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worten." Einer Volksvertretung stehe wohl an, solche Frage aufzuwerfen; der Wortlaut des zweiten Teils der Interpellation, "gehört aber nicht der Sprache der Diplomatie an, wie sie in Behandlung internationaler Beziehungen, solang dieselben im friedlichen Wege erhalten werden können, geführt zu werden pflegt." Zum ersten Teil der Interpellation werde er sagen, was zur Kenntnis der Regierung gekommen sei. „Die königliche Regierung hat keinen Anlaß, anzunehmen, daß ein Abschlußz über das künftige Schicksal des Großherzogtums bereits erfolgt sei; sie kann das Gegenteil natürlich nicht mit Bestimmtheit versichern, sie kann auch nicht mit Bestimmtheit wissen, ob, wenn er noch nicht erfolgt wäre, er vielleicht unmittelbar bevorstände. Die einzigen Vorgänge, durch welche die königliche Regierung veranlaßt gewesen ist, geschäftlich Kenntnis von dieser Frage zu nehmen, sind folgende." Der König von Holland habe den preußischen Gesandten befragt: Wie die Regierung es auffassen würde, wenn er sich seiner Souveränität über Luxemburg entäußerte! „Der Graf Perponcher, unser Gesandter im Haag, ist angewiesen worden, darauf zu antworten, daß die Staatsregierung und ihre Bundesgenossen im Augenblick überhaupt keinen Beruf hätten, sich gegenüber dieser Frage zu äußern, daß sie Sr. Majestät die Verantwortlichkeit für die eignen Handlungen selbst überlassen müßten, und daß die königliche Regierung, bevor sie sich über die Frage äußern werde, wenn sie genötigt würde, es zu tun, jedenfalls vorher sich versichern würde, wie die Frage von ihren deutschen Bundesgenossen, wie sie von den Mitunterzeichnern der Verträge von 1839, und wie sie von der öffentlichen Meinung in Deutschland, welche gerade im gegenwärtigen Augenblick in der Gestalt dieser hohen Versammlung ein angemessenes Organ besitzt, aufgefaßt werden würde . . . In dieser Lage be= findet sich, soviel der königlichen Staatsregierung bekannt ist, die Sache noch in dieser Stunde. Ich betone: Soviel ihr bekannt ist, . . . Sie werden von mir nicht verlangen, daß ich in diesem Augenblicke ... über die Absichten und Entschlüsse der königlichen Regierung und ihrer Bundesgenossen in diesem und

in jenem Falle in der Öffentlichkeit Erklärungen abgeben solle. Die verbündeten Regierungen glauben, daß keine fremde Macht zweifellose Rechte deutscher Staaten und deutscher Bevölkerungen beeinträchtigen werde; sie hoffen, im stande zu sein, solche Rechte zu wahren und zu schüßen auf dem Wege friedlicher Verhandlungen und ohne Gefährdung der freundschaftlichen Beziehungen, in welchen sich Deutschland bisher zur Genugtuung der verbündeten Regierungen mit seinen Nachbarn befindet. Sie werden sich dieser Hoffnung um so sicherer hingeben können, je mehr das eintrifft, was Interpellant vorher zu meiner Freude andeutete, daß wir durch unsre Beratungen das unerschütterliche Vertrauen auf den unzerreißbaren Zusammenhang des deutschen Volkes mit und unter seinen Regierungen betätigen werden." Nach lebhaften Beifallsbezeugungen geht der Reichstag zur Tagesordnung über.

Zweierlei hatte Bismarck erreicht: Er hatte das deutsche Nationalgefühl neuerdings zu einer imposanten Kundgebung veranlaßt und Frankreich im Angesichte Europas als den Friedensstörer hingestellt!

Wir treten in die vierte und legte Phase der Luxemburgischen Frage. Die nächste Wirkung der Verhandlungen des Norddeutschen Reichstages war in Paris nicht die für den Frieden erwünschte. Als Goltz am Abend des 1. April bei Moustier einen Aufschub der Verhandlungen Frankreichs mit Holland fordert, sagt der Minister erbittert: Der Vertrag sei perfekt, Bismarck wolle Frankreich zum äußersten treiben! Jm Haag dagegen trat nun der König-Großherzog auf seinen früheren Standpunkt zurück. Als Bismarck am 2. April auch von ihm einen Aufschub der Verhandlungen fordert; als am 3. April der preußische Gesandte, Graf Perponcher, erklärt: „Angesichts des Aufruhrs der öffentlichen Meinung Deutschlands sehe das Kabinett von Berlin sich gezwungen, die Abtretung Luxemburgs an Frankreich als Kriegsfall zu betrachten," da sagt sich Wilhelm III. von seiner Frankreich gegebenen Zusage los, weil die Vorbedingung, Preußens Zustimmung, nicht erfüllt sei! Da

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durch wurde Bismarcks Erkundung bei den Großmächten, ob sie in den Verträgen von 1839 ein Hindernis für die Abtretung Luxemburgs sähen, gegenstandslos. In Paris aber tobt jetzt neue Erbitterung gegen Preußen. Man betreibt die bisher unzu= länglichen Rüstungen mit erhöhtem Eifer; man glaubt, Deutschlang bereite die Invasion in Frankreich vor, obschon dort, so hoch auch die nationale Begeisterung gestiegen war, keinerlei Kriegsvorbereitungen getroffen wurden. Dann kommt in Paris eine ruhigere Auffassung der Lage zur Geltung. Übereilterweise hatte die französische Regierung einen Beamten nach Luxemburg entsandt, der sich daselbst als Bevollmächtigter des neuen Souveräns vorstellte und Verwaltungsmaßregeln ankündigte. Der luxemburgische Minister empfing ihn mit Verwunderung, der Prinz-Gouverneur erließ eine Erklärung über die Fortdauer der Unabhängigkeit des Landes, die Pariser Regierung fand es für gut, ihren Bevollmächtigten heimzuberufen! Am 6. April erhielt Benedetti den Auftrag: Bismarck über die praktische Bedeutung seiner Rede vom 1. April zu befragen und nochmals die alten Allianzvorschläge vorzubringen! Es ergab sich schließzlich: Daß Frankreich nur eine einzige Forderung aufrecht erhielt, den Abzug der preußischen Besatzung aus Luxemburg! Am 18. April fragt Moustier bei den Großmächten an: Ob Preußzen noch einen Rechtstitel zur Besatzung habe! Infolgedessen ergreift Österreich die Initiative zur Lösung des Konflikts, indem es Bismarck seine guten Dienste anbietet. Österreich will den Großmächten vorschlagen: Entweder Luxemburgs Unabhängigkeit unter europäischer Garantie fortdauern zu lassen, oder es zu Belgien zu schlagen, welches dafür Philippeville und Marienburg an Frankreich abzutreten hätte! Bismarck nimmt Österreichs Dienste grundsätzlich an. Und Napoleon erklärt: Jede Lösung sei genehm, welche die Räumung Luxemburgs durch Preußen bedinge! Als hierauf Bismarck mit seiner amtlichen Entschließung noch zögert, schlägt Kaiser Alexander von Rußland eine Konferenz der Großmächte in London vor, zur Herstellung der Neutralität Luxemburgs unter europäischer Garantie! Da Frank

reich zustimmt, nimmt Bismarck den Konferenzvorschlag an — am 30. April kann der Pariser „Moniteur“ melden: Die Kriegsgefahr ist vorüber!

Die im Mai 1867 stattfindende Londoner Konferenz hat das Ergebnis: In Luxemburg dauert die oranische Herrschaft fort; das Land wird auf ewig neutral erklärt, seine Neutralität unter die kollektive Garantie der Großmächte gestellt; es verbleibt im Deutschen Zollverein; sofort nach Ratifikation des Vertrages erfolgt der Abzug der preußischen Truppen.

Der Gewinn, welchen die französische Diplomatie heimbrachte, war also: Luxemburg blieb was es war, ein deutsches Land unter dem ihm stammverwandten Souverän! Nur das hatte Napoleon erreicht, daß die Festung des Großherzogtums, das Meisterwerk des Franzosen Vauban, demoliert wurde und Preußen für sein hinfällig gewordenes Besatzungsrecht die von Europa garantierte Neutralität Luxemburgs eintauschte! Spötter konnten sagen: Nun sei Frankreich gerettet!

Ziehen wir endlich aus unsrem Studium der Luxemburger Frage die wesentlichen Folgerungen für Bismarcks Diplomatie!

1. Die von Frankreich aufgeworfene Luxemburger Frage war Bismarck ein willkommenes diplomatisches Objekt; er ge= dachte von vornherein, sie zu einem deutsch-nationalen Exerzitium, zu einer Niederlage Frankreichs auszunußen.

2. Er wünschte aus Anlaß der Luxemburger Frage wegen der Geringfügigkeit des Objekts keinen Krieg mit Frankreich und wandte alle Mittel auf, ihm eine unblutige Niederlage zu be= reiten; aber er zog auch den Krieg in Rechnung und erachtete das deutsch-nationale Imponderabile der Frage zu einem Kriegsgrund in den Augen Europas für hinreichend.

3. Er hat durch bloße Zurückhaltung und Verschleierung seiner letzten Absichten den König von Holland in beständiger Furcht erhalten, und so, dämonisch mit ihm spielend, ihn für die französische Diplomatie ungreifbar gemacht.

4. Mit derselben Verschlagenheit hat er der französischen Diplomatie den Glauben an die Teilnahmlosigkeit Preußens an

der Luxemburger Frage eingeflößt und sie sozusagen außeramtlich tiefer und tiefer in sie hineingelockt, um dann, im leßten entscheidenden Augenblick, sich hinter das von ihm selbst aufgestachelte deutsche Nationalgefühl zurückzuziehn und Frankreich als Störer des europäischen Friedens hinzustellen.

5. Er hätte sich in der Luxemburger Frage durch Frankreich und Holland vor ein fait accompli stellen lassen, um alsdann, bei der materiellen Bedeutungslosigkeit Luxemburgs, Preußens Stellungnahme nach der unwillkürlichen Offenbarung des deutschen Nationalgefühls und der Haltung der unbeteiligten Großmächte zu regeln. Nur eins erschien ihm völlig unmöglich: Die Abtretung Luxemburgs an Frankreich unter förmlicher Zustimmung Preußens.

6. Weil Frankreich und Holland diese Unmöglichkeit nicht beachteten, weil sie, aus Schwäche und Furcht, ihre völkerrechtlich unangreifbare Position nicht folgerichtig festhielten, sondern die Bismarcksche Diplomatie mit ihr befaßten, ist die französischholländische Transaktion in der Luxemburger Frage gescheitert.

2. Bis in das Jahr 1870.

Ein Staatsmann, welcher Ende Mai 1867, nachdem die Luxemburger Frage durch die Großmächte aus der Welt ge= schafft worden war, das Kommende hätte prophezeien sollen, würde wohl, auch bei der größten Vertrautheit mit der Gegenwart, nichts andres zu sagen gewagt haben als: Die Zukunft sei so unsicher wie möglich! Das Jahr 1866 hatte die Dinge in Europa in neuen Fluß gebracht; die Diplomatie litt nun an einem Überfluß an großen Fragen, wie nicht seit Menschengedenken. Was würde aus Deutschland werden? Was aus Frankreich? Wie würden sich Österreich und Italien Rußland und dem Orient zu schweigen in der Folge verhalten? Woher würde der nächste Anstoß zu Neuem kommen? Wer würde in dieser Epoche des bewaffneten Friedens die Brand

von

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