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versucht und sehe nirgends einen Ausweg. Gegen meine überzeugung kann ich 1862. nicht regieren. Meine Minister sind gegen mich, mein Sohn hat sich auf ihre Seite gestellt. Auch Sie sind ja bereits bei ihm gewesen. Komme ich mit Ihnen zu keiner Verständigung, so lasse ich dies hier in den Staats-Anzeiger seßen, und dann mag mein Sohn zusehen, wie er fertig wird. Die Preisgebung der Armeereorganisation ist gegen meine Überzeugung, und gegen diese zu handeln, würde mir als eine Pflichtwidrigkeit erscheinen." Bismarck entgegnete, er sei bei dem Kronprinzen nur gewesen, weil Seine Königliche Hoheit ihn sofort nach der Ankunft in Berlin zu sich befohlen habe. Auf Befragen des Kronprinzen über seine Absichten habe er erwidert, er müsse zuvor die Wünsche Seiner Majestät kennen lernen. Vor allen Dingen aber bitte er den König, die Abdankungsurkunde und alle auf Abdankung bezüglichen Gedanken aufzugeben. Der König wog das Blatt in der Hand und fragte: Wollen Sie es versuchen, ohne Majorität zu regieren? Ja." Ohne Budget? Ja." Ohne die Armeereorganisation preiszugeben? Ja." Dann sehen Sie hier mein Programm. Der König wies Herrn v. Bismarck ein sechs oder mehr Quartseiten umfassendes, mit seiner kleinen Handschrift eng beschriebenes Schriftstück. Bismarck fing an zu lesen. Obenan stand die Frage der Kreisordnung, bei welcher über die Vertretung der Rittergüter und der Städte auf den Kreistagen ein harter Kampf entbrannt war. Bismarck sagte zum Könige: „Eure Majestät, es handelt sich jest doch nicht um die Frage, ob auf den Kreistagen der Städter oder der Junker das Übergewicht haben soll, sondern, ob in Preußen die Krone oder die Majorität des Abgeordnetenhauses regieren soll. Ist diese Frage entschieden, so ordnen sich die anderen von selbst. Wenn Eure Majestät mir das Vertrauen schenken, so bin ich bereit, die Geschäfte zu übernehmen, aber ohne Programm. In einer so schwierigen Lage ist ein geschriebenes Programm für Eure Majestät wie für mich bindend und kann unter Umständen erschwerend wirken. Zunächst gilt es doch, die Hauptfrage zu entscheiden.“ Nach einigem Nachdenken willigte der König ein. Man befand sich auf einer Brücke über eine kleine Schlucht im Park, der Monarch begann das Programm zu zerreißen und die Stücke fallen zu lassen. Bismarck nahm sie wieder auf, indem er sagte: „Wollen Eure Majestät das Papier nicht lieber dem Kamin anvertrauen? Hier könnte es doch aufgefunden werden, und ein jeder kennt hier Eurer Majestät Handschrift.“ Der König steckte das Programm darauf in die Brusttasche seines Interimsrockes, besprach mit Bismarck die behufs der Ernennung zu erledigenden Formalitäten und wandte sich dann zum Gehen. War seine Haltung vor der Unterredung die eines tiefgebeugten Mannes gewesen, so schritt er jezt aufrecht, fest und straff von dannen.

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innerungen" gegeben hat, nach der Poschingerschen Ausgabe der Erinnerungen des Abgeordneten v. Unruh“ hier die schon zu Lebzeiten Bismarcks durch Zeitungen bekannt gewordene Darstellung folgen, da sie ohne Zweifel auch auf Bismarck selbst zurückgeht. Man sieht deutlich, wie sich bei Bismarcks verschiedenen Erzählungen, ohne daß der Sinn und das Bild im ganzen verändert wird, die Einzelheiten verschieben und bald das eine, bald das andere Moment mehr in den Vordergrund tritt. Man sieht das noch deutlicher, wenn man sich erinnert, daß Bismarck, wie er Unruh erzählte, damals dem König gesagt haben will, er würde es für ein ruhmvolles Ende halten, wenn er seinen Kopf für Seine Majestät auf den Block legen dürfe und daß er einem Artikelschreiber der „Grenzboten“ (Busch?) als seine schriftliche oder mündliche Mitteilung an den König angab: „Das soll man nicht sagen, daß Euer Majestät keinen Diener finden, solange noch ein altmärkischer Edelmann lebt."

1862. 8. 10.

312]

König Wilhelms Worte an sein Volk.

a. An die Deputation aus Halle a. S. am 8. Oktober 1862.1) Sagen Sie denen, in deren Auftrag Sie gekommen sind, daß es meinem Herzen sehr wohl tut, wenn solche Gesinnungen ausgesprochen werden. Ähnliche Zustimmungen sind bereits aus verschiedenen Teilen des Landes an mich gelangt und noch mehrere sind mir angekündigt. Übergriffe der von Ihnen bezeichneten Art haben schon mehrfach stattgefunden; bei der Reorganisationsfrage aber ist es zum Durchbruch gekommen. Ich habe nach längerer Erwägung die Reorganisation des Heeres beschlossen, um, ohne übermäßige Opfer, die Wehrhaftigkeit Preußens, wie es die jetzige Weltlage erfordert, zu mehren und um die Dienstpflicht der älteren Landwehrmänner zu erleichtern. Ich bin überzeugt, daß ihre Durchführung für das Wohl des Landes und des Volkes schlechthin notwendig ist, und werde bei ihr beharren. Man hat mich auch recht gut verstanden, aber man will nicht, was ich bezwecke. Man zielt mit dem Widerspruche gegen meine Maßregel auf etwas ganz anderes. Ich stehe nach wie vor auf meinem Programm vom Jahre 1858 und bin fest entschlossen, die Verfassung treu zu halten, solange man sie mir nicht selbst aus den Händen reißt; Übergriffe aber werde ich mit allen Mitteln, die mir zu Gebote stehen, zurückweisen, und rechne dabei auf meine getreuen Untertanen.

Ja, ohne Gott können wir freilich alle nichts; von ihm muß

Zu 312) 1) Vgl. Näheres über die Ansprachen des Königs in der Einleitung S. 4. Natürlich gab es auch umgekehrt Zustimmungsadressen für das Abgeordnetenhaus, und während dieses die Adressen an den König als „in der Wilhelmstraße kostümiert“ und die Unterzeichner als „eine kleine, der Nation längst entfremdete Minderheit“ bezeichnete, führte Bismarck dem Hause vor Augen, daß die Unterschriften zugunsten des Hauses zum Teil von Frauen und unmündigen Kindern herrührten, und daß sie selbst nur die Mehrheit von den 70000 Wahlmännern, die ihr Wahlrecht wirklich ausgeübt, verträten, also 20 bis 25 Prozent aller Wahlmänner und keineswegs die Majorität des Volkes. Auch liegt nicht der geringste Anlaß zu der Annahme vor, daß die Unterzeichner oder Hervorrufer der Ergebenheitsadressen irgendwie von der Regierung beeinflußt worden sind, was schon durch ihre Zahl und die Verschiedenheit der Stände, denen die Unterzeichner angehörten, sich von selbst widerlegt. Der König scheint jedesmal unmittelbar, nachdem er gesprochen hatte, die Versammlung verlassen zu haben.

uns die Hilfe kommen! Aber auch vor Gott will man sich jetzt 1862. nicht mehr beugen und nur auf die eigene Kraft vertrauen. Das ist der Grund so vielen Unheils.

b. An die Deputation, die am 10. Oktober die erste Adresse aus Berlin überreicht.

Se. Majestät geruhten auf die Anrede Allerhöchstsich dahin 10. 10. auszusprechen, daß, wenn Kundgebungen dieser Art ihm überhaupt erfreulich wären, eine solche aus der Hauptstadt des Landes ihm von besonderem Werte sei; daß er die Armeereform schon längst beabsichtigt und als alter Soldat reiflich erwogen habe, als eine notwendige Verbesserung unseres Heerwesens und Erleichterung für das Land. Die Verfassung habe er beschworen und wolle sie halten, wo sie aber nicht ausreiche, da habe das Königtum in die Lücke einzutreten. Wenn es sein tiefes Bedauern errege, daß seine gute Absicht von so vielen Seiten verkannt worden, und wenn wir auch schweren Zeiten entgegengehen sollten, so hoffe er doch, daß alle Treuen im Lande fest zu ihm stehen und auch die Irregeführten auf den Weg richtiger Erkenntnis zurückkehren würden.

c. An die am 13. Oktober empfangene Deputation aus Strehlen, Ohlau und Nimptsch.

Es sei in der Adresse ganz richtig der Gesichtspunkt hervor- 13. 10. gehoben, daß in Preußen die Gewalten des Staates gegenseitig sich ergänzen müßten; dies sei die Voraussetzung gewesen, unter welcher sein hochseliger Bruder die Verfassung verliehen habe, und in dieser Zuversicht habe er selbst die Regierung übernommen. Leider sehc er in seinen Erwartungen sich für jetzt getäuscht, indem trok Steuererlaß und anderer entgegenkommender Maßregeln ein Faktor der Gesetzgebung in Schroffheit verharre, wodurch eine Krisis von schwerer Bedeutung hereingebrochen sei. Anstatt den Wert der von ihm getroffenen Heeresreorganisation nach allen Seiten richtig zu würdigen, habe man in Reden über Verfassungsfragen sich ergangen; aber die eigentlichen Tendenzen, welche auf diese Weise leicht hätten verborgen bleiben können, seien jetzt in Frankfurt a. M. und anderen Orten durch preußische Organe klar zutage getreten, und dies sei ein Glück für die Staatsregierung.

1862. Denn nun gelte es, gegenüber solchen Tendenzen mit Festigkeit auftreten, und er werde daher bei seiner Heeresreorganisation unerschütterlich verharren. Er hoffe zu Gott, daß die öffentliche Anerkennung sich ihm zuwenden und man sich überzeugen werde, wie nur und allein das Wohl des Landes dabei ihm am Herzen liege. Die Schwere des Moments, wo eine Lücke der Verfassung hervortrete, werde auch von ihm nicht verkannt; ergänzende Geseze seien indessen nicht so leicht hergestellt, daher sei es nach seiner Überzeugung der König kraft des von Gott ihm verliehenen Rechts, welcher einzutreten und für das Beste des Landes zu sorgen habe. Und dies werde er tun.

14. 10.

d. Am 14. Oktober an die Deputationen der Kreise von Naugard, Danziger Landtreis, Schweidnitz, Soldin, der vier Kreise der Oberlausitz und der Stände des Ost-Havellandes.

Es freut mich, eine Versammlung so vieler Gleichgesinnten aus den verschiedensten Teilen meiner Monarchie vor mir zu sehen, namentlich in den jezigen so schwierigen Zeiten. Es besteht eine ernste Krisis, so ernst, wie ich sie nicht erwartet habe, noch erwarten konnte. Von dem Augenblick an, wo ich die Regentschaft übernommen und die Regierung angetreten, habe ich meine volle Zuversicht auf das Vertrauen meines Volkes gesetzt. Aber meine damaligen Worte sind vielfach mißdeutet worden, weil sie durch eine irreleitende Presse entstellt wurden. Ich war von der Notwendigkeit durchdrungen, mein eigenstes Werk, die Heeresreform, unternehmen zu müssen und zum Abschluß zu bringen. Gerade diesem meinem Werke wurden Hindernisse in unerwartetem Umfange entgegengestellt. Was hilft aller augenblickliche Reichtum, aller Segen der Industrie, was helfen alle Güter, die Gott uns geschenkt hat, wenn kein Schuß dafür vorhanden ist, wenn sie bedroht werden? Selten aber ist ein Unternehmen so angegriffen worden, wie jenes zum Schuß und Wohl meines Landes von mir unternommene Werk. Freilich habe ich von meinem Volke dabei Opfer fordern müssen, aber nach meiner vollen Überzeugung keine Opfer, welche unerschwinglich wären, wie dies die Finanzdarlegung beweist. Wo sich wirklich Härten zu

zeigen schienen, bin ich bereit gewesen, sie zu mildern. Ich habe 1862. deshalb in die Aufhebung der Steuerzuschläge2) gewilligt. Ist mir dafür aber ein Dank zuteil geworden? Im Gegenteil hat das Abgeordnetenhaus eine Adresse beschlossen, die nichts weniger als einen Dank enthielt. Das schmerzt tief! Aber, wie Sie richtig bemerkt haben: nicht die Umformung des Heeres ist der eigentliche Angriffspunkt, sondern das Ziel liegt ganz wo anders. Die vorher verhehlten Absichten haben die Maske wenigstens teilweise fallen lassen. Ich will meinem Volke die Verfassung unverkümmert bewahren; aber es ist mein unerläßlicher Beruf und mein unerschütterlicher Wille, die von meinen Vorfahren überkommene Krone und ihre verfassungsmäßigen Rechte unversehrt zu erhalten. Dies ist notwendig im Interesse meines Volkes! Dazu aber, sowie zum Schuße der vorerwähnten Güter, gehört ein festgegliedertes stehendes Heer und nicht ein sogenanntes Volksheer, das, wie ein Preuße3) zu sagen sich nicht gescheut hat, hinter dem Parlamente stehen müßte. Ich bin fest entschlossen, von den mir überkommenen Rechten nichts weiter zu vergeben. Sagen Sie das Ihren Kommittenten. Sie wissen nun und hören, wie ich darüber denke. Sorge jeder dafür, daß diese Auffassung in weiten Kreisen Verbreitung und Unterstützung finde. Wenn dies der Fall ist, so wird es auch wieder besser werden. Denn der allmächtige Gott hat immer über Preußen gewacht, Er wird uns auch ferner schirmen. Preußens Losung ist ja: Mit Gott für König und Vaterland!

e. An die am 18. Oktober empfangenen Deputationen aus Potsdam, dem Kreise Birnbaum, der Provinz Preußen und der Stadt- und Landgemeinde Gütersloh.

Ich danke Ihnen, meine Herren, für die Gesinnungen, die 18. 10. Sie mir ausgesprochen haben; ich weiß, daß Lehren, welche Sie mit Recht als sinnverwirrend bezeichnet haben, bei einem großen Teile der Nation keinen Eingang gefunden. Ich verweise Sie im allgemeinen auf die Worte, welche ich zu den Deputationen ge

2) 25 Prozent Zuschlag auf alle Steuern war 1859 eingeführt worden. 3) Der Abgeordnete Walded.

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