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Erster Abschnitt.

Das Zeitalter der naiven Erfahrung oder die einseitig-unkritische Betrachtung des Objektiven.

Über das Verhältnis der griechischen Naturphilosophie

zur modernen Naturwissenschaft.

Erstes Kapitel.

Stoff und Form. Die ionischen Physiologen und die Pythagoreer.

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Inhalt: Die Bedeutung der Kausalvorstellung in der Wissenschaft. natürliche und natürliche Kausalität. Theogonien und Kosmologien. Erwachen der Naturphilosophie. Die Bedeutung der griechischen Naturphilosophie für die heutige Naturwissenschaft. Stoff und Form. rialismus und Hylozoismus. Die ionischen Physiologen. Der Gedanke des Gemeinsamen in den Einzelerscheinungen oder das Naturgesetz. Die Dinge als Aggregatzustände. Der erste Keim der Entwicklungslehre. Kant-Laplace'sche Theorie und Darwinismus. Die Pythagoreer und das Prinzip der Form. Erster Keim des Idealismus und der Teleologie. Die Zahl als Urform. Die mathematische Betrachtungsweise der Natur. Die Zurückführung der Qualität auf die Quantität. Die Pythagoreischen Lehren vom feurigen Erdinnern, von der Axendrehung der Erde und der Bewegung der Erde um die Sonne. Unitas naturae. Kritik des Pythagoreismus. Die Pythagoreer als Repräsentanten fundamentaler Irrtümer des menschlichen Denkens. Die Subjektivität der mathematischen Vorstellungen. Sachgrund und Erkenntnisgrund. Logische Definition und genetische Erklärung.

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lle Probleme, welche in den Begriffen: Materialismus, Spiritualismus, Realismus, Idealismus, Monismus, Dualismus, Mechanismus, Teleologie, Stoff, Form, beharrende Substanz, veränderliches Werden u. s. w. inhaltsschwer und inhaltsschwierig enthalten sind, sagten wir, seien nur Teilprobleme des

grossen Grundproblems aller Wissenschaften überhaupt: der Kausalität. Es muss deshalb, wie für die Wissenschaft im allgemeinen, so besonders für die Naturwissenschaft, in welcher jene Gegensätze heutzutage fortwährend auf einander platzen, von hohem Interesse sein, zu sehen, wie diese Begriffe sich zuerst im philosophischen Denken gebildet und entwickelt haben. Nicht blos, dass dadurch grössere Klarheit über dieselben erzielt wird, die Hauptsache ist, dass, indem wir ihre Entstehung verfolgen und die Art und Weise ihrer Bildung uns klar machen, wir damit eine durchdringende Kritik derselben geben, die ja in jedem Falle wahrhaft schneidig nur aus der Entwicklungsgeschichte gezogen werden kann. Es geschieht also nicht aus blos historischem Interesse, sondern in der klaren Erkenntnis des der Naturwissenschaft unmittelbar zu gute kommenden praktischen Gewinnes, wenn wir die erste Entwicklung jener Begriffe im philosophischen Denken hier darlegen.

Wo können wir hier den relativ ersten Keim der Kausalvorstellung entdecken? Untersuchen wir die menschliche Sprache, selbst die der rohesten Stämme, so ist sie überall von der Kausalvorstellung vollständig durchwebt. Alle Flexionsformen in Deklination, Konjugation und Komparation, dazu die Präpositionen und Konjunktionen, so unentwickelt alle diese Sprachteile auch vielfach noch sein mögen, sind doch nichts anderes als Bezeichnungen verschiedener Kausalbeziehungen, oder sprachliche Ausdrücke für die Kausalvorstellung. Wenn wir gegen einen Hund drohend einen Stock erheben, so weicht er entsetzt zurück. Er kennt also den ursächlichen Zusammenhang zwischen Stock, Schlägen, Schmerz u. s. w. und handelt demgemäss. Er schliesst, gut wie es ein Mensch im gleichen Falle thut: Wenn dieser Mann diesen Stock in dieser Weise gegen mich erhebt, so folgen schmerzliche Empfindungen für mich also entfliehe ich, um nicht geschlagen zu werden. Wir finden hier die Vorstellung eines ursächlichen Zusammenhanges selbst in dem unentwickelten Bewusstsein des Tieres. Wir sagen hier nur, dass es so ist, nicht, was die Kausalität ist, und wie sie etwa in dieses Bewusstsein hinein gekommen. Es genügt, die Thatsache, von der wir ausgehen, zu

SO

konstatieren,

dass selbst dem tierischen Bewusstsein Kausalität nicht abzusprechen ist.

Wir finden ferner, dass in der Menschheit, so weit wir ihre Geschichte übersehen können, die Kausalvorstellung einen doppelten Ausdruck gefunden hat. Woher kommen Wind und Regen, Donner und Blitz? Ein Windgott, ein Donnergott verursacht diese Erscheinungen. So setzt der Mensch eine aussersinnliche und übernatürliche Ursache. Aber er nimmt daneben auch sinnlich wahrnehmbare, natürliche Ursachen an. Er wirft die Lanze, dass sie fliegt und das Wild tot zu Boden streckt; er beleidigt seinen Mitmenschen, dass dieser in Wut zum Angriff übergeht u. s. w. Hier sieht er den natürlichen Zusammenhang von Ursache und Wirkung klar vor sich.

So wird also von frühester Zeit die Kausalität einerseits als eine natürliche, andererseits als eine übernatürliche gefasst. Wie die Vorstellung einer übernatürlichen Kausalreihe aus der natürlichen Kausalität entstanden ist, können wir hier noch nicht darlegen. Hier bemerken wir nur, dass der Entwicklungsgang des menschlichen Denkens dahin führt, die Vorstellung der übernatürlichen Kausalität mehr und mehr zu verdrängen, bis die Wissenschaft endlich nur noch die natürliche Kausalität anerkennt.

Dieser Entwicklungslauf, der bis zu einem gewissen Grade sich auch bei anderen zivilisierten Völkern, wie Chinesen und Indern, verfolgen lassen wird, tritt am klarsten bei den europäischen Völkern hervor, den Trägern der modernen Kultur und Wissenschaft. So gewaltig diese Kultur und Wissenschaft auch sein mag, so ist sie doch nur ein neues Gebäude auf alten Fundamenten. Unsere ganze Bildung, unsere Gedankenwelt in Religion, Kunst und Wissenschaft würde, wenn wir alles, was wir dem griechischen Genius verdanken, daraus entfernten, zusammenbrechen, wie die aus Gold, Silber und Erz zusammengesetzte Gestalt des vierten,,gemischten" Königs in Goethes ,,Märchen", als die Irrlichter mit ihren spitzen Zungen die goldenen Adern aus dem kolossalen Bilde herausgeleckt hatten. Wollen wir also unsere eigene Gedankenwelt verstehen, so müssen wir sie aus den von den Griechen geschaffenen Keimvorstellungen ableiten.

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