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Erstes Kapitel.

Die Blütezeit der Reaktion in Deutschland seit 1851.

Von gleicher Heftigkeit wie die Erschütterung, welche Deutschland durch die Revolution von 1848 erlitten hatte, war auch der Rückschlag, der nach ihrer Bewältigung eintrat. Überall hatte die Reaktion freien Spielraum, überall entwickelte sie einen leidenschaftlichen Eifer, die Spuren der verabscheuungswürdigen demokratischen Tendenzen auszutilgen, die vormärzlichen Zustände wieder herzustellen und gegen jede etwaige Wiederkehr revolutionärer Anwandlungen sichere Schußwehren aufzuwerfen. Unter Führung der beiden in dieser Beziehung vollkommen einträchtigen Vormächte ging darin der wiederhergestellte Bundestag den Einzelregierungen mit gutem Beispiele voran. In Gemäßheit des zwischen ihnen getroffenen Übereinkommens sollte derselbe seine Thätigkeit in erster Linie einesteils auf die Beseitigung der mit den Grundgeseßen. des Bundes nicht in Einklang stehenden Verfassungen und Landesgeseße, andernteils auf die Einschränkung der atheistischen, antimonarchischen, sozialistischen und kommunistischen Presse erstrecken. Ein sogenannter politischer Ausschuß wurde mit der Vorbereitung der erforderlichen Maßregeln beauftragt und auf Grund des von ihm erstatteten Berichtes stellte die Bundesversammlung am 6. und 13. Juli 1851 allgemeine Normen für die Behandlung der Presse und die Regelung des Vereinswesens auf, den Einzelregierungen anheimstellend, nach Bedürfnis noch eingreifendere Anordnungen zu treffen. Die Aufhebung der Grundrechte begleitete sie am 23. August mit dem ausdrücklichen Vorbehalte, bei mangelnder Willfährigkeit der Einzelregierungen nötigenfalls selbst die dazu erforderlichen Maßregeln zu ergreifen.

Nur wenige Bundesregierungen, und zwar nur von den kleineren, hatten den Willen und den Mut, sich von dieser Hochflut der Reaktion nicht mit fortreißen zu lassen. Am treuesten blieb auch jezt Herzog Ernst II. von Sachsen-Koburg den Grundsäßen, die er bereits vor 1848 bekannt und seitdem in seinem Ländchen verwirklicht hatte; nächst ihm zeigten auch die Regierungen von Sachsen-Weimar, Braunschweig, Meiningen, Oldenburg redliches Bestreben, durch Verständigung mit ihren Landesvertretungen das an den neuen Verfassungen Brauchbare zu bewahren. Um so größer war der entgegengesezte Eifer in den übrigen Bundesstaaten und das Ruhebedürfnis,

der Widerwille gegen allen politischen Lärm, der nach dem Fehlschlag der Bewegung um sich gegriffen hatte, lähmten die Widerstandskraft der Bevölkerungen. In Bayern bedurfte das Ministerium v. d. Pfordten keines Verfassungsbruches, um in die Bahnen der Reaktion einzulenken. Die sächsische Regierung ließ sichs ganz gern gefallen, daß die reaktivierten alten Stände die ihnen vorgelegte Verfassungsreform verwarfen, und sezte dieselben darauf, dank einer seltsamen Rechtsfiktion, wieder in dauernde Wirksamkeit. Die Entseßung der deutschgesinnten Professoren M. Haupt, D. Jahn und Th. Mommsen beraubte die Universität Leipzig ihrer besten wissenschaftlichen Kräfte und bald war es so weit, daß die Regierung selbst sich genötigt sah, dem Übereifer der ritterschaftlichen Abgeordneten nach Wiederherstellung ihrer Feudalrechte einigen Zügel anzulegen. Auch in Württemberg trat die alte Verfassung von 1819 wieder in Kraft. In Hannover stießen die Zurückforderungen der Ritterschaft bei König Ernst August selbst auf Widerstand, der die sonst so gehaßten Demokraten, soweit sie ihn von den großen Vorrechten des Adels befreiten, gar nicht so übel zu finden gelernt hatte. Als ihm aber 18. November 1851 sein blinder Sohn Georg V. gefolgt war, wurde der Andrang der Feudalaristokratie unwiderstehlich. Der Bundestag erklärte die Beschwerde der Ritterschaft gegen die Verfassung von 1848 für begründet und nach einigen vergeblichen Anläufen fand sich auch ein Ministerium v. Borries, welches sich der Wiederherstellung der Verfassung von 1840 und der Ausmerzung der vom Bundestag angefochtenen Bestimmungen unterzog (4. August 1855). Die Staatsbeamten wurden königliche Diener, den Ständen verblieb statt der Bewilligung des Ausgabebudgets nur das Recht der Prüfung, der Eid auf die Verfassung wurde beseitigt. Im übrigen wurde Hannover wiederum, was es vor 1848 gewesen, das gelobte Land des Junkertums. In Hessen-Darmstadt vernichtete von Dalwigk, der boshafteste unter den mittelstaatlichen Ministern, die Gemeindeautonomie, konnte aber doch nicht hindern, daß die zweite Kammer, obgleich durch das oktroyierte Wahlgesetz vom 6. September 1856 gezähmt, sich schließlich in heftiger Opposition gegen die von ihm verübte Preisgabe staatlicher Rechte an die katholische Kirche erhob. Für Kurhessen sette der Bundestagsbeschluß vom 27. März 1852 die Verfassung von 1831 nebst ihren späteren Abänderungen außer Wirksamkeit, worauf Hassenpflug am 13. April eine provisorische Verfassung oktroyierte. Troßdem aber gelang es ihm nicht, sich eine gefügige Kammer zu schaffen und am 16. Oktober 1856 mußte er, ein Gegenstand des allgemeinen Hasses, zurücktreten, ohne sein Ziel erreicht zu haben. Einen vollständigen Triumph feierte dagegen die mecklen= burgische Ritterschaft. Nachdem sie die Intervention des Frankfurter Interims angerufen, mußte sich der Großherzog, obgleich er das neue Staatsgrundgesetz vom 11. Oktober 1849 feierlich beschworen, dem aus dem Preußen Göße, dem Hannoveraner von Scheele und dem Sachsen von Langenn gebildeten Freienwalder Schiedsgerichte unterwerfen. Der Spruch desselben fiel zu gunsten der Ritterschaft aus (11. September 1850), die Verfassung wurde aufgehoben

Reaktion in Deutschland seit 1851.

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und das alte krause Feudalwesen mit der Dreigeteiltheit in Landesherrschaft, Ritterschaft und Städte blühte wieder wie zuvor in Gemäßheit des Erbvergleichs von 1765, unbekümmert darum, daß die dem städtischen Gewerbe bereiteten Hemmnisse, sowie der auf dem Bauern- und Tagelöhnerstande lastende gutsherrliche Druck eine erschreckend starke Auswanderung und Rückgang der Bevölkerungsziffer zur Folge hatte.

Auch in Preußen eröffnete die reaktionäre Partei einen zähen und hartnäckigen Kampf gegen die junge Verfassung. Bis Ende 1851 hatte sie bereits nicht weniger als siebzehn Veränderungen derselben beantragt und für die Mehrzahl die Zustimmung der Regierung erlangt. Aus Wien fehlte es nicht an Aufmunterung an den König, es zu machen wie Kaiser Franz Josef, und die ganze Verfassung über den Haufen zu werfen, und die Feudalen bauten auf den durch die Sturmjahre nicht verminderten Abscheu des Königs gegen allen Konstitutionalismus die Hoffnung, ihn wirklich zum Verfassungsbruche treiben zu können; es kam nur darauf an, ihn seinem Gewissen mundgerecht zu machen, und dazu wurde mit boshafter Schlauheit ein förmlicher Feldzugsplan in tiefstem Geheimnis entworfen. Man sprach von einer ungeschriebenen Verfassung, die älter sei als die geschriebene und darum über dieser stehe. Zuvörderst sollten die Kammern zu einer Reihe einschneidender Verfassungsänderungen vermocht werden; seien diese erreicht, so würde sich die Notwendigkeit einer neuen Redaktion der Verfassung herausstellen, und dies sei die Gelegenheit, fie in einen königlichen Freibrief umzuwandeln, kraft dessen dann der König befugt sein würde, alle mißliebigen Einrichtungen und Gesetze zu beseitigen, alle Begehren der Feudalen zu erfüllen. So sehr aber den König die in diesen Plan geschickt eingeflochtene Rückbildung in seine altständischen Ideen ansprach, so war ihm doch angesichts seines auf die Verfassung geleisteten Eides dabei nicht recht geheuer. Sehr gegen die Absicht der Urheber schickte er den Entwurf durch den Kabinettsrat M. Niebuhr an Bunsen nach London, um dessen Rat zu vernehmen. Sein Gewissen, versicherte er dem alten Freunde, lasse keine Deutung seines Gelöbnisses zu; dessenungeachtet und seine Treue nicht antastend stehe in ihm die volle und feste Überzeugung, daß der Ausdruck des modernen Konstitutionalismus in der Verfassungsurkunde Preußens Tod werden müsse. Bunsen war tief erschrocken, zu sehen, in welche Wege den König seine Umgebung hineinzuziehen suche, den teuren König mit vollen Zügen aus einem Becher trinken zu sehen, der schon so vielen Fürsten gefährlich geworden und den keiner ungestraft trinke. Doch täuschte ihn seine Zuversicht, daß diese Pläne an der Gewissenhaftigkeit des Königs selbst und dem treuen Rate des Prinzen von Preußen scheitern würden, nicht. Friedrich Wilhelm lehnte diese Hinterrücksaufhebung der Verfassung ab. Aber was unter Beibehaltung derselben geschehen konnte, um das konstitutionelle System wieder dem altständischen zu nähern, das geschah; das kleine Häuflein der Liberalen war bei aller Tapferkeit unvermögend, den übermächtigen Ansturm aufzuhalten. Von ihren Führern gab einer nach

dem anderen den aussichtslosen Kampf auf. Wie wenig es den Feudalen um die Stärkung der Krone, sondern nur um die ihres eigenen Einflusses zu thun war, erfuhr der König, als man Hand an die Umgestaltung der ersten Kammer legte, für die ihm nach dem noch geltenden Geseze von 1848 nur die Ernennung von höchstens zehn Mitgliedern auf Lebenszeit zustand. Als der König auf Wegfall dieser Bestimmung drang, spieen die Junker Feuer und Flamme, weil sie fürchteten, dabei zu kurz zu kommen; aber der König blieb standhaft und drang schließlich durch. Durch das Gesez vom 7. Mai 1853 wurde unter Aufhebung des die Bildung der ersten Kammer betreffenden Artikels der revidierten Verfassung die künftige Zusammensetzung derselben aus erbberechtigten und lebenslänglichen Mitgliedern der Krone überlassen. An Stelle der ersten Kammer rief hierauf die Verordnung vom 12. Oktober 1854 ein Herrenhaus ins Leben, in welchem drei Klassen von Mitgliedern zu unterscheiden waren: 1) die großjährigen Prinzen des königlichen Hauses, 2) die erblichen Mitglieder, nämlich die Häupter der fürstlichen Häuser Hohenzollern-Hechingen und -Sigmaringen, sowie die der mediatisierten Häuser und die übrigen durch die Verordnung vom 3. Februar 1847 zur Herrenkurie des Vereinigten Landtags berufenen Fürsten, Grafen und Herren oder später zu berufende, 3) die vom Könige auf Lebenszeit berufenen, nämlich die Inhaber der vier großen Landesämter im Königreich Preußen, andere aus besonderem Vertrauen berufene, aus denen auch die Kronsyndici bestellt werden sollten, und die dem Könige von gewissen Körperschaften, z. B. von dem alten und befestigten Grundbesig oder von den größeren Städten präsentierten.

Dennoch hatte der Adel keine Ursache sich zu beklagen, er erfuhr in allen Stücken ausgiebige Vergünstigung. Gegen den ausdrücklichen Wortlaut der Verfassung wurde (durch Gesetz vom 5. Januar 1852) die Errichtung von Fideikommissen gestattet, die auf dem Grundsaße der Selbstverwaltung ruhende Gemeindeordnung von 1850 wiederaufgehoben, die gutsherrliche Polizei auf dem Lande, die Kreis- und die Provinziallandtage, auf denen der Adel das unbedingte Übergewicht besaß, wieder hergestellt. Innerhalb des Ministeriums hatte das Restaurationsbestreben des grundbesißenden Adels seine Hauptstüße an dem Minister des Inneren von Westphalen, das kirchlich strenggläubige Element an dem Kultusminister von Raumer, die Bureaukratie verkörperte der Ministerpräsident von Manteuffel. Wo ihre Ziele zusammenfielen, verbanden sich alle drei zur strengsten Überwachung jeder oppositionellen Regung. Nicht bloß die Verwaltung, auch die Rechtspflege wurde in den Parteidienst der Reaktion gestellt. Der Prozeß Ladendorf, ein Seitenstück zu dem gegen Waldeck, lieferte den beschämenden Beweis, daß die niedrigste Spionage, Angeberei und falsches Zeugnis von der herrschenden Partei nicht verschmäht würden als Waffen gegen die verhaßten Liberalen. Und doch hinderte diese Enthüllung nicht, daß derselbe Mensch, der hier zugleich den Anstifter und Denunzianten der angeblichen Verschwörung gespielt hatte, nachher in Mecklenburg wieder als Werkzeug diente, um in einem langjährigen Hochverrats

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