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seine Wangen mit ihrem Hemdchen. Und wol an zwan= zig Jahre nachher erinnert sich Melanthon jenes Umstandes noch und schreibt: Bis in die innerste Seele drang mir der Gestus, so daß ich meinte, er sei nicht bedeutungslos 8). Ebenso hat er noch nach langen Jahren Gedächtniß für eine Krankheit der kleinen Anna und für den Trost, der ihm beim Gebet aus dem,,wie ein wunderbares Licht" ihm aufgehenden Gedanken kam, sie stehe in Gottes Hut®).

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Je mehr aber die Tochter sich entwickelte, desto mehr mußte Melanthons Liebe zu ihr sich steigern: zwischen ihrer Natur und derjenigen des Vaters bestand eine innere Verwandtschaft, sie war mit einem eben so reichen Gemüt begabt, wie jener und besaß treffliche Anlagen 10). Ihre Erziehung überschritt den Maasstab, den man da mals an weibliche Bildung legte, bei Weitem. Daß Melanthon es nicht versäumte, sein Kind mit den Lehren des Glaubens und mit der heiligen Schrift bekannt zu machen, sie zu wahrer Frömmigkeit hinzuleiten, brauche ich kaum zu erwähnen. Daß er aber auch strebte, ihr eine elegante Bildung zu geben, war etwas ungewöhnliches. Freilich, war diese, dem Stand der allgemeinen Bildung gemäß, eine lateinische. Anna wurde eine Gelehrte und verstand es sogar, sich lateinisch auszudrücken 11).

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Mehr als Unterricht, und äußere Erziehung wirken auf Kinder die Eindrücke, welche Geist und Treiben im älterlichen Hans überhaupt auf sie machen. Bei Anna mußten diese die besten sein, denn auch ihre Mutter kennen wir als eine überaus treffliche Frau. Joachim Camerarius, der liebste Freund ihres Mannes, sagt von ihr: Sie war ein sehr frommes, ihren Mann innig lie

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bendes Weib, vor Allem eine treue und emsige Hausfrau, freigebig und wohlthätig gegen Alle, eifrig für die Armen." Nicht nur sie selbst gab und half, wo sie konnte, oft über Vermögen hinaus, sondern sie war auch nicht müde im Fürbitten und Fordern bei Anderen, selbst auf die Gefahr hin, unbequem zu erscheinen. Das Hauswurde nicht leer von Ansprechenden und Niemand ging ohne eine Gabe traurig von dannen 12). Eben so gast= frei gesinnt, wie ihr Mann, war Katharina Melanthon die freundlichste Wirtin 13). Ihr Heerd war ein Sammelplatz vieler bedeutender Geister der damaligen Zeit. Durchreisende Fremde wurden gastlich empfangen und beherbergt, die Wittenberger Freunde oft zu heiterer Tafelrunde versammelt. Ueberhaupt darf man das gesellige Leben jener Tage sich nicht öde und einförmig vorstellen. Die freundschaftlichen Zusammenkünfte in den Häusern wechselten mit großen öffentlichen Gelagen, bei denen häufig auch die Frauen zugezogen waren. Promotionen und andere festliche Akte gaben dazu die Veranlassung. Bei einer einzigen juristischen Promotion des Jahres 1508 finde ich in dem Decanatsbuch 14) sieben Collationen und Mahlzeiten angemerkt, welche innerhalb weniger Wochen meistens im,,Görlizer Haus“ abgehalten wurden. Eines Abends speisten auch die Damen mit dem neuen Doctor und nach dem Essen wurde getanzt. Aus späterer Zeit wird erzählt von Einladungen, welche die Studenten der Rechte an die Lehrer mit Frauen und Töchtern hatten ergehen lassen zum Abendessen mit nachfolgendem Tanz. Der damalige Pfarrer von Wittenberg Simon Brück, Bruder des Kanzlers, eiferte gegen diese Juristenbälle. Allein Melanthon ihn widerlegend sagte, es sei ein Zeichen großen Wolwollens der Lehrer gegen die Schüler, daß

Sittige Tänze

ste der Einladung Folge geleistet 15). werden von Luther wie Melanthon empfohlen, nur wilde Wirbeltänze verdammt und sogar öffentlich vom Rector den Studenten untersagt 16). Maskirte Umzüge 17), öffentliche Redeacte und Comödien der Studirenden, die selbst an Sonntagen aufgeführt wurden 18), Musikgesellschaften 19), Landpartien, insonderheit Besuche bei Edelleuten und Pfarrern auf naheliegenden Ortschaften 20), gaben mancherlei Unterhaltung. Die Stellung der Frauen war eine gar einflußreiche. Wie Luthers Gattin auf ihren Mann sogar in öffentlichen und kirchlichen Dingen einwirkte und nicht immer zum Beßten, ist von mehr als einem Zeitgenossen bezeugt 21); aber auch auf Melanthon machten in solchen Angelegenheiten die Damen mitunter Eindruck. Kanzler Brück schreibt z. B. 1545 in einem so viel mir bekannt noch unveröffentlichBericht über Beseßung der mathematischen Professur an Kurfürst Johann Friedrich: der fürnehmsten der Universität Einer" sagte mir wunderliche Ding..., wie es zuging und unter andern vormarkt Ich souil, das weiber praktiken mit under gelauffen, die den frommen Philippum irre gemacht 22)".

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Dieß zur Charakterisirung der Zustände, welche die heranwachsende Anna umgaben. Das rege Treiben ihrer Vaterstadt, der häusliche Verkehr mit vielen bedeutenden Menschen, konnte nur dazu dienen, ihren Blick frühzeitig zu schärfen und demselben eine Tragweite zu verschaffen, wie sie selten in kleineren und beengten Verhältnissen erworben wird. Aber bevor sie noch die Kinderschuhe recht ausgetreten hatte und in den Kreis der handelnden Personen selbständig eingetreten war, wurde sie demselben

entrissen und in eine ganz andere, ihr wol weniger behagende Umgebung versezt.

Zu den Haus- und Tischgenossen eines academischen Lehrers des sechszehnten Jahrhunderts gehören notwendig mehrere Studenten, welche theils als Famuli, theils als Pensionäre zu den Familiengliedern zählen. Bei Melanthon befand sich unter Anderen etwa seit dem Jahr 1523 øder 1524 ein junger Brandenburger, Georg Schuler. Unter Joachim I. war Wittenberg für die Marken eine verpönte Universität und so war Georg heimlich dahin gesendet worden 23). Er war noch sehr jung, bei seiner Ankunft 15 oder 16 Jahre. Mit glücklicher Beweglichkeit des Geistes und lebhafter Einbildungskraft begabt, von einem brennenden Ehrgeiz beseelt, strebte er nicht ohne Erfolg, sich auszuzeichnen. In Folge des Wiedererwachens klassischer Studien stand damals die Poesie in hoher Gunst. Aber nicht eine nationale, aus dèm Volksgeist hervorgewachsene Dichtung war es, die man liebte, sondern die Lateinische Versmacherei, die we nig geistvolle Nachahmung Römischer Muster in mehr øder minder glatter Form. Es ist das eine gefährliche Kunst: die äußere Fertigkeit, die nur zu häufig mechanisch wird, verdeckt den Mangel wirklichen Gefühls und wahrer Gedanken. Die älteren Humanisten hatten dergleichen Uebungen nebenbei zur Erholung von ihren ernsten grammatikalischen und antiquarischen Forschungen getrieben. Das jüngere Geschlecht aber warf sich auf die Versmacherei als Handwerk. Die unschwer erlernte Kunst sollte Brod und Ansehen geben, den Mangel jeder inneren Befriedigung mußte wilder Sinnentaumel und äußerer Glanz ersehen. Ein poetisch geniales Leben mochte etwas plumbe und unbeholfene Liederlichkeit ver

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treten, anstatt nach Bewunderung der für solche Dinge todten Nation aber konnte man nur nach den Gnadenbrocken prachtliebender, mit niederträchtiger Schmeichelei besungener, Fürsten haschen. Wirklich gelang es nicht blos einzelnen Personen, sondern dem ganzen Handwerk ein gewisses Ansehen bei Fürstenhöfen sich zu verschaffen. Als einer jener Leute, Johann Stigelius sich 1542 um die Professur des Terenz in Wittenberg bewarb, schrieb Kanzler Brück an den Kurfürsten:,,...die lectio the rentij ist fur die Jugent die beste lectio, nach dem Cathecißmo und untherrichtung (in) gottes sachenn. Do solch poeten volt, als Stiegel ist, leichtfertigs redens und lebens nit darzue dienet, darumb werden E. C. F. G. gnediglichen bedenken dem genannten Stiegel darzu zuverordnen 24)". Allein Johann Friedrich theilt das Urteil des scharfblickenden Brück nicht und meinte man könne den Mann, der sich als Poet ausgezeichnet" nicht zurückweisen. Dieß ist um so entschuldbarer, als auch wahrhaft gelehrte Männer, von ihrer großen Liebe zur alten Literatur und klassischen Form geblendet, dem Treiben der Dichterlinge nicht abhold waren. Melanthon selbst machte gelegentlich gern einen lateinischen Vers und bei Anderen ergözte ihn die Gewandtheit im lateinischen Ausdruck. So war er auch nicht dagegen, als Georg Schuler, weniger aus innerem Drang zur Poesie, als weil ihm der Ruhm des Dichters an sich das schönste Ziel schien 25), sich vorzugsweise auf poetische Versuche legte. Ja die Fortschritte Georgs im Lateinschreiben waren es gerade, die ihm Melanthons Gunst erwar= ben 26). Jener aber vergoß Thränen, wenn er ein wolgelungenes lateinisches Gedicht las und beklagte bitter, daß er es noch nicht zu eben solcher Fertigkeit gebracht

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