Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

Dämon, der an nichts haftet, mit allem und jedem sein Spiel treibt, auch mit sich. Er ordnet die Welt seinen Zwecken unter, doch seinen Zwecken auch sich selbst! Das ist der große Schauspieler, der in ihm steckt, der ein zweites Subjekt hat, neben dem realen ein ideales, ein Scheinsubjekt! So ist er die größte Offenheit, aber auch die größte Verschlagenheit; ein Beter vor dem Herrn, aber auch einer, der bei Gelegenheit Gott mit dem Teufel vertauscht. Er ist ein Gewaltmensch, aber auch ein Bezauberer, ein Verführer. Er ist schlicht und höchst listig, ein Biedermann und auch ein Dialektiker, der alles auf den Kopf stellt. Er ist ein vollkommener Diener und doch ein Herr; bald ein Weltmann, bald ein brutaler Draufgänger; ein loyaler Freund und ein furchtbarer Feind; scheinbar impulsiv, sorglos, waghalsig, doch in Wahrheit ein Vordenker aller Möglichkeiten. Er hat keine Jllusionen, doch ein ahnungsvolles Gemüt. Er berechnet nüchtern die greifbare Wirklichkeit, aber er besitzt eine Phantasie, die ihn fernsichtig macht. Meisterlich regelt er sein Spiel, nie kommt er aus dem Text. Und die Summe seines politischen Seins zu ziehn zuerst und zuletzt ist er unergründlich! Ein konservativer Reaktionär und ein demokratischer Revolutionär; ein Würgengel der Volksfreiheit und ein Bahnbrecher der Volksrechte; ein Mann des Friedens und ein Entfesseler der alles zermalmenden Furie des Krieges; für seine Freunde halb Gott, halb Dämon; für alle, Freunde wie Feinde - der schreckliche Bismarck!"

[ocr errors]

Er hat nun sein Ziel erreicht es fehlt nur noch ein Leztes, sozusagen eine Formsache! Aber die Hochebene des Erfolgs umlauert der Feind, um den kühnen Bergsteiger ehestens in den Abgrund zu ziehn. Noch darf er nicht rasten! Er muß den Augenblick erspähen, in dem er aus überlegener Position den Feind in die tiefste Tiefe zurückschleudern kann, dahin, von wo keine Wiederkehr ist zum Lichte des Tages! Und wahrlich, er ist der Mann, den Moment zu ergreifen und sein Werk zu krönen! Wann der Moment kommt, kann auch er nicht wissen. Aber eins weiß er: Er wird ihn nicht überraschen!

Fünfter Abschnitt.

Der Bundeskanzler.

1867-1871.

1. Der Norddeutsche Bund.

Nach Beendigung des Deutschen Krieges schlossen sich bis Ende Oktober 1866 die zweiundzwanzig Staaten nördlich des Mains zu einem Staatenbunde zusammen, vorläufig, bis zur Feststellung einer Verfassung, auf ein Jahr. Nun trat an Bismarck zuerst auf ihn, dann auf seine Umwelt zu achten — eine gesetzgeberische Aufgabe von der größten Bedeutung, seine eigentliche, staatsmännische Lebensaufgabe heran! Alles, was er bisher gewirkt hatte, war doch nur Mittel zum Zweck der Neubildung Deutschlands gewesen. Auf dem beschränkteren, aber von Hindernissen befreiten norddeutschen Baugrunde sollte sich jezt ein Staatsbau erheben, ohne die Mängel des früheren weitläufigen, welcher durch die Wucht der Ereignisse der Erde gleich gemacht worden war! Wir kennen bereits den Plan des Neubaues; vor dem Kriege hatte Bismarck ihn kundgegeben. In seiner Zirkulardepesche vom 10. Juni an die deutschen Regierungen forderte er für einen neuen deutschen Bund: Zur Ausübung der Gesetzgebung, neben dem Bundestage, eine Nationalvertretung, hervorgehend aus allgemeinen und direkten Wahlen nach dem Gesetz vom 12. April 1849. Bedeutsame Wandlung: Der Mann, der einst mit tiefer Bitterkeit das absolute Königtum zusammenbrechen sah und in den Jahren nach der Revolution der preußischen Unionspolitik auf jede Art entgegengewirkt hatte, sah sich genötigt, in einem wesentlichen Punkte die staatsmännische Arbeit da aufzunehmen, wo sie 1848/49 ins Stocken geraten war! Was hatte doch vordem Joseph v. Radowit, „le mauvais génie de la

Prusse", gewollt? Wir erinnern uns seiner großen Rede vom 25. August 1850, worin er sagte: Der deutsche Einheitsstaat im Sinne der Frankfurter Verfassung sei unmöglich; man müsse die Einheit innerhalb der Möglichkeit erstreben, d. h. einen engeren Bundesstaat unter preußischer Führung schaffen, mit einer kräftigen Zentralgewalt, einem Staatenhaus der Fürsten und einer Nationalvertretung; Österreich sei auszuschließen, doch zu einem Bündnis heranzuziehen! Welch hohnvollen Kommentator hatte diese Rede an dem Abgeordneten v. Bismarck gefunden! Er nannte sie eine deklamatorische Vorstellung, ein glänzendes Mosaik, dessen logische Sprünge und Risse mit Phrasen gewandt verdeckt seien; er schrieb von dem mystischen Ausdruck des Redners, von dessen bravoschwangerer Stimme und in den Katakomben der Weisheit erzeugten Wahrheiten; die stürmisch applaudierenden Zuhörer des Redners seien einem geistigen Rausch verfallen! Und nun? Ebendiese Rede des Generals v. Radowitz brauchte Bismarck im Jahre 1867 nur mutatis mutandis zu wiederholen, um die politische Lage und ihre Erfordernisse das allgemeine und direkte Wahlrecht bot ihm die Frankfurter Verfassung dargelegt zu haben, ohne daß er einen einzigen ursprünglichen und wesentlichen Gedanken aufzuwenden nötig gehabt hätte! Solche Erwägung zeigt, wie er sich gewandelt hat. Aber darum erscheint er im gegenwärtigen Augenblick nicht kleiner; denn ein Staatsmann hat nicht die Aufgabe, originell zu sein, sondern die, das Zweckmäßige zu tun. Gleichwohl ist unzweifelhaft: Das für Preußen und Deutschland Zweckmäßige hatte Bismarck in den Jahren 1849 und 1850 noch nicht erkannt! Als er im April 1850, nach Radowit' Sturz, dem Freunde Wagener schrieb, bei ihm sei manche Flasche Sekt auf die Gesundheit des Gestürzten getrunken worden, lebte er noch in seinen „jugendlichen Jllusionen," ohne Ahnung von dem, wozu er berufen war!

[ocr errors]
[ocr errors]

Indes, sieht man von Radowitz, der als ein Vorläufer Bismarcks dasteht, ab, so bleibt die wichtige Frage zu beantworten: In wie weit folgte Bismarck bei der Neugestaltung Deutschlands seiner eignen politischen Neigung und Überzeugung, und in wie

« ZurückWeiter »