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Die welfische Legion.

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Königs die armen Menschen, die man so leichtfertig aus ihren heimischen Verhältnissen herausgerissen hatte, vor dem Hungertode zu bewahren seien. In Holland war, bei den kräftigen Protesten der preußischen Regierung, ihres Bleibens nicht lange; man führte sie zunächst in die Schweiz, und als auch hier der preußische Gesandte vorstellig wurde, im Januar 1868 nach Frankreich. Hier wurden sie als politische Flüchtlinge gaftlich aufgenommen. Die Regierung internirte sie weit von den Grenzen hinweg, gestattete, daß sie in kleine Trupps nach althannoverschen Regimentern vertheilt und in verschiedene Ortschaften gewiesen wurden, wo sie unter ihren Officieren täglich, aber ohne Waffen crercirten; man sah durch die Finger, wenn bei dem Mangel wirklicher Disciplin und dem wachsenden Müßiggang der Leute häufige Unordnungen vorkamen. Es lag auf der Hand, daß die Sache kein anderes Ende haben konnte, als den Untergang der verführten Männer im tiefsten Elend: es dauerte aber noch geraume Zeit, bis König Georg sich von dem Bilde seiner welfischen Legion zu trennen vermochte.

Mit dem Vertrage vom 11. Mai war also die Gefahr eines großen Krieges abgewandt, und für den Augenblick der Friede in Europa gesichert. Nur im äußersten Südosten des Welttheils glomm seit einem Jahre ein kleines Feuerchen, unbedeutend an sich, aber nicht unbedenklich bei der Nähe größerer Brandstoffe. Die Christen der Insel Kreta hatten sich gegen die türkische Herrschaft empört, leisteten in ihren Bergen den Truppen der Pforte zähen Widerstand und wurden darin durch griechische Unterstützung, Waffensendungen und Freischaaren wirksam unterstüßt, zu lebhaftem Verdruffe Österreichs und Englands, aber beschirmt durch die kräftige

v. Sybel, Begründung d. deutschen Reiches. VI.

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Sympathie der russischen Regierung. Preußen vermied einstweilen jede Äußerung: der Drient, sagte Bismarck, liegt uns so fern, die Berichte unseres Gesandten in Constantinopel lese ich gar nicht. Endlich Frankreichs Haltung in dieser Frage wurde hier wie überall durch den Widerwillen gegen Preußen bestimmt, leider aber wurden gerade dadurch in diesem Falle die Entschließungen unangenehm erschwert. Marquis Moustier, persönlich ein warmer Gönner der Pforte, und zugleich auf ein wirksames Bündniß mit Österreich gegen Preußen bedacht, wäre also sehr gerne den griechischen und russischen Umtrieben entgegengetreten. Allein nicht weniger lebhaft war sein weiterer Wunsch, dem lästigen Preußen die russische Freundschaft und etwaige Bundeshülfe zu entziehn, und wenn irgend möglich die Sympathien des Petersburger Cabinets für Paris zu erobern. So machte er abwechselnd eine freundliche Verbeugung nach der einen und nach der andern Seite, wobei er es freilich nicht wohl vermeiden fonnte, wenn er den Einen anlächelte, den Andern auf die Füße zu treten.

Erzielte auf diesem Gebiete also die französische Politik einstweilen keine Ergebnisse, so fraß sich um so heißer der Zorn und Groll über die in Luxemburg erlittene Niederlage in die Herzen ein. Marquis Moustier erklärte zwar der Volksvertretung mit prunkenden Worten, die Regierung habe, weit von jedem Eigennug entfernt, zur Sicherung der französischen Grenze den Abzug der Preußen aus der Festung von Europa gefordert und durch einstimmigen Spruch der Mächte erlangt. Aber die Versammlung nahm diese Siegesbotschaft mit eisiger Kälte auf: alle Welt wußte, daß die Regierung die Annexion des Ländchens erstrebt hatte; das

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Französische Mißstimmung gegen Bismarck.

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Streben wurde im Grunde von ganz Frankreich gebilligt, sein Mißlingen aber als eine Schmach für den französischen Namen und als Beweis für die Unfähigkeit der Regierung verurtheilt. Daß der Urheber des Unheils kein Anderer als Bismarck wäre, verstand sich bereits von selbst. Wer damals in Paris wahrheitgemäß erzählt hätte, daß Bismarck, um Preußens freundliche Gesinnung zu bethätigen und Frankreichs Aufregung über Sadowa zu beschwichtigen, ernstlich die Cession Luxemburgs zugelassen hätte, wäre verhöhnt und vielleicht mißhandelt worden. Obgleich Bismarck im August 1866 und im Winter auf 1867 mit Benedetti nie ein Versprechen ausgetauscht, immer aber sehr bestimmte Möglichkeiten besprochen hatte, gab es keinen französischen Diplomaten, der ihn nicht wegen seines Verfahrens in der Luremburger Sache eines schnöden Wortbruchs beschuldigt hätte. Überhaupt fehlte ihnen für die Natur des gewaltigen Mannes, für die seltne Verbindung furchtlosen Voranschreitens mit kühler Berechnung und beherrschender Einsicht jedes Verständniß. Wo er ruhig erschien, dachten sie an verborgene Arglist, wo er kräftig hervortrat, an leidenschaftlichen Jähzorn. Daß er von den Gefühlen der deutschen Nation redete, die er schonen müßte, ebenso wie Napoleon die der französischen, machte vollends keinen Eindruck. Wir kennen eine badische, hessische, sächsische Nation, hatte einst Thiers gesagt, und wollen nicht dulden, daß sie zu einer deutschen unter Preußens Führung verbunden werden. Bismarck aber, davon war man überzeugt, wolle diese Einigung von Deutschland, habe sie von jeher für seinen Lebenszweck erklärt, und werde so bald wie möglich trog des Widerspruchs der Mächte die Ausführung beginnen. Da nun sowohl Frankreich

als Österreich zur Zeit mit einer Neugestaltung ihres Heer= wesens beschäftigt, also zu einem bewaffneten Einschreiten nicht befähigt waren, so beschloß man in Paris, einstweilen den jezigen Status quo sich gefallen zu lassen, unter dem Vorbehalt, jedes weitere Vordringen Preußens über die Mainlinie hinüber als Kriegsfall anzusehn und danach, wenn möglich, zu verfahren. Was man vor wenigen Monaten den Kammern im Gelbbuche über die Rechte der Südstaaten und den Inhalt des Prager Friedens erklärt hatte, war bei der jetzigen Stimmung vergessen. Die neue Lesart lautete dahin, Preußen habe sich durch den Prager Frieden sowohl dem Pariser als dem Wiener Hofe verpflichtet, daß die Unabhängigkeit der füddeutschen Staaten erhalten bleibe; die beiden Höfe seien also berechtigt, jede Änderung dieses Verhältnisses mit den Waffen in der Hand zu verhindern.

Da noch oft von dem Prager Frieden in diesem Sinne die Rede sein wird, erscheint es zweckmäßig, den betreffenden vierten Artikel hier uns noch einmal zu vergegenwärtigen.

Nachdem darin Österreich die Auflösung des bisherigen deutschen Bundes anerkannt und einer Neugestaltung desselben ohne seine Betheiligung zugestimmt hat, heißt es weiter: ebenso verspricht Seine Majestät der Kaiser von Österreich das engere Bundesverhältniß anzuerkennen, welches Seine Majestät der König von Preußen nördlich von der Linie des Mains begründen wird, und erklärt sich damit einverstanden, daß die südlich von dieser Linie gelegenen deutschen Staaten in einen Verein zusammentreten, dessen nationale Verbindung mit dem norddeutschen Bunde der nähern Verständigung zwischen beiden vorbehalten bleibt, und der eine internationale unabhängige Existenz haben wird.

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Der vierte Artikel des Prager Friedens.

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Zunächst ist es unwidersprechlich, daß diese Bestimmungen den süddeutschen Staaten, die bei dem Vertrage nicht mitgewirkt hatten, schlechthin keine Verpflichtung auferlegen konnten. Auch die beiden Großmächte haben nach dem deutlichen Wortlaut des Artikels sich nicht zugesagt, die Gründung eines Südbundes zu veranlassen; sie haben nur die negative Pflicht übernommen, eine solche Gründung nicht zu hindern. Die Südstaaten behielten hierin völlige Freiheit. Wenn sie sich in der angegebenen Weise vereinten, so blieb es dem Gutdünken ihres Bundes überlassen, in irgend eine nationale Verbindung mit dem Nordbund zu treten, ohne dadurch die internationale Unabhängigkeit dem Auslande gegenüber einzubüßen. Wenn sie dagegen die Erschaffung eines Südbundes unterließen, so war der darauf bezügliche Saz des Prager Friedens überhaupt wie nicht mehr vorhanden, und es war rechtlich unmöglich, daraus für die einzelnen Südstaaten Rechte oder Pflichten abzuleiten, z. B. einem derselben oder allen den einfachen Eintritt in den Nordbund zu verbieten. Denn mit der Auflösung des alten deutschen Bundes hatte jeder von ihnen volle Souveränität und folglich auch freies Verfügungsrecht darüber gewonnen.

Aber Preußen: war es durch den Vertrag nicht verpflichtet, den Eintritt füddeutscher Staaten in den Nordbund abzulehnen? Hierüber gab es auch in Deutschland verschiedene Ansichten. Die badische Regierung zog den einfachen Schluß, da mit dem Wegfall des Südbundes die betreffende Clausel über denselben bedeutungslos werde, sei sie auch für Preußen nichtig, und dieses zu jedem Vertrage mit jedem süddeutschen Staate berechtigt. Daneben aber machte sich eine strengere Auffassung geltend. Der Prager Friede stellte ohne Zweifel

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