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Er sollte bald erfahren, wie vielen Grund er zu diesen Mahnungen gehabt hatte.

Was die Raschheit der parlamentarischen Arbeit betraf, so entspann sich zunächst eine lange Verhandlung, ob nicht die provisorisch angenommene Geschäftsordnung vor jeder andern Thätigkeit im Einzelnen erwogen und endgültig festgestellt werden müsse, was mindestens mehrere Wochen gekostet hätte. Es war hauptsächlich Georg Vincke's Verdienst, daß diese Verschleppung abgelehnt, und die provisorische Geschäftsordnung kurzer Hand zur definitiven gemacht wurde. Dann aber erhob sich am 6. März neuer Streit über die Frage, ob der Verfassungsentwurf sofort im vollen Hause berathen, oder zunächst einem Ausschusse zu gründlicher Vorprüfung überwiesen werden solle. Es war die demokratische Partei, welche mit großem Eifer das leztere Verfahren begehrte. Niemals, rief Waldeck, habe man eine Verfassung in anderer Weise berathen, als durch eine Commission, immerhin möge man eine kurze allgemeine Berathung im ganzen Hause Statt finden lassen; dann aber werde die Verweisung des Entwurfs an eine Commission um so unvermeidlicher sein, als in aller Geschichte kaum ein so abnormes Erzeugniß wie diese Verfassung vorgekommen sei; sie bilde ein Mittelding zwischen Verfassung und Vertrag, zwischen Bundesacte und Bundesverfassung oder Bundesstaatsverfassung, und bedrohe durch verschiedene Artikel das errungene verfassungsmäßige Leben in Deutschland mit vollständiger Auflösung; hier also müsse in der allergründlichsten und genauesten Weise vorgegangen werden. Er erhielt nur die kurze Antwort, daß gerade bei der Theilnahme aller Mitglieder die Prüfung umfassender und vielseitiger sein würde, als bei ihrer Vornahme durch einen Ausschuß, und sofort

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Allgemeine Vorberathung der Verfassung.

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wurde nach dem Antrage des Präsidenten folgendes Verfahren beschlossen: zuerst eine allgemeine Besprechung des Entwurfs, dann eine Specialberathung der einzelnen Artikel, endlich die definitive Beschlußfassung, alles im gesammten Hause. Der Geschäftsordnung entsprechend konnte darauf die allgemeine Verhandlung am 9. März beginnen, zwei Wochen nach der Eröffnung der Versammlung.

Diese allgemeine Vorberathung füllte vier Sitzungen, bis zum 13. März. Sie erhielt ihr eigenthümliches Gepräge durch den Umstand, daß in ihr zwei Principienkämpfe neben einander hergingen und sich unaufhörlich kreuzten, da dieselben Parteien in dem einen der Regierungsvorlage widersprachen, in dem andern sie unterstüßten oder noch überboten. Es handelte sich um die beiden Hauptfragen, um die Sicherung sowohl der Einheit als der Freiheit, oder genauer gesagt, um die Rechte der künftigen Bundesgewalt gegenüber den Einzelstaaten, und innerhalb dieser Bundesgewalt um die Rechte der Volksvertretung gegenüber den verbündeten Regierungen. Während über die lettere Frage Conservative, Liberale und Demokraten in festen Gruppen ihre Kräfte maaßen, schlossen sich bei der erstern die verschiedensten Elemente zusammen, auf der einen Seite gemäßigte und radicale Unitarier, auf der andern demokratische, feudale und klerikale Particularisten. Dazwischen wurden auf der preußischen Linken bittere Erinnerungen aus ihrem eben geschlossenen Verfassungsstreit wirksam, während katholische Redner ihrem Schmerze über die Abtrennung von Österreich Ausdruck gaben, und Polen und Dänen überhaupt mit einem deutschen Bundesstaat nichts zu schaffen haben wollten. Wenigstens einige Hauptvertreter der verschiedenen Richtungen wollen wir hier in ihren

Erörterungen begleiten: es werden uns dann die Kräfte und Motive des Widerstandes, allmählich aber auch die Punkte anschaulich werden, an welchen die Ansammlung einer regierungsfreundlichen Majorität sich erreichbar zeigte.

Die Verhandlung eröffnete mit einer ausführlichen Redc der Abgeordnete Twesten, einer der Führer der preußischen Nationalliberalen, ein ebenso liebenswürdiger wie achtungswerther Mann, fest in seinen liberalen Grundsäßen, aber ohne doctrinäre Steifigkeit, stets bereit, auf die Forderungen der praktischen Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen, frei von persönlicher Verbitterung durch die früher durchlebten Kämpfe. Nicht ohne Sorge gestand er, an die Prüfung der Vorlage heran zu treten. Er befürchtete, daß unausbleibliche Reibungen zwischen der Bundesgewalt und der preußischen Regierung die Wirksamkeit der Verfassung, sowie daß Zerwürfnisse zwischen dem Reichstag und dem preußischen Landtag die Lebenskraft des parlamentarischen Systems lähmen könnten. Dennoch aber wolle er loyal auf den Entwurf eingehn: denn etwas müsse zu Stande kommen. Preußens ungeheuere Erfolge hätten dafür den Boden geschaffen, und der Entwurf scheine für Norddeutschland der augenblicklichen Lage zu entsprechen, sowie auch eine enge Vereinigung mit dem Süden zu ermöglichen, welcher sich einer strafferen Centralgewalt schwerlich unterwerfen würde. Nichts aber sei wichtiger als die baldige Vereinigung mit dem Süden, für unsere Kultur im Innern, für unsere Sicherheit nach Außen, da wir nur zu gut wissen, welche feindselige Nachbarn unser Aufstreben bedrohn.

Dann erkennt der Redner an, daß der Entwurf eine starke Bundesregierung liefere, wenn auch das Wort an feiner

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Twesten begehrt volles Budgetrecht des Reichstags. 55 Stelle vorkomme. Dies führt ihn zu der Forderung, daß zwar die Centralgewalt Kraft und Freiheit der Bewegung haben müsse, um den Bund mit Entschiedenheit zu leiten, daß aber nichts in die Verfassung hineinkommen dürfe, was in der Zukunft der Entwicklung der Freiheit, d. h. der rationellen, einflußreichen Theilnahme des Volks an der Bestimmung seiner Geschicke, die Wege verlegen fönnte. Hier möchte nun der Mangel jeder Verantwortlichkeit der Bundesregierung gegenüber dem Reichstag bedenklich erscheinen. Aber es sei eben unmöglich, im Bundesstaate eine parlamentarische Verantwortlichkeit der Minister herzustellen. Die preußische Regierung könne nicht zugleich dem Reichstag und dem Landtag verantwortlich sein; auch sei sie durch die Beschlüsse des Bundesraths sowohl gedeckt als gebunden. Um so mehr aber, fuhr der Redner mit gesteigerter Lebhaftigkeit fort, sei darauf zu bestehn, daß die Gesetzgebung über Heer- und Flottenangelegenheiten der Bundesgewalt und damit der Mitwirkung des Reichstags überwiesen, daß nach der alten Forderung ein Heeresorganisations-Geseß dem Reichstag vorgelegt werde, und vor Allem, daß der Reichstag das volle Budgetrecht erhalte, mindestens das Recht, alle Ausgaben zu bewilligen, ohne daß das Militärbudget ein für alle Male festgestellt wäre. An dieser Stelle drängte, offenbar durch die Erinnerung an die preußische Conflictszeit aufgeregt, bei dem sonst so gemäßigten Manne das liberale Gefühl den nationalen Gedanken in den Hintergrund; in Verläugnung des ersten Wortes seiner Rede rief er: würde hier keine Änderung der Vorlage erreicht, so müßte ich die Ablehnung der ganzen Verfassung durch den preußischen Landtag wünschen, selbst auf die Gefahr hin, daß auch dieses Mal nichts zu Stande gebracht würde.

Indessen kam Twesten am Schlusse seines Vortrags noch einmal auf die europäische Lage und das sichtbare Übelwollen Frankreichs und damit auch zu einer ruhigeren Auffassung der Budgetfrage zurück. Ich könnte mir denken, sagte er, daß für die Dauer einer solchen Spannung es vielleicht rathsam wäre, zur Verhütung jeder Erschütterung unseres Heerwesens ein Pauschquantum für eine festbegrenzte Übergangszeit zu bewilligen, innerhalb dieser Periode also auf das volle Budgetrecht des Reichstags zu verzichten.

Wir werden sehn, daß dieses Wort später für den Abschluß der Verfassung entscheidend geworden ist.

Für den Augenblick aber warf sich ihm das berühmte Haupt der preußischen Fortschrittspartei mit zürnender Entschiedenheit entgegen.

Seit 1848 hatte Waldeck die höchste Verehrung aller preußischen Demokraten genossen, und sie durch fleckenlose Ehrenhaftigkeit des Charakters und unbedingte Festigkeit seiner politischen Überzeugung wohl verdient. Er war offener Bekenner der französischen Lehre von dem gleichen Rechte aller Menschen und folglich der souveränen Gewalt des Volkes; als preußischer Patriot war er bereit, den König zu ehren, nur daß dieser seinen Beruf allein in der Ausführung der Beschlüsse der von dem Volke gesandten Vertreter finde. In diesen Säßen sah er das einzige Maaß für alles politische Thun, und so wurde die Unbeugsamkeit seiner Consequenz ihm freilich leichter, als andern Menschen, welche nicht bloß die Schablone der Theorie, sondern auch deren Anwendbarfeit auf die gegebenen Zustände, Interessen und Leidenschaften in's Auge fassen. Waldeck begann seine Rede mit dem Ausdruck der Empörung seines preußischen Herzens, daß

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