmosphäre! Mittlerweile wächst auch die Noth der Tausende von beschäftigungslosen Arbeitern, besonders im östlichen Theile der Stadt, ins Riesengroße. Ungemessener Reichthum und jammervollstes Elend wohnt wahrscheinlich nirgends in der Welt so nahe und unvermittelt nebeneinander. So hatte denn auch London am 4. April das Schauspiel eines Zugs von etwa 1500 hohläugigen, abgemagerten Männern, die, mit einer freiwilligen Musikbande an der Spize, unter den Tönen des Klagelieds feiernder Arbeiter: „We have no work to do," (wir haben nichts zu arbeiten) sich langsam daher bewegten. Es ging durch den kommerziellen Theil der Stadt, an der Wohnung des Lordmayor vorüber, auf das Westende zu. Die Region der großen Klubs

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wurde durchzogen und auch dem stillen Viertel der großen Aristokratie ein Besuch gemacht. Die traurige Schaar hatte sich auf ihrem Stelldichein meist mit nüchternem Magen und begleitet von ihren ebenfalls hungrigen Familien eingefunden, und der lange Weg mag manchem der Arbeiter, die sich nach aller Urtheil mit tadelloser Ruhe benahmen, sauer genug geworden seyn. Wie es heißt, haben die Beklagenswerthen eine Deputation an das Ministerium abgesandt, um die Regierung zu bitten, ihnen durch öffentliche Arbeiten Gelegenheit zu geben, die Mittel zur Fristung ihrer Existenz zu erwerben."

Die Königin von England hatte sich durch ihre Sympathie für Deutschland heimliche Feinde in England gemacht, die mit einer in diesem Lande nicht seltenen Bosheit ehrenrührige Lügen in Bezug auf Ihre Majestät verbreiteten. Da nun solch elendes Geklatsch auch in der deutschen Presse verbreitet wurde, schrieb die lithographirte englische Correspondenz vom 2. April 1867: „Die persönlichen und häuslichen Verhältnisse der Königin von England scheinen in Deutschland weit lebhafter als in England selbst zu interessiren. Zu solchem Schluß berechtigt die Thatsache, daß über sie in der deutschen Presse unendlich mehr Gerüchte und Anekdötchen als in der hiesigen verbreitet werden, obgleich letzterer das Material näher liegt und die Furcht vor Preßprozessen am wenigsten abzuschrecken brauchte. Die Königin von England hat es um uns Deutsche wahrlich nicht verdient, daß wir ihr die Ehre abschneiden, denn eben, daß sie für Deutschland allzu lebhaft empfinde, ist der stille Vorwurf, der sie hier durch ihre glücklichsten Lebensjahre verfolgt hat. Pflicht und Ehre gebieten daher dem durch einen Theil der deutschen Blätter ziehenden Gerüchte von einer morganatischen Vermählung der Königin mit einem untergeordneten Diener ihres Hofhalts entgegenzutreten. Solch müßiges und unwahres Geschwät, das nur in den niedrigsten Kneipen Londons ausgeheckt wird, verdient nicht jenseits des Canals wiederholt zu werden.“

Dreiundzwanzigstes Buch.

Französische Pläne.

Indem der Kaiser von Desterreich nach der Niederlage seines Heeres bei Königgrätz Venetien an den Kaiser Napoleon III. verschenkte, wurde dieser dadurch zum Schiedsrichter im deutschen Kriege auserkoren und nahm auch in gewohnter Feierlichkeit die Ehre und den Ruhm an, die er davon hatte, blieb aber weit hinter den Erwartungen Desterreichs zurück. Denn es gelüftete ihn nicht, sich jezt noch für das besiegte Oesterreich mit dem siegreichen Preußen zu schlagen. Er trat auch jezt noch nicht aus seiner Neutralität heraus und wenn er Desterreich auch nicht mehr den Erwerb Schlesiens verschaffen konnte, so setzte er doch durch, daß in den Friedenspräliminarien von Nikolsburg Preußen von Desterreich keine Gebietsabtretung verlangte. Auch sollte Preußen seine Hegemonie in Norddeutschland nicht über die Mainlinie hinaus erstrecken. Indem Preußen sich diesen Bedingungen fügte, handelte es klug, denn wenn es Desterreich und

die Mittelstaaten durch höhere Forderungen erbittert und zur Verzweiflung gebracht hätte, dann erst würde Frankreich an ihnen enragirte Bundesgenossen gefunden haben. Durch Schonung dämpfte der Sieger die Rheinbundgelüste.

Die Italiener geriethen in eine wahre Wuth, als sie sich zu Wasser und zu Lande geschlagen sahen und Venetien nur durch französische Gnade erhalten sollten. Sie wagten daher, im Vertrauen auf das starke und siegreiche Preußen, dem französischen Kaiser eine kurze Zeit lang zu troßen und rückten, obgleich er es ihnen verboten hatte, gegen Venetien vor, schlossen sich aber nachher dem Frieden an, den Frankreich mit Wien vermittelte. Napoleon III. war mit dem Verhalten Victor Emanuels damals nicht ganz zufrieden. Lamarmora, der französisch gesinnte Minister Italiens, mußte dem preußisch gesinnten Nicasoli weichen. Deswegen arbeitete die französische Diplomatie in Florenz darauf hin, das Band zwischen Italien und Preußen wieder zu lockern und dem italienischen Vasallen zu bedeuten, der französische Schuß sey ihm doch noch unentbehrlicher als der preuBische.

Einstweilen störte nichts den Frieden. Frankreich mußte sich erst Italiens wieder vergewissert, erst Hinterladungsgewehre genug ange= schafft, erst neue Allianzen gewonnen haben, ehe es wagen durfte, Preußen anzugreifen. Ja es konnte diese Zwischenzeit benutzen, um Preußen selbst eine Compensation abzudiplomatisiren. Die strengste Neutralität einzuhalten, durch Vermittlung des Friedens den Rang eines europäischen Schiedsrichters zu bewahren, war das nächste Interesse des Kaisers. Er blieb daher auch von den Feierlichkeiten weg, mit denen in der Mitte des Juli, gerade nach den großen Siegen der Preußen, das Jubiläum der Einverleibung Lothringens in Frankreich begangen wurde.

In der zweiten Woche des August wurden unruhige Gerüchte verbreitet. Die Opposition in Paris suchte, je ohnmächtiger sie sich

gegenüber dem Kaiser fühlte, mit desto lauersamerem Scharfblick jede Gelegenheit zu benutzen, um den Kaiser beim französischen Volke zu verdächtigen, als sey er schon zu alt und kränklich, um noch energisch das Interesse der französischen Nation vertreten zu können. Ja man scheute sich nicht, ihm indirekt den Vorwurf der Feigheit zu machen. Mit denselben Mitteln waren Karl X. und Ludwig Philipp allmälig um allen Kredit gebracht worden. Gerade jezt bemühte sich die Opposition, den Kaiser noch in einen Krieg mit Deutschland hineinzuhehen, weil es beleidigend für die französische Ehre und unerträglich sey, daß Frankreich die deutsche Beute nicht mit Preußen theilen sollte. Auch den Ehrgeiz des französischen Heeres reizte man auf und gab zu verstehen, dasselbe könne unmöglich dulden, daß es von der preußischen Armee an Kriegsruhm übertroffen werde. Diese Stimmen gingen von einer keineswegs wahrhaft kriegslustigen Partei, sondern wieder nur von der orleanistischen Opposition aus. Indessen glaubte man, Napoleon III. wolle die Opposition diesmal benußen, um Preußen ein wenig zu drohen und dessen Forderungen an die deutschen Mittelstaaten zu mäßigen. Etwas Bestimmtes erfuhr man nicht. Erst im Anfang des August verbreitete der Pariser Siècle das Gerücht, die kaiserliche Regierung habe mit dem Berliner Kabinet Vorbesprechungen (pourparlers) bezüglich der Rheingrenze eröffnet, Preußen aber bisher nicht geglaubt, die französischen Vorschläge annehmen zu können.

Auf mehr als eine größere Schonung der deutschen Mittelstaaten im Frieden lief der von Frankreich her geübte Druck auf Preußen nicht hinaus. Und jene Schonung selbst lag so sehr im preußischen eigenen Interesse, daß es eines Drucks von Frankreich her gar nicht bedurfte. Die Compensationsfrage, wenn je darüber verhandelt worden war, ließ doch Napoleon III. wieder fallen. Preußen blieb seinem alten Programm getreu, keinen Fußbreit deutschen Bodens abtreten zu wollen, und Frankreich entsagte oder glaubte wenigstens die Erfüllung seiner Wünsche auf eine günstigere Zeit vertagen zu müssen. Die

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