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Annäherung der beiden Zollsysteme sollten als Übergang zum vollständigen Zollanschluß dienen. In einer Denkschrift vom 30. Mai 1850 entrollte der Handelsminister von Bruck das verführerische Bild eines einheitlich geleiteten mitteleuropäischen Handelskörpers mit 70 Millionen Seelen, der die Zukunft der verbündeten Staaten auf dem Grunde ihrer politisch-materiellen Solidarität in einer Weise sichern würde, wie die bisherigen Einrichtungen dies nicht vermocht hätten. Die Hauptsache dabei war jedoch der politische Hintergedanke. Was Metternich ehedem nur in gelegentlichen und vorübergehenden Anläufen versucht hatte, das nahm jezt Schwarzenberg mit ganz anderer Kraft auf, um Preußens Selbständigkeit auch auf dem materiellen Felde ein Ende zu machen, es auch auf diesem dem von Österreich geleiteten Bundestage zu unterwerfen.

In Berlin durchschaute man diese Absicht vollkommen; aber die augenblickliche Bedrängnis Preußens zwang behutsam aufzutreten. Es wurden Unterhandlungen eingeleitet, die zu keinem Ziele führten. Als Abschlagszahlung, nur um Zeit zu gewinnen, wurde am 5. April ein deutsch-österreichischer Postverein abgeschlossen. Aber in Wien wurde man ungeduldig. Schwarzenberg verlangte, daß auf der bevorstehenden Zollkonferenz zu Kassel die österreichischen Vorschläge zur Verhandlung gestellt würden, und schon da würde der Angriff der Mittelstaaten gegen Preußen begonnen haben, wenn sie im stande gewesen wären, sich untereinander zu verständigen. Man kam nur zu dem Beschlusse, Preußen im Verein mit Bayern und Sachsen die Einleitung von Vorverhandlungen mit Österreich zu übertragen. Einen zweiten Angriff schlug Preußen auf den Dresdner Konferenzen ab, jedoch ohne dadurch seine Gegner von der Wiederholung desselben abzuschrecken. Kaum wieder in Thätigkeit gesezt, wählte die Bundesversammlung am 10. Juli 1851 einen handelspolitischen Ausschuß, der die auf jenen Konferenzen unerledigt gebliebenen einschlagenden Fragen prüfen, thatsächlich aber das Werkzeug werden sollte, die Leitung des Zollvereins Preußen aus den Händen zu winden und zur Bundesangelegenheit zu machen. Kaum ein Jahr nach Olmüz standen sich die alten Tendenzen des österreichischen Großdeutschlands, der preußischen Union und der mittelstaatlichen Trias, nur in etwas veränderter Form, wieder gegenüber.

Die Gefahr für Preußen war im Steigen. Zu dem politischen Gegensat gesellte sich der wirtschaftliche des schutzöllnerischen Südens gegen den freihändlerischen Norden. Auf der Zollkonferenz zu Wiesbaden im Juni 1851 erklärten sich Bayern, Württemberg, Sachsen, beide Hessen u. a. für die österreichischen Anerbietungen und für den Eintritt dieses Staates in den Zollverein vom 1. Januar 1859 an. Zum Glück für Preußen erlosch mit Brucks Rücktritt, 23. Mai, der eigentlich treibende Geist in der Verfolgung des österreichischen Planes. Troßdem galt es rasch und kräftig zu handeln. Der Gedanke lag nahe, den bisher noch nicht zum Zollverein gehörigen Norden, vor allem Hannover zu gewinnen, keineswegs bloß um die zu bewachende

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Grenze um ein Bedeutendes zu verkürzen, sondern vornehmlich um den territorialen Zusammenhang zwischen den beiden Hälften des eigenen Staates herzustellen und dadurch für den äußersten Fall unabhängig vom Süden zu

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werden. Der Versuch gelang über Erwarten. Die Regierung von Hannover verschloß sich nicht der Einsicht, daß der schon durch den Abfall Braunschweigs erheblich geschwächte Steuerverein mit seinen niedrigen Zoll- und Steuersäßen fich den gesteigerten Staatsbedürfnissen gegenüber nicht aufrecht erhalten lasse,

der Anschluß an den Zollverein dagegen sehr bedeutende Vorteile in Aussicht stelle. Aber gewißigt durch die früheren Erfahrungen, bedeckte Preußen die Verhandlungen mit dem tiefsten Geheimnis, ja es bedachte sich sogar nicht, eine schroffe und seine Bundesgenossen verlegende Form zu wählen, um zum Ziele zu kommen. Ohne Vorwissen derselben schloß es am 7. September 1851 mit Hannover einen Vertrag, durch welchen dieses sich verpflichtete, mit den noch beitretenden Staaten des Steuervereins vom 1. Januar 1854 an in einen gemeinschaftlichen Zollverband mit Preußen und den alsdann mit diesem zollvereinten Staaten zu treten. Dagegen bewilligte Preußen Hannover mit Rücksicht auf dessen erheblichen Mehrverbrauch von Kolonialwaren ein bedeutendes Präcipuum an den gemeinsamen Zolleinnahmen. Erst nachträglich lud es sämtliche bisherige Zollvereinsstaaten auf April 1852 zu einer Konferenz nach Berlin, um auf Grundlage des Vertrags mit Hannover, dem dann noch Oldenburg und Bückeburg beitraten, einen neuen Zollverein abzuschließen. Am 11. November ließ es die formelle Kündigung des Zollvereins folgen.

Es war der einzige Weg, durch eine vollendete Thatsache endlosen Spezialberatungen und gefährlichen Ränken einen Riegel vorzuschieben. Eben darum aber erfaßte eine unbeschreibliche Bestürzung die Mittelstaaten über diesen sie mit einemmale mattseßenden Gegenzug, über diese ihrer souveränen Würde angethane Rücksichtslosigkeit. Gleich ihnen sah auch Österreich in den unverhältnismäßigen Opfern, welche Preußen in dem Septembervertrage ge= bracht hatte, den besten Beweis, daß es sich dabei weniger um die kommerzielle als um die politische Bedeutung handle, und war entschlossen, alles daran zu sezen, damit es nicht in noch schrofferer Weise, als früher vom Zollverein, von einer neuen, das ganze übrige Deutschland umfassenden Korporation ausgeschlossen werde. In dem Schrecken der Mittelstaaten glaubte das Wiener Kabinett das rechte Mittel zu besigen, um Preußens Pläne zu durchkreuzen und mit denselben einen eigenen Zollverein zu gründen. Es lud sämtliche deutsche Staaten zu Konferenzen nach Wien auf Januar 1852 behufs Beratung über einen engen Handelsvertrag sowie über Festsetzung der Garantien für das dereinstige Zustandekommen einer deutsch-österreichischen Zoll- und Handelseinigung. Allein Preußen lehnte die Teilnahme ab, bevor nicht der Zollverein neu konstituiert sei und schrieb zur Beratung über leßteres seinerseits eine Konferenz nach Berlin aus. Darum unbekümmert nahm die Wiener Konferenz ihren Fortgang und beschloß tapfer darauf los, daß die Zolleinigung mit Österreich 1859 ins Leben treten solle. Es war also auf einen Zollverein mit Österreich ohne Preußen, falls dieses, wie vorauszusehen, ablehnen würde, abgesehen. Weiter aber rückten die Wiener Besprechungen so wenig von der Stelle, wie die von Österreich nebenher eingeleiteten geheimen Verhandlungen. Was die mittelstaatlichen Politiker ersehnten, war im Grunde gar nicht ein Zollverein mit Österreich ohne Preußen, der sie nur in den Fall gebracht hätte, den Herrn zu wechseln, sondern eine Zolleinigung mit beiden Mächten, die ihnen gestattet hätte, das im Bundestag geübte Schaukelsystem auch auf

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jene zu übertragen. Die schweren Nachteile, die durch eine solche Wendung den materiellen Interessen ihrer Bevölkerungen zugefügt wurden, wogen bei ihnen leichter als der politische Gewinn, den sie sich davon versprachen. In einer Konferenz zu Darmstadt kamen die sechs Mittelstaaten (außer Baden) am 5. April zu einer Verständigung darüber, daß sie in Wien das Schlußprotokoll über den Handelsvertrag und die künftige Zolleinigung mit Österreich unterzeichnen und sofort bei Eröffnung der Berliner Konferenz auf die Zuziehung Österreichs dringen, solange aber diese nicht stattgefunden, den Zollverein nicht erneuern wollten. Sie verpflichteten sich zweitens, nur unter allseitiger Zustimmung mit andern Staaten Zoll- und Handelsverträge einzugehen, dafern aber vor Ablauf des Jahres 1853 kein solcher zu stande käme, den Zollverein für sich allein fortzusehen, endlich eine Modifikation des in Wien entworfenen Vertrags dahin anzustreben, daß Österreich ihnen ihre bisherigen Zolleinkünfte garantiere, wogegen sie sich verpflichteten, keine Verlängerung des Zollvereins mit Preußen vor dem 1. Januar 1853 einzugehen, sofern nicht früher eine Verständigung zwischen Österreich und dem Zollverein zu stande gekommen wäre. Der Stein des Anstoßes bei der Sache war nur die Wertlosigkeit jener Garantie für ihre vollen zeitherigen Zolleinnahmen von seiten Österreichs, solange dessen eigene Finanzen und Valuta sich in trostlosester Zerrüttung befanden. Diese schloß jede Verwirklichung der aufgestellten Idee aus; dieselbe erschien also nur als eine Demonstration, ein Schreckschuß, als eine Kraftprobe auf Preußens Geduld, und wirkten daher auf lezteres eher als eine Aufforderung zur Standhaftigkeit.

Die Darmstädter, in Stuttgart weiter gesponnenen Abmachungen, welche vorläufig geheim bleiben sollten, wurden durch eine wohl absichtliche Indiskretion vorzeitig in Berlin bekannt und verschärften dort die gereizte Stimmung. Preußen lehnte dieselben rundweg ab und erklärte die Annahme des Septembervertrages sowie die Zustimmung dazu, daß die Unterhandlungen mit Österreich erst nach erfolgter Rekonstruktion des Zollvereins eröffnet würden, als Vorbedingung für die Wiederaufnahme der Verhandlungen. Als jene nicht darauf eingingen, brach es, 17. September, die Konferenzen ab, erklärte fortan nur noch mit den einzelnen Staaten auf Grund seines lezten Anerbietens unterhandeln zu wollen und erneuerte, 16. November, den Zollverein nur mit Braunschweig, den thüringischen Staaten und dem Steuerverein. Es war der Höhepunkt der Krisis. Wenngleich die in München versammelten mittelstaatlichen Minister auf Betrieb des Sachsen von Beust den Mund abermals möglichst voll nahmen, machte sich doch das Bedürfnis des Einlenkens auf allen Seiten fühlbar. Angesichts der großen Gefahr einer Zerreißung des seit zwanzig Jahren in großartiger Entwickelung stehenden Zollvereins bemächtigte sich eine stetig wachsende Beunruhigung der Bevölkerung; am unbegreiflichsten mußte die Stellungnahme des industriell hochentwickelten, seinen ganzen wirtschaftlichen Interessen nach mit dem Zollverein aufs engste verknüpften Sachsens jedem erscheinen, der nicht durchschaute, daß es Beust nur darauf ankam, sich

Österreich gefällig zu zeigen, um sich dafür der Unterstützung desselben gegen Preußen zu versichern. In Wien ließ jezt die europäische Gesamtlage die Freundschaft Preußens doch wertvoller erscheinen als die der Darmstädter Verbündeten, mit denen ohne jenes doch kein Zollverein zu erreichen war. Aber auch Preußen wurde inne, daß dem Fundament seines neuen Systems, dem Septembervertrage, nicht allzusehr zu trauen sei, da sich in Hannover bedenkliche Symptome eines Gesinnungswechsels zeigten. Es that den ersten Schritt der Annäherung, indem es sich erbot, sich direkt, unter Ausschluß der Darmstädter, mit Österreich zu verständigen, und unbedenklich gab dieses sofort den Verbündeten den Laufpaß mit der Eröffnung, sie möchten nur ganz frei nach ihren Interessen handeln. Am 17. Februar 1853 fand in Berlin die Unterzeichnung des Handelsvertrags mit Österreich statt, durch welchen einer Anzahl Waren im beiderseitigen Verkehr besondere Erleichterungen gewährt wurden. Am 4. April erfolgte die Erneuerung des erweiterten Zollvereins auf zwölf Jahre. Wenn troßdem zu Wien am 22. Februar ein auf den 17. zurückdatierter eventueller österreichisch-mittelstaatlicher Zollverein abgeschlossen wurde, so war das nichts als eine dürftige Verhüllung der erlittenen Niederlage. Denn der Sieg war voll und ganz auf Seite Preußens; es hatte die anderen gezwungen, sich auf die von ihm gestellten Bedingungen wieder zu einigen. Wenn es auch darauf verzichtete, nach Bismarcks Rat als eigentliches Siegeszeichen einen oder den anderen der feindlichen Koalitionsminister, Dalwigt oder Beust, zu beseitigen, zumal es doch nicht unbedenklich scheine, diese in den Zollverein zu übernehmen wie Ungeziefer in das Haus, so hatte es doch jezt in dem 9046 Meilen mit fast 33 Millionen Bewohnern umfassenden Zollvereine die materielle Verkörperung der deutschen Einheit geschaffen. Die mittelstaatlichen Regierungen dagegen hatten durch ihr frevelhaft leichtsinniges Spiel vor den Augen der ganzen Nation dargethan, daß die dynastischen Interessen ihnen höher stünden als die Wohlfahrt des Volkes, und zum Dank dafür von Österreich die beschämende Lehre empfangen, daß sie ganz unvermögend seien, für sich allein irgend etwas zu stande zu bringen.

Um die nämliche Zeit that Preußen noch einen anderen, durch dieses Zusammentreffen doppelt bedeutenden Schritt vorwärts. Es sezte den Fuß wieder auf die Nordseeküste, von der es durch die Preisgabe Ostfrieslands verdrängt worden war; freilich nur auf eine winzige Scholle, indem es, 20. Juli 1853, von Oldenburg einen kleinen, später noch etwas erweiterten Streifen Landes am Jadebusen zur Anlegung eines Kriegshafens erwarb, nicht ohne Protest Hannovers.

Schwarzenberg hatte diesen Ausgang nicht mehr erlebt; ein Schlagflußz hatte ihn am 4. April 1852 plöglich hinweggerafft.

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