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1. Im Ersten Vereinigten Landtag.

1847.

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Da für das Jahrzehnt 1847-57 Friedrich Wilhelm IV. der politische Faktor ist, mit welchem Otto v. Bismarck zuerst und zuletzt zu rechnen hat, ist es für unser Studium von Bedeutung, eine klare Vorstellung von dem Wesen dieses Fürsten zu gewinnen. Bismarck selbst nennt ihn den geistreichen König, und als solcher steht er allerdings in der Reihe der preußischen Könige da; jedoch wie, um den feinen Unterschied der Worte geistreich und geistvoll aufzuzeigen, im augenfälligen Gegensatz zu seinem geistvollen Großoheim Friedrich II. Dieser besaß, trot mannigfacher Einseitigkeiten, einen wahrhaft großen, sein Denken, Empfinden und Tun in allem Wesentlichen bestimmenden Intellekt; er war voll Geist, und es hieße ihn herabdrücken, ihn geistreich zu nennen. Friedrich Wilhelm IV. war in Wahrheit grade das; aber daneben war er noch dies und jenes, was weit abliegt von dem Wesen eines auch nur geistreichen Mannes. Der König war ein gelehrter Herr, hatte ein ungewöhnliches Wissen, insbesondre auf dem Gebiete der Geschichte und der Künste; er besaß feinen Kunstgeschmack, auch ein nicht gemeines zeichnerisches Talent; bei schneller Fassungskraft eignete ihm die Gabe anschaulicher Darstellung in Unterhaltung und Gedankenstreit, und er bewies bei der Entwicklung seiner Ideen eine ästhetische Versatilität und einen Fluß der Rede, die ihresgleichen suchten. Kein Wunder, daß dieser Mann auf Künstler und Gelehrte eine große Anziehungskraft, überhaupt auf die meisten von denen, welche ihm nahe traten, einen faszinierenden Eindruck

ausübte. Aber sein geistreiches Wesen, seine hoch gespannte Jdealität im Denken, war im Sein und Tun mit einer so gearteten Realität verbunden, daß er als eine Natur von unglückseliger Zwiespältigkeit erscheint. Er war im tagtäglichen Leben alles und jedes: Weich, von kindlicher Gutmütigkeit, und hart, von äußerster Rücksichtslosigkeit; sanft und jähzornig; bescheiden und hochmütig; gewissenhaft und gewissenlos; fromm in der Theorie und gar oft frivol in der politischen Praxis; von der Nichtigkeit alles Menschlichen überzeugt und doch eitel und voll Überhebung; er war eigenwillig und bestimmbar, fest und schwankend, fügsam und launenhaft, starr und unendlich flexibel, verzagt und trotzig, romantisch und nüchtern, gütig scherzend und ver= legend sarkastisch, wahrheitssuchend und wahrheitsscheu, offen und bewußt versteckt und dunkelsinnig; kein Menschenkenner und doch ein Menschenprüfer und Unterscheider; er war ein Redner ohne Bedacht und doch berechnend; apathisch, in sich gekehrt und der nervöseste Impressionist; ein Zweifler und ein Raisonneur, der sich an seinen Raisonnements berauscht; ein Realist, der festhält an dem, was ist, und ein Phantast, der die eignen Fiktionen solang im leidenschaftlich bewegten Innern nährt, bis er sie selber glaubt. Seine Qual ist: Er ist in erheblichem Maße Selbstkenner er kennt seinen Mangel an Klarheit, an Festigkeit, an Charakter! Diese Erkenntnis ist offenbar der Grund seiner schwärmerischen Religiosität. Eine unendliche Sehnsucht nach Frieden mit seinem Gott erfüllt ihn; wenn er religiös gestimmt ist, fühlt er sich wie der Geringsten einer. Aber seine Religiosität ist eine nur mangelhaft angewandte, wesentlich die mystische Form einer natürlichen und anerzogenen schrankenlosen Selbstsucht. Wenn die religiöse Stimmung vorüber ist, zeigt es sich, daß er nicht gesonnen ist, den alten Adam tyrannischer Willkür auszuziehen. Zuletzt hält er sich selbst doch immer für klüger als alle Welt und weiß, den Despoten zu zeigen. Als Gatte einer edlen, ihn wahrhaft liebenden Frau, ist der König sittenrein, gütig, liebevoll, oft schwach gegenüber weiblichen Tränen. Als Freund ist er von größter Aufrichtigkeit und begehrt, die ungeschminkte Wahr

heit zu hören. Doch seine Zuverlässigkeit überhaupt ist gering; wenn man in kritischen Tagen auf seine natürliche Schwachmütigkeit rechnet, so rechnet man am sichersten. Ganz wesentlich ist er von jener ästhetischen Wesensart, welche auf idealen, d. h. eingebildeten, Gefühlen beruht; ein ungreifbarer Ästhetiker, ein schönseliger Egoist und, wenn man sein Ende, seinen Ausgang nach schwerer Geisteskrankheit bedenkt, ein pathologischer Fall, vielleicht schon seit jenem 7. Juni 1840, dem Säkulartage des Regierungsantritts Friedrichs des Großen, an dem er den Thron seiner Väter besteigt. Äußerlich hat Friedrich Wilhelm nichts Imponierendes. Er ist von unterseßter Gestalt, frühzeitig ein Fettwanst, bartlos, von hoch klingender Stimme und von schwanfendem Gange. Er ist nicht ohne militärische Kenntnisse, aber in militärischen Dingen oberflächlich, kein Offizier und überhaupt fein Soldat fonach den Tüchtigsten unter seinen Vorgängern fast in allem unähnlich!

Otto v. Bismarck, als scharfer Beobachter, hatte fraglos Friedrich Wilhelms IV. Menschen- und Fürstenart längst erkannt, ehe er mit ihm in persönliche Berührung kam. Einiges mußte ihm behagen, andres nicht. Im September 1840 hatte der neue König, bei der Krönung in Königsberg, die Erfüllung des Versprechens seines Vaters vom Jahre 1815, eine Repräsentativverfassung zu geben, abgelehnt. Diejenigen von dem aufstrebenden Geschlecht, welche ihn mit großen Hoffnungen begrüßt hatten, vernahmen: Daß er die provinzial- nnd kreisständische Verfassung für die eigentliche Form des deutschen Verfassungslebens hielt, die einer immer ersprießlicheren Entwicklung entgegenzuführen“ sei. Bismarck, der, wie wir schon wissen, im selben Jahre der Huldigungsfeier in Berlin beiwohnte, war damals noch nicht zu politischer Anteilnahme aufgerüttelt. Auch die Idee, welche der König, gedrängt von den Provinzialständen, 1842 zu Tage brachte, die Berufung einer Vereinigung von provinzial-landständischen Ausschüssen nach Berlin, konnte den Junker von Kniephof schwerlich zu politischen Erwägungen reizen. Die geplanten Vereinigten Ausschüsse, zur Beratung

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von Gesetzen für die ganze Monarchie, sind ihm wahrscheinlich als höchst überflüssig erschienen; damals war ihm ja überhaupt alles „Kaff“. Doch 1847 sah er, als glücklicher Bräutigam, die Welt mit andren Augen an. Da erging des Königs FebruarPatent zur Berufung des Ersten Vereinigten Landtags, nicht aus freier Entschließung, sondern notgedrungen, da nach dem Edikt vom 17. Januar 1820 eine Anleihe, wie sie die Regierung jetzt für einen Eisenbahnbau wünschte, nur unter Bürgschaft von Reichsständen erfolgen konnte. Als das Patent ergangen war, schrieb Bismarck der Schwester: An und für sich würde ich der farce sehr gern beiwohnen“, . . . aber er werde wohl nicht gewünscht werden. Jedoch, demnächst erhält er, als Stellvertreter des vom Sächsischen Provinziallandtag gewählten Abgeordneten v. Brauchitsch, ein Mandat zum Ersten Vereinigten Landtag, welchen der König am 11. April 1847 mit einer großen Rede eröffnet. Diese Eröffnungsrede Friedrich Wilhelms IV. ist ein Dokument, das dem Abgeordneten v. Bismarck das Charakterbild des Herrschers völlig enthüllen konnte, wenn es deffen für ihn noch bedurfte. Wir werfen einen Blick darauf, um einen weiteren, belangreichen Schritt in seine Welt hineinzutun.

Auf dem Throne sizend, spricht der König zu seinen getreuen Ständen, den Fürsten, Grafen und Herren vom ersten Stande, den Vertretern der Ritterschaft vom zweiten, den der Städte vom dritten und zu den der Landgemeinden vom vierten, folgendermaßen:

Der edle Bau ständischer Freiheiten, dessen acht Grundpfeiler Friedrich Wilhelm III. in den acht Provinzialständen aufgerichtet habe, sei nun vollendet, aber die ganze Freiheit der königlichen Machtvollkommenheit bleibe bestehn; er, der König, sei ein Feind jeder Willkür. Gleichwohl habe er weite Rechte verlichen. Er rufe den Landtag zusammen, wenn er es könne, ohne höhere Regentenpflichten zu verletzen, und: Wehe dem, der ihm den Dank seines freien und treuen Volkes verkümmere! Den Ständen sei das kostbare Kleinod der Freiheit anvertraut; im Volke

aber seien viele, die es verkennten, in der Presse viele, welche vom Könige gradezu Revolution in Kirche und Staat forderten, von den Ständen Akte zudringlicher Undankbarkeit, der Ungesetzlichkeit, ja des Ungehorsams. Auch sähen viele Redliche das Heil in der Verwandlung des natürlichen Verhältnisses von Fürst und Volk in ein konventionelles, durch Urkunden verbrieftes, durch Eide besiegeltes. Diesen schwebe das Beispiel eines glücklichen Landes vor, dessen Verfassung doch die Jahrhunderte und eine Erbweisheit ohnegleichen, nicht aber ein Stück Papier gemacht habe. Der königliche Redner wendet sich gegen den verneinenden Geist der Zeit; wie im Feldlager nur ein einziger Wille herrschen dürfe, so auch im Lande. Der König müsse fordern, was die Krone des freien Mannes sei, den Gehorsam um Gottes und des Gewissens willen. Keiner Macht der Erde soll es gelingen, „Mich zu bewegen, das natürliche, gerade bei uns durch seine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältnis zwischen Fürst und Volk in ein konventionelles, konstitutionelles zu verwandeln, und daß Ich es nun und nimmer zugeben werde, daß sich zwischen unsren Gott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt, gleichsam als eine zweite Vorsehung eindränge, um uns mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte, heilige Treue zu ersetzen. Zwischen uns sei Wahrheit! Von einer Schwäche weiß ich mich gänzlich frei! Ich strebe nicht nach Volksgunst Ich strebe allein darnach, Meine Pflichten nach bestem Wissen und nach Meinem Gewissen zu erfüllen und den Dank Meines Volkes zu verdienen, sollte er Mir auch nimmer zu teil werden." So des Königs Vorhaben. Man sollte meinen, fährt er fort, die Presse müsse nun Dankbarkeit und Zufriedenheit verbreiten. Aber zum Teil herrsche da ein finsterer Geist des Verderbens, ein Geist der Auflockerung zum Umsturz und frechster Lüge. „Täuschen wir uns ja darum nicht über die argen Früchte des argen Baumes, die unter der Gestalt der Verstimmung, des Mißtrauens und schwächlicher Einschüchterung vor dem Liberalismus entgegentreten und an der Hand noch schlimmerer Erfahrungen, offenen Ungehorsams, geheimer Ver

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