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läßt sich darauf zurückführen, daß das Wort „Kraft" einen verschiedenen Sinn hat in den beiden ersten und im dritten Gesez. Dort war die Kraft eine einseitig gerichtete Größe, in dem dritten Gesetz und überhaupt in der Newtonschen Mechanik verbindet eine Kraft stets zwei Körper und geht ebensowohl vom zweiten zum ersten als vom ersten zum zweiten.

Nach der vor-Newtonschen Vorstellung der Philosophen hat die Kraft ihren Sig im bewegten Körper wie eine Art Wille zur Bewegung.

Nach Newtons Anschauung hat sie ihren Siß in dem wirkenden Körper und könnte mit einem Befehl zur Bewegung verglichen werden, den jeder Körper jedem andern erteilt.

Aus dieser Unklarheit über den Begriff der Kraft ist allein der berühmte Streit zwischen Leibniz und den Kartesianern über die Schäßung der lebendigen Kräfte zu erklären, der das 18. Jahrhundert bewegte und selbst in die Salons der Damen drang, der nicht zur Entscheidung kommen konnte, ehe vollständige Klarheit über den Kraftbegriff gewonnen war.

Diese logische Unklarheit im Kraftbegriff ist es, die Herz veranlaßt, nach einem neuen System der Mechanik zu suchen.

Er versucht zunächst, ein zweites Bild der physischen Welt zu konstruieren, das er aber auch wieder verwirft, bei dem an Stelle des Kraftbegriffes der Begriff der Energie neben Zeit, Raum und Masse eintritt.

Die Energie ist dieser Auffassung ein mysteriöses Etwas, eine Art unzerstörbarer Substanz, die in jedem bewegten System in bestimmter unveränderlicher Menge enthalten ist. Dieses Etwas tritt in zweierlei verschiedenen Formen auf, von denen die eine in die andre verwandelt werden kann.

Während aber die kinetische Form der Energie aus den Begriffen von Raum, Zeit und Masse exakt definiert werden kann, haben wir, wenn wir den Kraftbegriff nicht vorausseßen wollen, für die zweite Form, die potentielle Energie, gar keine Definition. Es ist eine durch die jeweilige Konstitution des Systems vollständig bestimmte Funktion, unter der wir uns zunächst nichts vorstellen können, die also nichts als eine mathematische Formel ist.

Diese beiden Energiearten verwandeln sich während der Bewegung ineinander, und die Geseze der Bewegung lassen sich nach dem Hamiltonschen Prinzip mathematisch deduzieren.

Dies Prinzip kann man etwa so aussprechen, daß ein System aus einer Lage in eine andre immer so übergeht, daß die Gesamtmenge der Energie erhalten bleibt, daß aber der Unterschied zwischen potentieller und kinetischer Energie im Mittel so klein als möglich bleibt. Die Kraft ist hierbei lediglich ein mathematischer Hilfsbegriff.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß diese Auffassung der Mechanik für den heutigen Stand unsrer Kenntnisse viele Vorzüge hat. Sie verlegt manche der tatsächlich wahrgenommenen Verhältnisse, die bei der alten Mechanik erst nachträglich eingeführt werden müssen, schon in die Prinzipien, so den Saß von der Erhaltung der Energie, der sonst als eine nur für gewisse Fälle gültige

Hypothese eingeführt wurde, während doch alle Erfahrungen darauf hinweisen, daß andre Systeme als diesem Gesez gehorchende gar nicht existieren.

Aber auch dieser Weg führt auf gewisse logische Bedenken, die aus dem unerklärlichen und nicht vollständig definierten Energiebegriff abzuleiten sind, die Herz bestimmen, ein drittes mechanisches Weltbild zu entwerfen, das in seiner logischen Reinheit den andern weit überlegen ist.

Es ist nicht ganz leicht, in den Gedankengang des Verfassers vollständig einzudringen, da er vielfach mit neuen und ungewohnten Vorstellungen operiert, bei knapper und abstrakter Darstellung wenig Beispiele gibt. Gleichwohl wird jeden, der sich die Mühe nicht verdrießen läßt, das Buch zu studieren, die logische Klarheit des Gedankens und die konsequente mathematische Durchbildung mit steigender Bewunderung erfüllen, je weiter er in den Geist des Werkes eindringt.

Zum Verständnis aber wird es beitragen, wenn man sich von vornherein über das folgende klar wird.

Das Ziel des Buches ist ein mathematisches, kein physikalisches. Man darf darin nicht etwa eine konkrete Erklärung der Gravitation oder der elektrischen Erscheinungen suchen. Aus der Hypothese der verborgenen Bewegung werden nur die Säße der gewöhnlichen Mechanik abgeleitet; mehr ist in dem Buche nicht gegeben und nicht beabsichtigt. Wie im einzelnen die Kräfte beschaffen sind, darüber erhalten wir keine Auskunft. Dies muß aus der Erfahrung zu der Theorie hinzukommen.

Es ist eine darüber hinausgehende Aufgabe der spekulativen Physik, die tatsächlich gegebenen Erscheinungen auf bestimmte verborgene Bewe= gungen zurückzuführen. Ist diese Aufgabe gelöst, so hören diese verborgenen Bewegungen bis zu einem gewissen Grade auf, verborgen zu sein, wie man z. B. die Bewegungen der Luft, auf denen die Schallerscheinungen beruhen, wohl kaum mehr zu den verborgenen zählen wird, während dies bei den Bewegungen, die man zur Erklärung der Licht- und Wärmeerscheinungen oder der elektro-magnetischen Vorgänge vorausseßt, wohl noch der Fall ist.

Für die Gravitation hat man bis jetzt noch gar keine bestimmte Vorstellung dieser Art. Es ist dies aber auch für die Anwendung auf die Außenwelt nicht notwendig, wie uns die Himmelsmechanik lehrt, die troß dieser Unkenntnis unter allen Anwendungen der Mechanik die genaueste und vollkommenste ist.

Es wäre freilich noch zu beweisen, daß sich alle Naturerscheinungen auch wirklich auf verborgene Bewegungen zurückführen lassen, und wenn dies auch wahrscheinlich auf mehr als eine Art möglich ist, so steht der Beweis doch noch aus.

Herz geht also, wie aus dem Gesagten bereits hervorgeht, von der Vorausseßung aus, daß aus den Begriffen von Raum, Zeit und Masse, zu denen die Vorstellung von gewissen Verbindungen unter den Massen hinzukommt,

die ganze Mechanik ableitbar sei, einschließlich des Begriffes der Kraft, der Energie, der Arbeit.

Um an einem grob-sinnlichen Bild diese Vorstellung zu veranschaulichen, denke man sich zwei Kugeln, die durch eine Kette miteinander verbunden sind, im Raume bewegt. Dieses System, sich selbst überlassen, wird sich um seinen Massenmittelpunkt mit gleichförmiger Geschwindigkeit drehen. Wenn wir nun von der Existenz der Kette nichts wissen, so werden wir glauben, die beiden Kugeln ziehen einander an, ähnlich wie die Planeten, nur daß hier das Geset der Anziehung ein ganz andres wäre.

Man darf aber solchen Beispielen, deren Bolzmann mehrere sehr scharfsinnig ersonnen hat, kein zu großes Gewicht beilegen. Sie scheinen zu klein, um von dem großen Gedanken der Herzschen Mechanik ein richtiges Bild zu geben.

Wenn wir also von Kräften zunächst absehen, so bleibt als einziger Grundsaz, aus dem alles ableitbar ist, nur das Trägheitsgeseß, das in dem ersten der drei Newtonschen Geseze seinen Ausdruck findet. „Ieder Körper bleibt in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen Bewegung."

Dieses Gesez muß dann natürlich so umgeformt und erweitert werden, daß es auf zusammengesezte Systeme, unter deren Teilen beliebige Verbindungen bestehen, anwendbar bleibt, wie es auch schon in der gewöhnlichen Mechanik geschieht.

Die Mathematiker haben sich mehr und mehr daran gewöhnt, ein System von mehreren veränderlichen Größen als Punkte in einem Raum von mehr Dimensionen zu deuten, so können wir uns z. B. ein System von zwei Punkten im gewöhnlichen Raum deuten als einen Punkt im Raum von sechs Dimensionen, einen in unserm Raum bewegten starren Körper als Punkt im Raum von sechs Dimensionen. Wenn die Bewegungsfreiheit des Körpers in unserm Raume beschränkt ist, so würde ein Raum von weniger als sechs Dimensionen ausreichen, um jede mögliche Lage des Körpers durch einen Punkt darstellen zu tönnen. Diese Räume müssen aber, wenn sie die Bewegungsvorgänge richtig darstellen sollen, im gewissen Sinne den Charakter von krummen Flächen in noch höheren Räumen haben. Es ist dies natürlich nur „Façon de parler". Der Mathematiker kann sich ebenso wenig wie ein andrer Sterblicher einen Raum von mehr als drei Dimensionen oder einen gekrümmten Raum“ vorstellen. Die Ausdrucksweise hat nur den Sinn einer Zeichensprache, die vieles sehr vereinfacht, und allenfalls durch „Analogie“ eine Art von Anschauung und Wegleitung gewährt.

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In dieser Sprache wird dann das Grundgesetz der Mechanik so ausgesprochen:

Jedes freie, d. H. mit keinem andern System verbundene System bewegt sich so, daß der repräsentierende Punkt in dem „Ueberraum“ eine gerade Linie mit gleichförmiger Geschwindigkeit durchläuft, oder wenn in dem gekrümmten

Deutsche Revue. XXIX. Februar-Heft.

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gerufen wurde diese von den Bulgaren aus dem Fürstentum, die angeblich die Unterdrückung ihrer Stammesgenossen in Makedonien und Thrazien durch die türkische Herrschaft nicht länger mitanzusehen vermochten. Daß die türkische Verwaltung an schweren Mängeln leidet, wird niemand leugnen; wenn aber eine der Nationalitäten des bunten Völkergemisches, das auf der Balkanhalbinsel noch unter osmanischem Zepter steht, Ursache hatte, zufrieden zu sein, so waren es die Bulgaren. Sie wurden überall bevorzugt. Die Pforte scheute jeden Konflikt mit diesen anspruchsvollen Untertanen, weil im Hintergrunde drohend Rußland als ihr Beschüßer sich erhob. Das ging auch auf die Beamten über. Die türkischen Großgrundbesißer im Lande bedienten sich mit Vorliebe der Bulgaren als Kiaghas, d. h. Verwalter oder Intendanten, auf ihren Gütern. Meist hatten diese auch als tüchtige Ackerbauer und Gärtner die besten Ländereien inne. Seit durch die Errichtung des Fürstentums das nationale Bewußtsein in ihnen geweckt worden ist, halten sie fest zusammen. Kurz, ihre Lage war sicherlich erträglich und jedenfalls besser als die des muselmanischen Bevölkerungsbruchteils, der den eignen Gewalthabern gegenüber keinerlei Rückhalt besißt. Charakteristisch für die neuen bulgarischen Freiheitskämpfer ist die Bezeichnung Komitadjis“, d. H. die Leute der Komitees. Das öffentliche Bewußtsein hat damit ausgedrückt, daß es sich um keinen Volksaufstand, sondern nur um die Gefolgschaft der Agitatoren handelte.

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Trogdem, und troß der energischen Friedensmahnung zweier Großmächte, brach der erbitterte Kampf aus. Wenn eine Art Waffenstillstand eingetreten ist, den übrigens die rauhe Jahreszeit gebieterisch heischte, und der offen erklärte Krieg zwischen Bulgarien und der Türkei bisher noch mit Mühe verhütet worden ist, so kann er doch leicht im Frühling entbrennen. Daß er einmal, sei es über kurz oder lang, kommen muß, unterliegt kaum noch einem Zweifel. Wahrscheinlich erreicht die Türkei durch ihre Nachgiebigkeit nur, daß er auf einen Zeitpunkt hinausgeschoben wird, der für sie ungünstiger ist, als der gegenwärtige.

Worin besteht nun der Grund für diese auf die Dauer nicht mehr zu hemmende Bewegung? In Bulgarien herrscht der Glaube an eine eigne, große Zukunft, und am türkischen Reiche sind Rückgang und Schwäche sichtbar. Das läßt den Gemütern keine Ruhe. Einmal schon, im Frieden von San Stefano, schien es, als solle der Traum eines großen Bulgariens, das bis zum Aegäischen Meere reicht, Wirklichkeit werden. Er zerrann wieder auf dem Berliner Kongreß. Seitdem aber quält er die Seelen und erhißt die Köpfe aller Bulgaren, die sich überhaupt für politische Dinge interessieren. Sie werden auf die Verwirklichung ihrer Wünsche nicht verzichten; denn zu den starken Eigenschaften dieses Volks gehört eine unglaubliche Zähigkeit. „Der Bulgar hezt den Hasen auf seiner Araba, 1) und er endet damit, daß er ihn fängt," sagt das orientalische Sprichwort.

Genährt worden ist die Begehrlichkeit der Bulgaren ganz besonders durch

1) Der mit Blockrädern versehene Ochsenkarren, wie er im Orient noch vielfach üblich ist.

die türkische Nachgiebigkeit im Jahre 1885, als Dstrumelien sich mitten im Frieden und ohne allen Grund vom Reiche losriß. Die Türkei war damals vollkommen in der Lage, die abtrünnige Provinz mit Waffengewalt zum Gehorsam zu zwingen. Sie tat es nicht, weil der Sultan den Krieg nicht wollte.

Ein Akt von Friedensliebe gebar also einen neuen Kampf; er war als Schwäche ausgelegt worden. Dieser Vorgang müßte allen denen die Augen öffnen, die an das Nahen des Weltfriedens glauben. Wäre die Türkei ein junger, starker, stets kriegsbereiter Staat mit einem immer schlagfertigen Heere, so würde es damals nicht zur Losreißung und heute nicht zu den Mezeleien und Brandstiftungen gekommen sein. Den besten Beweis dafür bietet ihr Verhalten gegen Griechenland. Seit sich das alternde Reich im Jahre 1897 entschloß, diesem unruhigen Nachbarstaat gegenüber endlich Ernst zu machen und den Feldzug glücklich durchführte, herrscht nicht nur in Thessalien und Epirus Ruhe, sondern das gesamte griechische Element auf der Balkanhalbinsel verhält sich still oder schließt sich gar der ottomanischen Regierung freiwillig an.

Man könnte nun sagen, daß sich das Nationalitätsprinzip als Kriegsursache in dem Augenblicke erschöpft haben wird, in dem die Nationen sich territorial gegeneinander abgegrenzt haben. Allein es bleibt immer noch übrig, daß sie sich verschieden mehren und nach einem gewissen Zeitraum der Ausgleich sich daher wiederholen muß. Trügen ferner nicht alle Anzeichen, so wird dem Nationalitätsprinzip bald ein andres folgen. Die Völker der Zukunft werden sich nach Stammesgruppen zusammenschließen, wie in Europa Romanen, Germanen und Slawen. Daß diese Gruppen sich über ihre Ansprüche an unsern Erdteil friedlich einigen werden, ist aber nicht sehr wahrscheinlich. Später folgen die Rassen. Von dem Antagonismus der weißen und gelben ist ja schon heute die Rede.

Der südafrikanische Krieg entsprang einer andern Ursache, wenn man von den Streitpunkten absieht, die den äußeren Anlaß bildeten. In England ist jeder Denkende davon überzeugt, daß Indien dem Reiche einmal verloren gehen wird, wenn auch vielleicht nicht durch die Russen, so doch durch die Inder selbst. Ein Volk von 300 Millionen läßt sich auf die Dauer nicht von wenigen Hunderttausenden beherrschen und bevormunden. Für den drohenden Verlust muß Ersat geschaffen werden, damit das Mutterland leben und seine große politische Stellung in der Welt behaupten kann. Dieser Ersaß aber konnte nirgends anders gesucht und gefunden werden, als in Afrika, das vor Indien noch den großen Vorzug hat, England näher zu liegen. Hieraus entstand die Ueberzeugung, daß Afrika vom Kap bis zur Nilmündung englisch werden müsse, ja mit der Ueberzeugung auch der Glaube an das Recht zu diesem Anspruch. Auf dem Wege zum Ziel lag nur ein ernstes Hindernis das waren die beiden kleinen aber starken Burenrepubliken. So mußte es den leitenden Staatsmännern Chamberlain und Rhodes als Notwendigkeit, ja als ein Gebot der Selbsterhaltung erscheinen, diese zunächst zu vernichten. Sie benußten geschickt den ersten Augenblick, wo sie sicher waren, daß ihnen bei ihrem Beginnen keine der großen Mächte in den Arm

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