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schon nach drei Tagen war ihm auf der entgegengesetzten Seite des Hauses eine noch schwerer wiegende Erfahrung gleicher Art zu machen bestimmt, wieder bei einer aus der Annexion Hannovers entsprungenen Frage. Wir haben oben gesehn, wie trog der abweichenden Ansicht des Finanzministers König Wilhelm persönlich den Kurhessen ihren Staatsschaz gelassen, wie damit ein entsprechendes Begehren der Hannoveraner unabweislich geworden, wie zugleich aus jeder der annectirten Provinzen die Vertrauensmänner die Herstellung von Provinzialund Kreisständen zu freier Selbstverwaltung ihrer localen Angelegenheiten beantragt hatten. Die Regierung war darauf ohne Schwierigkeit eingegangen, allerdings der König und Bismarck mit lebhafterem Eifer, als der zunächst betheiligte Minister des Innern, Graf Friedrich Eulenburg. Es erschien denn ein Gesetzentwurf zunächst für die Provinz Hannover, worin ihr aus Domanial-Einkünften ein Capital überwiesen wurde, welches der einzuführenden localen Selbstverwaltung ein jährliches Einkommen von 550 000 Thalern liefern sollte. Aber sofort erhob sich zu Bismarck's peinlicher Überraschung gegen diese, durch die persönliche Einwirkung Sr. Majestät veranlaßte, Vorlage der heftigste Widerspruch der großen conservativen Partei, dieses Mal in seltenem Bunde unterstützt durch Georg von Vincke's rücksichtslose, mit Witz und Spott gesättigte Polemik und durch Waldeck's dröhnendes Begehren, mittelst Zerreißung des unnatürlich zusammengeflichten Königreichs das hochmüthige Selbstgefühl der Hannoveraner mit der Wurzel auszurotten. Das nächste Thema der Gegner war der Saß, daß die reiche Ausstattung Hannovers eine schmähliche Verlegung der alten Provinzen sei. Wir haben, hieß es, seit 1823 eine auf engen Kreis

1868 Feindschaft der Conservativen gegen Bismarck.

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bemessene provinziale Selbstverwaltung, deren Kosten aber haben wir stets aus der eignen Tasche bezahlen müssen; hier gibt man doppelt weitere Rechte und dazu eine verschwenderische Dotation: wir, die alten Getreuen, sind plöglich zu Stieftindern Preußens geworden. Man würde den conservativen Herrn Unrecht thun, wenn man für ihren Verdruß allein die Geldfrage als Quelle bezeichnete. Der letzte Grund der Mißstimmung war der oben erwähnte Argwohn, daß Bismarck sich seit 1866 verwandelt habe und seinen Übertritt aus dem conservativen in das liberale Lager vorbereite. Schon daran nahmen sie Anstoß, daß der überlastete Minister den alten Kameraden stets nur kurz seinen Willen zur Nachachtung bekannt machte, während er die neuen Freunde, die liberalen Führer, und besonders jene der annectirten Lande, stets mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit behandelte. Daran schlossen sich die sachlichen Bedenken: die Einführung des allgemeinen Stimmrechts, die Ernennung des liberalen Delbrück zum Präsidenten des Reichskanzleramts, die in der Bundesgesetzgebung herrschenden Tendenzen. Es fehlte nicht an heimlichen Hezern der frühere, längst mit Bismarck verfeindete Finanzminister von Bodelschwingh wird besonders genannt -, welche der Partei den Abfall Bismarck's, seine unerträgliche Herrschsucht, seinen Zorn bei jedem Widerspruch in grellen Farben anschaulich zu machen verstanden. Die Hauptsache aber war, daß ihre Mehrzahl, ganz wie ihre liberalen Gegner, die Erinnerung an die große Conflictszeit nicht los zu werden vermochte. Damals waren sie das Werkzeug gewesen, womit das Vorwärtsdrängen der liberalen Parteien vereitelt worden war; da hatte ihre gesammte Politik sich in dem einen Worte zusammengefaßt: fein parlamentarisches,

sondern ein königliches Regiment. Zu diesem Parteiruf hatte dann auch seit 1848 die Verwerfung der nationalen Idee gehört: das fest ummauerte Preußen solle nicht in dem demokratischen Urbrei der sogenannten deutschen Einheit versinken. Jezt aber meinten sie, Bismarck, der täglich den Schöpfern des Nationalvereins die Hand drückte, auf geradem Wege zu dem revolutionären deutschen Kaiserthum zu sehn, welches einst Friedrich Wilhelm IV. mit Verachtung zurückgewiesen hatte.

Der Kriegsminister von Roon, damals wegen Krankheit im Süden abwesend, war ein Altconservativer wie Einer, ein strammer Preuße und ein ebenso strammer Officier, aber durch lange Regierungsthätigkeit in warmer Freundschaft mit Bismarck über die Mehrzahl seiner Partei zu weiterem Blicke emporgewachsen. Auf die Kunde von dem ausgebrochenen Hader schrieb er einem Freunde1): die Partei muß endlich begreifen, daß ihre heutigen Auffassungen und Aufgaben wesentlich andere sind, als zur Zeit des Conflicts; sie muß eine Partei des conservativen Fortschritts werden und die Rolle des Hemmschuhs aufgeben, so nothwendig eine solche zur Zeit der Übermacht des demokratischen Fortschritts auch jein mochte.

Allein für solche Gedanken war bei der einmal aufgeflammten Erbitterung fein Raum. Vergebens erinnerte Bismarck daran, wie er fort und fort seine wesentliche Stüze in der conservativen Partei gesucht, wie er es nach so langen Jahren ihres Zusammenwirkens als selbstverständlich betrachtet habe, daß sie ein für alle Male auf seiner Seite stehn würde,

1) Denkwürdigkeiten aus Roon's Leben II, 377 ff.

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Lebhafter Kampf.

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so lange er nicht ein großes conservatives Princip verleze. Davon aber könne doch bei dieser Vorlage, welche aus dem Willen des Monarchen selbst entsprungen sei, entfernt nicht die Rede sein. Wie sollte denn eine constitutionelle Regierung ohne eine feste Majorität möglich bleiben, eine Majorität, die, wo es sich nicht um principielle Gegenfäße handle, auch einmal einer Vorlage, die sie für eine Thorheit halte, zustimme, in Anbetracht, daß dieses Ministerium auch viele gute Maaßregeln geliefert hätte, vielleicht in größerer Zahl als künftig ein anderes thun würde? Fehlte der Regierung eine solche Majorität, so müßte sie sich eine andere zu bilden suchen; dann entständen Coalitionsministerien mit all ihren Schwächen; die Regierung müßte verschiedenen Richtungen Rechnung tragen und käme nicht von der Stelle; die Verwaltungsmaximen würden in stete Schwankungen gerathen, die für das ganze Staatswesen und am Meisten für die conservative Partei die nachtheiligsten Wirkungen haben könnten. Wenn Sie uns die Majorität versagen, schloß er, so werden Sie nicht erwarten, daß wir fortfahren, alle Unannehmlichkeiten der Stellung zu ertragen, ohne Abhülfe zu suchen; Sie werden uns nicht zumuthen, daß wir uns zum Organe Ihrer vereinzelten Partei machen, und es darauf ankommen lassen, ob die ganze für das Land bedrohliche Situation des Conflicts sich erneuert. Ich fürchte den Conflict nicht, das habe ich gezeigt. Aber ihn zur permanenten nationalen Institution zu machen, das ist nicht mein Wille.

So eindringlich diese Mahnung war, so völlig verfehlte sie ihren Zweck. Der germanische Eigenwille blühte in voller Pracht. Wir sind, erklärte Herr von Brauchitsch, nicht auf den Namen des Ministers gewählt, daß wir in

blinder Dienstwilligkeit ihm auf Schritt und Tritt folgen sollen. Verzichten wir auf die Freiheit, zu widerstehn, so fehlt uns auch die Kraft, zu stüßen. Unsere Wähler haben volles Vertrauen zu Bismarck's auswärtiger Thätigkeit, aber schwere Bedenken bei seiner innern zum Liberalismus neigenden Politik. Wir haben als unabhängige Männer zu wirken, als Männer von Charakter und Gewissen. Nicht bloß, wo es sich um die Verlegung der politischen Grundsäge, sondern auch, wo es sich wie im vorliegenden Falle um ein Rechenexempel handelt, müssen wir ein Jeder nach der eignen Überzeugung das Facit ziehn und danach stimmen. Hier ist keine Rede, bekräftigte Vincke, von einer politischen Frage, sondern von einer Rechtsfrage, einer Frage um Mein und Dein, um die Verkürzung der andern Provinzen zu Gunsten Hannovers: da dürfen wir nicht aus politischen Rücksichten das Recht beugen lassen, da hat ein Jeder als gewissenhafter Richter sein Urtheil auszusprechen, wie es Artikel 83 der beschworenen Verfassung vorschreibt: jeder Abgeordnete soll nach seiner freien Überzeugung stimmen.

In Wahrheit schreibt der Artikel 83 vor, daß jeder Abgeordnete ohne Rücksicht auf Aufträge und Instructionen seiner Wähler nach eigner freier Überzeugung stimmen soll. Ob er seine Überzeugung nur nach der Beschaffenheit des einzelnen Falls oder nach Erwägung des Zusammenhangs der ganzen politischen Lage zu bilden hat, darüber redet der Artikel gar nicht.

Ungleich einsichtiger als die Conservativen verhielten sich dieses Mal die Nationalliberalen. Bei ihnen war, hauptsächlich in Folge von Gneist's Schriften über die englische Verfassung, die Ansicht verbreitet, daß in England das Gedeihn des

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