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ruft den Schein hervor, als ob die Teilung der Staatsgewalt zwischen Volk und Herrscher beide zu einem einzigen Staatszweck vereinige! Dann blüht die politische Phrase vom Landesvater, dem nur das Wohl des Volkes am Herzen liegt, vom gottberufenen Herrscher, der alles für das Volk will und nichts für sich, vom Volke, das dem geliebten Herrscher in unvergänglicher Treue anhängt. Die rauhe Wirklichkeit ist anders. In Wahrheit findet zwischen den beiden Verfassungskontrahenten ein ununterbrochener, bald stiller, bald lauter Kampf statt, den eine endlose Reihe von Kompromissen bezeichnet, die von jedem Teil als lästige Beschränkungen empfunden werden. Es ist der große Gegensatz von dynastischem und demokratischem Staatszweck, worin auch der preußische Verfassungskonflikt mit all seinen Erscheinungsformen wurzelt! Bismarcks Politik war eine dynastische, die der Opposition eine demokratische. Er wollte sozusagen mit dem Ostwinde der Dynastien segeln, die Opposition mit dem Westwinde der öffentlichen Meinung. Der eine wollte nach Osten, der andre nach Westen. Da war ein Zusammengehn unmöglich. Und da keiner dem andren freie Bahn geben wollte, was Wunder, daß man hart aneinander geriet! Betrachtet man so insbesondre den Gegensatz in der auswärtigen Politik, der die Konfliktszeit beherrscht, so wird man nicht unbedingter Weise sagen können: Die Weisheit sei auf Bismarcks Seite, die Torheit auf seiten seiner Gegner gewesen! Er hat seine dynastische Politik auf dem Wege von Eisen und Blut zum Ziele geführt; er verfuhr dabei mit hoher Weisheit, doch er konnte von Glück sagen, daß er nicht den Hals brach! Die Opposition stand gegen ihn, weil sie sich mit seinem dynastischen Staatszweck nicht identifizieren konnte; ihr war, wenn sie ehrlich sprach oder Klarheit über sich besaß, das preußische Königstum keine Herzenssache; -sie wollte von jeher ein einiges, aber demokratisch regiertes Deutschland! Indes, sie besaß nicht die Stärke, um sich im Staate an die Gewalt zu bringen; und so hat sie dem eignen Staatszweck nicht nachleben können. Daher bleibt die Möglichkeit bestehn: Wäre der preußischen Demokratie ein Führer erstanden,

welcher die europäische Demokratie entfesselte und sich dienstbar machte, so hätte die deutsche Einheit auf unblutigem Wege zu stande kommen können! Hat doch Bismarck selbst, wie wir wissen, in Zeiten der Bedrängnis seine Gegner mit der Entfesselung der Demokratie bedroht. Er wußte, wie probat sich das Mittel erweisen würde; nur daß er, der Mann des Königs, es sich für die Stunde der Verzweiflung aufsparte!

So klärt sich das Urteil über die Vorgänge im Verfassungskonflikt, der 1866 seine äußerliche Lösung fand, dahin: Daß Bismarck seine dynastische Politik mit höchster Weisheit, wie mit höchstem Glück, durchgeführt hat; daß er von seinem Standpunkt die Opposition mit vollem Grund der höchsten Torheit bezichtigte; daß aber objektiverweise von ihr nur gesagt werden kann: Daß sie einen andren Staatszweck verfolgte als er, womit für die Geschichte das Urteil über Weisheit und Torheit im Konflikt entfällt und sich das seltsame Schauspiel erklärt, daß die Intelligenz der Nation mit ihrem größten Diplomaten in jahrelangem, erbitterten Kampfe liegt!

Es bleibt noch die Frage: Handelte die Opposition, indem sie die Lösung des Konflikts auf dem von der Regierung vorgeschlagenen Wege zurückwies, zweckmäßig? Erging nicht auch an sie die Aufforderung, den Humor der Situation zu würdigen? Man verkenne nicht die Natur der politischen Parteien! Für sie gibt es keinen andren Zweck als den, ihr Programm durchzuführen; dies muß ihnen so heilig sein, wie einer religiösen Partei ihr Dogma. Politische Parteien dürfen keinen Humor haben — der Humor bringt sie um! Sie siegen oder werden besiegt; — in dem Augenblick, wo sie ihrem Besieger Indemnität erteilen, geben sie sich selbst auf! Bismarck hatte die Opposition im Konflikt vergewaltigt. Seine Handlungsweise stellte einen Kampf der einen Staatsgewalt gegen die andre dar; sie fiel unter keinen moralischen Gesichtspunkt, so daß sie durch Verzeihung beglichen werden konnte sie war schlechthin revolutionär! Was hatte demnach die Indemnität in Wahrheit zu bedeuten? Sie legalisierte die Revolution der Krongewalt gegen die Volksgewalt; aber nicht

etwa auf Grund einer neuen Vertragsregelung zwischen Volk und Krone, sondern auf der leztren wertloses Zugeständnis hin: In der Vergangenheit ist ein Rechtsbruch geschehn, — wenn die Kammer ihn legislatorisch aufhebt, so ist nichts vorgefallen, und alles ist wieder gerade so wie zuvor! Das hörte sich schön an. Aber in der Hoffnung auf den bloßen guten Willen der Regierung konnten nur die Traumpolitiker des Bürgertums das alte Verhältnis zur Krongewalt fortsetzen wollen. Die Indemnität war entweder eine politische Geschäftsregelung zwischen Volk und Krone, oder sie war überflüssig! Gerade jezt, nachdem das Volk mit seinem Gut und Blut die großen Siege gewonnen hatte, war der Moment, zu fordern: Daß die in der Verfassung gegebenen Zusagen erfüllt würden! Es war weise, vergangenes Unrecht auf sich beruhen zu lassen. Aber, was da geglückt war, war ein waghalsiges Experiment gewesen! Jede Volkspartei mußte jezt erst recht ein Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit verlangen, — bewies die Regierung darin Entgegenkommen, dann, und nur dann, war ihr zu glauben, daß sie die Verfassung fortan beobachten werde! In dieser Richtung bewegten sich die Erwägungen der Männer von der Fortschrittspartei, welche in der Freude über die glänzenden Siege nicht die politischen Interessen des Volkes vergaßen. Der Konflikt hatte harte Lehren erteilt. Welch ein Hohn: Die Interpretation der Preußischen Verfassungsurkunde war schwierig! Die Schwierigkeiten zu beheben, das mußte das Programm der Demokratie sein, oder es gab für sie keins! Es war besser, den Konflikt unerledigt in die historische Rumpelkammer zu verweisen, als ihn, ohne Beseitigung seiner Ursachen, der Mängel der Verfassung, formell zu anullieren! Aber nun verfielen auch die besseren Köpfe der Nation dem „Gößendienst des Erfolgs," das politische Denken, kaum im Volke erwacht, trat jählings in ein Stadium der Entartung, dessen Verlauf unschwer zu ahnen war! Davon später.

Das Jahr 1866 ist der Höhepunkt in Bismarcks Leben; denn nun hat er die größten Schwierigkeiten auf seinem Wege überwunden. Er hat den alten, morschen Bund zur Auflösung

gebracht, Österreich aus Deutschland entfernt, den deutschen Norden Preußen unterworfen und im geheimen den deutschen Süden mit ihm militärisch verbunden; er hat daheim den Konflikt beendet; er hat dem Vaterlande (das seine unbezahlbaren Dienste durch eine Dotation von 400000 Talern anerkennt) eine Ernte eingebracht, die niemand, auch er selbst nicht, erhofft hatte! Von seinen Feinden sagte er nach der Schlacht von Königgräß dem ungarischen Emigrierten, Grafen Seherr Thosz: „Aber besiegt habe ich alle, alle!" Dabei zeigte sein Gesicht eine wahrhaft verklärte Heiterkeit.

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Passend dürfte diese Betrachtung das Urteil abschließen, welches, sich selbst zur Ehre, Bismarck über den Konflikt fällte. Am 5. April 1876 sagte er im Abgeordnetenhause, nach einer Rede Virchows: „Ich erkenne meines Erachtens - ich habe Objektivität genug, um mich in den Ideengang des Abgeordnetenhauses von 1862 bis 1866 vollständig einleben zu können, und habe die volle Achtung vor der Entschlossenheit mit der die damalige Volksvertretung das, was sie für Recht hielt, vertreten hat. Sie konnten damals nicht wissen, wo meiner Ansicht nach die Politik schließlich hinausgehn sollte; ich hatte auch keine Sicherheit, daß sie faktisch dahin hinausgehn würde; und Sie hatten auch das Recht, wenn ich es Ihnen hätte sagen können, mir immer noch zu antworten: Uns steht das Verfassungsrecht des Landes höher als seine auswärtige Politik. Da bin ich weit entfernt gewesen, irgend jemandem einen Vorwurf daraus zu machen, oder ich bin es wenigstens jetzt, wenn auch in der Leidenschaft des Kampfes ich es nicht immer gewesen sein mag . . ."

Überschau.

Wir haben Bismarcks Wirken in den Jahren 1862 bis 1866 kritisch verfolgt welch reicher Stoff, um den früher gewonnenen Charakterbildern, des jungen Bismarck, des Abgeordneten, des Gesandten, das des Konfliktsministers anzureihen!

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Im Jahre 1862 wird Bismarck Minister. Das ist der bedeutsamste Wendepunkt in seinem Dasein, — denn nun erst besteigt er das wilde Roß des Lebens", das er mit zügelsicherer Faust und scharfem Sporn zu regieren hat, um nicht aus der Bahn geschleudert zu werden! Was ist sein Ziel? Er selbst hat es Ende 1862 formuliert, als er in Paris weilte, um Napoleon sein Abberufungsschreiben zu übergeben. Damals sagte er dem Grafen v. Seherr Thosz: "Ihre Voraussetzungen sind richtig; ich habe mir zum Ziele gesetzt, die Schmach von Olmüß zu rächen, dieses Österreich niederzuwerfen, das uns aufs Unwürdigste behandelt, uns zu Vasallen erniedrigen möchte. Ich will Preußen aufrichten, ihm die Stellung verschaffen, die ihm als rein deutschem Staate gebührt." Wir wissen seit Bismarcks Frankfurter Zeit, daß er kein andres Ziel haben konnte; doch es ist nüßlich, es hier noch einmal scharf umrissen hinzustellen, um all sein Handeln darnach zu bemessen. Er will Preußens Größe, d. h. seine Führerstellung in einem Deutschland ohne Österreich! Die Wege, welche er zu diesem Ziele gegangen ist, haben wir durchforscht, nun fällt uns die Aufgabe zu, ihn übersichtlich zu qualifizieren! Seither hat er die mannigfaltigsten Obliegenheiten erfüllt: Als erster Berater des Königs, als Chef der preußischen Diplomatie, als leitender Minister. Er war in den schwersten Krisen des Staates der, auf dem alles ruhte. Im Siege lag die größte Sorge um die Gestaltung des Friedens auf ihm allein. Die Zeit hat seine ganze Diplomatie, seine ganze politische Weisheit herausgefordert, sein Gemüt in seinen Tiefen aufgewühlt, und physische Erschütterungen haben ihm das Martyrium der kampfreichen Jahre unendlich verschärft. In all diesen neuen Lebens

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