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Thätigkeit des Pariser Kongresses.

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des Krieges zur See befolgte Praxis zum völkerrechtlichen Prinzip erhob in den vier Säßen: die Kaperei ist und bleibt abgeschafft, die neutrale Flagge deckt selbst Feindesgut mit Ausnahme der Kriegskontrebande, neutrales Gut, mit Ausnahme von Kontrebande, unterliegt unter feindlicher Flagge nicht der Wegnahme, eine Blockade muß, um verbindlich zu sein, thatsächlich vorhanden sein. Spanien, Mexiko und aus formellen Gründen die Vereinigten Staaten waren die einzigen, welche diesen Bestimmungen nicht beitraten. Der seltsame Versuch des Königs von Preußen, hier auch die neuenburger Sache zur Sprache zu bringen, führte nur zu dem beschämenden Resultate, daß von keiner Seite auch nur mit einem Worte darauf eingegangen wurde.

So vielseitig gestaltete sich die Thätigkeit des Pariser Kongresses. Nur von der Angelegenheit, welche scheinbar den Anlaß zum Kriege gegeben hatte, der der heiligen Stätten, war mit keiner Silbe die Rede. Noch vor Schluß des Kongresses hatten aber England, Frankreich und Österreich einen besonderen, vorläufig geheimen Vertrag geschlossen, in welchem sie, zum ferneren Schuße der Türkei, das gemeinschaftliche Verfahren festseßten, welches jede Verletzung des Pariser Friedens ihrerseits zur Folge haben würde. Eine solche Verbindung, wenn auch nur für einen bestimmten Zweck geschlossen, schien Österreich vor dem Verdachte der Vereinsamung zu schüßen und ihm einen moralischen Rückhalt zu geben. Denn bedenklich geworden durch Cavours unterirdische Arbeit, befiel den Grafen Buol nachgerade die Angst, es könne gleichzeitig im Norden und Osten der Rache Rußlands und im Süden der italienischen Revolution ausgesetzt sein. Als dieser Vertrag durch Vorlegung im englischen Parlamente bekannt wurde, diente er nur dazu, die Erbitterung Rußlands zu vermehren.

Drittes Kapitel.

Gußland, England und der Orient.

Die erlittene Demütigung wurde in Rußland um so tiefer empfunden, je maßloser die Machtansprüche des Kaisers Nikolaus gewesen waren. Es zeigte sich auch sofort, daß die besiegte Macht durchaus nicht geneigt war, den Frieden ehrlich und treu auszuführen. Nicht nur griff sie, bauend auf die Lockerung des englisch-französischen Bündnisses, alle irgend zweifelhaften Punkte auf, um sich den nachteiligen Folgen desselben möglichst zu entziehen, sie scheute sich selbst nicht, ihn geradezu zu verleßen. Anstatt Kars einfach zu räumen, hielt Murawiew es besetzt und verließ es erst, nachdem er die Festungswerke zerstört hatte. In dem abzutretenden Bessarabien schleiften die Russen die Festungen Ismail und Reni, verkauften überall die öffentlichen Gebäude und verzögerten die Grenzregulierung. Den Hauptstein des Anstoßes bildete bei dieser der Ort Bolgrad, südlich von welchem die neue von dem Kongreß gezogene Grenze gehen sollte. Die Russen behaupteten, es sei darunter das einige Meilen südlicher gelegene Neu-Bolgrad zu verstehen, durch dessen Besit ihnen die schiffbare Verbindung mit der Donau erhalten geblieben wäre. Einen weiteren Zankapfel bildete die vor den Donaumündungen liegende Schlangeninsel. Nach langem Streit einigte man sich, November 1856, über eine Wiederberufung des Pariser Kongresses und dieser sprach Bolgrad der Moldau zu, wogegen Rußland durch ein anderes Stück von Bessarabien entschädigt wurde.

In der Hauptsache waltete aber in Petersburg die Erkenntnis vor, daß Rußland fürs erste auf jede energische Politik nach außen zu verzichten habe, um nicht bloß den ungeheuern, durch den lezten Krieg verursachten Kräfteverlust zu erseyen sondern auch die Entwicklung nachzuholen, welche unter der Gewaltherrschaft des verstorbenen Zaren ein Menschenalter hindurch stillgestanden hatte und künstlich zurückgedrängt worden war. „Rußland schmollt nicht, es sammelt sich“, mit diesen Worten kündigte Fürst Al. Gortschakow, der bisherige Gesandte in Wien, der im April 1856 an Nesselrodes Stelle die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übernommen hatte, den fremden Höfen diese Wendung an. Die Verminderung des Heeres, der Erlaß der Rekrutierung auf vier Jahr bürgten für die Aufrichtigkeit seiner friedlichen

Bolgrad. Rußlands Inneres.

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Gesinnung. Die Hebung der materiellen Wohlfahrt lag dem friedliebenden Charakter des Kaisers Alexander näher als die Sucht nach dem Ruhme auswärtiger Machterweiterung. Die Zerrüttung des Staatshaushaltes schrieb sich schon aus der Zeit vor dem Krimkriege her. Nach einem vergeblichen Versuche, die Silberwährung wieder herzustellen, hatte die Regierung 1843 zu dem letzten Rettungsmittel, dem förmlichen Staatsbankrott gegriffen, indem sie die Bankassignaten ganz außer Kurs sezte und die davon vorhandenen 5954/5 Millionen gegen neukreierte und mit Zwangskurs versehene Reichsbank

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billets im Betrage von 1701/, Millionen einlöste. Seitdem aber der Finanzminister im Jahre 1855 ermächtigt worden war, alle außerordentlichen Kriegskosten durch zeitweilige Emissionen von Kreditbillets zu decken, welche der Staat sich verpflichtete, spätestens drei Jahre nach dem Frieden wieder einzulösen, hatte die Geschäftswelt alle übersicht über die umlaufende Masse des Papiergeldes verloren. Weitere außerordentliche Ausgaben machten sich zur Abhilfe der durch den Krieg herbeigeführten Notstände notwendig. Der Grundbesig war entwertet, die Hälfte desselben bei den Kreditbanken verpfändet. Die Staatsschuld belief sich auf 1520 Millionen. Im Jahre 1859 wurden die Kapitalien der verschiedenen Kreditanstalten, die Depofiten der Behörden, Wohlthätigkeitsanstalten, Kirchen und Stiftungen, selbst die der prozessierenden

Parteien zur Verfügung des Finanzministers gestellt und die seit 1862 verfügte Veröffentlichung des Staatsbudgets genügte nur denen, die den Glauben an die Richtigkeit seiner Ziffern besaßen.

Auch auf dem geistigen Leben lagerte seit 1825 ein dumpfer Bann. Die früher übliche Erziehung der jungen Russen von Stande im Auslande, der dauernde Aufenthalt außer Landes wurden eingeschränkt. Der Adel gelangte zu Ehre und Ansehen nur, insoweit er in die Beamtenhierarchie eintrat, zu den höchsten Staatsämtern wurden nicht die Fähigsten, sondern diejenigen berufen, die am besten die Kunst verstanden, den Schein unbedingter Unterordnung unter den persönlichen Willen des Zaren zu bewahren. Das Wesen des Dienstes ging auf in der Sorge für kleinliche Äußerlichkeiten oder in polizeilichem Überwachungssystem, der mächtigste Beamte war der Chef der dritten Abteilung, von welchem dasselbe ausging. Der Schrecken über die Revolution des Westens gab dem Kaiser im Jahre 1849 den Plan ein, die seit langem als Herde der liberalen Ideen verdächtigen Universitäten seines Reichs außer Dorpat und Helsingfors sämtlich aufzuheben und durch militärisch zugeschnittene, räumlich von einander getrennte Fachschulen zu ersehen. Die vollständige Durchführung unterblieb zwar, wenigstens aber wurden die Universitäten den strengsten Beschränkungen der Lehr- und Lernfreiheit unterworfen, zu Kuratoren ihnen brutale und unwissende Generale bestellt, das Studium der Philosophie in die Hände orthodoxer Geistlichen gelegt, die Zahl der Studierenden an jeder Universität auf 300 beschränkt, die unteren Stände vom akademischen Studium so gut wie ausgeschlossen. Systematisch schien alles, was zu den wissenschaftlich Gebildeten gehörte, zum Haß gegen das Regierungssystem erzogen zu werden. Hand in Hand mit der Russifizierung der übrigen Nationalitäten ging die systematische Bekehrung der Protestanten und Katholiken zur orthodoxen Kirche, mit welcher sich 1840, einfach auf kaiserlichen Befehl, auch die griechisch-unierte vereinigen mußte.

Die Überzeugung von der Unhaltbarkeit dieses Systems, verbunden mit wahrhaft humaner Gesinnung, waren für Kaiser Alexander die Triebfedern, um in dasselbe reformierend einzugreifen. Die Ersehung des unter der vorigen Regierung als Chef der dritten Abteilung allmächtigen Fürsten Al. Orlow, der unzählige Russen, unter ihnen Al. Herzen, zu Revolutionären gemacht hatte, durch den als gemäßigt geltenden Dolgoruki nahm wie einen Alp von dem Reiche, die starre Absperrung gegen das Ausland hörte auf, die über die Universitäten verhängten Maßregeln wurden zurückgenommen, die Zensur gestattete der Presse eine seit langem nicht mehr gekannte Freiheit der Meinungsäußerung, zahlreichen nach Sibirien „Verschickten" wurde die Rückkehr erlaubt, der Bau von Eisenbahnen, dem Nikolaus sich soviel wie möglich widersett hatte, gefördert, die städtischen Verwaltungen organisiert, selbst eine neue Gerichtsverfassung mit Geschworenen eingeführt. Reformen", hatte der Kaiser bei der Krönung in Moskau seinem Adel zugerufen, „müssen von oben ausgehen, wenn man nicht will, daß sie von unten kommen." Diejenige, welche

Rußland unter Kaiser Alexander II.

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er bei diesen Worten vornehmlich im Auge hatte, war zugleich die schwierigste und unausweichlichste von allen, die Aufhebung der Leibeigenschaft.

Eine gefeßliche Einrichtung war die Leibeigenschaft in Rußland zuerst unter Peter d. Großen geworden, aber erst Katharina II. erweiterte sie zu einer allgemeinen durch Ausdehnung auch auf diejenigen Gebietsteile, in welchen sie bisher, wie z. B. in Kleinrußland, nur vereinzelt bestanden hatte. Aber die schweren Nachteile derselben machten sich so rasch fühlbar, daß bereits unter Alexander I. Beratungen über Aufhebung der Leibeigenschaft, freilich ohne Erfolg, gepflogen wurden. Auch Nikolaus war nichts weniger als ihr Freund, schon darum nicht, weil sie dem Adel wenigstens eine gewisse Unabhängigkeit von der Krone verlieh. Verschiedene geheime Komitees beschäftigten sich mit der Lage der Bauern. Durch die Bestimmung, daß Leibeigene in Strafsachen eidliches Zeugnis ablegen könnten, wurde ihnen wieder Persönlichkeit zuerkannt, 1842 ihnen das Recht Verträge abzuschließen verliehen, im Jahre 1847 das noch wichtigere, im Falle öffentlicher Versteigerung eines Gutes wegen Schulden des Gutsherrn als Käufer aufzutreten und dadurch frei und Grundeigentümer zu werden. Lezteres wurde jedoch im folgenden Jahre zurückgenommen und die Scheu des Kaisers vor der Öffentlichkeit, in der er etwas revolutionäres sah, und die doch allein den Widerstand des Adels hätte überwinden können, schloß jede durchgreifende Maßregel aus. Im ganzen blieb die Lage der Leibeigenen eine sehr drückende und nur langsam nahm die Zahl der freien Bauern durch Freilassungen zu und der Ausbruch des Krimkrieges brachte die Angelegenheit gänzlich ins Stocken. Und doch sollte gerade dieser den unmittelbaren Anstoß zur endgültigen Aufhebung der Leibeigenschaft geben, Da die Aushebung den leibeigenen Rekruten zum Freien machte, hatte man, um den Adel durch häufigere Aushebungen nicht wirtschaftlich zu tief zu schädigen, die Dienstzeit auf 25 Jahre verlängert, ein System, welches eine Kriegsreserve unmöglich machte, und diese war in dem lehten Kriege auf das schmerzlichste vermißt worden. Eine der ersten Reformen daher, welche der neue Kriegsminister Miljutin im Heerwesen einführte, bestand in der Herabsezung der Dienstzeit auf sieben Jahre, und diese machte die Leibeigenschaft unhaltbar. Im Januar 1857 begann ein neues geheimes Komitee unter persönlichem Vorsiz des Kaisers die Beratungen über die zu ergreifenden Maßregeln, aber dank dem Verschleppungssystem, auf welches die Anhänger des Alten sich verlegten, rückten die Arbeiten nur sehr langsam vorwärts. Der Adel der einzelnen Gouvernements, der ebenfalls gehört werden sollte, teilte sich fast überall in eine ablehnende Mehrheit und eine zustimmende Minderheit. Wenigstens verlangte er für das ihm zugemutete materielle Opfer eine Entschädigung in Gestalt von politischen Rechten. Aber der Kaiser ließ sich nicht irre machen. Im Jahre 1858 erfolgte die Freilassung der 800 000 Kron- oder Reichsbauern und die Einschränkung der gutsherrlichen Befugnisse über die herrschaftlichen Leibeigenen. Ihren Abschluß erhielt das große Befreiungswerk durch den Ukas vom 3. März 1861. Derselbe schuf nach einem zweijährigen Über

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