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gebrütet hatte, in seinem Grabe umdrehen! Es war die Gunst des Schicksals, welche den König zur rechten Zeit aus einer Welt der „schnöden Erfahrungen“, in die er nimmer hineingepaßt hatte, abberief!

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Wir stehn davon ab, den weiteren Gang der inneren Politik im Norddeutschen Bunde und in Preußen zu verfolgen; wir werden späterhin, wenn wir Bismarck wesentlich auf dem Gebiete der inneren Politik tätig sehn, in die gegenwärtige Zeit zurückgreifen. Für jezt nimmt der Abschluß seines diplomatischen Lebenswerkes all unsre Aufmerksamkeit in Anspruch.

II. Bis zu Krieg und Frieden mit Frankreich.
Bis 1871.

1. Die Luxemburger Frage.

An der Wiege des neuen Reiches stand die Sorge. Wir sahen bereits, wie Bismarck im Preußischen Abgeordnetenhause, bei der Indemnitätsverhandlung, die diplomatische Lage beurteilte. Um uns ganz in seine derzeitige Stimmung zu verseßen, sei auch das angezogen, was er in seinen Denkwürdigkeiten über sich und seine Umwelt darlegt.

"In Berlin", schreibt Bismarck, war ich äußerlich mit dem Verhältnis Preußens zu den neu erworbenen Provinzen und den übrigen norddeutschen Staaten, innerlich mit der Stimmung der auswärtigen Mächte und ihres wahrscheinlichen Verhaltens beschäftigt. Unfre innere Lage hatte für mich und vielleicht für

jeden den Charakter des Provisoriums und der Unreife. Die Rückwirkung der Vergrößerung Preußens, der bevorstehenden Verhandlungen über den Norddeutschen Bund und seine Verfassung, ließen unsre innere Entwicklung ebenso sehr im Fluß begriffen erscheinen, wie unsre Beziehungen zum deutschen und außerdeutschen Auslande es waren, vermöge der europäischen Situation, in der der Krieg abgebrochen wurde. Ich nahm als sicher an, daß der Krieg mit Frankreich auf dem Wege unsrer weiteren nationalen Entwicklung, sowohl der intensiven, als der über den Main hinaus extensiven, notwendig werde geführt werden müssen, und daß wir diese Eventualität bei allen unsren Verhältnissen im Innern wie nach außen im Auge zu behalten hätten. Louis Napoleon sah in einiger Vergrößerung Preußens in Norddeutschland nicht nur keine Gefahr für Frankreich, sondern ein Mittel gegen die Einigung und nationale Entwicklung Deutschlands; er glaubte, daß dessen außerpreußische Glieder sich dann des französischen Schußes um so bedürftiger fühlen würden. Er hatte Rheinbundreminiszenzen und wollte die Entwicklung in der Richtung eines Gesamtdeutschlands hindern. Er glaubte, es zu können, weil er die nationale Stimmung des Tages nicht kannte und die Situation nach seinen süddeutschen Schulerinnerungen und nach diplomatischen Berichten beurteilte, die nur auf ministerielle und sporadisch dynastische Stimmungen gegründet waren. Ich war überzeugt, daß ihr Gewicht schwinden würde; ich nahm an, daß ein Gesamtdeutschland nur eine Frage der Zeit, und daß zu deren Lösung der Norddeutsche Bund die erste Etappe sei, daß aber die Feindschaft Frankreichs und vielleicht Rußlands, das Revanchebedürfnis Österreichs für 1866 und der preußischdynastische Partikularismus des Königs nicht zu früh in die Schranken gerufen werden dürfe. Ich war nicht zweifelhaft, daß ein deutsch-französischer Krieg werde geführt werden müssen, bevor die Gesamteinrichtung Deutschlands sich verwirklichte. Diesen Krieg hinauszuschieben, bis unsre Streitkräfte durch Anwendung der preußischen Wehrgesetzgebung nicht bloß auf Hannover, Heffen und Holstein, sondern, wie ich damals schon nach der Fühlung

mit den Süddeutschen hoffen durfte, auch auf diese, gestärkt wären, war ein Gedanke, der mich damals beherrschte. Ich hielt einen Krieg mit Frankreich, im Hinblick auf die Erfolge der Franzosen im Krimkriege und in Italien, für eine Gefahr, die ich damals überschäßte, indem mir die für Frankreich erreichbare Truppenziffer, die Ordnung und die Organisation und das Geschick in der Führung als höher und besser vorschwebten, als sich 1870 bestätigt hat . . . Für leicht habe ich den französischen Krieg niemals gehalten, ganz abgesehen von den Bundesgenossen, die Frankreich in dem österreichischen Revanchegefühl und in dem russischen Gleichgewichtsbedürfnis finden konnte. . . Bei der Indemnitätsfrage dem Könige gegenüber und bei der Verfassungsfrage im Preußischen Landtage aber stand ich unter dem Druck des Bedürfnisses, dem Auslande keine Spur von vorhandenen oder bevorstehenden Hemmnissen durch unsre innere Lage zur Anschauung zu bringen, um so mehr, als sich nicht ermessen ließ, welche Bundesgenossen Frankreich im Kriege gegen uns haben werde. Die Verhandlungen und Annäherungsversuche zwischen Frankreich und Österreich in Salzburg und anderswo, nach 1866, konnten unter Leitung des Herrn v. Beust erfolgreich sein, und schon die Berufung dieses verstimmten fächsischen Ministers zur Leitung der Wiener Politik ließ darauf schließen, daß sie die Richtung der Revanche einschlagen würde. Die Haltung Italiens war nach der Fügsamkeit gegen Napoleon, die wir 1866 kennen gelernt hatten, unberechenbar, sobald französischer Druck stattfand . . . Der Bund Italiens mit Frankreich) und Österreich lag nicht bloß nach meiner Befürchtung, sondern nach der öffentlichen Meinung in Europa nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit. Von Rußland war einer solchen Koalition gegenüber aktiver Beistand schwerlich zu erwarten . . . Ich nahm zwar an, daß wir gegen eine Koalition, die Frankreich etwa gegen uns aufbringen würde, auf russischen Beistand würden zählen können, aber doch erst, wenn wir das Unglück gehabt haben sollten, Niederlagen zu erleiden, vermöge deren die Frage näher gerückt wäre, ob Rußland die Nachbarschaft einer sieg

reichen französisch-österreichischen Koalition an seinen polnischen Grenzen vertragen könne. . . Bis zum Näherrücken solcher Gefährlichkeit infolge preußischer Niederlagen hielt ich aber für wahrscheinlich, daß Rußland es nicht ungern sähe, wenigstens es nicht hindern würde, wenn eine numerisch überlegene Koalition einiges Wasser in unsren Wein von 1866 gegossen hätte. Von England durften wir einen aktiven Beistand gegen den Kaiser Napoleon nicht erwarten... Das Bedürfnis der englischen Politik war entweder entente cordiale mit Frankreich oder Besitz eines starken Bundesgenossen gegen Frankreichs Feindschaft. England ist wohl bereit, das stärkere Deutsch-Preußen als Ersatz für Österreich hinzunehmen. . . aber bis zum aktiven Beistande würde sich die theoretische Sympathie schwerlich verdichtet haben. . . Es geschah hauptsächlich unter dem Einfluß dieser Erwägungen auf dem Gebiete der auswärtigen Politik, daß ich mich entschloß, jeden Schachzug im Inneren darnach einzurichten, ob der Eindruck der Solidität unsrer Staatskraft dadurch geschädigt oder gefördert werden könne. Ich sagte mir, daß das nächste Hauptziel die Selbständigkeit und Sicherheit nach außen sei, daß zu diesem Zwecke nicht nur die tatsächliche Beseitigung inneren Zwiespalts, sondern auch jeder Schein davon nach dem Auslande und in Deutschland vermieden werden müsse; daß, wenn wir erst Unabhängigkeit vom Auslande hätten, wir uns dann so liberal oder so reaktionär einrichten könnten, wie es gerecht und zweckmäßig erschiene; daß wir alle inneren Fragen vertagen könnten, bis zur Sicherstellung unsrer nationalen Ziele nach außen. Ich zweifelte nicht an der Möglichkeit, der königlichen Macht die nötige Stärke zu geben, um unsre innere Uhr richtig zu stellen, wenn wir erst nach außen die Freiheit erworben haben würden, als große Nation selbständig zu leben. Bis dahin war ich bereit, der Opposition nach Bedürfnis black-mail zu zahlen, um zunächst unsre volle Kraft und in der Diplomatie den Schein dieser einigen Kraft und die Möglichkeit in die Wagschale werfen zu können, im Falle der Not auch revolutionäre Nationalbewegungen gegen unsre Feinde entfesseln zu können.“

Wir entnehmen diesen bedeutungsvollen Darlegungen als wesentlich:

1. Bismarck ordnet in der Epoche des Norddeutschen Bundes die innere Politik der äußeren unter, er ist von dem Wunsche erfüllt, im Inneren jeden ernsten Konflikt zu vermeiden, um im Äußeren den Eindruck der vollen, kampfbereiten Einigkeit zu erwecken.

2. Er sieht in der äußeren Politik nach wie vor den Angelpunkt der Situation in Paris, erkennt, daß Deutschland bei einem Kriege mit Frankreich zunächst völlig isoliert sein wird und rechnet mit einer französisch - österreichisch - italienischen Koalition.

3. Er hält den Krieg mit Frankreich in einer nahen Zukunft für unausbleiblich, wünscht aber, die französische Wehrkraft überschätzend, wesentlich wegen der Festigung der militärischen Organisation des deutschen Nordbundes, und auch wegen der militärischen Regeneration Süddeutschlands, den Krieg hinauszuschieben.

Vergleicht man die neue Lage der Dinge mit der alten, so ist augenfällig: Die diplomatische Scene ist für Bismarck einerseits entlastet, andrerseits beschwert! Entlastet, denn von zwei Gegenspielern hat er den einen beseitigt, sozusagen aus der deutschen Landschaft hinter die Coulisse geschoben; beschwert, denn der auf der Scene verbliebene Gegenspieler spielt seine Rolle jezt mit einem unheimlichen Eifer, und es ist nicht zu ersehn, welche Machenschaften er im Verborgenen betreibt, wenn sein Ziel einmal rollenmäßig aussetzt. Dem unbefangenen Beobachter mußte die Weltlage in der Epoche des Norddeutschen Bundes als eine pathologische erscheinen, d. h. Napoleon, beziehentlich Frankreich, als der eingebildete Stranke, der bei der Gesundung des andren seine eigne Gesundheit gefährdet glaubt. Es ist ergötzlich zu sehn: Wie Bismarck nun den großen Patienten an der Seine behandelt, ihm, bei Gelegenheit, bald eine offizielle Allgemeinbehandlung, bald eine örtliche Behandlung zu teil werden läßt! Für die erstere gibt seine Rede vom 20. Dezember 1866 im Preu

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