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die „Rebellen“ von ehedem und die Erben ihres Geistes nicht mitzuraten und nur, gewissermaßen nach Vorschrift, mitzutaten! Aber freilich, die letzte Schuld an diesem Abschluß der Dinge trug das Volk selbst. Es nahm, was man ihm gab, die herben Lehren zweier Jahrzehnte politischen Lebens trugen ihm nun für die Sicherung und Erweiterung seiner Rechte keine Frucht!

Wir stehn im Ausgang der Epoche der Gründung des Reichs.

Am 1. Januar 1871 tritt die Reichsverfassung in Kraft. Am 18. wird Kaiser und Reich proklamiert. Am 28. kapituliert Paris. Am 1. März erfolgt die Annahme des Vorfriedens von Versailles durch die französische Nationalversammlung in Bordeaux. Frankreich tritt ab: Den nordöstlichen Teil von Lothringen mit Meß und Diedenhofen, das Elsaß, außer Belfort, und zahlt 5 Milliarden Franken Kriegsentschädigung, unter gewissen Festsetzungen über die Zurückziehung der deutschen Truppen aus seinem Gebiete, zur Sicherung der Zahlung innerhalb drei Jahren. Am selben 1. März erfolgt der Einzug deutscher Truppen in Paris, der dritte Wilhelms nach den Einzügen von 1814 und 1815. Am 3. ist Paris von den Truppen des Siegers geräumt. Dann, weiterhin im März: Die Heimkehr des Königs und Kaisers und seiner Paladine, Bismarcks, Moltkes und Roons. Am 9. trifft Bismarck in Berlin ein, wo ihn Gattin und Tochter empfangen. Unter unermeßlichem Jubel der Bevölkerung durchzicht der neue Kaiser die Rheinlande. Am 16. zieht er, von Moltke begleitet, begeistert gegrüßt, in die alte Kaiserstadt Frankfurt ein, am 17. in Berlin, wo des Jubelns und Feierns schier kein Ende ist. Am 21. März ernennt Wilhelm Bismarck zum Reichskanzler und erhebt ihn in den erblichen Fürstenstand. Er schenkt ihm eine große Domäne in Lauenburg mit dem Sachsenwald. Am 10. Mai schließt Bismarck, nach Überwindung mannigfacher Schwierigkeiten, mit Jules Favre den endgültigen Frieden mit Frankreich in Frankfurt am Main. Jm Friedensvertrag gestehn die beiden Mächte im Handelsverkehr

einander das Recht der Meistbegünstigung zu, ohne Kündigung und Revisionsklausel. Am 12. Mai kann Bismarck dem Deutschen Reichstag vom Abschluß des Friedenswerkes Mitteilung machen. Er schließt unter dem lebhaften Beifall des Hauses mit den Worten: „Ich erlaube mir die Mitteilung mit dem Ausdruck der Hoffnung zu schließen, daß dieser Friede ein dauerhafter und segensreicher sein, und daß wir der Bürgschaften, deren wir uns versichert haben, um gegen einen etwa wiederholten Angriff gesichert zu sein, auf lange Zeit nicht bedürfen mögen!"

Der 10. Mai 1871 schließt förmlich die Epoche der Gründung des Reichs ab, denn dies war erst fest gegründet, nachdem es seinen Frieden mit Frankreich geschlossen hatte. 190 Tage hatte der Krieg gedauert. 15 größere Schlachten und weit über 100 Gefechte, fast alle siegreich, bezeichneten den Weg der deutschen Waffen. In Deutschland weilten während des Krieges 370 000 Gefangene mit 12 000 Offizieren. Im ganzen hatten, mit der Bourbaki'schen Armee und der Besatzung von Paris, 702 000 Mann und 26 000 Offiziere die Waffen gestreckt. Ungefähr 7400 Geschütze und 107 Fahnen wurden erobert. Der Krieg hatte Frankreich ein Opfer von 80 000 Toten und 14 Milliarden Franken Kosten auferlegt. Auf deutscher Seite betrug der Verlust 123 453 Mann und 6247 Offiziere und Ärzte, darunter insgesamt 40 080 Tote. Deutschland hatte unter Waffen gestellt 1 451 944 Mann und 44 420 Offiziere, wovon 1113 254 und 33 101 Offiziere im Feld gewesen waren.

Endlich kommt, nach so ungeheuren Mühen und blutigen Opfern, dem befriedeten Deutschland ein Frühlingstag, wie er ihm niemals zuvor beschieden war, - der 16. Juni 1871, an dem in Norddeutschland den heimkehrenden Truppen glänzende Empfänge bereitet werden, insbesondre der Siegeseinzug in Berlin den ruhmvollsten der deutschen Kriege abschließt. Nun hat die Nation ihren Festtag: Ihre waffengewaltigen Söhne fehren heim! Die Kritik am Erreichten, am Werke der Staatsmänner, hat heute keine Stimme, und die Klage um die Helden,

die in fremder Erde gebettet sind, hat in dem Jubel derer, die das Neugewordene schauen, keinen Laut. Dem Vaterlande den Sang Deutschland, Deutschland über alles! Dem König sein Heil Dir, im Siegerkranz! Den Feinden Deutschlands Die Wacht am Rhein! Dem wiedergewonnenen deutschen Lande das Lied von Straßburg, der wunderschönen Stadt! Wie die vaterländischen Hochgefänge an diesem Tage in der Hauptstadt des neuen Reiches noch einmal urgewaltig emporsteigen und in zündenden Reden die überquellende Vaterlandsliebe hervorbricht; wie Alldeutschland den Tag feiert, allerorten in der Hütte, wie im Palaste, die Rede geht vom Kaiser und vom Reich, von den Wundermären des Kriegsjahres und dem traumhaften Glanz der Gegenwart, das alles, in seiner Ganzheit zu erfassen, ist keinem gegeben! Zu arm ist die deutsche Sprache, um die Summe des nationalen Empfindens an solchem Jubeltage zum Ausdruck zu bringen! Nur Einzelnes kann die Feder festhalten.

Der 16. Juni war ein Sonnentag. Vom frühen Morgen an, welch ein Treiben auf Straßen und Plätzen der festlich ge= schmückten Hauptstadt! Unzählbar ist auf der Einzugsstraße, vom Halleschen zum Brandenburger Tore nach dem königlichen Schloß die Menge der Zuschauer auf Tribünen, Mauern, Dächern, Gerüsten, Wagen, Karren und freien Standorten. In schier endlosen Reihen sind die Gewerke und Vereine aufgestellt. Und all die Hunderttausende warten Stunde auf Stunde, bis um die Mittagszeit der Einzug der Truppen in Scene geht. Da kommen sie! ergehn die Rufe. Zuerst, zu Roß: Der alte Feldmarschall v. Wrangel, zwischen dem österreichischen Feldmarschall - Leutnant v. Gablenz und einem hohen russischen Offizier. Nach ihnen ein Gefolge von deutschen und fremden Generälen. Dann Bismarck inmitten von Moltke und Roon. Darauf der Kaiser, zunächst ihm der Feldmarschall Kronprinz Friedrich Wilhelm mit seinem ältesten Sohn, dem Prinzen Wilhelm, und der Feldmarschall Prinz Friedrich Karl. Weiterhin die Fürsten und Prinzen des Reichs: Prinz Luitpold von

Baiern, der Erbprinz von Württemberg als Vertreter der süddeutschen Königreiche, der Großherzog von Baden, der Kronprinz von Sachsen, der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin, die Erbgroßherzöge beider Mecklenburg, der Großherzog von Oldenburg mit dem Erbgroßherzog, der Landgraf von Hessen, die Herzöge von Altenburg, Anhalt, Sachsen-Meiningen, der Erbprinz von Meiningen, Prinz Karl, der Bruder des Kaisers, Prinz Leopold von Hohenzollern u. a. m. Nicht zu übersehn die Wagenfahrt der Damen des königlichen Hauses von Preußen. In dem glänzenden Aufzug der Fürsten fahren dahin die KöniginKaiserin Augusta, die Königin-Witwe Elisabeth, die Kronprinzessin Viktoria, die Prinzessinnen Karl und Friedrich Karl. Und nun der Zug der bekränzten Krieger, zu Roß und zu Fuß, mit eroberten Fahnen, Adlern, Standarten des Königs Garderegimenter, und mit ihnen ein kombiniertes Bataillon und eine kombinierte Eskadron, in denen alle außerpreußischen Teile des deutschen Heeres ihre Vertretung finden. Unter den Linden, unweit des Denkmals Friedrichs des Großen, führt der Kaiser der Kaiserin die Truppen vor. Den Schluß der Einzugsfeier bildet die Enthüllung des Denkmals Friedrich Wilhelms III. im Lustgarten der Sohn huldigt dem Andenken des Vaters in denkwürdiger Stunde!

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Am Abend schwimmt die Kaiserstadt in einem Meer von Licht. Wenn Wilhelm am Morgen des 14. Juli 1870, beim Lesen der Emser Depesche Bismarcks gesagt hatte: „Das ist der Krieg!" so konnte er beim Anblick des Glanzes, der seine Nacht vom 16. auf den 17. Juni 1871 erhellte, sagen: Das ist der Sieg!

Überschau.

Wir sind zur Höhe gewandert

schaut und das Höhenfeuer entzündet!

nun sei der Weg über

Es ist eine Frage der vornehmsten geschichtlichen Wißbegier: Wo hebt in der deutschen Geschichte die Entwicklung an, welche Bismarck zum Siege geführt hat? Er war nicht der Urheber einer reformatorischen Idee, sondern der große Verwirklicher des nationalen Einheitsgedankens, der Einiger der deutschen Stämme zum deutschen Staate! Bei seinem Auftreten fand er eine politische Lage vor, welche das Ergebnis eines langen Werdegangs war, aus dieser Lage führte er das protestantische Preußen zur Vormachtstellung in Deutschland, hob er das protestantische Fürstengeschlecht der Hohenzollern zum deutschen Kaisertum empor! Hieraus ergibt sich der höchste Gesichtspunkt für sein Wirken in der historischen Kontinuität: Er hat dem protestantisch-germanischen Prinzip gedient und ihm zum Siege verholfen! Mithin beginnt die Entwicklung, nach der wir frugen, mit der Reformation, im Zeitalter Luthers und Kaiser Karls V. aus dem Hause Habsburg. Da hebt der große Dualismus der Nation an! Die Einheit des Glaubens wird durch die deutschen Reformatoren endgültig zerstört; dem katholischen Prinzip tritt das Prinzip der freien Forschung entgegen; das Papsttum geht eines großen Teils der Kulturwelt verlustig; und das deutsche Imperium, das Heilige Römische Reich deutscher Nation, sieht sich die theokratische Grundlage, auf der es sieben Jahrhunderte gedauert hat, entzogen. Aus dem neuen Gegensatz des protestantischen und romanischen Germanismus entsteht fortan für Deutschland alles Heil und alles Unheil! Es entstehn daraus all jene Kämpfe zwischen Deutschland und Frankreich, um die Vorherrschaft in Europa, und alle die andren nationalen Kämpfe, um die Vorherrschaft in Deutschland, Kämpfe, welche zuzeiten die ganze Kulturwelt_in Mitleidenschaft ziehn. Luther stirbt 1546, Karl V. 1558. Das Jahrhundert nach ihnen sieht, von 1618 bis 1648, den furchtbaren Dreißigjährigen Krieg, bei dessen Ausgang Deutschland aus

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