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1868

Französische Heeresreform.

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Bord, stimmten Friedensgesänge an und bekämpften mit allen Kräften Niel's Heeresreform.

Eine solche Erhöhung des Friedensstandes in der Armee, riefen sie, sei vernichtend für alle productive Arbeit im Lande; der nationale Wohlstand werde zu Grunde gehn bei der begehrten Vermehrung der Steuerlast; die vorgelegten Ziffern über die Streitkräfte der Gegner seien grundlose Phantasiegebilde; das Volk verwerfe eine Steigerung des Militarismus, sollte es einmal zum Kriege kommen, so werde das Volk selbst sich in seiner Riesenkraft erheben und den frechen Feind zermalmen. Für den deutschen Leser ist es nicht nöthig, die Auszüge aus diesen Debatten zu vermehren: er braucht sich nur an die Reden Eugen Richter's, Dr. Lieber's und Bebel's im deutschen Reichstag von 1893 zu erinnern, so weiß er fast wörtlich genau, was 25 Jahre früher in Paris Thiers, Jules Favre, Picard und Genossen geleistet haben; er weiß freilich auch, daß diesen nach kurzer Frist in dem Worte Sedan die zerschmetternde Antwort zu Theil geworden ist. Die Kammer, sonst damals noch der Regierung äußerst gefügig, hatte in diesem Falle vor Augen, wie unbeliebt bei ihren Wählern jede Steigerung der Militärlast war. Die Bauern, dem Kaiser zwar vollkommen ergeben, scheuten vor der verstärkten Recrutirung, von der sie wußten, daß der größte Theil auf ihre Schultern fallen würde. Die städtische Bevölkerung wollte von keiner Maaßregel wissen, welche als Vorbote einer friegerischen Politik gedeutet werden konnte und dann sofort empfindliche Störungen in Handel und Gewerbe Hervorrufen mußte. Im höchsten Grade unpopulär war die Einrichtung der Mobilgarde, die man als einen ersten Schritt zur allgemeinen Dienstpflicht betrachtete: wie,

v. Sybel, Begründung d. deutschen Reiches. VI.

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riefen die jungen Herrn der höhern Classen, nächstens will man uns als gemeine Soldaten in die Casernen einsperren? nein, eine solche Gemeinheit wollen wir den Preußen überlassen1). Dabei war mit Ausnahme des Kaisers und weniger Generale alle Welt von der Unbesicgbarkeit der französischen Armee auch in ihrem bisherigen Bestande überzeugt. In vier Welttheilen hatte sie überall siegreich gefochten, Araber und Chinesen, Spanier und Mexikaner, Russen und Österreicher waren vor ihren Bajonetten geflohn. Und diese Armee sollte den widerwärtigen Preußen nicht gewachsen sein? Oder diese Preußen sollten ihr gegenüber die Kühnheit haben, von einem Angriff auf Frankreich zu träumen ? Niemand wollte das glauben, nichts erschien überflüssiger, als eine so drückende Verstärkung der Armee zur Sicherung Frankreichs. Hinter diesen Anträgen lauerten, wie man meinte, offenbar ganz andere Pläne der kaiserlichen Herrschsucht, die von der Opposition ganz zutreffend signalisirt würden. Es kam dazu, daß Niel's Bestrebungen selbst in den höchsten Regierungskreisen Widerstand fanden. Der bisher allmächtige Staatsminister Rouher war ein Mann des Friedens, unbesorgt über eine preußische Offensive, um so mehr aber von Eifersucht gegen den Marschall Niel erfüllt, dessen Einfluß bei einem großen Kriege den seinigen überflügeln würde, und dem er zutraute, daß er deshalb so eifrig rüste, um dann den Kaiser zum Angriff auf DeutschLand zu bestimmen. Das wurde unmöglich, wenn die Kammer dem Marschall die erforderlichen Geldmittel für die Reform des Heeres versagte, und Rouher's Vertrauensmänner, die in diesem Sinne die Abgeordneten bearbeiteten, fanden 1) Prosper Mérimée, lettres à une Inconnue.

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Ungenügendes Ergebniß.

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freudiges Gehör. So wurden Niel's Anträge auf allen Seiten beschnitten, die Geldforderungen verkürzt, die Bestimmungen über die Mobilgarde bis zur Unbrauchbarkeit verstümmelt. Niel, in halber Verzweiflung, mußte sich fügen. Er richtete ein, was mit den gegebenen Mitteln möglich war, und erklärte im Herbste 1868, damit das Ausland es erfahre, die Armee sei schlagfertig1). Er selbst wußte, daß in erster Linie die active Feldarmee nach Abzug der im Innern und Algerien nöthigen Garnisonen zur Zeit nur eine Stärke von kaum 300 000 Mann, das norddeutsche Heer allein also eine gewaltige Überzahl haben würde; er sagte dem Kaiser Napoleon: ich würde mich eher in vier Stücke zerreissen lassen, ehe ich zustimmte, daß Frankreich ohne zuverlässige Bündnisse einen Krieg gegen Deutschland begänne.

Unter diesen Umständen ging also Napoleon mit bestem Willen auf die nähere Berathung des italienischen Vorschlags eines Dreibundes, Frankreich - Italien-Österreich, ein, troß alles Verdrusses, den ihm Italien in der römischen Frage bereitet hatte.

Aber auch jetzt rückte die Verhandlung nicht vom Fleck, stets wieder festgebannt durch dieselbe unlösliche römische Frage. Denn die Italiener forderten als conditio sine qua non aller sonstiger Anerbietungen die vollständige Rückkehr zum Septembervertrag, und zwar in dem von Italien stets behaupteten Sinne: Italien erneuert die Zusage, dem Papste weder Gewalt anzuthun noch anthun zu lassen; Frankreich aber zieht seine Truppen aus dem Kirchenstaat zurück und spricht die unverbrüchliche Anerkennung des Grundsages der Nichtintervention aus. Auf dieser Grundlage würde nach

1) Jarras, souvenirs p. 8. Thiers, dépositions I, p. 11.

italienischem Antrag ein Vertheidigungsbund zu Dreien geschlossen, mit der Verheißung gemeinsamer Verhandlung bei jeder politischen Frage, sowie im Kriegsfalle der Garantie für den Besigstand der drei Mächte; bei einem glücklichen Ausgang des Krieges würde Italien Welschtyrol und eine Flottenstation in Tunis erhalten. Bei einer Papstwahl würden die drei Mächte für die Erhebung eines ihnen erwünschten Candidaten zusammen wirken. Damit der Vertrag geheim bliebe, sollte er zunächst durch eigenhändige Briefe der drei Monarchen bekräftigt werden').

Auffallen könnte in einem Vertragsentwurf, bei dem auch Österreich als Theilnehmer gedacht war, die italienische Forderung von Welschtyrol. An der vollständigen Einigung der italischen Nation fehlte eben Welschtyrol ganz so wie Rom, und die italienische Forderung konnte dahin verstanden werden, daß Italien als Preis für sein Bündniß sich einstweilen mit Welschtyrol begnügen würde, vorausgesezt, daß Napoleon seine Truppen aus Rom sofort und zwar auf Nimmerwiederkehr abrufe. Nun aber mußte es äußerst fraglich erscheinen, ob Österreich auch bei reicher anderweitiger Entschädigung Welschtyrol abtreten würde, und dann blieb wieder Italiens Drang nach Rom ohne Ablenkung noch Aufschub in Kraft. Demnach lehnte Napoleon die Rückberufung seiner Truppen aus Rom entschieden ab, so lange nicht bestimmtere und für den Papst annehmbare Garantien für dessen Sicherheit und Unabhängigkeit festgestellt seien. Da es aber auf der Welt kein Angebot gab, welches für Italien möglich gewesen. und zugleich dem Papste annehmbar erschienen wäre, so blieb nach unendlichem Briefwechsel zwischen Victor Emanuel und

1) Massari 1. c. II, 354.

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Napoleon und Spanien.

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Napoleon die italienische Unterhandlung über den Dreibund ohne Entscheidung zu großer Verstimmung Italiens liegen.

Um so mehr aber stieg Napoleon's Wunsch, sich auf andere Weise von der Fessel der römischen Frage zu befreien, die in ihrer jezigen Lage bei einem europäischen Brande Italien ebenso leicht zum Verbündeten Preußens wie Frankreichs machen konnte. Nun hatte, bereits Ende October 1867, die eifrig katholische Königin Isabella von Spanien ihm ihre Mitwirkung zum Schuße des heiligen Vaters angeboten, der Kaiser damals aber das Erbieten abgelehnt, weil die Sache nur zwischen Frankreich und Italien anhängig sei1). Jezt aber, immer mehr über eine deutsche Kriegsgefahr beunruhigt, griff er auf Isabella's Bereitwilligkeit zurück, und machte ihr geradezu den Vorschlag, die französische Besazung des Kirchenstaats nach Einverständniß mit dem Papste durch eine spanische abzulösen 2). Isabella, die nicht wie Napoleon mit getheiltem Herzen bei der Sache war, ging mit Feuereifer auf den Gedanken ein; ihre Truppen, wie es hieß, 40000 Mann, würden nach Rom mit der Weisung kommen, bei der geringsten Feindseligkeit gegen den Papst den Kampf nicht bloß gegen die Garibaldiner, sondern auch gegen die königlichen Regimenter Italiens aufzunehmen, so daß Napoleon jeder Sorge auf dieser Seite überhoben gewesen wäre. Im September 1868

1) Massari 1. c. II, 336.

*) Ich kann darüber keine amtlichen Quellen anführen; jedoch redeten damals die Pariser Zeitungen von einem solchen Plane, ohne Widerspruch zu erfahren, und ausführliche Mittheilungen darüber macht Meding, Memoiren III, 360 ff., der als Bevollmächtigter des Königs Georg von Hannover in Paris sowohl mit dem französischen Ministerium als später mit der Königin Isabella in vertrautem Verkehre stand.

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