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1914/16
a/2.
24760

1026826

Bollständige Geschichte

des

D.

deutsch-französischen Krieges

von 1870 und 1871

von seiner ersten Entstehung an,

in zusammenhängender, übersichtlicher und populärer Darstellung,
nach den besten Quellen und unter Benußung der
amtlichen Berichte.

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Mit mehr als 100 Karten, Schlachtplänen, Portraits und
anderen 3llustrationen

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C. Arnold, J. Burger, L. Löffler, S. Scherenberg, G. Theuerkauf, 9. Wiønieski n. A.

nebst den

fämmtlichen offiziellen Kriegsdepeschen in wortgetreuem Abdruck.

Berlin 1871.
Gustav Hempel.

Geschichte des Krieges

dom

Abbruch der ersten Waffenstillstands-Verhandlungen mit ThiersTM

bis zur

Capitulation von Paris.

(6. Nov. 1870 bis 28. Jan. 1871.)

Die erste Fernwirkung der Uebergabe von Meß, die für den Fort. gang des Feldzuges so entscheidend geworden, erkannten wir in der am 30. October erfolgten Eroberung und Beseßung Dijons durch das Werder'sche Corps. Mittlerweile vermehrte sich unser Heer in Frankreich fortwährend, während die französischen Truppen je länger desto mehr in Desorganisation geriethen. War es doch auch den Generalen unmöglich, fich zu behaupten und Mannszucht zu erhalten, da ein Advokat sich gleich zum Dictator aufgeworfen und allein, ohne Zuziehung und Mitwirkung der ihm doch beigeordneten Regierungs-Mitglieder folgenden Aufruf an das Volk erlaffen hatte:

Soldaten! Ihr seid verrathen, aber nicht entehrt worden. Seit drei Monaten täuscht das Kriegsglück euren Heldenmuth. Ihr_wißt heute, zu welchen Unglücksfällen die Unfähigkeit und der Verrath die tapfersten Armeen hinführen können. Nun, eurer und Frankreichs unwürdiger Führer entledigt, seid ihr bereit, unter der Führung von Generalen, die euer Vertrauen verdienen, in dem Blut der fremden Eindringlinge die dem alten französischen Namen angethane Schmach wegzuwaschen. Vorwärts! Ihr werdet nicht mehr für das Interesse oder die Launen eines Despoten kämpfen; ihr kämpft für das Heil eures Vaterlandes, für eure niedergebrannten Heerde, für eure beschimpfte Familie, für Frankreich, die Mutter von uns Allen, die der Wuth eines unversöhnlichen Feindes preisgegeben ist. Heiliger und nationaler Krieg, erhabene Mission, für deren Erfolg wir uns Alle, ohne jemals zurückzublicken, gänzlich opfern müssen! Unwürdige Bürger haben zu sagen gewagt, daß die Armee mit der Infamie ihres Führers solidarisch gemacht worden sei. Schmach auf diese Verleumder, die, getreu dem System der Bonaparte, die Armee von dem Volke, die Soldaten von der Republik zu trennen suchen. Nein! nein! Ich habe, wie ich es mußte, den Verrath von Sedan und das Verbrechen von Meh gebrandmarkt, und ich rufe euch an, eure Ehre zu rächen, welche die Frankreichs ist. Eure Waffenbrüder von der RheinArmee haben schon gegen das feige Attentat protestirt und mit Abscheu ihren Namen von dieser verfluchten Capitulation_zurückgezogen. An euch ist es, die Fahne Frankreichs zu erheben, welche im Laufe von 14 Jahrhunderten_niemals eine ähnliche Beschimpfung erlitten hat! Der letzte Bonaparte und seine Schergen konnten allein so viele Schande in so wenigen Tagen über uns bringen! Shr bringt uns den Sieg zurück; aber wißt ihn zu verdienen durch die Ausübung der

republikanischen Tugenden, durch die Achtung vor der Disciplin, durch die Strenge eures Lebenswandels, durch die Todesverachtung. Habt immer vor dem Geiste das Bild des Vaterlandes in Gefahr; vergeßt niemals, daß vor dem Feinde in der Stunde, in der wir uns befinden, schwach werden, Vatermord ist und Züch tigung verdient. Aber die Zeit der Schwäche ist vorüber; es ist aus mit dem Verrath. Die Geschicke des Landes find euch anvertraut, denn ihr seid die französische Tugend, die bewaffnete Hoffnung des Vaterlandes; ihr werdet siegen! und nachdem ihr Frankreich seinen Rang wiedergegeben habt, werdet ihr die Bürger einer friedlichen, freien und geachteten Republik sein. Es lebe Frankreich! Es lebe die Republik. Das Rgierungsmitglied, Minister des Innern und des Krieges, Gambetta.

Freilich verfolgte - von Gambetta's Excentricitäten abgesehn die französische Regierung der Nationalvertheidigung einen gewiffen zu sammenhängenden Plan, zu deffen Ausführung jedoch Kraft und die Mittel fehlten, nachdem ihm durch die Thätigkeit des Werder'schen Corps, der Tann'schen Heeresabtheilung und vollends die Uebergabe von Meß der Halt genommen worden war. Vier Armeecorps, welche vor Meß gestanden, waren, wie wir gesehen, nach Troyes zu Operationen im mittlern und südlichen Frankreich gerückt. Neunzehn deutsche Heerestheile breiteten sich Anfangs November über Frankreich aus, und neun deutsche Corps beendeten überdies ihre Formationen.

Es ließ sich denken, daß diese gewaltige Heeresmacht nicht ihre Bewegungen plößlich für einen längern Waffenstillstand aufgeben könnte und würde, zumal die Bedeutungslosigkeit der Pariser Regierung nach den Vorgängen des 31. Oct. und 1. Nov. klar geworden war. Die Regierung war ja einfach eingesperrt und nur durch den guten Willen der Nationalgarde befreit worden. Der Fanatismus des Unverstandes wü thete noch zu stark, um jezt schon auf eine Umkehr der Franzosen rechnen. zu können. Es bedurfte noch fürchterlicherer Schläge, noch härterer Prüfungen! - Auch die Berathungen, welche zu Anfang November Napoleon, Eugenie und der ehemalige Kriegsrath auf Wilhelmshöhe pflogen, mußten ohne allen Einfluß, ja ohne allen Eindruck bleiben. Die Ereignisse sollten ihren Lauf haben.

Die fruchtlosen Waffenstillstands-Verhandlungen waren übrigens für unsere Interessen und zum Nachtheil der Eingeschlossenen nicht ungenutzt geblieben. Gambetta freilich überbot sich in unsinnigen Flunkereien, und die Pariser Regierung stellte drei Heere auf. Nach der Niederlage aller französischen Heere follte um jeden Preis an der Loire gestegt werden, wo sich Truppen anhäuften, deren Zahl 80,000 betragen haben mag. Dagegen schien Lyon vernachlässigt, während die deutschen Kriegsoperationen südlich von den Vogesen sich thatkräftigst entfalteten. Die Deutschen beseßten Montbeliard (Mömpelgard), um die am 3. Nov. begonnene Einschließung der Festung Belfort vollständig zu machen.

Belfort ist einer der wichtigsten Communicationssperrpunkte des

südöstlichen Frankreichs und hat dadurch, daß es Knotenpunkt dreier Eisenbahnlinien geworden, in neuerer Zeit noch erhöhteren Werth erhalten. Hier kreuzen sich die Bahnen, welche östlich über Altkirch und Mühlhausen nach Basel, westlich über Vesoul nach Paris und südwestlich in das Thal des Doubs nach Besançon führen, drei Linien, durch welche also die Verbindung mit der Schweiz, dem mittlern wie dem südöstlichen Frankreich hergestellt wird. Die Festung, welche denen erster Klasse zugehört, liegt an der Savoureuse, in einer von mehreren Berggruppen überhöhten Ebene am Fuße von talksteinhaltigen Bergen, unter denen der fast 1500 Fuß hohe Miotte und der 1300 Fuß hohe mont de la Justice die bedeutendsten sind. Belfort vertheidigt die Zugänge zwischen den Vogesen und dem Jura, sperrt die aus dem niederen Elsaß in das Thal des Doubs und deckt namentlich die Straße, die unter dem Namen „trouée de Belfort" bekannt ist. Die Stadt wird von einer noch von Vauban errichteten Citadelle beherrscht, welche, auf einem fast senkrecht aufsteigenden Felsen gelegen, mit bastionirter Enceinte umgeben ist, die sie von zwei bedeuden Vorstädten trennt. Außer diesen Befestigungen des sogenannten „rocher de Belfort", deren höchster Punkt 200 Fuß über der Savoureuse liegt, wird Belfort wesentlich durch ein permanent befestigtes Lager (le camp retranché permanent du Vallon) vertheidigt, welches etwa 20,000 Mann umfassen kann, und durch die bedeutenden Forts de la Miotte und de la Justice, sowie die neueren starken Werke des Barres und des Hautes Perches geschüßt wird.

Von der Festung Belfort in der Betrachtung nur schwer zu trennen ist das feste Schloß von Montbéliard (auch Montbelliard) oder Mömpelgard. Am Zusammenfluß der Allaine, der Sonoureuse und der Lisaine (oder Lufine) und ferner am Rhein-Rhône - Kanal gelegen, ist es kaum drei Meilen südlich von Belfort entfernt; es deckt den in das Doubs-Thal und nach Besançon führenden Schienenweg, der unmittelbar bei dem befestigten Schlosse vorüberzieht. Montbéliard ist außer für die Bahnlinie wichtig als Knotenpunkt mehrerer Straßen wie durch seine Lage am oben genannten Kanal, den die Kanonen des Schlosses theilweise bestreichen.

Auf Seite 346 theilten wir bereits mit, daß der Oberbefehlshaber der Cernirungstruppen, Gen. v. Tresckow bei der Einschließung der Festung Belfort an den Kommandanten derselben ein Schreiben richtete, in der Absicht, der Stadt die Gräuel einer Belagerung zu ersparen. Ebenso findet sich an dieser Stelle die Antwort, welche der Kommandant gegeben.

Indem wir uns vorbehalten, die weitere interessante Geschichte der Belagerung dieses Plaßes bis zu dessen Uebergabe später im Zusammenhange zu erzählen, wenden wir uns für jezt zuvörderst zu den

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