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1867

Besserung der Stimmung.

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Das Auftreten des Königs in Ems und Cassel hatte in der That dort seinen Zweck auf der Stelle erreicht. Die schmerzliche Aufregung legte sich; ein allgemeines Ruhebedürfniß machte sich fühlbar. Die Reichstagswahlen vollzogen sich am 31. August unter mäßiger Theilnahme der Bevölkerung, und das Ergebniß war, gerade in den annectirten Provinzen, ein Wachsthum der regierungsfreundlichen Mehrheit.

2. Capitel.

Ratification der Zollvereinsverträge.

Nachdem Bismarck durch das Rundschreiben vom 7. September 1867 den Charakter der deutschen Bundespolitik so energisch festgestellt hatte, beschränkte sich am 10. September die Thronrede König Wilhelm's bei Eröffnung des ersten ordentlichen Reichstags des norddeutschen Bundes auf die Darlegung der geschäftlichen Aufgaben, die Ankündigung mehrerer Gesehentwürfe, so wie die Vorlage des Jahresbudgets, und schloß mit der Erklärung: es ist eine Arbeit des Friedens, zu der Sie berufen sind, und ich vertraue, daß unter Gottes Segen das Vaterland sich der Früchte Ihrer Arbeit in Frieden erfreuen wird.

Die sofort beginnenden Wahlprüfungen lieferten bis zum 17. September 191 genehmigte Mitglieder und damit die Beschlußfähigkeit des Hauses. Es wurde gleich an diesem Tage zur Präsidenten-Wahl geschritten, und schon hier zeigte sich die relative Stärke der Hauptparteien. Der altliberale Simson erhielt unter Zusammenwirken aller Liberalen mit den Freiconservativen 132, der conservative Graf Eberhard Stolberg 53 Stimmen. Bei der Wahl des ersten Vice

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Reichstagswahlen.

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präsidenten vereinigten sich Liberale und Conservative auf den freiconservativen Herzog von Ujest mit 158 gegen 27 Stimmen der Fortschrittspartei für Löwe (Calbe). Zweiter Vicepräsident wurde Bennigsen mit 99 liberalen gegen 44 conservative und 29 fortschrittliche Stimmen.

Die Fortschrittspartei hatte also bei den lezten Wahlen wenig gewonnen. Um so fester war ihr Entschluß, jedem Widersacher bei jeder Gelegenheit ihre radicale Kritik fühlbar zu machen.

Dem Hause lagen zwei Anträge auf Erlaß einer Adresse als Antwort auf die Thronrede vor, ein nationalliberaler von Miquel und Genossen, ein anderer des Grafen Stolberg im Namen der conservativen Partei, beide ziemlich gleiches Inhalts und eigentlich nur verschieden in der Ausdrucksweise. Es bezeichnete die vorherrschende Stimmung, auf dem Boden der einmal angenommenen Verfassung so einig und so rasch wie möglich vorzugehn, daß ohne große Mühe ein Ausschuß der Nationalliberalen, Conservativen und Freiconservativen. aus den beiden Entwürfen einen dritten gemeinsamen herausarbeitete, der also, wenn die Regierung ihm nicht widersprach, einer großen Mehrheit sicher war.

Neben der Erklärung der Dankbarkeit für das bisher im nationalen Sinne Erreichte war darin der Hauptpunkt eine fräftige Zustimmung zu dem Rundschreiben vom 7. September; wir werden, hieß es, jedem Wunsche der Südstaaten zu nationaler Verbindung mit dem Norden freudig entgegenkommen; erst mit ihrem Eintritt in den norddeutschen Bund wird das große nationale Werk vollendet sein. Der Prager Friede, sagte am 24. September der Berichterstatter Planck, ist dagegen kein Hinderniß: er spricht Österreichs Zustimmung zu einer fünftigen Neugestaltung Deutschlands (des ganzen,

nicht bloß des nördlichen) aus; er gibt den Südstaaten die Freiheit, einen besondern Bund unter gewissen Modalitäten zu bilden; die Südstaaten sind aber nach der Auflösung des alten Bundes vollkommen unabhängig und souverän, und da sie alle von einem Südbund nichts wissen wollen, so ist der ganze diesen betreffende Satz der Friedensurkunde null und nichtig. Wir aber, fuhr Planck fort, haben die Pflicht, die Verbindung mit dem Süden zu betonen und unsere Übereinstimmung mit dem Rundschreiben vom 7. zu erklären. Im Süden ist die Stimmung getheilt; um so mehr müssen wir auf die kräftigen Schritte Badens antworten und unsere Gesinnungsgenossen in den andern Staaten ermuthigen.

Zuerst die Fortschrittspartei erhob sich zum Widerspruch. Allen süddeutschen Thatsachen in das Angesicht erklang wieder in mannichfachen Variationen die alte Melodie, daß nur durch Gewährung größerer Freiheitsrechte der Süden zu gewinnen sei. Begnügt Euch nicht mit leeren Worten, rief ein sächsischer Abgeordneter, proclamirt die Grundrechte von 1849, das wäre eine That. Vergebens hatte Hohenlohe unter dem Beifall der ganzen bayerischen Kammer vor der übermäßigen Centralisation des Nordbundes gewarnt; jezt rief der Abgeordnete Günther: nur der constitutionelle Bundesstaat könnte im Süden Anklang finden, d. h. also ein verantwortliches Reichsministerium, und damit Verstärkung der Centralisation. Dann folgten Klagen, daß die Anrufung des Südens in der Adresse dem französischen Kaiser als eine Herausforderung erscheinen, neue Kriegssorgen, Störung des Verkehrs, Sinken des Credits veranlassen könnte. Nationales Selbstbewußtsein zeigte sich in diesen Worten, die nur den

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Eröffnung des Reichstags. Adreßdebatte.

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Pariser Gegnern den Muth zur Einmischung erfrischen konnten, ebenso wenig wie politische Voraussicht.

Darauf erneuerten die Polen ihre Verwahrung, daß sie nicht in einen deutschen Bund gehörten und gehören wollten. Nach ihnen klagte Bebel die Regierung an, daß sie Luxemburg nicht im deutschen Bunde festgehalten hätte. Bismarck erwiderte, jezt unumwundener als am 1. April, daß sowohl Luxemburgs Bundespflicht als Preußens Besaßungsrecht mit der Sprengung des alten Bundes erloschen gewesen: wer von Ihnen, fragte er, hätte deshalb einen großen Krieg auf sich nehmen wollen? In anderer Weise lehnte er Hänel's Vorwurf über die Preisgebung Nordschleswigs an eine Abstimmung der überwiegend dänischen Bevölkerung ab. Dort wohnen, sagte er, Deutsche und Dänen gemischt durcheinander, das Nationalitätsprincip kann also an dieser Stelle feine Anwendung finden. Alles stände übrigens besser, fügte er hinzu, wenn die Haltung der Schleswiger weniger particularistisch gewesen, wenn sie nicht zu Gunsten dynastischer Interessen vergessen hätten, daß sie Deutsche sind.

Gegen die Adresse erhob Bismarck seinerseits keine Einwendung. Der Reichstag, sagte er, erklärt darin dem Süden, dem Auslande, den Bundesregierungen, auf welche überzeugungen bei ihm gerechnet werden kann. Immer aber machte Bismarck den Vorbehalt: wir verstehn ihn dahin, daß er uns nicht zu schnellerem Betreiben des Eintritts auffordern will. In dieser Frage ist nichts zu übereilen. Wenn einmal die Zeiten sich erfüllen, wenn der ganze Süden mit dem ganzen Norden die Einheit will, dann wird auch kein deutscher Staatsmann stark genug sein, sie hindern zu können, und keiner muthig oder kleinmüthig genug, um sie hindern zu wollen.

v. Sybel, Begründung d. deutschen Reiches VI.

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