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aber weder Vincke's Energie, noch Lasker's Schärfe, noch Schulze's Pathos vermochten die allgemeine Unruhe und Ungeduld zu beherrschen. Bismarck bat wiederholt in dringendem Tone um die Annahme der durch zwei Grafen Stolberg eingebrachten conservativen Anträge, damit nicht im letzten Augenblick das Schicksal der ganzen Verfassung in Frage gestellt würde. Als ihm aber Graf Bethusy-Huc erklärte, er wünsche für Ujest zu stimmen, werde aber zu Stolberg übertreten, wenn Bismarck ausdrücklich ausspreche, daß der Antrag Bennigsen-Ujest für die Regierungen unannehmbar sei: da entgegnete Bismarck, dazu habe er keine Vollmacht; würde der Antrag Ujest angenommen, so würde der Bundesrath darüber die Entscheidung der Souveräne einholen. Damit schwand der lezte Zweifel. Die Anträge Stolberg wurden abgelehnt, und darauf der Antrag Ujest-Vennigsen mit 202 gegen 80 Stimmen angenommen. In der Mehrheit befanden sich außer den Antragstellern drei Viertel der Conservativen, darunter Prinz Friedrich Carl und Bismarck's Vertrauter Wagener (Neustettin), so wie Vincke mit den Altliberalen. Minister von Roon fehlte. Bismarck selbst hielt auch hier an der einmal angenommenen Haltung fest und befand sich mit einem kleinen Häuflein conservativer Genossen in der sonst durch Demokraten, Ultramontanen, Particularisten, Polen und Dänen gebildeten Minderheit.

Die weitern Artikel gingen, hier und da von kurzen Bemerkungen begleitet, ohne Schwierigkeit durch, und Simson konnte die Vollendung des großen Werkes erklären.

Am 17. April verkündete darauf Bismarck die Annahme der Verfassung durch die norddeutschen Regierungen, und verlas eine Botschaft König Wilhelm's, welche den Reichstag

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Verkündung der Verfassung.

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zum feierlichen Schlusse seiner Sihung in das königliche Schloß entbot.

Die Thronrede sprach die Anerkennung des patriotischen Sinnes aus, welcher die Arbeiten des Reichstags geleitet habe, so wie der allseitigen Opferwilligkeit, in welcher Regierungen und Volksvertretung das gemeinsame Ziel erreicht und auf festem Grunde ein die Zukunft sicherndes Verfassungswerk aufgerichtet haben.

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„In diesem allseitigen Entgegenkommen,“ fuhr der König fort, in der Ausgleichung und Überwindung der Gegensätze, ist zugleich die Bürgschaft für die weitere fruchtbringende Entwicklung des Bundes gewonnen, mit dessen Abschluß auch die Hoffnungen, welche uns mit unsern Brüdern in Süddeutschland gemeinsam sind, ihrer Erfüllung näher gerückt werden. Die Zeit ist herbei gekommen, wo unser deutsches Vaterland durch seine Gesammtkraft seinen Frieden, sein Recht und seine Würde zu vertreten im Stande ist. Das nationale Selbstbewußtsein, welches im Reichstag zu erhebendem Ausdruck gelangt ist, hat in allen Gauen des deutschen Vaterlandes kräftigen Wiederhall gefunden. Nicht minder aber ist ganz Deutschland in seinen Regierungen und in seinem Volke darüber einig, daß die wieder gewonnene nationale Macht vor Allem ihre Bedeutung in der Sicherstellung der Segnungen des Friedens zu bewähren hat.“

Die königlichen Worte wurden weithin durch Deutschland und Europa vernommen. Sie sprachen mit unverkennbarem Nachdruck den Willen aus, mit Jedermann im Frieden zu leben, Deutschlands weitere Entwicklung sich ruhig vollziehn zu lassen, aber schlechterdings keinen Eingriff des Auslandes in unser nationales Leben zu gestatten.

Was die Bundesverfassung betrifft, so fand Bismarck's fräftiges Wort vom 10. März vollständige Erfüllung. Wie ausdrücklich auch der preußische und der Mecklenburger Landtag sich das Recht der Bestätigung oder der Verwerfung vorbehalten hatten: keiner der 22 Landtage wagte es, die Anerkennung zu versagen. Fortan gab es kraft des Inhalts dieser Verfassung und insbesondere kraft ihres Artikels 78 wieder eine gemeinsame Obrigkeit über alle Staaten des Bundes, mochte sie auch noch so bedeutende Stücke der politischen Befugnisse den Einzelstaaten für jezt überlassen haben. Allerdings streiten noch heute die gelehrten Juristen, ob das Werk des 17. April 1867 ein Staat im prägnanten Sinne, oder ein Bundesstaat oder ein Staatenbund nach den von der Wissenschaft angeblich festgestellten Schulbegriffen ist, ob die angeblich untheilbare Souveränität in ihm dem Kaiser oder dem Bundesrath oder nach Vertragsrecht den verbündeten Fürsten angehört. Das politische Leben der Nation hat sich nicht viel darob gekümmert. Die Verfassung hat sich bald ein Menschenalter hindurch weit genug gezeigt, um sowohl eine fruchtbare Entwicklung der particularen Eigenthümlichkeiten als der constitutionellen Volksrechte zuzulassen. Weder ein preußischer noch ein monarchischer Eigenwille hat den einen oder den andern Eintrag gethan. Auf der andern Seite hat sich die Bundes-Centralgewalt, selbst nach ihrer starken Beschränkung durch die Verträge von 1871, in Bismarck's Händen stark genug bewiesen, die gesammte Nation zu einem deutschen Reiche fest zusammen zu fassen, und ihr eine gesicherte und ruhmreiche Stellung unter den Völkern der Erde zu verschaffen. Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringen, ob sie uns stets vor schweren

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eignen Fehlern und vor feindlicher Übermacht bewahren wird. Aber wie dem auch sei, schon jezt hat eine völlig ausreichende Erfahrung dargethan, daß die Arbeiter von 1867 ein Werk geschaffen haben, dessen weitere Entwicklung, nach König Wilhelm's Worten, wir mit Vertrauen der Zukunft überlassen können. Stat mole sua.

5. Capitel.

Verhältniß zum Auslande.

Die Verfassung des Norddeutschen Bundes war abgeschlossen, und die preußische Regierung hatte freiere Hand für die auswärtigen Beziehungen. Zwar hatte die bedenkliche Luxemburger Sache noch am letzten Tage des Reichstags die Gemüther wiederum erregt und Bismarck gezeigt, wie gefährlich für seine nationale Politik ein ungünstiger Ausgang werden konnte. So erwünscht ihm also der russische Vorschlag einer europäischen Conferenz auch kam, so erklärte er doch am 26. April dem englischen Botschafter, Lord Loftus, daß eine Conferenz ihm ganz genehm sei, daß er sich aber dem deutschen Nationalgefühl anbequemen müsse, und daß über dessen Entschließungen noch keine sichere Erfahrung vorliege. So sei es ihm zur Zeit unmöglich, eine bestimmte Basis für die Verhandlungen der Conferenz anzunehmen, (Rußland hatte als solche, wie wir sahn, die Räumung der Festung und die Neutralisation des Landes unter europäischer Garantie vorgeschlagen), oder im Voraus sich zur Unterwerfung unter die Beschlüsse der Conferenz zu verpflichten. Immerhin sei es möglich, daß Preußen im Verlaufe der

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