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Schlußwort.

Es ist ein Zeitraum von mehr als sechstausend Jahren, auf welchen die Weltgeschichte zurückblickt. Seit dem Siege des Christentums unter Konstantin d. Gr. gewöhnte man sich, die geschichtliche Zeit auf Grund der Weissagung des Propheten Daniel (VII, 3—24) nach den vier Weltmonarchien, der assyrischbabylonischen, der medisch-persischen, der griechisch-macedonischen und der römischen einzuteilen; die lezte, die römische, sollte bis an das Ende der Dinge dauern. Der erste, der das Altertum von der folgenden Zeit scheidet, ist Macchiavelli, indem er mit der Völkerwanderung einen Abschnitt macht, worauf dann im siebzehnten Jahrhundert die noch heute im wesentlichen allgemein übliche Einteilung der Weltgeschichte in Altertum, Mittelalter und Neuzeit in Aufnahme gekommen ist.

Diese Einteilung hat ihre volle innere Berechtigung, gleichviel, ob spätere Geschlechter sie möglichenfalls durch eine andere erseßen werden. Lassen wir zum Schluß den Gang, welchen die Weltgeschichte durch diese drei Hauptabschnitte hindurch bis auf die Gegenwart genommen, vor unserem Auge vorüberziehen.

Der Anfang der Geschichte fällt keineswegs mit den Anfängen der menschlichen Kultur zusammen; diese liegen weit jenseits der äußersten Grenze des historisch Erkennbaren. Die Menschheit hat ungezählte Jahrtausende durchlebt, bevor sie an dem Punkte angelangt ist, von welchem an der erste Dämmerschein der Geschichte anhebt, nämlich der Gründung staatlicher Gemeinschaften, die zugleich die größte aller ihrer Kulturleistungen ist.

Die von der Natur mit unerschöpflicher Fruchtbarkeit ausgestatteten Flußthäler hier des Euphrat und Tigris, dort des Nils find sicheren Spuren zufolge diejenigen Erdstellen, wo der Mensch am frühesten zur Seßhaftigkeit und damit zur Vorbedingung jeder höheren Entwickelung gelangte. Hier hat er bereits in unvordenklicher Zeit die Gewinnung und Benuzung der Metalle, den Steinbau, die Anfänge der bildenden Kunst durch Nachbildung lebender Gestalten in Stein und Erz, das Zahlensystem und aus der Beobachtung des gestirnten Himmels die Zeitrechnung erfunden, hier sind auch die ältesten. Staaten entstanden. Wohl mögen auch im Thale des Ganges und in Ostasien gleich alte Kulturstätten vorhanden gewesen sein; aber außerhalb der Berührung

mit anderen Völkern gelegen, sind sie ohne Einfluß auf den Gang der Weltgeschichte geblieben. Von dem Doppelstrom Euphrat-Tigris und dem Nil dagegen hat sich das historische Leben über ganz Vorderasien bis an und über die Küsten des Mittelmeeres weiter verbreitet. Auf diesem Raume erhoben fich, je nachdem das eine Volk nach erschöpfter Kraft von einem jugendkräftigeren in der Herrschaft abgelöst wurde, nacheinander die großen Despotien der Assyrer, Babylonier, Meder und Perser, von hier ward aber auch der Flugsame der Kultur hinüber nach der Insel- und Halbinselwelt des südöstlichen Europas getragen, um daselbst, begünstigt durch die glücklichsten Naturverhältnisse, in dem Volke der Hellenen sich nicht bloß eigenartig und selbständig weiterzuentwickeln, sondern auch zu einer solchen Durchgeistigung zu gelangen, daß dieses begnadete Volk durch seine unvergleichlichen und unvergänglichen Schöpfungen auf allen Gebieten höherer menschlicher Thätigkeit zum Lehrmeister aller künftigen Geschlechter geworden ist. Die Hellenen veredelten die Naturgottheiten des Orients zu den herrlichen Idealgestalten ihres Olymps, zu Wahrern der sittlichen Weltordnung; sie bildeten in engen Gebieten eine Mannigfaltigkeit von Staatsformen aus, welche ihre Angehörigen zu selbstthätigen Mitgliedern bürgerlicher Gemeinden erzogen und zum Nachdenken über das Wesen des Staates anleiteten, durch sie that sich, namentlich seitdem die glorreiche Abwehr der Perser die Volksseele mit Schwung und Begeisterung erfüllt hatte, das Reich der Künste, der Poesie, der übersinnlichen Ideen in kaum je wieder erreichter Herrlichkeit der kommenden Menschheit auf.

Nur eines verstanden die Hellenen, phantasiereich und durchaus individuell angelegt, wie sie waren, nicht: sich zu einem nationalen Ganzen zusammenzuschließen. Sie, die ihre Kraft in inneren Fehden erschöpften, aus ihrer Zerfahrenheit zu erlösen, bedurfte es der kräftigen Hand des Macedoniers Philipp, der durch die Unterwerfung Griechenlands seinem Sohne Alexander die Vorstufe erbaute für die Aufrichtung eines neuen Weltreiches. Indem der junge und geniale Eroberer seine siegreichen Waffen bis an den Saum der libyschen Wüste, an den Jaxartes und das Fabelland Indien trug, entriß er den Orient seiner Abgeschlossenheit und durchtränkte ihn mit hellenischer Kultur, hellenischer Sitte und Sprache, wie durch eine Veranstaltung der Vorsehung, um der Heilslehre des Christentums, die zuerst unter dem Volke Israel, dem einzigen inmitten der Heidenwelt zum Monotheismus durchgedrungenen, verkündigt werden sollte, Mittel und Wege zu ihrer Ausbreitung zu schaffen.

Was den Griechen troß oder wegen des Reichtums ihrer natürlichen Beanlagung versagt geblieben, die Gabe selbstloser Unterordnung des Einzelnen unter die straffe Zucht der Gesamtheit, den nüchternen Sinn für das Praktische, das besaßen in höchstem, bis zur Einseitigkeit gehenden Maße die ihnen urverwandten Römer; Eigenschaften, die sie befähigten, ihre ursprünglich kleine Stadtgemeinde zum italischen Nationalstaate zu erweitern, diesen in heldenmütigen Kämpfen gegen die Angriffe auswärtiger Feinde, selbst, dem Unter

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gange nahe, gegen den großen Punier Hannibal zu verteidigen, sich zu Beherrschern der Mittelmeerküsten aufzuschwingen, darauf, seitdem die Republik sich einem einzigen Oberhaupte untergeordnet hatte, den ganzen bekannten Erdkreis sich unterthan zu machen, selbst durch die Eroberung Galliens, Britanniens, der Rhein- und Donauländer den bis dahin den Norden Europas verhüllenden Schleier zu lüften und durch diese große Völkervereinigung die Schranken niederzureißen, welche die hochgebildeten, die „klassischen“ Völker des Altertums von den Barbaren geschieden hatten, endlich auch der Rechtswissenschaft ihre für alle Zeiten unverrückbaren Grundlagen zu schaffen. Auf anderen geistigen Gebieten ohne eigene schöpferische Kraft, wurde das Römertum doch seit seiner Berührung mit der griechischen Kulturwelt das Gefäß, welches die Ergebnisse derselben in sich aufnahm und den von dort überkommenen Schatz zu den folgenden Zeiten und Völkern überleitete. Unter diesen, seinem innersten Wesen fremden und selbst entgegengesezten Einwirkungen verzehrte es sich jedoch selbst.

Zwei Thatsachen trafen zusammen, um einen neuen Abschnitt in der Geschichte der Menschheit herbeizuführen: das Hervortreten neuer jugendkräftiger Völker auf den Schauplaß der Weltgeschichte an Stelle der überlebten antiken, im Norden der Germanen und der Slawen, im Osten der Araber, zweitens die Ausbreitung zweier mit dem Anspruche auf Offenbarung auftretender Weltreligionen, des Christentums und des Islam, an Stelle der das Bedürfnis der Herzen nach dem Göttlichen nicht mehr befriedigenden heidnischen Volksreligionen. Einer Verjüngung durch das Christentum nicht mehr fähig, brach die antike Welt unter dem Ansturm der Germanen, fortan der eigentlichen Träger der neuen Heilslehre, zusammen. Auf ihren Trümmern erhoben sich neue germanische Reiche, in denen aber doch die verkümmerten Reste der antiken Bildung fortlebten und wirkten. Aber durch die Wanderung von ihrem heimischen Boden losgerissen, brachten sie es in der Fremde nicht über ein kurzlebiges Dasein hinaus. Nur das Reich der Franken, die ohne ihre niederrheinische Heimat aufzugeben sich erobernd über Gallien ausbreiteten und durch die Annahme des Christentums in der Gestalt des Athanasianismus den kirchlichen Gegensatz ihrer anfangs arianischen Stammesgenossen gegen die römische Bevölkerung vermieden, gewann Dauer und hinreichende Stärke, um auch die Burgunder, Thüringer und Bayern in sich aufzunehmen und unter der Leitung der kraftvollen Majordome aus dem Hause der Pippiniden der Wall der abendländischen Christenheit gegen die nach Unterwerfung Nordafrikas und der Pyrenäenhalbinsel eindringenden, unter dem Zeichen des Halbmondes kämpfenden Araber zu werden. Durch die Unterwerfung und Bekehrung der Sachsen, sowie eine Reihe anderer glücklicher Kriege erweiterte Karl der Große das Frankenreich zu einer ganz Mitteleuropa umspannenden Universalmonarchie, in der die Mitwelt die Wiederaufrichtung des alten römischen, nunmehr aber auf christlicher Grundlage ruhenden Imperatorenreiches, das irdische Abbild des himmlischen Gottesreiches sah. In ihm trachtete der große Herrscher alles, was von der antiken

Kultur die Stürme der Völkerwanderung überlebt hatte, mit der volkstümlichen Kraft der germanischen Stämme zu vermählen. Aber der Drang der Nationalitäten zerfällte es schon nach wenigen Menschenaltern in seine Bestandteile, Westfranken, Ostfranken oder Deutschland, Italien, und damit beginnt die Entwickelung der modernen Nationalstaaten, während gleichzeitig der nördlichste Zweig der Germanen, die Nordmannen, aus kühnen Seeräubern zu Staatengründern in entlegenen Ländern, in Britannien, Rußland, Unteritalien wurden. Die ausschließliche innere Form der westeuropäischen Staaten wurde, die altgermanische Gemeinfreiheit allmählich vollständig aufsaugend, die Lehensmonarchie mit ihren zahllosen Abstufungen von Lehensherren und Lebensträgern.

So tief wurzelte jedoch die Vorstellung von dem zu ewiger Fortdauer bestimmten römischen Kaiserreiche, daß die Erneuerung der römischen Kaiserwürde durch Otto den Großen und ihre bleibende Verbindung mit der deutschitalienischen Krone ihr die Bedeutung einer wenn auch nur ideellen Vorherrschaft über alle anderen abendländischen Reiche verlieh. Was dagegen der weltlichen Macht nicht gelungen, die Begründung des Gottesreiches auf Erden, das erfaßte das zu universellem Ansehen emporgestiegene und von der kirchlichen Begeisterung des Zeitalters getragene Papsttum als seinen Beruf, namentlich seitdem die ganze Christenheit zur Befreiung des heiligen Grabes aus den Händen der Ungläubigen sich unter das Banner der Kirche geschart hatte. Aus dem doppelten Anspruch auf die höchste Gewalt entsprang notwendigerweise der grundsäßliche und darum erbitterte Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum. Während es den übrigen Nationen vergönnt blieb, sich ohne Störung von außen ihrer inneren Ausbildung zu widmen, verzehrte das deutsche Königtum seine beste Kraft in dem immer von neuem entbrennenden Kampfe gegen das Papsttum und das mit demselben verbündete Nationalgefühl der Italiener, während jene sich zu nationalen Monarchien zusammenschlossen, erlag dieses mehr und mehr der steigenden Macht der Vasallen, bis mit dem Untergange des glänzenden Herrschergeschlechtes der Staufer sich die Auflösung der Reichseinheit, der Verfall seiner Macht entschied. Nur gedieh auch dem Papsttum sein Sieg nicht zum Segen. Wie es selbst, das sich doch göttlicher Einsetzung vermaß, verfiel auch die Kirche einer so tiefen Entartung, daß selbst die ernstesten Bemühungen derselben zu steuern nur die Gebrechen an ihrem Leibe bloßzulegen, nicht mehr sie zu heilen vermochten. Und dies geschah zu derselben Zeit, wo in den Geistern der Menschen sich ein mächtiger Umschwung vollzog, der sie von den hergebrachten Vorstellungen, von dem kindlichen Vertrauen auf die Unfehlbarkeit der Tradition losriß und sie mit neuen Anschauungen erfüllte. Eine Reihe großer Erfindungen, kühner Entdeckungen öffneten den Blick in ungeahnte Bereiche menschlichen Wissens und lehrten vieles von dem, was bisher als unumstößliche Wahrheit gegolten, als Irrtum verachten, das Einströmen überseeischer Reichtümer verminderte den Wert des Grundbesizes zu gunsten des beweglichen Vermögens und erseßte die bisherige Naturalwirtschaft mehr und mehr durch die des Kapitals, das neubelebte Studium

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des klassischen Altertums weckte im Gegensatz zu der lediglich auf die Bewahrheitung des Dogmas gerichteten Scholastik den Begriff echter, vorausseßungsloser Wissenschaft, im Gegensatz zu der von der Kirche geforderten Askese den Sinn für das rein Menschliche und das wahrhaft Schöne, neben den Wissenschaften feierten die bildenden Künste ein Zeitalter herrlichster Blüte, selbst der Staat änderte seine Form, nur daß anderwärts aus dem Verfall des Lehenswesens die Königsgewalt gestärkt hervorging, im deutschen Reiche dagegen die großen Vasallen selbst zu einer fast völlig selbständigen Fürstenmacht gelangten.

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So wandelte sich das Bestehende aber Veraltete auf allen Gebieten und es sanken damit die Stüßen, welche den stolzen Bau der mittelalterlichen Kirche getragen hatten. Sie, die längst aufgehört hatte, das religiöse Bedürfnis des Menschenherzens zu befriedigen, die sich unfähig erwiesen hatte, sich aus sich selbst heraus zu läutern, mußte sich gefallen lassen, daß die von Millionen bewußt oder unbewußt ersehnte Reformation nunmehr gegen sie ins Werk gesezt wurde. Deutschland ward ihre Wiege, in Luther erstand der rechte Mann, der, der Göttlichkeit seiner Sache gewiß, den von ihm nicht gewollten, ihm von der Gegenseite aufgedrungenen Kampf wider den römischen Antichrist" furchtlos aufnahm und, begünstigt durch die Zeitverhältnisse, das Ringen Franz' I. gegen die habsburgische Übermacht, die Türkengefahr, die lediglich auf weltliche Machterweiterung gerichtete Politik der Päpste, siegreich durchführte und damit der Welt das unschäßbare Gut der Geistesfreiheit zurückeroberte. Da aber war es das Verhängnis des deutschen Volkes, daß es in diesem Zeitpunkte seiner höchsten geistigen und sittlichen Erhebung in dem Ausländer Karl V. ein Oberhaupt hatte, das, ohne jedes Verständnis für diese Erhebung, nur in den Ideen und den Interessen seiner ungeheuren Weltmacht lebte und sich mit dem Papste zur Unterdrückung der Keßerei verband. Mißlang auch dieser Versuch, so ging doch darüber dem deutschen Volke die Möglichkeit seiner nationalen Verjüngung verloren. Meist unter heftigen inneren Erschütterungen riß im ganzen und großen der germanische Teil Europas sich von der Herrschaft des päpstlichen Stuhles los, während die Romanen an der ihrer Phantasie besser zusagenden alten Kirche festhielten. Fortan blieb der Protestantismus der Boden für die Weiterentwickelung des menschlichen Geistes.

Allein obgleich sich die Reformation behauptete, kam sie doch weder innerlich noch nach außen vollständig zum Durchbruch. Die Glaubensfreudigkeit und -Innigkeit, aus der sie entsprungen, wichen dem erbitterten Gezänk der Theologen, welches die Protestanten tiefer unter sich selbst als von den Altgläubigen spaltete. Zugleich aber erhob sich die römische Kirche, die schon gänzlichem Untergange verfallen geschienen, unter Leitung des Jesuitenordens und des von ihm mit monarchischer Machtfülle bekleideten aber auch von ihm beherrschten Papsttums zu neuem Leben, so daß sie unternehmen konnte, nicht nur die Fortschritte des Protestantismus zu hemmen, sondern selbst das verlorene Gebiet zurückzuerobern. Der finstere Philipp II. von Spanien lieh ihr sein.

Aug. Weltgefch. XII.

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