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Theorie hingibt. Die unendlich verschlungenen Faktoren des geschichtlichen Lebens betrachtet er mit dem Auge des Naturforschers. Er sucht überall nach Gesetzmäfsigkeit und so sehr sich auch die Tatsachen dagegen sträuben, er spannt sie gleichwohl auf den Marterpfahl seines willkürlich erfundenen Kanons. Auf diese Weise kommt. ein Staatsideal heraus, dem ebensowenig Realität zukommt wie dem platonischen Staat. Zum Glück sorgte die Starrheit der Theorie schon selbst dafür, dafs die felsenfeste Überzeugung von ihrer Untrüglichkeit mit zunehmender Erfahrung in seinem späteren Lebensalter zum Wanken kam. Übrigens mufs ausdrücklich betont werden, dafs das sechste Buch in der Absurdidät seiner Gedanken eine Sonderstellung einnimmt. Denn wenn auch die anderen1) Bücher in demselben Geiste abgefafst wären, dann würde Polybius schwerlich den Ruf als Geschichtschreiber geniefsen, der ihm in Wirklichkeit ganz nach Gebühr zukommt.

Neustadt a. H.

Joseph Rupert Bäumel.

Die Einschränkung des Lateinunterrichtes nach Flierles Vor

schlägen.

Die folgenden Bemerkungen waren schon entworfen und zum Teil niedergeschrieben, als mir der (erweiterte)2) Vortrag Flierles über die Stellung des Lateinischen am modernen humanistischen Gymnasium durch die Gymnasialblätter (vgl. vor. Jahrg. S. 641 ff.) und nachträglich auch die Reformvorschläge eines,,Schulmannes" und Vaters in der Beilage der Allgem. Zeitung (vgl. Nr. 184 des Jahrg. 1907 S. 76) bekannt wurden. Da gab es zu kürzen: ne bis in idem! Denn in vielen Punkten habe ich nur meine grundsätzliche Übereinstimmung mit beiden Fachgenossen zu bekennen. Man möge daher das Folgende nicht als eine Kritik, sondern zunächst als eine Ergänzung auffassen!

Vor allem möchte ich auf das Mifsverhältnis aufmerksam machen, welches zwischen den Anforderungen im lateinischen Stil und der in der Oberklasse auf Stilübungen verwendbaren Zeit besteht. Während nach den preussischen Lehrplänen von 1901, die bekanntlich wieder sieben Lateinstunden für die Prima gebracht haben, zwei Stunden ausdrücklich für Grammatik vorgesehen sind,) sagt die bayerische Schulordnung darüber nichts Bestimmtes. Tatsächlich wird aber in der Oberklasse der bayerischen Gymnasien von den sechs Wochenstunden für Latein wohl allgemein nur eine auf Stilübungen verwendet. Die Jahresberichte besagen hierüber freilich nichts Genaues: nur bei

1) Dals Polybius in den anderen Büchern gezeigt hat, dafs er das Rüstzeug zum Historiker hat, das weist in Bezug auf die Psychologie treffend nach C. Wunderer, Die psychologischen Anschauungen des Historikers Polybios, Erlanger Progr. 1905. 2) Nach Flierles Mitteilung im Gegenteil gekürzt. (Die Red.)

9) Insofern kann ich Flierles Bemerkung (S. 649), dafs die bayerische Schulordnung hinsichtlich des Lateinschreibens konsequenter sei als die preufsischen Lehrpläne, nicht ganz anerkennen. Denn es kommt doch wohl weniger auf den Wortlaut an, in welchen das Lehrziel gefasst ist, als auf die für die Erreichung dieses Zieles zur Verfügung gestellte Zeit.

ganz wenigen Anstalten ist ausdrücklich angegeben, dass die Stilübungen auf eine Stunde beschränkt sind; bei den meisten Anstalten ist nur die Verteilung der sechs Stunden auf zwei Stunden Horaz und vier Stunden Prosalektüre samt Stilübungen zu erkennen. Aber nach eigener Erfahrung und verschiedentlichen Nachfragen leidet es keinen Zweifel, dafs von letzteren vier Stunden in der Regel drei auf den Prosaiker kommen und nur eine auf Stilübungen verwendet wird.1) In diesen Stilübungen sind zudem bei nicht wenigen Anstalten ausweislich der Jahresberichte Versionen d. h. Übersetzungen aus dem Lateinischen mitinbegriffen. Wenn wir nun auch annehmen, dafs diese Versionen vorzugsweise im Anschlufs an den gelesenen Prosaiker und auch in den für diesen bestimmten Stunden vorgenommen werden, so ergeben sich doch für die eigentlichen Stilübungen nicht viel mehr als etwa dreifsig Stunden des (für die Oberklasse kurzen) Schuljahres. In diesen dreifsig Stunden wird aber an vielen Anstalten zugleich Grammatik und Stilistik wiederholt, so dafs die eigentlichen Übungen im fortlaufenden Übersetzen nochmals eine Einschränkung erfahren. Gar manche Stunde vergeht überdies mit der Einübung von Feinheiten und Einzelwendungen, die dem Prüfling im „Ernstfall" d. h. in der Prüfung gerade so viel nützen wie dem Soldaten in der Schlacht der Parademarsch und manche zum Überdrufs wiederholte Schwenkung. Mehr als ein Lateinlehrer der Oberklasse hat in den letzten Jahren geseufzt, dafs seine Schüler in der Absolutorialaufgabe keine Gelegenheit gehabt hätten zu zeigen, was sie während des Schuljahres gelernt hatten. Und doch entscheidet die beim Absolutorium gefertigte Übersetzung aus dem Deutschen ins Lateinische nicht nur bei vielen Schülern über die Note aus dem Latein sondern auch bei gar manchen über das Bestehen der ganzen Prüfung. Das ist ein unhaltbarer Zustand: Entweder mufs die deutsch-lateinische Übersetzung bei der Absolutorialprüfung zurücktreten oder es müssen wie in Preufsen wieder zwei lateinische Grammatik- bzw. Übersetzungsstunden in der Oberklasse eingeführt werden. Wer aber die Zeichen der Zeit versteht, wird den ersteren Weg vorziehen. Nicht etwa nur Gegner der Gymnasialbildung, sondern gerade ihre wärmsten Freunde haben schon lange ausgesprochen, dafs das Gymnasium nicht in den Stilübungen seine Hauptstärke sehen darf. Professor Crusius hat in den Anmerkungen zu seiner Gedächtnisrede auf W. v. Christ (K. B. Akad. d. Wissensch. 1907) daran erinnert, wie nachdrücklich Christ die Ansicht vertrat, dafs das Gymnasium die stilistischen Kunstwerke um einen deutsch gedachten Text in gutes Latein zu übersetzen" entbehren könne. Man braucht darum die deutsch-lateinischen Übersetzungen nicht ganz aus den oberen Klassen zu verbannen. Aber die Übungen müssen anders gestaltet, die Übungsbücher müssen vereinfacht werden. Letztere verlangen vielfach mehr als die Absolutorialaufgaben; daher denn auch. die oben berührte Enttäuschung so mancher Lateinlehrer, wenn die

1) Auch die Schulordnungen von 1874 und 1854 enthielten darüber nichts Bindendes, doch waren meines Wissens in früherer Zeit zwei Wochenstunden für lateinische Stilübungen allgemein üblich.

Prüfung so wenig Gelegenheit bietet das während des Jahres Geübte zu verwerten. Unsere SchO. enthält in § 10, 1 und in § 33, 2 Hinweise, dafs die Übersetzungsstoffe aus dem Ideenkreis der alten Schriftsteller entnommen und nicht zu schwierig sein sollen. Und die Absolutorialaufgaben namentlich der letzten Jahre entsprachen dieser Norm sie waren gewifs nicht zu schwierig und waren dem Ideenkreis der alten Welt entnommen. Aber dazu stimmen die Stücke in den Übungsbüchern nicht recht mehr. An der überwiegenden Mehrzahl der bayerischen Gymnasien ist ausweislich der Jahresberichte das Buch von Bauer-Gerstenecker eingeführt,1) an einigen Anstalten auch das Buch von Gerathewohl. Beides treffliche Bücher, aber für heutige Verhältnisse zu schwierig, auch darin nicht ganz den Vorschriften entsprechend, dafs sie vielfach Stoffe bieten, die nicht dem Ideenkreise der alten Welt entnommen sind.

Die gänzliche Abschaffung der deutsch-lateinischen Übersetzungen in der Oberklasse und bei der Absolutorialprüfung würde ich nicht befürworten. Die Erfahrungen, welche man im Griechischen gemacht hat, wo nach Wegfall der Übersetzung in das Griechische doch ein unverkennbarer Rückgang in der Sicherheit der Kenntnisse eingetreten ist, sprechen gegen eine gänzliche Beseitigung der Hinübersetzung. Das Richtige dürfte sein, ähnlich wie im Französischen eine Übersetzung aus dem Lateinischen und eine solche in das Lateinische zu verlangen. Ob es aber bei der Einschränkung (nicht Abschaffung) der lateinischen Stilübungen möglich sein wird eine oder mehrere Lateinstunden einzusparen, das ist eine besondere Frage, welche ich erst beantworten möchte, nachdem ich die übrigen Forderungen, welche Flierle für das moderne Gymnasium erhebt, auf ihre Dringlichkeit geprüft habe.

Von den Reformvorschlägen, wie sie übersichtlich in dem Stundenplan a. a. O. S. 661 erscheinen, möchte ich zunächst nur drei als vordringlich anerkennen:

1. Die Vermehrung der französischen Stunden in Kl. 8 und 9; 2. Die Vermehrung der deutschen Stunden in Kl. 7;

3. Die Ausdehnung des obligatorischen Zeichenunterrichtes auf die fünf unteren Klassen (mit Fortsetzung als Wahlfach in den oberen Klassen).

Die 1. und 3. Forderung ist von den Vertretern der betreffenden Fächer schon wiederholt nachdrücklich geltend gemacht und überzeugend begründet worden; diese Vorschläge lassen sich in der Tat kaum länger abweisen, wenn sich das Gymnasium nicht immer wieder den Vorwurf der Rückständigkeit zuziehen will. Aber auch was die 2. Forderung anlangt: eine dritte deutsche Stunde in der 7. Klasse, so ist über deren Berechtigung kein Wort weiter zu verlieren. Ich würde nicht anstehen mit Prof. Flierle auch die Ausdehnung des Physikunterrichtes auf die Oberklasse als eine nicht abzuweisende Forderung zu bezeichnen, wenn nicht schon die bisherige Lehraufgabe der Oberklasse ausdrücklich die Vertiefung des physikalischen Lese

1) Nur erscheint es vermöge der Dreizahl der Verfasser in allen möglichen Benennungen, am häufigsten in der oben gewählten.

stoffes der früheren Klassen in sich schlösse. Als recht wünschenswert möchte ich ferner mit Flierle eine zweite Geographiestunde für die 5. Klasse, sowie die schon wiederholt angeregte Neuverteilung des Geschichtspensums für Kl. 8 und 9 bezeichnen: Wenn die Geschichte in der 8. Klasse bis 1789 oder wenigstens bis 1740 fortgeführt wird, so bleibt in der 9. Klasse nicht nur Zeit für den (nicht nur wegen der Absolutorialprüfung!) recht notwendigen dritten Gang durch die Weltgeschichte, sondern es wird sich auch ermöglichen lassen bei der Darstellung der neuesten Zeit länger zu verweilen, namentlich auch zum Zwecke der (von Flierle u. a. geforderten) Erneuerung und Vertiefung des geographischen Wissens. Doch das alles sind Umgestaltungen, die sich ohne weiteres, d. h. ohne Beschränkung anderer Fächer durchführen lassen; allenfalls müfste für die zweite Geographiestunde in der 5. Klasse eine Lateinstunde geopfert werden, damit die Gesamtstundenzahl der Klasse (28) nicht überschritten würde. Die vorgeschlagenen neuen Zeichenstunden kann ich als keine Mehrbelastung betrachten: tatsächlich sind an den meisten bayerischen Gymnasien schon jetzt alle (oder fast alle) Schüler der Kl. 2-5 am Zeichenunterricht beteiligt und die erste Klasse kann das Mehr von zwei Zeichenstunden sicherlich vertragen: schon jetzt wundern sich Schüler und Eltern, wenn das Zeichnen, das in der Volksschule so eifrig betrieben wird, in der ersten Gymnasialklasse ruhen soll.

Somit würde es sich nur darum handeln, für die dritte deutsche Stunde in der 7. Klasse, sowie für die dritte französische Stunde in Kl. 8 und 9 Raum zu schaffen. Da es wohl im Zeitalter der Hygiene. und der Turnspiele nicht angeht die Gesamtstundenzahl für diese Klassen zu erhöhen (wiewohl sie bekanntlich in Bayern niedriger ist als im übrigen Deutschland und im benachbarten Österreich), so bleibt freilich kein anderer Ausweg als einem der andern Fächer eine Stunde zu nehmen. Koll. Flierle hält in der Oberklasse eine der (4) deutschen Stunden für entbehrlich. Ich glaube nicht, dafs ihm in diesem Punkte die Mehrzahl der Lehrer des Deutschen in der Oberklasse beistimmen wird. Die Aufgaben, die dem deutschen Unterricht in der Oberklasse zufallen, sind so vielgestaltig und reichhaltig, dafs man vollauf zu tun hat, um dieselben in den vier Stunden zu erledigen1). Griechisch und Mathematik, Religion und Geschichte werden nichts abgeben können oder wollen. So wird in der Tat nichts andres übrig bleiben als in den Kl. 7-9 das Lateinische um je eine Stunde zu kürzen, so dass die 7. Kl. 6, Kl. 8 und 9 je 5 Lateinstunden hätten (und bei allenfallsiger Erweiterung des Geographie-Unterrichtes die Kl. 5 statt 8 nur 7 Lateinstunden). Unter der Voraussetzung, dafs die Stilübungen

1) Ich verteile die vier Stunden so: 1. Aufsatz und Dispositionen, 2. Lektüre, 3. Vorträge und Gedichte, 4. Literaturgeschichte. Anderswo wird anders verteilt werden, aber an Stoff wird es nirgends fehlen. Es wäre dankenswert, wenn sich zu dieser Frage (der Verteilung des deutschen Lehrstoffes in der Oberklasse) ein berufener Kollege äussern wollte. Derselbe könnte zugleich die (freilich etwas „undankbare") Aufgabe übernehmen, die meines Erachtens viel zu weitgehenden Vorschläge Koll. Hirmers bezüglich der Einschränkung der deutschen Hausaufgaben auf ein richtigeres Mass zurückzuführen.

eingeschränkt würden, liefse sich damit wohl auskommen; freilich würde wohl auch die lateinische Prosa lektüre einige Einbusse erfahren; Virgil und Horaz dürfen nicht die Kosten bezahlen.

Die Gesamtstundenzahl für das Lateinische würde so von 66 Stunden auf 63 (bzw. 62) herabgemindert (bei Flierle auf 57). Einer weitergehenden Einschränkung des Lateinunterrichtes würde ich unter keinen Umständen das Wort reden. Einmal mit Rücksicht auf die Stundenzahl, welche dieses Fach an den humanistischen Gymnasien der übrigen deutschen Bundesstaaten behauptet (in Preufsen 68, in Württemberg 72). Denn es ist jedenfalls wünschenswert, dafs die Anforderungen und Leistungen in den einzelnen Fächern für die verschiedenen deutschen Bundesstaaten wenigstens annähernd gleich bleiben. In Preufsen und Württemberg ist aber eine weitere Herabsetzung der Stundenzahl für das Latein zunächst nicht zu erwarten. Eine Gesamtzahl von 63 (62) Stunden dürfte aber auch an sich ein Mindestmafs darstellen, wenn das Latein in 9 Jahreskursen erlernt werden soll. Würde man unter dieses Mafs herabgehen, so würde wohl die Gründlichkeit der Erlernung einer so schwierigen Sprache eine bedenkliche Einbufse erfahren. Wir wissen, dafs es schon gegenwärtig nicht zum besten um die lateinischen Kenntnisse unserer Abiturienten steht. Es wäre dankenswert, wenn wieder einmal, wie das in früheren Jahrzehnten geschehen ist, alle lateinischen Prüfungsarbeiten von allen bayerischen Gymnasien an den Obersten Schulrat eingeliefert und von einem berufenen Zensor durchgesehen würden. Es wäre freilich keine angenehme Arbeit annähernd 1200 Übersetzungen zu vergleichen, aber die Arbeit würde sich doch lohnen. Das nächste Ergebnis wäre wohl der Nachweis, dafs die eigentliche Kunst des Lateinschreibens, insbesondere das, was man color Latinus nennt, im Absterben ist. Aber es könnten auch gewisse Kategorien an Einzelfehlern festgestellt werden, woraus dann ein Schlufs ermöglicht würde, in welcher Richtung die grammatischen und stilistischen Übungen der oberen Klassen einzusetzen haben. Es würde sich vielleicht zur Überraschung mancher Meister des Stils herausstellen, dafs die Fehler gegen die Formenlehre die syntaktischen und eigentlich stilistischen Fehler überwiegen, namentlich wenn man sich wie billig von der ciceronianischen Observanz losmacht. Vielleicht könnte eine solche Gesamtprüfung der Revision der Lehrpläne (und des Stundenplanes) noch vorausgehen. Überhaupt möchte ich davor warnen das Kind mit dem Bade auszuschütten. So will der Verfasser der Reformvorschläge in der Beilage der Allg. Zeitung das Latein für die Oberklasse ganz streichen. Aber abgesehen davon, dafs die Schüler der 8. Klasse für manches, was man auch am modernen Gymnasium nicht missen möchte (Episteln des Horaz, Kaisergeschichte des Tacitus), noch nicht reif sind, will mir ein humanist. Gymnasium, in welchem das Latein in der vorletzten Klasse aufhört, wie eine Pyramide ohne Spitze erscheinen.

Und dafs die Stunde gekommen sei, dem Lateinunterricht den Garaus zu machen, wird kein Einsichtiger zugeben. Es mag ja manchem, der durch das Gymnasium hindurchgegangen ist, beim Übertritt zu

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