Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

sein würde, denn dann stünde die Reichsregierung erst recht machtlos gewissermaßen in der Luft; es würden eben Minister sein, die in keinem Einzelstaate eine bestimmte Wurzel hätten, das Reich würde also dadurch nicht gestärkt, sondern nur geschwächt werden. Da ferner der Bundesrat dadurch in seiner Stellung und seinem Einflusse eine schwere Einbuße erleiden müsse, so würden die Einzelregierungen dem Plane schwerlich beistimmen; man dürfe aber nicht verkennen, daß das Reich wesentlich ein föderatives Gebilde sei und die Fortschritte, die es gemacht, nur durch freie Zustimmung der Einzelregierungen hätten erzielt werden können; wenn diese nicht größere seien, so liege das hauptsächlich an dem durch und durch partikularistischen Wesen der Nation.

Zu der immer engeren und freundlicheren Gestaltung der Beziehungen zwischen dem Kaiserhause und den anderen deutschen Fürstenhäusern trug auch die Anknüpfung neuer verwandtschaftlicher Bande das ihre bei. Um die noch immer schmollenden Schleswig-Holsteiner mit der Einverleibung in Preußen auszusöhnen, konnte kein glücklicheres Mittel gedacht werden als die Vermählung des ältesten kaiserlichen Enkels, des Prinzen Wilhelm, mit der Prinzeß Augusta Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, wodurch die Tochter des 1864 beiseite geschobenen Herzogs Friedrichs VIII. zur künftigen Kaiserin erhoben wurde. Die finanzielle Schadloshaltung des schleswig-Holsteinschen Fürstenhauses wurde gegen Verzicht auf alle Erbansprüche 1885 geregelt. Der jüngere Kaiserenkel, Prinz Heinrich, führte die Prinzeß Irene von Hessen heim und diese Vermählung löste die Spannung mit einem Fürstenhause, das von allen am schwersten sich in die neuen Verhältnisse eingewöhnen konnte. Selbst mit dem Hause Nassau-Oranien bahnte sich eine Aussöhnung an, indem ein anderer Enkel des Kaisers, der badische Erbgroßherzog Friedrich Wilhelm, die Tochter des depoffedierten Herzogs Adolf, Hilda, zur Gattin wählte. Einen anderen Stein des Anstoßes räumte 18. Oktober 1884 der Tod des 78 jährigen Herzogs Wilhelm von Braunschweig hinweg, mit welchem die braunschweigische Linie der Welfen erlosch. Der Abstammung nach war sein nächster Erbe der Herzog Ernst August von Cumberland, der in Gmunden Hof hielt. War es jedoch fraglich, ob nicht zugleich mit der Annexion Hannovers dieses Erbrecht auf die Krone Preußen übergegangen sei, so hatte sich außerdem der Herzog durch die unterm 11. Juli 1878 an alle Souveräne gerichtete Erklärung, daß infolge des Todes seines Vaters alle Rechte und Titel, welche diesem zugestanden, kraft der Erbfolge auf ihn übergegangen seien, und durch die damit ausgedrückte Nichtanerkennung der Annexion Hannovers unmöglich gemacht. Um daher für den Fall seines Ablebens eine gesetzliche Regierung zu hinterlassen, hatte Herzog Wilhelm 1879 mit den Landständen ein Regentschaftsgesetz vereinbart, wonach für den Fall, daß der erbberechtigte Thronfolger am Regierungsantritt verhindert sein sollte, ein Regentschaftsrat die Regierung übernehmen und die Landesversammlung auf dessen Vorschlag einen Regenten aus den nichtregierenden deutschen Prinzen wählen, die Militärhoheit auf den Kaiser übergehen

Die braunschweigische Erbfolge.

533

sollte. Ehe jedoch auf die Nachricht vom Tode des Herzogs der Regentschaftsrat unter Graf Görz-Wrisberg zusammentreten konnte, hatte bereits General von Hilgers, Kommandeur der 40. Infanteriebrigade, in Braunschweig eine Proklamation anheften lassen, daß der Kaiser ihm den Oberbefehl über die braunschweigigen Truppen übertragen habe und daß das Reich die Frage

[graphic][merged small]

zu prüfen haben werde, wer als Landesherr folgen solle. Durch dieses rasche Handeln war allen welfischen Agitationen im Lande der Boden entzogen. Cumberland erließ zwar, jedenfalls von Windthorst inspiriert, ein Patent an seine nunmehrigen Unterthanen", in welchem er die Besißnahme des Herzogtums und den Antritt seiner Regierung anzeigte; es verhallte jedoch völlig wirkungslos und der Bundesrat sprach auf Antrag des Reichskanzlers

nur gegen die Stimmen von Mecklenburg-Streliß und Reuß ä. L. die Überzeugung aus, daß die Regierung des Herzogs von Cumberland über Braunschweig mit dem innern Frieden und der Sicherheit des Reiches nicht verträglich sei. Für die welfische Sache war es ein nicht zu verwindender Schlag, als Graf Görg im Landtage sich veranlaßt sah, zwei Briefe des Herzogs Ernst August zu produzieren, den einen vom 14. Januar 1879 an den Herzog Wilhelm gerichtet, in welchem er im Fall seiner Berufung zur Regierung des Herzogtums es für seine Pflicht erklärte, diese Regierung in derjenigen Rechtslage anzutreten, in welcher sich dieselbe zur Zeit des Anfalls befinde, also unter Anerkennung des Herzogtums als eines Gliedes des deutschen Reiches, den anderen, jenem abschriftlich beigelegten, an die Königin Viktoria von England vom 18. September 1878, in welchem er seine Ansprüche auf Hannover auch für den Fall der Thronfolge in Braunschweig voll und unumwunden aufrecht erhielt. Mit dieser Doppelzüngigkeit hatte der von Jesuiten und Jesuitenfreunden mißleitete Fürst seine politische Rolle ausgespielt. Er mußte sich mit dem ihm von seinem Oheim hinterlassenen großen Privatvermögen begnügen. Seine schlesischen Fideikommiß- und Allodialgüter hatte der Verstorbene dem Könige von Sachsen vermacht, das Thronlehen Öls fiel an die Krone Preußen zurück.

Wie ein Nachhall früherer Zeiten mutete es an, daß auch ein englischer Prinz, der Herzog von Cambridge, als Agnat Ansprüche auf die Regent. schaft, eventuell auf die Thronfolge in Braunschweig erhob unter dem naiven Vorbehalt seiner Stellung als englischer General und seines dauernden Wohnsizes in England; natürlich ohne jeden praktischen Erfolg. Nach Ablauf des für die Dauer des Regentschaftsrates gesezmäßig bestimmten Jahres wählte der braunschweigische Landtag 21. Oktober 1885 an Stelle des anfangs in Aussicht genommenen Prinzen Reuß, welcher ablehnte, den Prinzen Albrecht von Preußen, einen Neffen des Kaisers, zum Regenten, indem auch er gleichzeitig gegen zwei Stimmen die Thronfolge Cumberlands für ausgeschlossen erklärte. Im folgenden Jahre brachte eine Militärkonvention des Herzogtums mit Preußen den ganzen Zwischenfall zum Abschluß.

18

Von dem Fluche

Drittes Kapitel.

Der Kulturkampf.

der politischen Zersplitterung hatten die Kriege von 1866 und 1870 das deutsche Volk erlöst. Aber in demselben Augenblicke, wo es sich anschickte, eine nationale Einheit wieder herzustellen, erwachte auch der andere Fluch, der seit dem sechzehnten Jahrhundert auf ihm lastete, die konfessionelle Spaltung, wieder und legte sich wie ein Reif auf den sprossenden Frühling des nationalen Lebens.

Von Feindschaft gegen die katholische Kirche war die preußische Regierung nach wie vor so fern wie möglich. In einem Ministerrate am 2. Februar 1870, welcher sich mit den das Jahr vorher gegen das Kloster zu Moabit vorgefallenen Ausschreitungen beschäftigte, warnte Bismarc eindringlich vor jeder Abweichung von dem Grundsaße Friedrichs des Großen, daß jedermann in Preußen nach seiner Façon selig werden könne, welche das Vertrauen der Katholiken in die Freiheit und Sicherheit ihres Kultus erschüttern könne; die acht Millionen preußische Katholiken hätten sich 1848 und 1866 als treue Unterthanen bewährt, eine Erschütterung ihres Vertrauens würde ein Nachteil für die Dynastie sein, die Mitglieder einer bedrückten oder Bedrückung besorgenden Kirche ließen sich leicht fanatisieren. Diesem Grundsaße getreu versagte er sich auch jeder Maßregel zur Gegenwehr gegen die Beschlüsse des Vatikanum und der Glückwunsch, den Papst Pius IX. 6. März 1871 dem Kaiser auf die Anzeige von der Aufrichtung des deutschen Reiches sendete, schien auch für friedfertige Gesinnung auf der Gegenseite zu sprechen. Aber der Schein trog. Früher, solange neben Preußen zwei katholische Hauptmächte vorhanden waren, von denen jede einzeln für die katholische Kirche eine stärkere Basis zu sein schien als Preußen, hatte man in diesem Staate einen vollkommenen konfessionellen Frieden gehabt. Er wurde schon bedenklich und angefochten, nachdem die Macht, welche in Deutschland den eigentlichen Hort des römischen Einflusses bildete, im Kriege unterlag. Als auch die zweite katholische Hauptmacht denselben Weg ging und Deutschland die größte Shwerkraft in der politischen Wage wurde, ohne unter einer katholischen Dynastie zu stehen, verloren die Ultramontanen die Ruhe vollständig. Bereits am 1. Oktober 1870 sprach Bischof Ketteler von Mainz in einem Schreiben an den Bundeskanzler Befürchtungen für den

"

religiösen Frieden Deutschlands aus; denn infolge der Niederlagen des katholischen Frankreichs fürchte das katholische Deutschland, es solle protestantisch gemacht werden, wenn ihm nicht durch Aufnahme der Kirchenartikel der preußischen Verfassung in die neue Reichsverfassung Bürgschaften dafür gegeben würden, daß es katholisch bleiben dürfe. Am 8. November überreichte Erzbischof Ledochowski von Posen in Versailles eine Adresse, welche den König Wilhelm vermögen sollte, sein Ansehen für die Wiederherstellung des Kirchenstaates und die Befreiung des Heiligen Vaters aus seiner Gefangenschaft aufzubieten. Da das seltsame Begehren, bei welchem die Frage, ob denn die Römer selbst die päpstliche Herrschaft zurücksehnten, ganz außer Betracht blieb, nicht die gewünschte Zusage erhielt, begann ohne Verzug die Mobilmachung der ultramontanen Partei gegen den preußischen Staat.“ Bei den Landtagswahlen im November 1870 entfaltete sie eine noch nicht dagewesene Rührigkeit. Jeder von ihr aufzustellende Kandidat mußte sich verpflichten, einer besonderen katholischen Fraktion beizutreten, deren logische Folge doch die Bildung auch einer evangelischen Partei hätte sein müssen, und noch war das Jahr nicht zu Ende, als sich in Preußen die ersten Konflikte zwischen der Staatsgewalt und der römischen Kirche ankündigten. Professoren der Bonner und der Breslauer Universität, denen wegen Nichtannahme des Unfehlbarkeitsdogmas die Ausübung ihres Amtes untersagt worden war, einige Pfarrer und Gymnasiallehrer, die aus ähnlichem Grunde mit geistlichen Strafen belegt worden waren, riefen den Schuß der Regierung an und Kultusminister von Mühler konnte nicht umhin, daran zu erinnern, daß in den Statuten der Universität Bonn den Lehrern eine Norm für die Ausübung ihres Amtes gegeben sei, welche ohne Zustimmung des Staates nicht verändert werden könne, daß nach denselben Statuten eine bischöfliche Zurechtweisung von Mitgliedern der katholisch-theologischen Fakultät, auch in ihrer Eigenschaft als katholische Geistliche, nur mit Vorwissen des Staates eintreten dürfe. Mit Beziehung auf eine am 18. Februar von 57 preußischen Abgeordneten an den Kaiser Wilhelm gerichtete Bitte, er möge sein kaiserliches Amt durch eine glorreiche That, die Wiederherstellung der weltlichen Souveränität des Papstes, einweihen, enthielt die Thronrede bei Eröffnung des ersten Reichstages am 21. März die bezeichnenden Worte: „Der Geist, welcher in dem deutschen Volke lebt und seine Bildung und Gesittung durchdringt, nicht minder die Verfassung des Reiches und seine Heereseinrichtungen bewahren Deutschland inmitten seiner Erfolge vor jeder Versuchung zum Mißbrauche seiner, durch seine Einigung gewonnenen Kraft. Die Achtung, welche Deutschland für seine eigene Selbständigkeit in Anspruch nimmt, zollt es bereitwillig der Unabhängigkeit aller anderen Staaten und Völker, der schwachen wie der starken." In gleichem Sinne, nur noch deutlicher, drückte sich der Entwurf der Antwortsadresse des Reichstages aus: „Die schweren Drangsale, die Frankreich heute erduldet, bekräftigen die oft, doch niemals straflos verkannte Wahrheit, daß selbst die mächtigste Nation nur in der

1

I

« ZurückWeiter »