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lassen, daß nicht das eine oder das andere, die Größe und umfassende Bedeutung jener Kämpfe oder die lebendige Persönlichkeit der Individuen dabei zu kurz kommt, ist ebenfalls eine Frage, die wir hier unerörtert lassen können. Es genügt, daß Lassalle bei der Durchführung des Dramas von jener Auffassung ausgegangen ist. Und nun zum Stoff des Dramas selbst.

Wie schon der Titel anzeigt, hat es das Unternehmen Franz von Sickingens gegen die deutschen Fürsten zum Mittelpunkt. Sickingen und sein Freund und Ratgeber Ulrich von Hutten sind die Helden des Dramas, und es ist eigentlich schwer zu sagen, wer von beiden das Interesse mehr in Anspruch nimmt, der militärische und staatsmännische oder der theoretische Repräsentant des niederen deutschen Adels. Merkwürdigerweise hat Lassalle nicht in dem ersteren, sondern in dem letzteren sich selbst zu zeichnen versucht. ,,Lesen Sie mein Trauerspiel," schreibt er an Sophie von Sontzew.,,Alles, was ich Ihnen hier sagen könnte, habe ich Hutten aussprechen lassen. Auch er hatte alle Verleumdungen, alle Arten von Haß, jede Feindseligkeit zu ertragen. Ich habe aus ihm den Spiegel meiner Seele gemacht, und ich konnte dies, da sein Schicksal und das meinige einander vollständig gleich und von überraschender Ähnlichkeit sind." Es würde selbst Lassalle schwer geworden sein, diese überraschende Ähnlichkeit zu beweisen, namentlich um die Zeit, wo er diesen Brief schrieb. Er führte

in Berlin ein luxuriöses Leben, verkehrte mit Angehörigen aller Kreise der besser situierten Gesellschaft und erfreute sich als Politiker nicht entfernt eines ähnlichen Hasses wie der fränkische Ritter, der Urheber der leidenschaftlichen Streitschriften wider die römische Pfaffenherrschaft. Nur in einigen Äußerlichkeiten lassen sich Analogien zwischen Lassalle und Hutten ziehen, aber in diesem Falle kann es weniger darauf ankommen, was tatsächlich war, sondern was Lassalle glaubte und wovon er sich bei seinem Werke geistig leiten ließ. Menschen mit so ausgeprägtem Selbstgefühl sind in der Regel leicht Täuschungen über sich selbst ausgesetzt. Genug, wir haben in dem Hutten des Dramas Lassalle vor uns, wie er um jene Zeit dachte, und die Reden, die er Hutten in den Mund legt, erhalten dadurch für das Verständnis des Lassalleschen Ideenkreises eine besondere Bedeutung.

Hierher gehört namentlich die Antwort Huttens auf die Bedenken des Ökolampadius gegen den geplanten Aufstand:

,,Ehrwürd'ger Herr! Schlecht kennt Ihr die Geschichte.

Ihr habt ganz recht, es ist Vernunft ihr Inhalt,"

ein echt Hegelscher Satz,

,,Doch ihre Form bleibt ewig die Gewalt!"

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Und dann, als Ökolampadius von der „,Entweihung der Liebeslehre durch das Schwert" gesprochen:

„Ehrwürd'ger Herr! Denkt besser von dem Schwert!
Ein Schwert, geschwungen für die Freiheit, ist
Das fleischgewordne Wort, von dem Ihr predigt,
Der Gott, der in der Wirklichkeit geboren.
Das Christentum, es ward durchs Schwert verbreitet,
Durchs Schwert hat Deutschland jener Karl getauft,
Den wir noch heut den Großen staunend nennen.
Es ward durchs Schwert das Heidentum gestürzt,
Durchs Schwert befreit des Welterlösers Grab!
Durchs Schwert aus Rom Tarquinius vertrieben,
Durchs Schwert von Hellas Xerxes heimgepeitscht
Und Wissenschaft und Künste uns geboren.
Durchs Schwert schlug David, Simson, Gideon!
So vor- wie seitdem ward durchs Schwert vollendet
Das Herrliche, das die Geschichte sah,

Und alles Große, was sich jemals wird vollbringen,
Dem Schwert zuletzt verdankt es sein Gelingen!"

Es liegt in den Sätzen,,doch ihre - der Geschichte Form bleibt ewig die Gewalt", und ,,daß alles Große, was sich jemals wird vollbringen", dem Schwert zuletzt sein Gelingen verdanken werde, unzweifelhaft viel Übertreibung. Trotzdem hatte der Hinweis, daß das für die Freiheit geschwungene Schwert das „,fleischgewordene Wort" sei, daß, wer die Freiheit erwerben will, bereit sein muß, für sie mit dem Schwert zu kämpfen, seine volle Berechtigung in einer Epoche, wo man in weiten Kreisen der ehemaligen Demokratie sich immer mehr darauf verlegte, alles von der Macht des Wortes zu erwarten. Sehr zeitgemäß, und nicht nur für die damalige Epoche, sind auch die Worte, die Lassalle den alten Balthasar Slör Sickingen im letzten Akt zurufen läßt:

,,O, nicht der Erste seid Ihr, werdet nicht
Der Letzte sein, dem es den Hals wird kosten
In großen Dingen schlau zu sein. Verkleidung
Gilt auf dem Markte der Geschichte nicht,
Wo im Gewühl die Völker dich nur an
Der Rüstung und dem Abzeichen erkennen;
Drum hülle stets vom Scheitel bis zur Sohle
Dich kühn in deines eig'nen Banners Farbe.
Dann probst du aus im ungeheuren Streit
Die ganze Triebkraft deines wahren Bodens,
Und stehst und fällst mit deinem ganzen Können!"

Auch der Ausspruch Sickingens:

,,Das Ziel nicht zeige, zeige auch den Weg.
Denn so verwachsen ist hienieden Weg und Ziel,
Daß eines sich stets ändert mit dem andern,
Und andrer Weg auch andres Ziel erzeugt".

ist ein Satz aus dem politischen Glaubensbekenntnis Lassalles. Leider hat er ihn jedoch gerade in der kritischsten Periode seiner politischen Laufbahn unbeachtet gelassen.

Halten wir uns jedoch nicht bei Einzelheiten auf, sondern nehmen wir das Ganze des Dramas, ziehen wir seine Quintessenz.

Die Rolle Huttens und Sickingens in der Geschichte ist bekannt. Sie sind beide Vertreter des spätmittelalterlichen Rittertums, einer um die Zeit der Reformation im Untergehen begriffenen Klasse. Was sie wollen, ist diesen Untergang aufhalten, ein vergebliches Beginnen, das notwendigerweise scheitert und dasjenige, was es verhindern will, nur beschleunigt. Da Hutten wie Sickingen durch Charakter wie Intelligenz ihre Klasse weit überragen, so ist hier in der Tat das

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Material zu einer echten Tragödie gegeben, der vergebliche Kampf markiger Persönlichkeiten gegen die geschichtliche Notwendigkeit. Merkwürdigerweise wird aber diese Seite der HuttenSickingenschen Bewegung im Lassalleschen Drama am wenigsten behandelt, so bedeutungsvoll sie doch gerade für die wir wollen nicht einmal sagen, sozialistische, sondern überhaupt die moderne wissenschaftliche Geschichtsbetrachtung ist. Im Drama geht das Hutten-Sickingensche Unternehmen an tausend Zufälligkeiten - Unüberlegtheit, Mißgriffe in den Mitteln, Verrat usw. zugrunde, und Hutten-Lassalle schließt mit den Worten:,,Künft'gen Jahrhunderten vermach' ich unsere Rache", was unwillkürlich an den recht unhistorischen Schluß in Götz von Berlichingen erinnert:,,Wehe dem Jahrhundert, das dich von sich stieß! Wehe der Nachkommenschaft, die dich verkennt!" Begreift man aber, warum der junge Goethe im achtzehnten Jahrhundert sich einen Vertreter des untergehenden Rittertums zum Helden wählen konnte, so ist es schon schwerer zu verstehen, wie nahezu hundert Jahre später, zu einer Zeit, wo die Geschichtsforschung bereits ganz andere Gesichtspunkte zur Beurteilung der Kämpfe des Reformationszeitalters eröffnet hatte, ein Sozialist wie Lassalle zwei Vertreter eben dieses Rittertums schlechthin als die Repräsentanten,,eines kulturhistorischen Prozesses hinstellt, auf dessen Resultaten", wie er sich in der Vorrede ausdrückt,,,unsere ganze Wirklichkeit

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