Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

der Tarife u. s. w. vor. Es erschien eine Reihe von Verbesserungsanträgen, genauere Bestimmungen zur Verhütung administrativer Willkür, über welche ohne Mühe eine Verständigung mit dem Ministerialdirector Delbrück, der hier die Regierungen vertrat, erreicht wurde. Einen Antrag auf Erweiterung der Bundescompetenz wies Delbrück als im Widerspruch mit dem Bundesvertrag der Regierungen stehend zurück. Ebenso einmüthig fielen am 2. April die Beschlüsse über das Post- und Telegraphenwesen, welches der Entwurf für das ganze Bundesgebiet unter die Leitung des Präsidiums stellte. Ein Antrag auf gänzliche Aufhebung des Postzwangs und des Postmonopols wurde abgelehnt, alle Artikel des Entwurfes angenommen.

Auch bei dem folgenden Abschnitte über Marine und Consulate erhob sich kein bemerkenswerther Widerspruch. Es entspann sich eine lebhafte Verhandlung über die Nothwendigkeit einer mächtigen deutschen Flotte, welche der Chef des norddeutschen Lloyd, Meier aus Bremen, ebenso nachdrücklich behauptete, wie der Hamburger Chapeaurouge fie bestritt, worauf dann Schleiden eine lange Rede hielt, über die Minister von Roon nachher erklärte, er habe nicht entdecken können, ob der Redner für oder gegen eine Flotte sei. Für die Handelsschiffe sah der Entwurf die schwarzweiß-rothe Flagge vor; das Haus beschloß, diese Bestimmung auch auf die Kriegsflotte auszudehnen. Franz Duncker widmete darauf dem romantischen Schwarz-roth-gold von 1848 einen wehmüthigen Nachruf, der jedoch ohne Erwiderung oder Folgen blieb. Der Satz des Entwurfs über den Etat der Marine wurde hier gestrichen, als zu dem Abschnitt über die Bundesfinanzen gehörig.

1867 Parteien im Streit über Kriegswesen und Bundesfinanzen. 133

So gelangte man am 3. April zu den wichtigen Titeln Kriegswesen und Finanzen, und hier trat an die Stelle der lezten Meeresstille ein von verschiedenen Seiten einherbrausender Sturm, welcher dicht vor dem Hafen das Verfassungsschiff dem Untergang nahe brachte. Die preußischen Liberalen lieferten hier ein großes Nachspiel zu ihrem Kampfe gegen die Heeresreform von 1862 bis 1866. Zum Verständniß des Folgenden wird es zweckmäßig sein, was darüber im zweiten Bande dieses Buchs berichtet ist, in Erinnerung zu bringen und zu ergänzen.

Wie wir gesehn, bekämpfte damals die Opposition die neue Heerverfassung zuerst auf dem Felde des Budgets: als sie die Kosten desselben gestrichen hatte, erwartete sie anderweitige Vorschläge oder die Auflösung der neuen Bataillone. Statt dessen verwarf das Herrnhaus ihr ganzes Budget, und die Regierung führte in diesem Nothstande ein budgetloses, nach Ansicht der Opposition verfassungswidriges Regiment, bis 1866 die Regierung die Anerkennung ihrer Ausgaben durch den Landtag vermittelst der Annahme ihrer Indemnitätsbill erwirkte.

Zwei andere, während des Kampfes von der Opposition aufgestellte Behauptungen aber blieben 1866 unerledigt, wurden vielmehr von ihr durch neue Beschlüsse bekräftigt. Sie faßten sich in dem Saße zusammen, daß, auch abgesehn von den Kosten, die neue Heerverfassung in Widerspruch mit zwei rechtskräftigen Gesezen stehe, also nicht durch einseitigen Willensact des Königs, sondern nur unter Zustimmung des Landtags hätte angeordnet werden können.

Schon im Jahre 1860 wurde bemerkt, daß das grundlegende Gesetz vom 3. September 1814 der Kriegsreserve

der Linie nur zwei Jahrgänge der ausgedienten Mannschaft, die neue Heerverfassung aber deren 4 oder 5 zuweise, also gegen das Gesetz 2 oder 3 Jahrgänge der Landwehr zu Reservisten der Linie mache. Die Regierung erwiderte, daß die Reservisten erst bei einer Mobilmachung zur Fahne einberufen würden, daß aber auch für die Landwehr gerade nach dem Geseze vom 3. September die Mobilmachung den Beginn des Kriegsstandes bedeute, in welchem die Regierung freie Verfügung über alle Mannschaftsclassen habe. Daß die Einwendungen der Opposition gegen diese Säße unhaltbar waren, haben wir oben gesehen.

Bis zum Jahre 1863 hatte niemand einen Zweifel dagegen geäußert, daß, abgesehn von dem Geldpunkte, der König nach dem Geseze von 1814 freie Hand habe, jeder Zeit die Stärke und die Formation des Heeres zu bestimmen und abzuändern. In jenem Jahre aber glaubte Rudolf Gneist die Entdeckung gemacht zu haben, Friedrich Wilhelm III. selbst habe durch eine in der Gesetsammlung publicirte Cabinetsordre vom 22. December 1819 die Formation des Linienheeres nach Stärke, Zahl und Gruppirung seiner Truppenkörper geseglich festgelegt, so daß also zu ihrer Abänderung ein neues Gesetz, mithin jezt die Zustimmung des Landtags erforderlich, und bis zu deren Erlangung die Heerverfassung von 1861 verfassungswidrig sei. Gneist fügte dieser Behauptung eine allgemeine Erörterung hinzu, in welcher er mit weitem politischem Blicke und glänzender Beredsamkeit darlegte, wie zu allen Zeiten die gesetzliche Feststellung der Heerverfassung ein Interesse ersten Ranges für Staat und Volk sei, um eine so wichtige Einrichtung sowohl gegen ministerielle als gegen parlamentarische Willkür zu sichern.

1867 Streit über die Cabinetsordre vom 22. Dec. 1819. 135

Gegen die Richtigkeit dieser allgemeinen Ausführung (de lege ferenda) besteht heute kein Widerspruch mehr. Eine andere Frage ist es, ob seine historische Behauptung (de lege lata) damals begründet war.

War die Ordre von 1819 im Sinne des Königs in der That ein Gesek, also jezt ihre Änderung der Zustimmung des Landtags bedürftig? oder war sie nur eine jeder Zeit allein durch königliches Belieben zu ändernde Verordnung?

Ihre Veröffentlichung durch die Gesetzsammlung liefert feinen Beweis für das erstere. Denn unter dem absoluten Königthum nahm man es nicht so genau mit der Unterscheidung von Gesez und Verordnung. Damals sind eine Menge Cabinetsordres in die Geseysammlung aufgenommen worden, denen heute kein Mensch den Charakter eines Geseßes beilegen und für ihre Änderung einen Landtagsbeschluß fordern würde: Ernennung einzelner Personen zu gewissen Ämtern, Regulirung des innern Dienstes in einem Ministerium, kleine Verwaltungsmaaßregeln, wie z. B. Bestimmung des Passirgeldes bei einer gewissen Brücke u. s. w.

Wollte man nun auch einräumen, die Ordre von 1819 sei deshalb als Gesetz zu betrachten, weil sie einige Änderungen eines älteren Gesezes, der Landwehrordnung von 1815, vorschreibt, so käme man damit in der wesentlichen Frage, der Formation des Linienheeres und deren gesetzlicher Festlegung, nicht um einen Schritt weiter. Die Ordre gibt eben. eine neue Formation der Landwehr, nicht aber eine solche der Linie. Die letztere war durch zwei Ordres aus dem Mai 1817 und dem September 1818 vollständig geregelt, beide Ordres aber nicht in die Gesetzsammlung aufgenommen

worden und wenn die Aufnahme den Gesezcharakter zweifelhaft läßt, so ist nichts sicherer, als daß die Nichtaufnahme ihn ausschließt. Der wesentliche Gedanke, welchen die Ordre von 1819 für die Landwehr durchführt, ist der Sah, daß ihre Infanterie der acht Armeecorps in den Provinzen dieselbe Zahl der Bataillone, Regimenter und Brigaden mit gleicher Kriegsstärke haben soll, wie sie die Linie das Jahr zuvor erhalten hat. Offenbar folgt daraus, auch wenn die Ordre als Gesetz zu betrachten wäre, nicht im Mindesten der Schluß, mit der geschlichen Feststellung der Landwehr-Regimenter sei auch die Formation der Linientruppen gesetzlich festgelegt. Höchstens ließe sich aus der geforderten Gleichheit beider folgern, es müßte auch künftig mindestens ebenso viele Linienwie Landwehrbataillone geben, oder umgekehrt, es müßten bei einer Vermehrung der erstern auch die lettern entsprechend vermehrt werden. Nimmermehr aber läßt sich aus der Ordre von 1819 die Nothwendigkeit eines Gesches für jede neue Organisation oder jede Vermehrung der Linientruppen ableiten.

Sicher ist 1819 der König selbst nicht dieser Meinung gewesen. Dies steht fest durch die Thatsache, daß er gleich in den beiden folgenden Jahren mehrere Linienregimenter neugeschaffen oder umgestaltet, sowie, daß er der GardeLandwehr in Abänderung der Ordre von 1819 eine neue Formation gegeben hat, Alles durch Ordres, welche nicht in der Geschsammlung publicirt sind, also nur den Charakter von königlichen Verordnungen haben. Friedrich Wilhelm III. ist weit von dem Gedanken entfernt gewesen, daß er seit dem 22. December 1819 nur auf dem Wege der Gesetzgebung an seiner Heerverfassung zu ändern befugt sei.

« ZurückWeiter »