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burger Anzeiger“, der ebenfalls in Glauchau erschien: „Der erwartete Abschlag des Schweinefleisches ist nicht erfolgt, wohl aber steht infolge großen Andranges von ostpreußischem Rindvieh (Anspielung auf den Verfasser) ein bedeutender Abschlag des Ochsenfleisches bevor."

Meine Jungfernrede hatte noch zwei weitere Nachspiele. Die „Gartenlaube“ veröffentlichte zu jener Zeit eine Reihe Artikel, in der das Auftreten markanter Persönlichkeiten im Reichstag besprochen wurde. Mir wurde die Ehre zuteil, ebenfalls in diesen Artikeln genannt zu werden. Der Verfasser führte aus, als ich meine Rede gehalten, sei es gewesen, als rausche der Sturmvogel der Revolution durch das Haus. Das schien dem Verleger der „Gartenlaube", Ernst Keil, mit dem ich früher persönlich wiederholt wegen politischer Dinge Verkehr gehabt hatte, ein zu großes Lob zu sein. Der Druck der betreffenden Nummer wurde unterbrochen und der Sah geändert.

Einige Wochen später, als ich wieder zu Hause war, traten eines Tages zwei aristokratisch aussehende Herren in meine Werkstatt, in der ich eben am Schraubstock stand und Büffelhörner zersägte. Der eine der Herren fragte nach dem Drechslermeister Bebel. Der bin ich, gab ich zur Antwort. Darauf sah mich der Frager etwas betroffen an und äußerte: Ich meine den Reichstagsabgeordneten Bebel. Etwas pikiert antwortete ich: Ja ja, der bin ich! Erstaunt sah er an mir vom Kopf bis zu den Füßen herunter und stellte sich als Freiherr v. Friesen auf Rötha vor. Er war der Bruder des Ministers. Er habe meine Reichstagsrede gelesen und sich über eine Anzahl Stellen in derselben gefreut. Ich verneigte mich für das Kompliment. Dann fragte er, wer der Dr. Johann Jacoby sei, der im preußischen Landtag eine so gute Rede gegen die Annexionen und die von Bismarck geforderte Indemnität gehalten habe. Ich gab ihm die gewünschte Aufklärung. Dann entfernten sich die beiden.

Unsere Partikularisten waren zu jener Zeit von einem unbändigen Haß gegen Bismarck beseelt; sie hätten mit dem Teufel ein Bündnis geschlossen, um ihn zu vernichten. Während des Reichstags saß der größte Teil der sächsischen Abgeordneten im Leipziger Garten, der vis-à-vis dem Herrenhaus sich be

fand. Wir hatten mit dem Wirt ein Abkommen getroffen, wonach er für uns jeden Tag nach Schluß der Sizung ein gemeinsames Mittagessen bereit hielt. Eines Tages saß ich neben dem Abgeordneten Haberkorn, der Bürgermeister von Zittau und Präsident der Zweiten sächsischen Kammer war. Im Laufe der Unterhaltung kam das Gespräch auch auf Bismarck, der in der Situng am Vormittag wieder eine seiner heftigen Reden gehalten hatte. Haberkorn war darüber so erregt, daß er sich in den denkbar stärksten Ausdrücken wider ihn erging.

Gegen Ende der Session hatte der König den gesamten Reichstag zu Tisch ins Schloß geladen. Ich und einige andere Abgeordnete nahmen an diesem Essen nicht teil. Am nächsten Vormittag nach jenem Tage stieß ich im Reichstag auf den roten Becker, mit dem ich gut Freund geworden war. Becker war noch in weinseliger Stimmung und trug auf dem breit ausgelegten Chemisette Spuren des genossenen Weines. Becker war damals Junggeselle. „Nun Becker," fragte ich ihn, „wie war es denn gestern bei Wilhelms?" Darauf stellte er sich breit vor mich hin, legte beide Hände auf meine Schultern, schüttelte mich ein wenig und antwortete: „Bebelchen, es war großartig, Wilhelm hat deliziöse Weinchen," dabei schnalzte er mit der Zunge, „und hinter mir stand so'n Kerl, der immer einschenkte, wenn mein Glas leer war.“ Ich lachte und fragte: „Da werden Sie wohl auch künftigen Einladungen ins Schloß folgen?" worauf er ebenfalls lachend erwiderte: Mein Lieber, das können Sie sich denken."

In Becker und Miquel besaß der norddeutsche Reichstag zwei Mitglieder des ehemaligen Kommunistenbundes, von denen jeder in seiner Art Karriere machte. Becker wurde Oberbürgermeister von Dortmund und später von Köln, in welcher Eigenschaft er auch Mitglied des Herrenhauses wurde. Miquel stieg noch einige Stufen höher. Er wurde zunächst Oberbürgermeister von Osnabrück, dann von Frankfurt a. M. und starb bekanntlich als geadelter pensionierter preußischer Finanzminister und Liebling der Agrarier.

Eine Anzahl Mitglieder des ehemaligen Kommunistenbundes hatte überhaupt eine besondere Entwicklung genommen. So

neben Becker und Miquel der ehemalige Schriftseter Wallau, der als Oberbürgermeister von Mainz starb, ferner Bürgers, der längere Zeit Chefredakteur der „Rheinischen Zeitung“ war und während einer Legislaturperiode Mitglied des Deutschen Reichstags wurde. Er gehörte wie damals Becker zur Fortschrittspartei.

Am 16. April fand die namentliche Abstimmung über die Verfassung des Norddeutschen Bundes statt. Von 283 anwesenden Mitgliedern der Reichstag zählte 297 - stimmten 230 dafür und 53 dagegen. Außer Schraps und mir die gesamte Fortschrittspartei, die Polen, Windthorst, Wächter, Haberkorn und mehrere Hannoveraner. Nach Ansicht der damaligen Fortschrittspartei war die norddeutsche Bundesverfassung ein Werk, das nicht die Rechte enthielt, auf deren Gewährung eine konstitutionelle Volksvertretung bestehen mußte. Keine Grundrechte, kein Steuerbewilligungsrecht, keine Ministerverantwortlichkeit, keine Diäten. Dafür den eisernen Militäretat und eine große Machtstellung des Bundeskanzlers. Reichskanzler heißt er von 1871 ab. Am 17. April wurde der Reichstag geschlossen; er hatte fünfunddreißig Sißungen abgehalten.

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Ich hatte gegen Schluß der Session meine Frau nach Berlin kommen lassen, um ihr die Stadt zu zeigen. Das damalige Berlin kann sich mit dem heutigen in nichts vergleichen. Die schmucklosen Fassaden der Häuser an den langen geraden Straßen ließen es langweilig und eintönig erscheinen. Die Häuser standen gleichmäßig nebeneinander wie ein Regiment Soldaten, aber ohne anregende Farbe. Der Verkehr war im Vergleich zu heute gering. Ab und zu humpelte ein Omnibus mit zwei müden. Gäulen über das Pflaster. Droschken sah man selten, deren Benuhung war dem Berliner jener Zeit zu teuer. Das einzige moderne Verkehrsmittel war die Pferdebahn, die vom Kupfergraben nach Charlottenburg führte. Mit den hygienischen Zuständen war es übel bestellt. Eine Kanalisation war noch nicht vorhanden. In den Rinnsteinen, die längs der Bürgersteige hinliefen, sammelten sich die Abwässer der Häuser und ver

breiteten an warmen Tagen mephitische Gerüche. Bedürfnisanstalten auf den Straßen oder Plätzen gab es nicht. Fremde und namentlich Frauen gerieten in Verzweiflung, bedurften sie einer solchen. In den Häusern selbst waren diese Einrichtungen meist unglaublich primitiv. Eines Abends besuchte ich mit meiner Frau das Königliche Schauspielhaus. Ich war entseht, als ich in einem Zwischenakt in den Raum trat, der für die Befriedigung kleiner Bedürfnisse der Männer bestimmt war. Mitten in dem Raum stand ein Riesenbottich, längs den Wänden standen einige Dußend Pots de Chambre, von denen man den benußten höchst eigenhändig in den großen Kommunebottich zu entleeren hatte. Es war recht gemütlich und ganz demokratisch. Berlin als Großstadt ist wirklich erst nach dem Jahre 1870 aus dem Zustand der Barbarei in den der Zivilisation getreten.

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Ich hatte die Gewohnheit angenommen, nach jeder Session des Reichstags in meinen Wahlkreis zu reisen und in den Hauptorten eine Anzahl Wählerversammlungen abzuhalten, in denen ich über die Verhandlungen des Reichstags und meine Tätigkeit Vericht erstattete. Da wir überall große Säle zur Verfügung hatten, konnte ich auf Massenbesuch rechnen, und es war mir besonders interessant, daß von Anfang meiner Agitation an die Frauen ein nicht unerhebliches Kontingent zu den Versammlungsbesuchern stellten, die nachher eifrige Agitatorinnen für uns wurden. Da wir keine Presse besaßen und die paar im Kreise verbreiteten Parteiblätter nur von wenigen gelesen wurden, die gegnerische Presse aber unausgeseßt sich namentlich mit mir beschäftigte, waren diese Versammlungen nötig. Es bildete sich allmählich zwischen mir und meinen Wählern ein Vertrauensverhältnis heraus, das nichts zu wünschen übrig ließ. Die Gegner machten bei den verschiedenen Wahlen vergebliche Anstrengungen, mich aus dem Sattel zu heben. Es fiel mir sehr schwer, als ich nach zehn Jahren (1877) doppelt gewählt wurde, den Wahlkreis aufzugeben; andernfalls wäre der neugewonnene Wahlkreis (Altstadt-Dresden) der Partei wieder verloren gegangen.

Im norddeutschen Reichstag und dem Zollparlament. Die erste Session der ersten Legislaturperiode des norddeutschen Reichstags wurde am 10. September 1867 eröffnet. Unter den Abgeordneten, die neugewählt waren, ragten besonders hervor Freiherr v. Hoverbeck, Franz Ziegler und v. Kirchmann. Alle drei gehörten zur Fortschrittspartei! Kirchmann hatte wie Ziegler eine längere demokratische Vergangenheit hinter sich. So gehörte er in der preußischen Nationalversammlung im Jahre 1848 zu den Steuerverweigerern. Er war aber auch einer der am meisten verfolgten preußischen Richter, gegen den sich die Reaktion die nichtswürdigsten Mittel erlaubte. Schließlich wurde er seines Amtes als Vizepräsident des Appellationsgerichts in Ratibor ohne Pension entsest, weil er einen Vortrag gehalten hatte über den Kommunismus in der Natur, in dem er für eine Einschränkung der Bevölkerungsvermehrung eintrat, und zwar im Interesse einer höheren Kulturentwicklung und der Beseitigung der wirtschaftlichen Ungleichheit. Er hatte darin vor seinen Zuhörern ausgeführt: „Das Ideal einer fortschreitenden Gleichheit aller Menschen im Glück und Wohlbefinden liegt so tief in der Brust eines jeden, daß man nicht zu verzagen braucht. Die Bewegung, die Annäherung zu diesem Ziele wird vorschreiten, des seien Sie gewiß. Wenn viertausend Jahre dazu gehörten, um nur die Gleichheit des Rechts in einem hohen Grade zu gewinnen, so dürfen wir nicht den Mut verlieren, weil die Gleichheit der Glücksgüter, diese viel schwerere Aufgabe, innerhalb zweier Generationen nicht hat erreicht werden können.“ Dieser Vortrag sollte „unsittlich“ sein und einen so unsittlichen höheren Richter konnte der allezeit so fromme und sittliche preußische Staat nicht gebrauchen. Kirchmann war wohl der philosophisch gebildetste Kopf im Reichstag, jedenfalls stand er an Bildung und Wissen hoch über den Mitgliedern des Gerichtshofs, die ihm seine Stellung aberkannten. Außer den drei Genannten war auch Feldmarschall v. Moltke Mitglied des Hauses geworden. Ferner gehörte dem Hause der später berüchtigt gewordene Strousberg an, der es meisterhaft verstand, zahlreiche Vertreter des preußischen Hochadels als

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