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Der Friede von Tientsin hatte jedoch nur sehr kurzer Bestand. Als die Vertreter Englands und Frankreichs sich zur Auswechselung der Ratifikationen nach Peking begeben wollten, sahen sie sich an der Mündung des Peiho durch die wiederhergestellten Takuforts den Weg versperrt, deren Befehlshaber erklärten, ohne Weisung wegen Durchlassung der Gesandten zu sein. Sie erboten sich zwar, dieselbe aus Peking einzuholen, da aber Admiral Hope dies nur für eine der gewöhnlichen chinesischen Ausflüchte hielt, so versuchte er die Einfahrt mit Gewalt zu erzwingen, wurde jedoch zurückgeschlagen. Troßdem bezeigte die englische Regierung wenig Lust, schon wieder zum Äußersten zu greifen, sie gab aber dem Drängen Kaiser Napoleons nach, der begierig war, sowohl der Welt einen abermaligen Beweis von der Festigkeit seiner Allianz mit England als auch seinem Klerus durch Beschüßung der religiösen Interessen eine Genugthuung, dem Sensationsbedürfnisse seines Volkes eine neue Nahrung zu geben. Am 30. August 1860 bemächtigten sich die Verbündeten, ohne einen Schuß zu thun, der Takuforts, nahmen dann nach hartnäckigem Kampfe die auf dem linken Flußufer gelegenen, worauf die übrigen sich ergaben, und fuhren nunmehr ungehindert bis Tientsin hinauf. Ein Mandarin erster Klasse fand sich hier ein, die Friedenspräliminarien wurden festgestellt, plöglich aber verschwand der Unterhändler; das Ganze war nur eine List gewesen, um dem Obergeneral San-ko-li-tsin Zeit zur Vorbereitung der Gegenwehr zu verschaffen. Die Nähe des Winters gebot Eile, die verbündeten Generale entschlossen sich auf Peking zu marschieren. Unterwegs kamen ihnen Prinz Tsai und der Kriegsminister Khung entgegen, abermals nur um Zeit zu gewinnen. Von sechs Engländern und zwölf Franzosen, die verräterischerweise in die Hände der Chinesen gefallen waren, wurden die einen ermordet, die anderen unmenschlich gemißhandelt. Den Weitermarsch sahen sich die Verbündeten durch 50 000 Tataren verlegt. Der sich entspinnende Kampf endigte mit der vollständigen Niederlage der Feinde. Aber auch diese entmutigte die Chinesen noch nicht. An der über den Kanal führenden Brücke bei Palikao wurden die Verbündeten nochmals von ungeheuren Massen tatarischer Reiterei angefallen, die nur mit Luntenflinten oder selbst nur mit Bogen bewaffnet waren und ohne jede Kriegskunst kämpften. Auch diese wurden geworfen und nun stand der Weg nach Peking offen. Prinz Kong, des Kaisers jüngerer Bruder, erschien mit der Bitte um Einstellung der Feindseligkeiten, da aber die Chinesen die sofortige Freilassung der Gefangenen verweigerten, ohne Erfolg. Zum erstenmale betrat der Fuß von Europäern die Hauptstadt des Himmlischen Reiches, welche die Phantasie bisher über Gebühr vergrößert hatte. Sie fanden sie ebenso wie den kaiserlichen Palast verlassen. Die von dem französischen Obergeneral Montauban seinen Leuten erteilte Erlaubnis, sich aus lezterem ein Andenken mitzunehmen, artete in die schmachvollste Plünderung der prächtigen, mit Kostbarkeiten aller Art angefüllten Gebäude aus. Den Sommerpalast Yuen-Ming-Yuen mit allen seinen unerseßlichen Schäßen übergab Lord Elgin zur Sühne für die grausame Behandlung der

Gefangenen den Flammen. Troßdem begann die Lage der Verbündeten, denen der in die Mandschurei geflohene Kaiserhof unerreichbar war, mißlich zu werden, als, dank den Bemühungen des Prinzen Kong und der Vermittelung des russischen Gesandten Ignatiew, am 25. Oktober 1860 der Friede zu stande kam. Derselbe sprach den europäischen Mächten das Recht zu, Gesandte in Peking zu halten, öffnete Tientsin und andere Städte dem Handel, gewährte eine Kriegsentschädigung von acht Millionen Taëls (= 48 Millionen Mark), gab die Auswanderung aus China frei und trat das Gebiet von Cu-lun an England ab. Da kurze Zeit darauf, August 1861, der Kaiser Hienfong starb, so gab Prinz Kong, welcher für seinen unmündigen Neffen die Regentschaft führte, durch die jüngsten Erfahrungen belehrt, das altchinesische System der Absperrung auf und schloß auch mit anderen Staaten, mit Preußen im Namen des Zollvereins (14. Januar 1863), mit Spanien, Portugal und Dänemark Handelsverträge ab. Die Westmächte liehen sogar dem Regenten ihre bewaffnete Unterstüßung zur Bewältigung des Taipingaufstandes.

So widerwillig im ganzen das Volk und Beamtentum Chinas dieser großen Wandelung folgten, so war doch damit die epochemachende Thatsache der Öffnung Ostasiens, seiner Einbeziehung in den allgemeinen Weltverkehr vollzogen. Bereitwilliger unterwarf sich derselben, nachdem sie einmal unvermeidlich geworden, das benachbarte Inselreich Japan.

Das göttliche, zur Erde herabgestiegene Oberhaupt des Reiches, der Mikado oder Tenno, entstammte einer bis ins siebente vorchristliche Jahrhundert zurückreichenden Dynastie, der älstesten der ganzen Welt, und übte seine Herrschergewalt hauptsächlich durch den Kronfeldherrn, den Shogun oder Taikun, neben welchem sich allmählich die Feudalaristokratie der Daimios ausbildete. Nachdem jedoch im zwölften Jahrhundert mehrere dieser Fürsten einen verunglückten Versuch gemacht hatten, die weltliche Herrschaft an sich zu reißen, wurde die Macht des Mikado von dem mit der Zeit erblich gewordenen Shogun zu einem leeren Schatten herabgedrückt, seine Person in unnahbarer Abgeschlossenheit gehalten. Der Verkehr mit den Nachbarländern und die Einwanderung aus denselben war bis Ende des 16. Jahrhunderts frei; auch die Einführung des Christentums, zuerst durch verschlagene Portugiesen, dann durch die Missionsthätigkeit der Jesuiten, fand kein Hindernis, selbst von den Daimios nahmen mehrere die Taufe. Nachdem jedoch der 1582 durch Adoption zur Würde des Shogun gelangte Bauernsohn Hideyosi, der sich später Taikosama, d. i. unumschränkter Herrscher, nannte, eine Empörung des Daimios, die sich vorzugsweise auf die Christen stüßte, zu bekämpfen gehabt hatte, verhing er nicht bloß gegen diese die grausamste Verfolgung, sondern verschloß auch das Reich für immer allen Ausländern mit alleiniger Ausnahme der Chinesen, denen jedoch, wie später auch den Holländern, der Zutritt nur an einigen wenigen Punkten und auch da nur unter den lästigsten Beschränkungen verstattet blieb. Den Eingeborenen war bei Todesstrafe verboten, das Land zu verlassen. Eine Wandlung trat

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in diesem Zustande vollständiger Absperrung erst ein, als die Vereinigten Staaten durch die Erwerbung Kaliforniens und das rasche Aufblühen von San Franzisko ein unmittelbares Interesse gewannen, westwärts Handelsverbindungen anzuknüpfen und namentlich auch für ihre Walfischfahrer Zufluchtshäfen an der japanischen Küste zu finden. Sie waren daher die ersten, welche Bresche in denselben legten. Ihr Commodore Perry nötigte dem Shogun den Vertrag vom 31. März 1854 ab, durch welchen die Vereinigten Staaten das Recht erhielten, in den Häfen Hakodade und Simoda Holz, Wasser und Lebensmittel einzunehmen, Handel zu treiben und Konsuln zu halten; Vergünstigungen, die bald erweitert und auch auf die übrigen seefahrenden Nationen ausgedehnt wurden. Eine japanische Gesandtschaft besuchte Paris und London. Auch hier erzeugte jedoch die Plöglichkeit dieses Umschwunges eine heftige Reaktion. Der Fremdenhaß der Daimios machte sich nicht nur in Gewaltthätigkeiten gegen die Ausländer Luft, für welche dann von diesen strenge Repressalien geübt wurden, sie wendeten sich auch gegen den Shogun, dessen Ansehen im Gedränge zwischen den Kanonen der Seemächte und der Unzufriedenheit des Volkes immer mehr verblaßt war. Im Jahre 1866 kam es zum offenen Bürgerkriege und dieser endigte 1868 mit der völligen Aufhebung des Shogunats und der Rückgabe der Regierungsgewalt an den Mikado, der seine Residenz nach Jedo, von nun an Tokio genannt, verlegte. Zugleich aber wurde die Aristokratie der Daimios gebrochen und von da an lenkte Japan, den einzigen Aufstand von Satsuma im Jahre 1877 abgerechnet, stetig und mit einer die Welt in Staunen seßenden Energie in die Bahnen der so lange ferngehaltenen europäischen Kultur ein.

Diertes Kapitel.

Napoléon III. und die Begründung der Einheit Italiens.

Der Krimkrieg war der höchste Triumph des zweiten Kaiserreiches. Napoleon III. hatte den Franzosen den so lange schmerzlich entbehrten Waffenruhm zurückgegeben und Europa den Frieden diktiert. Die Geburt eines Sohnes versprach seiner Dynastie Dauer. Das Drakel, welches die politische Welt bisher aus Petersburg geholt hatte, wurde jezt in Paris befragt; dort liefen die Fäden der europäischen Politik zusammen. Der Besuch des Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen, des Bräutigams der englischen Prinzeß Viktoria, am Kaiserhofe im Dezember 1856 gab das Zeichen zu einer förmlichen Pilgerfahrt regierender und prinzlicher Herren nach den Tuilerien und die alten Dynastien wetteiferten in Artigkeiten gegen den neuen Machthaber. Zur Zeit der Weltausstellung entfaltete das Kaiserreich seinen höchsten Glanz; Tag für Tag gab es Revuen auf dem Marsfelde oder Feste in den Tuilerien. Die Taufe des kaiserlichen Prinzen wurde mit verschwenderischer Pracht gefeiert; der Legat, der den Papst Pius IX. als Paten vertrat, überbrachte der Kaiserin die geweihte goldene Rose.

Im Innern erschien die neue Herrschaft unerschütterlich fest begründet; eine ihrer stärksten Stüßen bildete der Klerus. Wie dieser die Präsidentenwahl Ludwig Napoleons unterstüßt, so hatte er auch alle Mittel, über die er verfügte, in den Dienst des Staatsstreiches gestellt, den Erwählten als den neuen Konstantin und Karl den Großen gefeiert. Das Falloursche Unterrichtsgesetz von 1850 hatte dem Bunde beider die Weihe gegeben, und wenn dasselbe auch nachher Abänderungen erlitt, durch welche der Einfluß des Klerus zu gunsten desjenigen der Präfekten Einschränkungen erfuhr, so blieb jenem doch noch immer ein großer Spielraum, um seine Herrschaft über die Geister auszudehnen. Auf der Salette in der Dauphiné erschien die Jungfrau Hirtenkindern, der Ort wurde das Ziel von Wallfahrten. Die am Tage Mariä Geburt gelungene Eroberung des Malakow schrieben ultramontane Bischöfe der besonderen Huld der Mutter Gottes zu und der Kaiser bewilligte einen Teil der in Sebastopol erbeuteten Kanonen zu einem Kolossalstandbilde . derselben, welches das Zeugnis von dem Bunde zwischen Kaiserreich und Kirche bis zu den Wolken tragen sollte. Als am 3. Januar 1857 der Erzbischof Sibour von Paris in der Kirche St. Etienne durch einen entlassenen

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