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Kaiser Wilhelm.

1871 - 1888.

Die

Schon beim Beginn des Krieges waren alle deutschgesinnten Männer darin einig, daß, falls der Sieg errungen würde, die Trennung zwischen Norddeutschem Bund und süddeutschen Souveränitäten nicht mehr länger bestehen dürfe, sondern ein einiges Deutsches Reich unter bundesstaatlichen Formen geschaffen werden müsse. Der Tag von Sedan war auch für diese Frage entscheidend. In Berlin, München, Stuttgart und anderen Orten wurden Volksversammlungen veranstaltet und Adressen an den König von Preußen und an die heimischen Regierungen unterschrieben, worin der Sehnsucht des deutschen Volkes nach Erfüllung seiner nationalen Wünsche Ausdruck gegeben war. Sicherheit Deutschlands war nur dann gewährleistet, wenn durch Gründung eines Deutschen Reiches die Einheitsbestrebungen der Nation zum Abschluß kamen. Zu der militärischen Einigung, welche schon durch die Allianzverträge von 1866 hergestellt war, mußte die politische hinzukommen. Hatte jene sich so kraftvoll erwiesen, daß das stolze Frankreich nach einem Feldzug von fünf Monaten besiegt zu Boden lag und um Frieden bitten mußte, so konnte durch diese ein Zustand geschaffen werden, bei welchem Deutschland vor Frivolitäten, wie sie am 15. Juli 1870 auf der Rednerbühne der französischen Kammern sich aufgebläht hatten, auf Jahrzehnte sicher war. Die süddeutschen Regierungen konnten sich diesen Wahrnehmungen und diesen Kundgebungen nicht entziehen. Nach einem verunglückten Versuch, durch Unterhandlungen in München eine günstige Unterlage für einen Verfassungsabschluß zu erhalten, wurden im Oktober 1870 die Verhandlungen nach Versailles verlegt. Die Minister der vier süddeutschen Staaten unterhandelten dort mit Bismarck, Delbrück, Moltke, Roon. Am 15. November wurde in Versailles mit Baden und Hessen, am

Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches.

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23. mit Bayern und am 25. in Berlin mit Württemberg der Verfassungsvertrag abgeschlossen. Dem Partikularismus Bayerns mußten zur Rettung des Ganzen starke Konzessionen gemacht werden. Aber um des Besseren willen, das nicht zu erreichen war, durfte man das Gute, das sich entgegentrug, nicht preisgeben. Hatte man doch trot aller Reservatrechte ein einiges Deutsches Reich und durfte man doch die Abschleifung mancher scharfen Ecke getrost der Zukunft überlassen. Von diesen Gedanken und Hoffnungen getragen, genehmigten die süddeutschen Landtage und der Norddeutsche Reichstag die Versailler Verträge. Die Zustimmung der bayrischen Abgeordnetenkammer erfolgte erst am 21. Januar 1871. Die Adresse des Norddeutschen Reichstags nahm der König am 18. Dezember in dem Präfekturgebäude zu Verfailles aus den Händen des Reichstags-Präsidenten Simson entgegen.

An der Wiederaufrichtung des Deutschen Reiches, das am 1. Januar 1871 offiziell ins Leben trat, schloß sich die Wiederherstellung der deutschen Kaiserwürde an. König Ludwig von Bayern ließ durch seinen im Hauptquartier verweilenden Oheim, den Prinzen Luitpold, am 3. Dezember 1870 dem König von Preußen ein Schreiben überreichen, worin er demselben ankündigte, er habe sämtlichen deutschen Fürsten den Vorschlag gemacht, daß dem König von Preußen als dem Präsidenten des neuen Bundes der Titel eines deutschen Kaisers verliehen werden solle. Bald darauf konnte er dem König Wilhelm die Mitteilung machen, daß alle deutschen Regierungen damit einverstanden seien. Die offizielle Annahme der Kaiserwürde, wofür der 1. Januar in Aussicht genommen war, verzögerte sich wegen des verspäteten Votums der bayrischen Abgeordnetenkammer. Als die ultramontanen Mitglieder derselben die Rücksichtslosigkeit gar zu weit trieben, wurde das Votum der Kammer nicht mehr abgewartet.

Bei dem Festmahle am 1. Januar erhob König Wilhelm sein Glas, um dem siegreichen Heere und den anwesenden deutschen Fürsten seinen Dank auszudrücken und von seinen „Hoffnungen auf die Krönung des Werkes, auf einen ehrenvollen Frieden" zu sprechen. Darauf begrüßte ihn der Großherzog von Baden heute schon" als das Oberhaupt des deutschen Kaiserreiches, bezeichnete die Kaiserkrone als die Bürgschaft unwiderruflicher Einheit und erinnerte den königlichen Schwiegervater an das Wort, welches dessen Bruder, Friedrich Wilhelm IV., vor 21 Jahren gesprochen hatte: „Eine Kaiserkrone kann nur auf dem

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142 Schreiben des Königs an die deutschen Fürsten und Freien Städte.

Schlachtfelde errungen werden." Dieses Wort habe sich nun glänzend erfüllt. Das deutsche Heer habe unter des Königs glorreicher Führung die Einheit der deutschen Nation gegen den äußeren Feind erkämpft, und das ehrwürdige Deutsche Reich erstehe heute in verjüngter Kraft.

Am 14. Januar erließ König Wilhelm an sämtliche deutschen Fürsten und Freien Städte ein Schreiben, worin er ihnen mitteilte, daß er die ihm von ihnen angetragene Kaiserwürde annehme, und über sein kaiserliches Programm sich kurz und bündig aussprach: „Ich nehme die deutsche Kaiserkrone an, nicht im Sinne der Machtansprüche, für deren Verwirklichung in den ruhmvollsten Zeiten unserer Geschichte die Macht Deutschlands zum Schaden seiner inneren Entwicklung eingesetzt wurde, sondern mit dem festen Vorsatz, so weit Gott Gnade gibt, als deutscher Fürst der treue Schirmherr aller Rechte zu sein und das Schwert Deutschlands zum Schute desselben zu führen. Deutschland, stark durch die Einheit seiner Fürsten und Völker, hat feine Stellung im Rate der Nationen wiedergewonnen, und das deutsche Volk hat weder das Bedürfnis noch die Neigung, über seine Grenzen hinaus etwas anderes als den auf gegenseitiger Achtung der Selb= ständigkeit und gemeinsamer Förderung der Wohlfahrt begründeten Verkehr der Völker zu erstreben. Sicher und befriedigt in sich selbst und in seiner eigenen Kraft, wird das Deutsche Reich, wie ich vertraue, nach siegreicher Beendigung des Krieges, in welchen ein unberechtigter Angriff uns verwickelt hat, und nach Sicherstellung seiner Grenzen gegen Frankreich ein Reich des Friedens und des Segens sein, in welchem das deutsche Volk finden und genießen wird, was es seit Jahrhunderten gesucht und erstrebt hat.“

Für die feierliche Proklamierung des deutschen Kaiserreiches wurde vom König Wilhelm der 18. Januar festgesezt. Dies ist ein für das Haus Hohenzollern und für Preußen wichtiger Gedenktag. Am 18. Januar 1701 hat der Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg in Königsberg die Würde eines Königs von Preußen angenommen und die Krone sich aufgesetzt. Wenn sein Enkel, Friedrich der Große, von ihm sagte, er habe die Krone für seine Nachfolger erworben, als wollte er ihnen zurufen: Hier habt Ihr den Königstitel, macht Euch desselben würdig! Ich habe den Grundstein zu Eurer Größe gelegt; führt nun selbst das Gebäude auf!" so war einer dieser Nachfolger nun eben im Begriff, alles, was seine Vorfahren gethan, noch zu über

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Kaiserproklamation im Schlosse zu Versailles.

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bieten. 170 Jahre waren seit der ersten Königsfrönung in Königsberg verflossen, und wieder am 18. Januar stieg ein Nachfolger jenes ersten Friedrich noch eine Sprosse höher und nannte sich unter dem Jubelruf des deutschen Volkes „Wilhelm I., Kaiser des Deutschen Reiches."

Am 18. Januar präzis 12 Uhr verließ der König das Präfekturgebäude in Versailles und begab sich nach dem Schlosse in die „Galerie des glaces." Hier waren die Prinzen, Fürsten, Generale und Minister, die Abgesandten der Offizierskorps versammelt, die Fahnen und Standarten der Dritten Armee, je von drei bis vier Vertretern des Regiments begleitet, aufgestellt. Von der im Norden von Paris stehenden Vierten Armee konnten nur einzelne Deputationen teilnehmen, weil der von den Pariser Zeitungen längst verkündigte große Ausfall möglicherweise gerade an diesem Tage stattfand. Als der König in den Festsaal eintrat, stimmte ein Sängerchor, aus Mannschaften des 7., 47. und 58. Regiment bestehend, das Lied an: „Jauchzet dem Herrn alle Welt!" Der König nahm in der Mitte vor dem im Saale errichteten Altar Aufstellung, im Halbkreis um ihn die Prinzen und Fürsten; hinter diesen und ihnen zur Seite standen die Generale und Minister. Nach dem Chorgesang wurde ein Vers des Chorals: „Sei Lob und Ehre!" gesungen; darauf folgte die Liturgie und die von dem Divisionsprediger Rogge gehaltene Festpredigt, welcher der 21. Psalm als Text zu Grunde lag, und zum Schluß der Gesang des Liedes: „Nun danket Alle Gott!" und die Segensprechung. Damit war der kirchliche Teil der Feierlichkeit beendigt. Sofort schritt der König durch die Reihen der Versammlung auf die Estrade zu, verlas vor den Fahnen eine Ansprache an die „Durchlauchtigsten Fürsten und Bundesgenossen“ und gab dem an diesem Tage zum Generalleutnant ernannten Bundeskanzler Grafen Bismarck den Befehl, die „An das deutsche Volk“ ge= richtete Proklamation zu verlesen.

Dieselbe lautete: „Wir Wilhelm von Gottes Gnaden, König von Preußen, nachdem die deutschen Fürsten und Freien Städte den einmütigen Ruf an Uns gerichtet haben, mit Herstellung des Deutschen Reiches die seit mehr denn 60 Jahren ruhende deutsche Kaiserwürde zu erneuern und zu übernehmen, und nachdem in der Verfassung des Deutschen Bundes die entsprechenden Bestimmungen vorgesehen sind, befunden hiemit, daß Wir es als eine Pflicht gegen das gemeinsame

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Vaterland betrachtet haben, diesem Rufe der verbündeten deutschen Fürsten und Städte Folge zu leisten und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen. Demgemäß werden Wir und Unsere Nachfolger an der Krone Preußen fortan den kaiserlichen Titel in allen Unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen Reiches führen und hoffen zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein werde, unter dem Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer segensreichen Zufunft entgegenzuführen. Wir übernehmen die kaiserliche Würde in dem Bewußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder zu schüßen, den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt auf die geeinte Kraft seines Volkes, zu verteidigen. Wir nehmen sie an in der Hoffnung, daß dem deutschen Volk vergönnt sein wird, den Lohn seiner heißen und opfermutigen Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb der Grenzen zu genießen, welche dem Vaterlande die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherung gegen erneute Angriffe Frankreichs gewähren. Uns aber und Unseren Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allezeit Mehrer des Deutschen Reiches zu sein, nicht an kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung!"

Nach Verlesung dieser Proklamation trat der Großherzog von Baden vor und rief: „Seine Majestät der Kaiser Wilhelm lebe hoch!“ Unter den Klängen der die Melodie des Liedes: „Heil Dir im Sieger= franz" anstimmenden Militärmusik brachte die Versammlung dreimal ein begeistertes Hoch aus. Darauf umarmte der Kaiser den Kronprinzen, den Prinzen Karl und die ihm persönlich verwandten Fürsten, ließ die Deputationen der Offiziere an sich vorbeipassieren und ging an den Reihen der im Saale aufgestellten Truppen entlang. Die Musikkorps hatten sich inzwischen in dem an die Galerie östlich an= stoßenden Friedenssaal" aufgestellt und begrüßten den Kaiser, als er, von den Prinzen, Fürsten und Generalen begleitet, den Festsaal verließ, mit dem Hohenfriedberger Marsch. Die Offiziere, deren Zaht 500 bis 600 betrug, folgten dem Kaiser; die Fahnen wurden von den begleitenden Mannschaften in Empfang genommen. Den Deputationen, welche noch am nämlichen Tage Versailles verließen, gab der Kaiser ein Festmahl im Hotel de France; die Truppen erhielten Geldgeschenke.

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Unter so großartigen Verhältnissen und Ereignissen, wie die deutsche

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