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CAMBRIDGE, MA

I. Abteilung.

Abhandlungen.

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Der Kampf zweier Weltsprachen.1)

In dem Streite der Nationalitäten, der in unserer Zeit entbrannt ist, spielt der Kampf um die Sprache eine Hauptrolle. Wir brauchen nur zu verfolgen, wie im benachbarten Österreich-Ungarn das Deutschtum in schwerem Ringen sich nur mit Mühe gegen das andrängende slavische und magyarische Element hält, wie jede politisch mafsgebende Nation den im gleichen Staatsverbande stehenden Bürgern fremder Zunge ihre Sprache aufzuzwingen sucht, wie jedes noch so kleine Völkchen sich wehrt seine Sprache aufzugeben um zu ermessen, welche Bedeutung für die Erhaltung des Volkstums der Sprache zukommt. Ein solcher Sprachenstreit, wie er in unseren Zeiten tobt, ist nicht beispiellos in der Geschichte, wohl aber die Erbitterung und das Zielbewusstsein, mit dem er geführt wird.

Die Römer zwangen den unterjochten Völkern Westeuropas ihre Sprache auf, indem sie in den unterworfenen Ländern in konsequenter Weise nur ihre Sprache redeten und gelten liefsen. Die Staatssprache war im römischen Reiche die lateinische. Die Masse der italischen Kolonisten, Landwirte, Kaufleute, Veteranen, die sich in den Provinzen des Westens niederliefsen, behielt die Muttersprache und verbreitete sie. Daher erlag das Iberische und Keltische dem Lateinischen wie früher schon das Oskische und Etruskische.

Der Kampf des Romanismus mit dem Hellenismus, der lateinischen Sprache mit der griechischen war weit schwieriger als die Romanisierung des von weniger zivilisierten Völkern bewohnten Westens. Hier hatte Rom mit einem alten Kulturvolke zu ringen, welches auf die Sieger als auf Barbaren herabsah. Fand doch die römische Literatur der ciceronianischen und augusteischen Zeit bei den Griechen fast gar keine Beachtung, obwohl sie der gleichzeitigen griechischen an Gehalt weit überlegen war. Die Griechen, die gebildeten wenigstens, kannten nur ihre Literatur, nur ihre Sprache. Aber die grofse Masse des gewöhnlichen Volkes, an welcher allerdings der antike Schriftsteller

1) Diese Abhandlung beruht auf der 1906 im Dieterichschen Verlage (Theod. Weicher) in Leipzig veröffentlichten Studie des Verfassers „Rom und Romanismus im griechisch-römischen Osten. Mit besonderer Berücksichtigung der Sprache. Bis auf die Zeit Hadrians" und auf einer jüngst in der Zeitschrift „Philologus" (Suppl. X Heft 4) erschienenen Skizze desselben: „Zum Sprachenkampf im römischen Reich. Bis auf die Zeit Justinians."

Blätter f. d. Gymnasialschulw. XLIV. Jahrg.

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dem aristokratischen Charakter der antiken Welt entsprechend als an einer qualité négligeable vorübergeht, konnte sich römischem Wesen und der lateinischen Sprache nicht so bewufst verschliefsen wie die von puristischen (attizistischen) Schriftstellern geleiteten Kreise der Gebildeten. Diese versetzten sich in der Zeit der allgemeinen Obmacht des Römertums in erkünstelter Romantik in die Geschichte und Sprache der Blütezeit Griechenlands zurück, in die Zeiten, da die Hellenen bei Marathon und Salamis die Geschicke der Welt entschieden, da ein Sophokles und Aristophanes, ein Plato und Demosthenes mustergültige Werke in attischer Sprache geschaffen hatten, von der römischen Gegenwart aber nahmen sie möglichst wenig Notiz. Der gemeine Mann aber, der sich nicht künstlich in die schönere Welt der Vergangenheit zurückziehen konnte und sich in die Zeitverhältnisse fügen musste, unterlag naturgemäss im Verkehr mit römischen Soldaten, Händlern, Pächtern, Freigelassenen etc. in einem gewissen Masse und Grade der Einwirkung des Romanismus und seiner Sprache, wie die Könige und Vornehmen im Verkehr mit römischen Feldherrn, Beamten und Bankiers, die Fürstensöhne und Geiseln infolge ihres lange währenden Aufenthalts in Rom.

Den Plan auch den Osten durch Kolonisation mit römischen Elementen zu versetzen, wie es so erfolgreich im Westen geschehen war, fafste Cäsar. Korinth erstand durch ihn wieder aus seinen Ruinen und ward römische Kolonie. Aber einerseits wurde durch seinen Tod die Entfaltung des Romanismus im Orient zurückgehalten, andererseits war Italien infolge des Rückgangs der Bevölkerung nicht in der Lage wie den Okzident so auch den Osten des Reichs mit römischen Kolonien anzufüllen. Die wenigen im Gebiete des Hellenismus gegründeten Kolonien, Korinth, Paträ, Berytus etc., erlagen bald dem Andrange desselben, wenn auch die amtliche Sprache in ihnen bis ins 3. Jahrhundert die lateinische blieb.

Mehr Einfluss auf die Romanisierung hatte in den östlichen Provinzen die Erteilung des römischen Bürgerrechts. Damit war auch die Romanisierung des Namens verbunden, was der Vorkämpfer des Hellenismus gegen den Romanismus, Apollonius von Tyana, lebhaft beklagt. Auch der Apostel Paulus war römischer Bürger, was auf seine Stellung gegenüber der durch die herrschenden Römer vertretenen Obrigkeit nicht ohne Einflufs gewesen sein dürfte. Mit der Ordnung der Provinzen und der Verbreitung der geborenen und naturalisierten römischen Bürger ward der Einführung des römischen Rechts eine Bahn gemacht. Die Landrechte traten allmählich hinter das Reichsrecht zurück, zur juristischen Sprache wurde auch im Osten vornehmlich die lateinische. Berytus in Syrien ward die Hochschule für die des römischen Rechts beflissenen Orientalen, Grundlage des Studiums der speziell römischen Wissenschaft war die Kenntnis der Sprache Roms. Der Abschlufs dieser Entwicklung ist das Gesetzgebungswerk Justinians, das obwohl lateinisch abgefafst, auch für Griechen und Orientalen Geltung hatte.

Das römische Heer war ein Grundstein römischen Wesens und Ausgangspunkt für die Verbreitung desselben. Der römische Soldat vor allem war der Träger und Verbreiter des Volkslateins wie im Westen,

so in gewissem Grade auch im Osten. Wie früher die Heer esorganisation der Mazedonier, so wurde jetzt die des sieghaften Volkes des Westens vorbildlich. Gegenüber der Verweichlichung und Erschlaffung, die dem römischen Soldaten im Orient gefährlich wurde, half man sich mit zeitweiser Verlegung von Legionen und häufigem Wechsel der Offiziere. Das römische Heer war das feste Band, welches, auch als es zum grofsen Teil schon aus Barbaren und Orientalen bestand, das Reich noch zusammenhielt. In den Verband desselben aufgenommen, wurde der Illyrier und der Thrazier, der Mazedonier und der Galater, der Syrier und Ägypter mit römischem Geist erfüllt, so dafs er nichts Höheres kannte als Rom.

Den römischen Legionen folgte der römische Kaufmann. Ihm fielen die Provinzen, die in kurzer Zeit dem privilegierten römischen Kapital untertan wurden, zur finanziellen Ausbeutung anheim. In fast allen wichtigeren Handelsplätzen gab es eigene Gilden der sog. italischen Kaufleute. Auf die Zahl derselben läfst die Angabe des Valerius Maximus schliefsen, dafs Mithridates in Kleinasien 80000 Italiker nach Plutarch waren es sogar 150 000 hat töten lassen. Je mehr die Provinzialen durch die Erteilung des römischen Bürgerrechts im Verlaufe der Kaiserzeit den bevorrechtigten Römern gleichgestellt wurden, um so weniger vermochten diese schliesslich ihr Handelsmonopol gegenüber Juden und Syrern zu behaupten.

Mit der Ausbreitung des römischen Handels im Osten wurde auch das römisch-italische Mafs- und Münzsystem dort bekannt. Die römischen Mafse wurden im Laufe der Zeit rechtlich Reichsmafse, die römischen Münzen Reichsmünzen, der römische Kalender Reichskalender. Wie mehrfach lateinische Termini aus dem Heeres- und Staatswesen (legio, centuria, turma, ala, centurio, veteranus etc.; patronus, dictator, curator, titulus, atrium, custodia etc.), so gehen auch Münz- und Mafsbezeichnungen (denarius, milia etc,) in die Sprache der Griechen, aber auch in diejenigen der Orientalen über.

In religiöser Beziehung ist Rom in zweifacher Weise als Gebieterin der Welt aufgetreten. Zur Zeit des Heidentums ward die Staatsreligion des Kaiserkults unter Verfolgung Andersgläubiger, zuerst der Juden, dann der Christen, von Rom aus überall im Reiche zur Anerkennung gebracht. Während das alte römische Reich nicht am wenigsten durch die Schuld des z. T. von staatsfeindlichen und chiliastischen Ideen getragenen Christentums zerfiel, entwickelte sich dann in der alten Reichshauptstadt, die bald zur Metropole der neuen Religion wurde, auf Grund altrömischer Anschauungen eine neuartige, geistige Weltherrschaft, die von der Menschheit Gehorsam für ihre Entscheidungen über religiöse Empfindungen und Gedanken forderte.

Der Kampf der griechischen und der lateinischen Sprache begann mit dem Angriff des Hellenismus auf Italien im 8. Jahrhundert. Sizilien ward eine fast ganz griechische Insel, Unteritalien hiefs bald Grofsgriechenland". Aber vom 5. Jahrhundert ab setzt eine rückläufige Bewegung ein. Die griechischen Kolonialstädte an den Küsten Italiens werden allmählich den benachbarten italischen Stämmen zur Beute.

Nachdem Rom die Hegemonie über die Italiker gewonnen, ward die griechische Sprache immer mehr zurückgedrängt und allmählich so eingeengt, dafs es zur Zeit Strabos nur noch drei griechische Enklaven in Süditalien gab, die Gebiete von Neapel, Tarent und Rhegion. Sizilien ist erst gegen Ende des römischen Reiches völlig romanisiert worden, nachdem durch den Übergang des Grundbesitzes in römische Hand dem früher so blühenden hellenischen Elemente der Nährboden entzogen worden war.

Der Angriff des Romanismus und der lateinischen Sprache auf das eigentliche Hellas und die hellenistischen Reiche begann im 2. Jahrhundert. Die Folge war die Hellenisierung Roms, wenigstens in den oberen Klassen, aber auch eine gewisse Romanisierung des Hellenismus. Polybios ist der erste uns näher bekannte romanisierte Grieche, ein Kenner der lateinischen Sprache. Die Entscheidung über die Zukunft der antiken Welt liegt nach seiner Ansicht nicht mehr bei den Hellenen, sondern bei dem noch jugendkräftigen Volke des Westens. Ähnlichen Ansichten huldigt Plutarch.

Der Hauptgrund, warum die lateinische Sprache sich auch bei den Griechen und Orientalen Eingang verschaffte, war, dafs der Römer offiziell keine andere Sprache kannte als die seines Volkes. Roms Sprache war die Heeres-, Amts- und Gerichtssprache des Reiches. Dabei wurde den Griechen anfangs nur die Konzession gemacht, dafs den im lateinischen Original ausgefertigten offiziellen Akten griechische amtliche Übersetzungen beigegeben wurden. Im offiziellen Verkehr mit Griechen hatte der römische Beamte Dolmetscher zu verwenden. Aber im Verlaufe der Kaiserzeit wurde die griechische Sprache selbst im Senat als die zweite, wenn auch minder berechtigte Reichssprache stillschweigend anerkannt, obwohl in der Theorie nur die lateinische als solche galt. In Ägypten wurde die griechische Amtssprache sogar belassen. Diese Begünstigung des Hellenismus und seiner Sprache erklärt sich aus der Hellenisierung der höheren Kreise des Römertums, dann aus der engen Verbindung zwischen Rom und Hellas gegenüber dem Orient, besonders den Parthern, den Juden und dem Christentum. Dazu hielten ferner die Griechen zumal der gebildeten Schichten wie heutzutage die Franzosen zähe an ihrer Sprache fest, welcher sie als der nach ihrer Ansicht einzigartigen Kultursprache der Welt innig anhingen, während sie die lateinische als eine barbarische betrachteten. und ihr nur notgedrungen Konzessionen machten.

In der Hauptstadt war das Sprachengemisch wohl ähnlich wie etwa in unserer Zeit in Wien. Das Griechische war abgesehen von den zahlreichen griechischen und orientalischen Sklaven und Freigelassenen, den Literaten, Künstlern, Händlern, Abenteurern ähnlich wie bei uns das Französische bei den besseren Klassen als Modesprache üblich. Der Grundstock der Bevölkerung Roms blieb aber immer italisch-okzidentalisch.

Mit der Einführung der absoluten Herrschaft und der Schaffung eines grofsen, lateinisch sprechenden Beamtenheeres durch Diokletian waren der Romanisierung neue Bahnen eröffnet. Selbst Ägypten ward

jetzt in die Reichsverwaltung mit einbezogen. In den Papyrusurkunden und in den griechischen Inschriften des Ostens finden sich besonders von da ab zahlreiche Latinismen aus dem Gebiete des Heeres- und Staatswesens, aber auch des häuslichen Lebens. Die Kenntnis der lateinischen Sprache, klagt Libanios, bringt Amt und Würden; wer sich mit griechischer Literatur beschäftigt, wird nur in dieser selbst seinen Lohn finden.

Ein neuer Angriff auf den Hellenismus erfolgte durch Konstantin d. Gr., indem derselbe im griechischen Sprachgebiet die Nova Roma als Stadt mit offiziell lateinischer Sprache konstituierte. Wäre die lateinische Hälfte des Reiches nicht durch die Völkerwanderung vom Osten losgerissen und so die Wirkung des Romanismus auf diesen unterbrochen worden, so wäre wahrscheinlich die Balkanhalbinsel bis zum ägäischen Meer romanisiert worden wie Sizilien. Denn schon war das nördliche Thrazien und Mazedonien im Übergang zum Romanismus begriffen. Justinian, der den Westen und Osten des Reichs nochmals zu vereinigen suchte, der die Verwaltung desselben auf sein lateinisch abgefafstes Gesetz- und Rechtswerk basierte, ist der letzte bedeutende Vertreter des Romanismus und der lateinischen Reichssprache. Aber die Lähmung der Kraft des Romanismus infolge der Ansiedelung der germanischen Stämme in den Ländern des Okzidents, die durch das Christentum und eine neubelebte, wirkungsvolle Literatur gehobene Widerstandskraft der griechischen Sprache zwangen ihn schliesslich das Jahrhunderte lang aufrecht erhaltene Prinzip der lateinischen Staatssprache aufzugeben und das Griechische als offizielle Sprache zu sanktionieren. Im byzantinischen Reiche hielt sich dann das Latein nur noch in gewissen Redewendungen des Hofzeremoniells, in juristischen, formelhaften Ausdrücken, in militärischen Kommandos, in Amtsbezeichnungen, Titulaturen etc., den Rudimenten der ehemaligen römischen Reichssprache.

In Rom und im Westen überhaupt ist der Verlauf des Sprachenkampfes ein ähnlicher. Das Griechische, das bis ins 3. Jahrhundert die Sprache der Christen in Rom gewesen war, wurde, nachdem die neue Religion den Kaiserkult als Staatsreligion abgelöst hatte, durch die Staatssprache, das Lateinische, ersetzt. Diese ward die offizielle Sprache der Päpste. Durch das Christentum erst gewann die lateinische Literatur, da sie abgesehen von den grofsen Päpsten durch Männer wie Tertullian, Lactantius, Ambrosius, Augustinus etc. vertreten war, einen bedeutenderen Einfluss auf die griechische. Die Kenntnis der lateinischen Sprache schien in den vielfachen dogmatischen Kämpfen nach dem Siege des Christentums auch für griechische Theologen nötig. Ein Anzeichen des beginnenden Mittelalters ist das geringe Interesse, das man in der Folgezeit an der anderen Weltsprache zuerst in Rom, dann auch in Konstantinopel in den kirchlichen d. h. für damals den gebildeten Kreisen empfand. Orient und Okzident, die im Römerreich gewaltsam aneinandergekettet waren, schieden sich wieder.

Der gewaltige, über ein Jahrtausend währende Kampf zwischen Romanismus und Hellenismus endete ohne einen Gewinn für beide

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