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«Relapsing fever» nannten. Nachdem sich die Epidemie über Irland und einen Theil Englands verbreitet hatte, wurde später festgestellt, daß diese Krankheit eine besondere Form von Typhus und keineswegs neu sei, da ältere Berichte auswiesen, daß ganz dieselbe Krankheitsform schon in den 3. 1739, 1741, 1801, 1817-19 und 1827 in Irland und andern Theilen Großbritanniens geherrscht habe. Auch konnte festgestellt werden, daß die Epidemien dieser Krankheit hier faft immer gleichzeitig mit einer Epidemie des oben besprochenen Fleckfiebers herrschten. Beide Krankheiten finden sich auch untermischt in der Epidemie des 3. 1847 in Oberschlesien. Es ist nun anzunehmen, daß seit jener Zeit bis 1867 keine Epidemie von Rückfallfieber in Deutschland vorgekommen ist, allein in dem leßtgenannten Jahre wurde die Krankheit von Rußland aus eingeschleppt. Dort hatte sich im 3. 1864 eine Seuche entwickelt, die man zuerst als ganz neue Krankheit auffaßte und als «sibirische Pest» bezeichnete. Sie richtete zunächst unter der Landbevölkerung ungeheuere Verheerungen an und näherte sich in ihrer Verbreitung mehr und mehr den großen Städten Moskau und Petersburg. Unmittelbar zuvor war die Leibeigenschaft in Rußland aufgehoben worden. Die Folge dieser Neuerung war, daß sich die freigewordenen Bauern massenhaft in den großen Städten zusammenhäuften. Sie hatten im I. 1863, also im 3. vor dem Auftreten der Krankheit, Miswachs erlitten und im 3. 1864 felbst wiederum eine schlechte Ernte. Dies trieb sie in großen Scharen in die Städte, um Arbeit und Brot zu suchen, doch brachten sie in ihren Reihen jenes fürchterliche Leiden mit. In den Straßen Petersburgs starben diese Leute an Hunger und Elend oder wurden in die bald überfüllten Hospitäler gebracht. Das große Obuchoff'sche Hospital mußte 4000 Kranke zurückweisen und verpflegte binnen 29 Monaten 7128 Kranke, von welchen 10 Proc. starben (von 1864-69 wurden in dieses Krankenhaus 13057 Kranke aufgenommen, die an Rückfallfieber litten). Die Aerzte hatten bald erkannt, daß sie es hier mit jener schon aus Schottland bekannten Krankheit, dem Rückfallfieber, zu thun hatten. Von Petersburg aus ging nun im 3. 1865 die Epidemie längs der Newa einerseits bis Kronstadt, andererseits bis Schlüsselburg; doch schritt sie auch der Landstraße nach in die Ostseeprovinzen und nach Wilna. In Dorpat trat sie Anfang des 3. 1866 auf und im Verlaufe des 3. 1866 wurde sie aus Polen in Galizien eingeschleppt. Nachdem die Epidemie längere Zeit an der preuß. Grenze stehen geblieben wat, kam 1867 der erste Fall von Rückfallfieber in Königsberg vor und entwickelte daselbst im 3. 1868 eine kleine Epidemie, wobei vorzugsweise poln. Juden erkrankten. Von da ging die Krankheit nach einzelnen Gegenden Pommerns, nach Stettin, trat jedoch dann auch in Breslau auf, wo sie namentlich in einzelnen Herden der Stadt Fuß faßte und erst Ende 1869 erlosch. Nach und nach waren in das städtische Krankenhaus zu Breslau 351 Kranke aufgenommen worden, deren Sterblichkeit nur 2-3 Proc. betrug. Gleichzeitig mit Breslau wurde Berlin durch Einschleppung befallen (April 1868); hier erkrankten im ganzen nur etwa 300 Personen, von welchen kaum 2 Proc. der Krankheit erlagen. Von Berlin wurde die Epidemie nach Leipzig gebracht (Febr. 1869), doch blieb sie hier auf sehr wenige Fälle beschränkt. In Prag waren schon 1865 einzelne Fälle der Krankheit beobachtet worden, doch kamen noch 1867 bis Anfang 1869 etwa 200 Erkrankungsfälle vor. Im Verlaufe des 3. 1868 erschien das Rückfallfieber in London, nachdem es seit 14 3. dort nicht vorgekommen war; die ersten Fälle betrafen Einwanderer von Polen oder Deutschland; bis Ende 1869 wurden im London fever hospital gegen 100 Fälle aufgenommen; auch hier war der Verlauf der Epidemie ein gutartiger. Schließlich hielt die Krankheit im 3. 1870 in Nordamerika, namentlich in Neuhork, ihren Einzug, wo ihr nach kurzer Zeit mehrere hundert Menschen erlagen. Allein auch in andern Erdtheilen trat das Rückfallfieber epidemisch auf. So hat man es in Aegypten beobachtet; es kam im Winter 1864-65, also gleichzeitig wie in Rußland, in China zum Ausbruch, und in den 3. 186667 herrschte es in mehrern Orten Sibiriens, z. B. in Omsk; durch indische Auswanderer wurde die Krankheit 1865 nach Réunion eingeschleppt.

Aus dem Gange der Epidemien läßt sich die ausnehmend contagiöse Natur der Krankheit erkennen. Für ihre Verbreitung sind aber auch die socialen Verhältnisse der Erkrankten sehr zu berücksichtigen. Gewöhnlich kamen beim Auftreten der Krankheit in einer Stadt die meisten Erkrankungsfälle in denjenigen Stadttheilen vor, in welchen das Wechselfieber selten ausgeht und alle Epidemien ihre Brutstätte finden. In solchen Quartieren leben die meisten Kranken nur in Schlafstellen, übernachten auf faulem Stroh und leiden überhaupt durch Unreinigkeit und größten Mangel. Fast überall betrafen die ersten Fälle in einem Orte Eingewanderte, welche aus inficirten Ortschaften kamen. Aus den Brutstätten weiterschreitend ergreift die Seuche bei ihrer Verbreitung im Orte zunächst Individuen, die dem Proletariat angehören; erst im spätern

Hüttenrauch

Hyacinthe

9 Berlaufe der Epidemie erkrankten auch andere in bessern Verhältnissen lebende Personen, Dienstmädchen, Krankenwärter, Aerzte u. f. w.

Die Maßregeln, welche die Sanitätspolizei gegen die Ausbreitung der beiden, als sogenannter H. auftretenden Krankheiten, das Rückfall- und das Fleckfieber, zu treffen hat, sind ganz andere als die gegen die Cholera und andere Krankheiten, da bei ihnen die Ansteckung durch unmittelbare Berührung und die Verunreinigung der Luft in den Krankenzimmern zu berücksichtigen find. Hier sind vor allem schnelle Absonderung der Kranken von Gefunden (Transport in das Krankenhaus), Isolirung der von Kranken bewohnten Zimmer und schleunige Räumung stärker inficirter Quartiere (Evacuation), sowie regelmäßige Beaufsichtigung bedrohter Dertlichkeiten (Visitation) geboten. Dann hat man für Lüftung evacuirter Räume, fitr Desinfection der von Kranken bemußten Kleider und Betten, für Herstellung besonderer Krankenanstalten und später für einen Umbau der unzweckmäßig construirten, namentlich durch Mangel an Luft und Licht die Bewohner gefährdenden Pestherde zu sorgen. Da Nahrungsmangel in zweiter Linie insofern auch für die Sanitätspolizei in Frage kommt, indem heruntergekommene Individuen gegen das Contagium weniger widerstandsfähig sind als kräftige, so hat die Verwaltung auch die Aufgabe, Mittel zu beschaffen, welche theils der augenblicklichsten Noth möglichst abhelfen, theils die Lebensverhältnisse der ungünstig fituirten Bevölkerungsklassen allmählich zu verbessern im Stande find.

Hüttenrauch. Bei vielen Hüttenprocessen und in chem. Fabriken entstehen flüchtige Producte, welche in Gestalt von Gasen, Dämpfen oder pulverförmigen Substanzen entweichen und den Namen H. führen. Die Bildung desselben ist nicht zu vermeiden und ist in den meisten Fällen unerwünscht, weil der H. sowol auf die Vegetation der Umgegend und auf den thierischen Organismus eine zerstörende Wirkung ausübt, als auch in demselben enthaltene, noch nutzbare Stoffe verloren gehen. Untersuchungen aus neuester Zeit haben nun dargethan, daß die schädliche Wirkung des H. nicht auf Rechnung der darin enthaltenen feinzertheilten metallischen Verbindungen (Arsen, Antimon, Blei, Thallium, Zink) oder der Kohle, sondern auf Rechnung der entstandenen Gase zu sehen ist. Unter den letztern (Salzsäure, Chlor, nitröse Gase, schweflige Säure) nimmt die schweflige Säure eine hervorragende Stelle als Pflanzengift ein. In der Nähe der Erzröstöfen ist oft aller Pflanzenwuchs zerstört. Worin die schädliche Wirkung der schwefligen Säure begründet ist, läßt sich zur Zeit noch nicht entscheiden, ebenso wenig, warum manche Pflanzen, wie z. B. die Laubhölzer, weniger empfindlich sich zeigen wie Fichten, Föhren und Tannen. Wie groß der Verlust an Material in dem H. sein kann, ergibt sich aus einer Berechnung Leplay's, nach welcher der jährlich in den Hütten von Südwales und in dem H. enthaltene Schwefel 9,200000 Ctr. im Werthe von 200000 Pfd. St. (= 1,330000 Thlr.) beträgt. Seitdem man auf den Hütten angefangen, die beim Erzrösten und ähnlichen metallurgischen Processen sich bildende schweflige Säure aufzufangen und auf Schwefelsäure zu verarbeiten, wie z. B. auf den freiberger Hütten, hat die Schädlichkeit des H. wesentlich abgenom= men und die zur Abschätzung der Hüttenrauchschäden bestellte Commission hat in dem Zustande der Vegetation in der Umgebung der Hütten eine namentliche Verbesserung wahrnehmen können. Die in dem H. enthaltenen Metalloryde wirken indessen auch höchst nachtheilig; besonders schädlich wirkt in dieser Beziehung der Bleirauch, welcher nach und nach den Boden total steril macht und unter den Hüttenarbeitern die furchtbare Krankheit, die Hüttenkaße (Tabes saturnina), einen allgemeinen Austrocknungs- und Verschrumpfungsproceß, hervorruft. Man hat nun auf Hüttenwerken Vorrichtungen zur Condensation oder zum Waschen des Rauchs angebracht, um denselben entweder von der Umgebung abzuhalten oder darin enthaltene Metalle wenigstens theilweise wiederzugewinnen. In einigen Ländern, wie in Frankreich und England, sind die Hüttenbesitzer und die chem. Fabriken gesetzlich verpflichtet, den H. zu beseitigen und den Fabrikrauch unschädlich zu machen. In England ist die unter dem Namen Alkali Act bekannte Barlamentsacte und die Aufstellung von Inspectoren der chem. Fabriken für die Reinhaltung der Luft vom wohlthätigsten Einflusse gewesen.

Hyacinthe (Pater), berühmter franz. Prediger, mit seinem Familiennamen Charles Loyson, ist 10. März 1827 zu Orléans geboren, wo sein Vater damals Rector der Akademie war. Seit 1845 im Priesterseminar zu St.-Sulpice und danach (1846) im Seminar zu Paris vorgebildet, empfing er 17. Juni 1851 die Priesterweihe. Schon als junger Priester zog er durch ungewöhnliche Begabung die Aufmerksamkeit seiner geistlichen Obern auf sich. Man ernannte ihn zuerst zum Professor der sog. philosophischen Klasse am großen Seminar zu Avignon, bald nachher (1854) zum Lehrer der Dogmatik in Nantes. Er wünschte aber als Prediger zu

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wirken und erhielt ein Vicariat an der Kirche zu St. - Sulpice, wo er zuerst Gelegenheit fand, seine Beredsamkeit zu entfalten. Vier Jahre später trat er in den Orden der Predigermönche (Dominicaner) zu Flavigny, den er aber bald mit der Karmeliterregel vertauschte. Im Karmeliterkloster zu Braussah vollendete er sein Noviziat, nahm darauf den Namen Hyacinthe an und begann nun aufs neue zu predigen, zuerst im Kloster seines Ordens zu Bagnères de Bigorre, danach in Montpellier, Lyon, Bordeaux, Perigueux, zuletzt in Paris, wo er zuerst in der Madeleinekirche auftrat, bald darauf aber nach Notre-Dame übersiedelte, wo die Adventspredigten eigens für ihn wiederhergestellt wurden. Gleichzeitig wirkte er als Superior des Karmeliterhauses zu Passy. Der Ruf einer glänzenden Beredsamkeit war ihm schon, bevor ihn sein Orden nach Paris rief, vorangeeilt; bald erregte er aber noch größeres Aufsehen durch den Freimuth, mit welchem er kirchliche Misbräuche geiselte. Längere Zeit hindurch schüßte ihn der Erzbischof Darboy gegen die Denunciationen der Jesuiten, bis endlich nach seinem Auftreten in der Friedensliga der Ordensgeneral ihm Schweigen auferlegte in Wort und Schrift (Juli 1869). H. antwortete am 20. Sept. mit jenem berühmten Briefe, der die Runde durch alle Zeitungen Europas machte. In diesem Briefe kündigte er seinen Verzicht auf die Kanzel von Notre-Dame und seinen Austritt aus dem Kloster an, benußte aber zugleich diese Gelegenheit, um angesichts des bevorstehenden vaticanischen Concils als ein «Prediger des Evangeliums» seine Stimme für eine gründliche Reform der Kirche und zu einem lebhaften Proteste gegen die ultramontanen und jesuitischen Tendenzen zu erheben. Der Protest richtete sich mit deutlichem Hinblick auf den päpstl. Syllabus gegen «jene Lehren und Bräuche, die sich römisch nennen, aber nicht christlich sind», gegen die so « gottlose wie unsinnige Scheidung zwischen der Kirche und der modernen Gesellschaft», gegen den « grundsäßlichen Widerstreit jener Lehren mit den unverwüstlichsten und heiligsten Bestrebungen der menschlichen Natur», endlich gegen die «kirchenschänderische Fälschung des Evangeliums des Sohnes Gottes selbst, deffen Geist und Buchstaben der Pharisäismus des neuen Gesezes in gleicher Weise mit Füßen tritt». Angesichts der socialen, sittlichen und religiösen Anarchie, welche den Völkern der lat. Rasse und dem franz. Volke insbesondere droht, macht er zwar nicht den Katholicismus selbst, aber die «Art, wie derselbe seit langer Zeit verstanden und geübt wird», für das hereinbrechende Unheil verantwortlich und verlangt von dem bevorstehenden Concil, es solle Heilmittel für «das Uebermaß unserer Leiden» suchen. Sollte aber das Concil im Geifte der Parteien und nicht im Heiligen Geiste zusammentreten, sollte es nicht wirklich die ganze Kirche, sondern nur das Schweigen der einen und den Terrorismus der andern repräsentiren, so verlangt er im voraus von Gott und Menschen ein anderes, und appellirt zum Schlusse an das Gericht Jesu Chrifti. Die Folge dieses Schrittes war natürlich die Excommunication. Aber die Hoffnungen auf eine reformatorische Bewegung in der franz. Kirche, welche das Auftreten des kühnen Karmelitermönchs rege machte, gingen nicht in Erfüllung. Der Brief war einige Tage lang das allgemeine Gespräch der pariser Gesellschaft, um dann vergessen zu werden. Auch H. selbst unterließ es, seine reformatorischen Ideen weiter zu entwickeln. Er verließ Paris und verhielt sich längere Zeit still. Erst die Beschlüsse des vaticanischen Concils und der Sturz der weltlichen Gewalt des Papstthums bewogen ihn, abermals in die Deffentlichkeit zu treten. In einem Schreiben an die kath. Bischöfe trat er zugleich als Gegner der zeitlichen Gewalt und der Unfehlbarkeit auf, und beschwor die franz. Bischöfe, das Schisma, das sie trenne, zu beseitigen und die Hand zu einer Reform der Kirche zu bieten. Als die Bischöfe sich unterworfen hatten, nahm H. entschieden für die altkath. Bewegung Partei. In dem Zurufe, den er von Rom aus an Döllinger richtete, erwiderte er auf den Vorwurf, daß der Widerstand gegen das neue Dogma zur Kirchenspaltung führen müsse, diese Spaltung bestehe bereits in noch nie vorgekommener Ausdehnung. An dem Altkatholikencongreffe in München (Sept. 1871) betheiligte er sich, kehrte dann aber nach Rom zurück, um am Mittelpunkte der kath. Hierarchie für die Reform der Kirche zu wirken.

Hydrogenium (Wafferstoff). Das H., von der Mehrzahl der Chemiker bis auf die neueste Zeit zu den Nichtmetallen gerechnet, gehört seit den ausgezeichneten Untersuchungen von Thomas Graham in London, welche in den 3. 1868 und 1869 ausgeführt wurden, nun unzweifelhaft zu den Metallen. Ist es bisher auch noch nicht gelungen, isolirtes H. in festes Metall überzuführen, so hat man doch Legirungen des H. mit andern Metallen dargestellt; so die Legirung des Palladiums mit H., aus welcher bereits Denkmünzen geprägt werden. Das feste H. hat in den Legirungen ein spec. Gewicht von 0,74-0,8 und wird darin stark magnetisch, während das gasförmige H. diamagnetisch ist. Auch mit andern Metallen ist das H. zu eigenthümlichen Legirungen verbunden worden.

Ignatjew

Industrieschulen

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J.

Ignatjew (Nikolaus Pawlowitsch), ruff. General und Gesandter am türk. Hofe in Konstantinopel, ist der Sohn eines verdienten Veteranen aus der Zeit des Kaisers Nikolaus, der aber noch in neuerer Zeit die Stellung als Generalgouverneur von Petersburg innehatte. Der Sohn erhielt seine Erziehung im Pagencorps, von wo er in die Garde übertrat. Dort avancirte er ungewöhnlich rasch von Rang zu Rang, fodaß er beinahe noch in den Jünglingsjahren stand, als er General wurde. Die diplomatische Carrière betrat I. mit einer Mission an den Hof zu Beking, wo es ihm gelang, einen für Rußland sehr günstigen Handelsvertrag mit China abzuschließen. Infolge deffen wurde er zum Director des Asiatischen Departements im Ministerium des Aeußern und darauf (26. Juli 1864) zum Gesandten in Konstantinopel ernannt. Die Thätigkeit des Generals auf diesem für Rußland höchst wichtigen Posten ist noch nicht beendigt und deshalb ist es auch noch nicht möglich, ein Urtheil über dieselbe zu fällen. Doch ist es ihm gelungen, am türk. Hofe eine ungewöhnliche Selbständigkeit und ein entschiedenes Uebergewicht über die andern dortigen Diplomaten zu erlangen. Die Hauptsache aber ist, daß er bei den Christen des Orients aufrichtige Sympathien zu Rußland und den unerschütterlichen Glauben zu erwecken vermochte, daß Rußland einst seinen ihm schon lange von der Geschichte vorgezeichneten Beruf im Orient erfüllen werde. Außerdem gilt 3., was schon viele seiner Thaten bewiesen haben, für den Vertreter einer entschieden nationalruss. und rein slaw. Politik.

*Indigo. Das Indigblau ist in neuerer Zeit von A. Baeyer in Berlin von neuem untersucht worden; es haben sich aus dieser Untersuchung zwei Resultate von großer Bedeutung ergeben, nämlich, daß der I. von einer Muttersubstanz, dem stickstoffhaltigen Indol, abzuleiten ist, und dann, daß der I. künstlich dargestellt werden kann. Die synthetische Bildung des J. gehört zu den größten Triumphen auf dem Gebiete der modernen organischen Chemie und ist der in jüngster Zeit bewirkten künstlichen Darstellung des Krappfarbstoffs, des Alizarins (f. d.), an die Seite zu stellen. Die künstliche Bereitung des 3. geht von der Benzoëfäure oder von der Zimmtsäure aus und ist vorderhand noch eine höchst umständliche. Möglicherweise aber hat man es hier mit den Anfängen einer für spätere Zeit wichtigen Fabrikation zu thun. In physiol. Beziehung von großem Interesse ist die Beobachtung von Bopp und Kühne, daß bei der Zersegung des Eiweißes mit Kali und bei der Verdauung 3ndol sich bildet. Da 3. bisweilen im Harn auftritt, so ist es wahrscheinlich, daß die Indolgruppe im Eiweiß enthalten ist und je nach der Art des Ferments das Indol oder das 3. abgeschieden wird. Möglicherweise ist auch die Bildung des Farbstoffs in der Indigopflanze der Wirkung eines besondern Ferments auf die Eiweißkörper derselben zuzuschreiben.

*Judium, ein im 3. 1863 von Theod. Richter und F. Reich in Freiberg entdecktes neues Metall, welches in kleiner Menge als Begleiter des Zinks in der Zinkblende und in einigen Wolframerzen sich findet. Es ist weiß, in der Farbe dem Platin ähnlich, weicher als Blei und auf Papier stark abfärbend. Sein spec. Gewicht liegt bis 7,42. Es schmilzt bei 176° und verflüchtigt sich bei viel höherer Temperatur. In Salzsäure und Schwefelsäure löst es sich unter Entwickelung von Wasserstoffgas. Das J. hat seinen Namen davon, daß es im Spectroflop eine charakteristische indigblaue Linie zeigt, an welcher es sofort erkannt werden kann. Es ist nicht nur eins der seltensten Metalle, es ist auch das theuerste von allen; das Zollpfund Silber kostet 30 Thlr., das Zollpfund Gold 460-465 Thlr., das Zollpfund I. aber 70000 Thlr., folglich weit mehr als das Zwanzigfache vom Preise des Goldes.

Industrieschulen. Unter denjenigen Schulen, welche für die Industrie heranzubilden bestimmt sind, kann man in derselben Weise drei Abstufungen unterscheiden, wie man es bei den für die allgemeine Bildung des jugendlichen Geistes bestimmten Schulen thut. Der Dreistufung bon Elementarschule, Mittelschule, Hochschule entspricht die Dreistufung von Industrieschule, Gewerbeschule, polytechnische Schule. Die erstere, die Industrieschule, beschäftigt sich mit der Elementarbildung des Arbeiters im Hinblick auf seinen fünftigen Beruf als Lohnarbeiter in der Industrie; die zweite, die Gewerbeschule, faßt nur eine höhere und schon langwierigere gewerbliche Ausbildung für den bürgerlichen Mittelstand ins Auge; die dritte, die polytechnische Schule (technische Hochschule, Polytechnikum), bildet die leitenden intellectuellen Kräfte der Industrie, der Mechanik, des Ingenieurwesens durch Ueberlieferung der technischen Wissenschaften

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im Sinne einer hohen Schule aus. Während die technische Hochschule eine` wissenschaftliche Vorbildung und eine Dauer des Studiums voraussetzt, welche Zeit und Mittel des jungen Mannes bis in den Beginn oder die Mitte der zwanziger Jahre des Lebensalters in Anspruch nimmt, entläßt die Gewerbeschule ihren Zögling in einem wesentlich frithern Alter, in welchem es noch nicht zu spät ist, in die praktischen Lehrjahre des gewählten speciellen Gewerbes einzutreten; die Industrieschule endlich hält den Knaben nur in der Weise der Elementarschule bis zur Confirmation fest. Diese verschiedenen Lebensalter, bis zu welchen das Lernen in der beziehentlichen Schule ausgedehnt wird, entsprechen den verschiedenen wirthschaftlichen Verhältnissen, aus welchen die Contingente für jede der drei Arten vorherrschend sich rekrutiren. Die 3. werden immer als Erstes die allgemeine Volks- und Elementarbildung vorausseßen, in derselben Weise, wie jede höhere specielle Schulbildung auf einer guten Grundlage allgemeiner Bildung ruhen muß. Erst nachdem die dringenden Anforderungen einer guten Elementarbildung, Weckung des Geistes, Anregung des Denkens, wobei die Elementarkenntnisse, Lesen, Schreiben, Rechnen, Mittel und Zweck zugleich sind, einigermaßen erfüllt worden, kann in einer höhern Klasse der besondere Zweck der künftigen Arbeiter ins Auge gefaßt und für die eigenthümlichen Arbeiten, denen sie sich zu widmen Gelegenheit haben, Unterweisung gegeben werden, welche neben der Fortentwickelung jener Elementarkenntnisse hergeht. Man wird hierbei öfters diejenigen Arten von Arbeiten auswählen, welche fitr das spätere Leben in erster Reihe in Betracht kommen, zugleich aber für das Wohl des Arbeiters empfehlenswerth find; man wird namentlich die Kinder in einer Weise beschäftigen, welche nicht blos für ihr zartes Alter unschädlich, sondern womöglich für ihre Gesundheit und Körperkraft förderlich ist, abgesehen von der frühen Geschicklichkeit, welche sie für die Arbeit erwerben. Unter Umständen wird es nicht schwer sein, die Arbeit, namentlich der geschicktern und fleißigern Schüler, lohnend zu verwerthen, sodaß zugleich ein kleiner Erwerb zu Gunsten der Kinder ermöglicht wird, welcher namentlich da, wo die Kinderarbeit eingeriffen und zu beseitigen ist, ein leidlicher Ersatz für die nothleidenden Aeltern sein kann. Der Erwerb der geschicktern und fleißigern Kinder wird als Sporn auf die übrigen wirken. Eine sehr wichtige und nicht leicht zu erfüllende Voraussetzung ist die, daß man passende Lehrer für die 3. findet. Der Unterricht wird für die Kinder am besten unentgeltlich, also durch die communalen Steuern zu bestreiten sein; dann aber wird man auch, wo die J. eingerichtet find, den Besuch derselben obligatorisch machen dürfen.

Wie für alle Fragen der Hülfe, Beschützung, Beförderung, Verbefferung der Lage der arbeitenden Klassen nach den verschiedensten Richtungen in erster Reihe die größern Unternehmer, und zwar in ihrem eigensten Interesse, in Betracht zu ziehen find, so wird auch hier durch eine angemessene Verbindung von 3. mit industriellen Unternehmungen viel Gutes zu leisten sein. Wenn auch in bescheidenerm Maße als die gewerbliche Mittelschule, wird die Industrieschule mit der Anleitung zu den einzelnen technischen Verrichtungen den Sinn für das Warum wecken, beleben und entwickeln. Das soll die Zierde auch des letzten Arbeiters sein, daß er «im Herzen spüret, was er erschafft mit seiner Hand». Die Anregung zum Nachdenken über die technischen Verrichtungen und die Befriedigung des Strebens nach Klarheit über dieselben ist die nothwendige Voraussetzung dafür, daß die Arbeit aus der niedern Sphäre des blos Mechanischen zu der eines Menschen allein würdigen Höhe selbstbewußten Schaffens erhoben werde. Es ist hiermit zugleich die Gelegenheit gegeben, daß jede eigenthümliche Begabung genährt und zur Geltung gebracht werde, daß sie nicht wie eine Pflanze ohne Luft und Licht verwelke. Jede AnLage und Leistungskraft, welche über das Niveau der 3. hinausgeht und sich als solche hervorthut, wird sich von hier aus leicht dahin stellen lassen, wo ihr der Platz gebührt; es wird auf diese Weise eine regelmäßige Verpflanzung der hervorragenden Talente, welche fonft unentdeckt verkommen, aus der niedern Bildungsanstalt in die höhern Anstalten, im Interesse des Einzelnen und der Gesammtheit, ermöglicht werden. Wie viele tüchtige Begabungen bisher, mangels folcher Weckung und Beförderung, in den untern Schichten des Volks ungeahnt verkommen sind, darüber wird man erst dann einen bestimmten Begriff haben, wenn man die nothwendigen Einrichtungen allgemein getroffen haben wird.

Infectionskrankheiten sind solche Krankheitsformen, welche durch eine Infection, d. i. eine Ansteckung, entstehen: Typhus, Cholera, Gelbfieber, Pest, Kindbettfieber, Hospitalbrand, Ruhr, Influenza, Pocken, Scharlach, Masern, Diphtheritis, Syphilis, Wechselfieber u. f. w. Die Lehre von der Ansteckung, durch welche ein eigenthümlicher Krankheitsproceß einem Individuum mitgetheilt wird, ist eins der wichtigsten, wenn auch noch immer in vieler Hinsicht dunkelsten Gebiete der allgemeinen Krankheitslehre; namentlich ist in neuester Zeit viel über die Natur

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