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1868

Besorgnisse in Wien und Paris.

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zähen Widerstand, so träte die Gefahr ein, daß sich Napoleon mit ihm verständigte auf Überlassung Süddeutschlands an Preußen, des Rheins und Belgiens an Frankreich. Einen dritten Fall hielt Beust für schlechthin unwahrscheinlich. So erschien als das einzig richtige Ziel für Österreichs Politik ein Defensivbündniß mit Napoleon, also vertrauliche Freundschaft als Rückhalt für jede eigne Gefahr, Zügelung des Vordringens preußisches Ehrgeizes, so weit wie möglich aber auch bestimmender Einfluß in Paris für die Aufrechthaltung des europäischen Friedens.

Äußerlich war das Verhältniß der beiden Höfe seit lange ein vortreffliches. Der Besuch des Kaisers Franz Joseph im October 1867 hatte in Paris den allergünstigsten Eindruck hinterlassen; der französische Botschafter in Wien, Herzog von Gramont, wurde wegen seines Preußenhasses in Wien höher geschätzt, als in den Tuilerien wegen seiner Fähigkeiten; vollends der österreichische Botschafter in Paris, Fürst Metternich, wurde dort fast mehr wie ein Hausfreund der kaiserlichen Familie als wie der Vertreter einer auswärtigen Macht behandelt. Eben dies aber verminderte in Wien das Gewicht seiner stets rosig gefärbten Berichte; man entschloß sich, bei dem Mißtrauen, welches sowohl den Kaiser als den Grafen Beust gegen Napoleon erfüllte, einen zweiten unbefangenen Beobachter hinzusenden, um den dortigen Boden nach allen Richtungen zu sondiren. Es wurde dazu ein alter Vertrauter Beust's aus dessen sächsischer Zeit auserschn, Graf Vißthum, den er vor Kurzem in den österreichischen Dienst sich nachgezogen und für den Gesandtschaftsposten in Brüssel bestimmt hatte, ein vielerfahrener, reichbegabter und auch bei Napoleon wohlgelittener Diplomat, der jezt

bei diesem durch einen Privatbrief des Kaisers Franz beglaubigt wurde. Er sprach den etwas leidenden Imperator in Fontainebleau und fand ihn beunruhigt durch den Gang der deutschen Dinge. Wie steht Ihr zu Preußen? fragte er. den Grafen. Wie immer, antwortete dieser; wir stehn auf dem Prager Frieden und verwahren uns gegen weitere Fortschritte Preußens in Süddeutschland. Auf eine Frage Napoleon's, wie man in Deutschland über einen französischpreußischen Krieg denke, erwiderte er, man halte ihn dort für kaum vermeidlich; er bitte jedoch, ihn nicht als ein leichtes Werk anzusehn; es würde ein furchtbarer Nationalkampf, und die Südstaaten in denselben fortgerissen werden, ein Kampf, bei dem für Frankreich der Besit von Elsaß-Lothringen auf dem Spiele stehn würde1).

Welchen Eindruck diese Worte auf Napoleon gemacht haben, muß dahingestellt bleiben: jedenfalls fand er gegenüber den deutschen und rumänischen Vorgängen ein völliges Schweigen nicht mehr rathsam, und im Juli ließ er durch Metternich dem österreichischen Cabinet den Vorschlag übermitteln: Österreich und Frankreich sollten gemeinsam eine Interpellation an Preußen richten wegen des neuerlich stärkerhervortretenden Strebens, die Mainlinie zu überschreiten. Das konnte als ein Versuch zur Aufklärung im Interesse des Friedens gedacht sein; sehr möglich aber war auch dann eine so scharfe Abweisung der Frage durch Bismarck, daß dadurch der offene Bruch sofort herbeigeführt würde. Beust entschied sich also zur Ablehnung des Antrags; er legte dar, eine solche französische Einmischung würde das beste Mittel sein, der Überschreitung der Mainlinie in Deutschland neue 1) Aus ungedruckten Memoiren.

1868 Verhandlung in Paris über Schritte gegen Preußen. 369

Anhänger in Masse zu gewinnen1). Die Interpellation unterblich hienach, und Napoleon wandte sich bald nachher seiner spanischen Unterhandlung über die Besezung Roms zu.

Indessen wünschte Beust dringend, mit den Tuilerien in freundlicher Fühlung zu bleiben, und erwog im August mit Vißthum, der seither sein Amt in Brüssel angetreten hatte, einen nach Paris zu sendenden Gegenvorschlag, mit dessen wesentlichem Inhalt Vizthum schon seit Jahren sich beschäftigte, und der den großen Zweck, Dämpfung des angeblichen preußischen Vordringens, mit friedlichen Mitteln erreichen sollte. Es handelte sich dabei um eine Aufforderung zu allgemeiner Abrüstung, die von Napoleon ausgehn und in einem offenen Biese zunächst an den preußischen König gerichtet werden sollte 2). Napoleon würde darin erklären, daß er den Prager Frieden troß mehrerer Bedenken aufrichtig angenommen habe; er sei jetzt im Begriffe, seiner Armce eine stärkere Organisation zu geben: nun aber wünschten alle Völker dringend eine Verminderung der jährlich anschwellenden Militärlast; er sei dazu bereit, wenn Preußen ihm durch eine befriedigende Zusage über die Beachtung des Prager Friedens die Möglichkeit dazu geben würde. Eine ausführliche Denkschrift begründete den Vorschlag zunächst durch den Hinweis auf die außerordentliche Popularität, welche ein solcher Schritt des Kaisers ihm in Frankreich bei den nächsten Wahlen verschaffen würde; was Preußen betreffe, so werde es entweder dem französischen Antrag Genüge leisten, womit der jezige Besitzstand und folglich der Friede Europas gesichert sei, oder Bismarck würde Schwierigkeiten machen, dadurch

1) Beust aus drei Vierteljahrhunderten II, S. 340.
Beust a. a. D. Dazu ungedruckte Memoiren.

v. Sybel, Begründung d. deutschen Reiches. VI.

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aber das Mißtrauen sämmtlicher Mächte auf sich ziehn, und vor Allem bei der durch Napoleon bekundeten Friedensliebe von keinem deutschen Reichstage weitere Geldmittel zu militärischen Rüstungen erhalten. Übrigens knüpfte die Denkschrift an den alten Lieblingsgedanken Napoleon's an, die Berufung eines großen europäischen Congresses, der nach Schlichtung aller schwebenden Streitfragen den Kaiser zum Erlasse der obigen Aufforderung einladen würde. Beust war mit Allem einverstanden und beauftragte Vißthum, im September nach Paris zurückzugehn und dort den Inhalt der Denkschrift zur Annahme zu empfehlen.

Damals befand sich Napoleon in Biarriß, und da Beust ein unliebsames Aufsehn befürchtete, wenn Vißthum sich dort eine Audienz erwirkte, so mußte der Graf in Paris mit dem Staatsminister Rouher in Verhandlung treten. Zunächst suchte er sich über Frankreichs früher so unsichere Haltung in den orientalischen Händeln zu vergewissern, da ohne eine Übereinstimmung auf diesem Gebiete ein Zusammengehn der beiden Mächte überhaupt undenkbar war. Ich kann Euch, sagte Rouher, hierüber volle Beruhigung geben; wir stehn fest, wie Ihr, auf dem Boden der vertragsmäßigen Besißund Rechtsverhältnisse; der junge Fürst Karl, der mit Bratianu für Rußland arbeitet und eine Schildwache Preußens ist, muß aus Rumänien wieder entfernt werden. Hierauf sah sich Vigthum in der Lage, die große Denkschrift zu überreichen. Rouher prüfte sie, schenkte, so weit wir sehn, dem so oft mißlungenen Congreßplane keine Beachtung mehr, sprach aber mit dem Grundgedanken des Ganzen, der Aufforderung zur Abrüstung, sein Einverständniß aus und war bereit, dem Kaiser die Ausführung zu empfehlen. Aber nach

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1868 Napoleon will keinen Antrag auf Abrüstung stellen. einiger Zeit kam ein trocken ablehnender Bescheid Napoleon's zurück, nach der praktischen, schlagend richtigen Bemerkung: bei der preußischen Landwehr-Verfassung wäre eine beiderseitige, gleichmäßige Verminderung der Feldarmee ein Selbstbetrug (marché de dupe). Rouher machte darauf den Versuch, diesem Einwande entsprechend, den österreichischen Vorschlag näher auszuarbeiten. Nach diesem neuen Entwurfe sollte in Berlin beantragt werden: für die nächsten zehn Jahre wird die Friedensstärke der beiden Armeen auf je 250 000 Mann festgesezt, die Kriegsreserven ihrer Pflicht entbunden, die preußische Landwehr und die französische [einstweilen auf dem Papier stehende] Mobilgarde aufgelöst. Napoleon mochte nach seiner Kenntniß der preußischen Zustände der umgehenden Ablehnung eines solchen Vorschlags sicher sein; er hielt ihn aber auch nach seiner eignen Stellung für unthunlich. Er wies Rouher's Arbeit beinahe unwillig zurück. Ein Napoleon, sagte er, kann nicht entwaffnen, geschweige das Signal zu einer allgemeinen Abrüstung geben; er würde damit seine Krone auf das Spiel segen1).

So kam er Mitte October aus Biarriz nach Paris zurück, gebeugt durch das spanische Mißgeschick, beunruhigt durch die wachsenden Verwicklungen im Orient, vor Allem gereizt durch die Möglichkeit, daß ein weiteres Vorgehn Bismarck's in Deutschland alle kriegerischen Leidenschaften des französischen Volks entfesseln möchte. Er fand in Paris den ihm seit lange befreundeten Lord Clarendon vor, der soeben in Berlin zur Eintracht mit Österreich gemahnt hatte und jezt mit dem Grafen Vißthum in gleichem Sinne redete. Kein besseres Ereigniß, sagte er, könne Europa erleben, als 1) Aus ungedruckten Memoiren.

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