Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

stoben die Pferde auseinander und flüchteten zurück, den Waldungen zu. Ein zweiter Angriff kam von Amanvillers her. Er war schon nicht mehr so entschlossen, wie der erste. Und wenn auch die aus dem Bois de la Cusse erneut vorgedrungenen Schüßenschwärme davor wieder zurückwichen, so näherte sich dieser Angriff uns doch nur bis auf eintausendfünfhundert Schritt und wandte sich dann zum Rückzuge. Ein dritter Angriff von Amanvillers her erstarb schon, als er kaum aufgetaucht war, auf eintausendneunhundert Schritt. Dann nahmen wir den Kampf gegen die uns gegenüber stehende Artillerie wieder auf. Polignac sagte mir später über diese Angriffe, ich hätte keine Idee davon, was das heiße, in unserem Granatfeuer vorgehen zu sollen. Es sei der bravsten Truppe unmöglich, darin auszuhalten.

So hatten wir die gewonnene Höhe über eine Stunde lang mit Erfolg behauptet, als das Dorf St. Privat endlich in unsere Hände fiel.

St. Privat genommen. Ich habe diesen Sturm von meinem Standpunkte aus nicht genau mit ansehen können, weiß auch nicht genau, ob er nach den eben beschriebenen Angriffen auf mich oder noch während der letteren erfolgte. Mir erzählte nur der General v. Pape, daß, nachdem der linke Flügel der Sachsen seine Umgehung vollendet hatte und von Roncourt kommend, auch von Norden her das Dorf mit Geschossen überschüttete, einen Augenblick kein Schuß mehr aus St. Privat fiel. Da habe er zu seinen Adjutanten gesagt: „Nanu drauf!" Aber ehe noch ein Befehl gegeben war, fühlte ebenso jeder Soldat der ganzen weiten im Halbkreis lagernden Tirailleurlinie, daß jezt der Widerstand des Feindes gebrochen und die Zeit zum Sturm gekommen sei. In ein und demselben Augenblick erhob sich alles und stürzte mit Hurra in das Dorf. Die Sonne war schon untergegangen, als es in unserm Besiß war.

Große Artilleriemasse auf der Höhe. Icht eilten auch alle meine übrigen Batterien auf die Höhe. Die 3. Fuß-Abteilung stellte sich ans Dorf, dicht bei der Ferme Jerusalem, daneben die Reitende Abteilung. Die beiden lezten Batterien der 2. Fuß-Abteilung schlossen sich an die schon oben stehenden an. Es kamen jezt noch mehr Verluste zu meiner Kenntnis. Hauptmann v. Elern war durch die Brust geschossen, dem Hauptmann Ising*) war ein Arm zerschmettert, auch Hauptmann v. Mutius war verwundet zurückgebracht, und von Hauptmann v. Grävenit ward mir gemeldet, eine Granate habe ihm beide Beine fort= gerissen. Zum Glück stellte sich letzteres anders heraus. Er hatte ein

*) Er war zulegt Kommandant des Königlichen Zeughauses zu Berlin.

unruhiges Pferd und stieg ab, um durch das Fernrohr ruhig beobachten zu können. Nun war es seine Gewohnheit breitbeinig zu stehen. Wie er so durch sein Glas nach dem Feinde sieht, fährt ihm eine Granate zwischen beiden Füßen durch und reißt ihm durch den Luftdruck so die Beine nach hinten fort, daß er einen Purzelbaum nach vorn macht. Man hielt ihn für tot. Aber er fam bald wieder zu sich und kommandierte seine Batterie weiter. Nur schmerzten ihn die Beine noch mehrere Tage sehr und waren auf der inneren Seite wie durch Schläge blau und schwarz, ohne daß er eine Wunde gehabt hätte, oder auch nur die Hosen zerrissen gewesen wären.

Ähnlich, nur noch wunderbarer, war es dem Leutnant der Reserve Dudy gegangen. Er hob sich gerade im Sattel in die Höhe, um die Wirkung eines Schusses besser zu beobachten, als eine feindliche Granate seinen Sattel durchfuhr. Der Luftdruck schleuderte ihn aus dem Sattel und warf sein Pferd um. Einen Augenblick wurden beide für tot gehalten, aber dann regten sich Roß und Reiter, waren unverlegt und taten noch selbigen Tages ihren Dienst weiter. Der Sattel aber war ganz zertrümmert. Auch Premierleutnant Villaume konnte von Glück sagen. In dem Augenblicke, als er während des Geschützkampfes in eine Proze hineinsah, um sich zu überzeugen, ob die Granaten nach der Vorschrift herausgenommen würden, schlug eine Granate in die Proße ein, welche in die Luft flog. Villaume taumelte einige Schritte zurück und war ein paar Tage harthörig. Sonst aber war er unverlegt; wogegen alle Leute seines Zuges bis auf einen mehr oder weniger schwer getroffen waren. Dieser eine hatte eben eine Schlagröhre eingesezt und erwartete regungslos das Kommando zum Abfeuern. Als Villaume dies Kommando nicht gab, weil er von der Explosion noch etwas benommen war, rief der Kanonier: „Na, Herr Leutnant, wollen Sie nicht Feuer kommandieren, daß wir den Kerls da drüben eins wieder geben?" Zum Glück war nur einer von den Kartuschtornistern entzündet. Die anderen wurden fortgeschleudert, ohne Feuer zu fangen, und die darin befindliche Munition konnte noch gebraucht werden. Auch die Granaten fielen umher, ohne sich zu entzünden und wurden noch verwendet.

Ich ritt die Front der Batterien entlang, wobei mir diese Einzelheiten alle gemeldet wurden. Während ich mich bei der Reitenden Abteilung aufhielt, bekamen wir Granatfeuer auch von hinten, welches uns Verluste beibrachte. Eine lange Artillerielinie war hinter uns unten bei St. Ail aufgestellt und beschoß uns. „Gerade wie bei Königgräß“, sagte ich und sandte den Leutnant v. Wizleben hin, um das Mißverständnis aufzuklären. Er kam zurück mit der Meldung, es sei eine

Abteilung vom X. Korps unter Oberstleutnant Schaumann, der es nicht für möglich erkläre, daß da oben Preußen ständen. Ich sandte jezt den Leutnant v. Sluytermann hin mit der Trohung, Kriegsgericht zu beantragen, wenn man das Feuer nicht einstelle. Da kam Oberst v. der Becke an, Kommandeur der Artillerie des X. Korps, und sagte mir, ich sollte mein Feuer einstellen, ich schösse ihm die Vorderpferde tot. Sie mir die Hinterpferde“, sagte ich, „sehen Sie doch, wohin ich schieße und wohin Sie. Helfen Sie mir lieber, statt nach mir zu schießen." Jezt hörte dies Feuer auf, und es kamen noch mehr Batterien auf die Höhe gejagt, denn Oberst v. der Becke und Oberstleutnant Stumpff hatten sich mit je sechs Batterien unter mein Kommando gestellt, und ich hatte ihnen gesagt, sie sollten sich mit meinen Batterien alignieren.

Es fing bereits an zu dämmern. Ich war gerade neben meiner 3. reitenden Batterie, da kam im Galopp eine Batterie und drohte mich umzufahren. Was für eine Batterie?", rief ich. 3. reitende!", war die Antwort. „Ach bewahre, die steht ja schon!" Von der 10. Brigade!" Ich machte Plaß. Da kam eine andere Batterie, die auch Bandoliere trug und die ich deshalb für eine reitende hielt.*) Was für eine Batterie?" „Dritte." „Na, gibt es denn hier lauter dritte reitende?" Es war die dritte hessische, eine Fuß-Batterie. So schaltete sich jede Batterie ein, wo sie Platz fand. Und so standen gegen Einbruch der Dunkelheit von der Ferme Jerusalem bis gegen das Bois de la Cuffe hin sechsundzwanzig Batterien unter meinem Kommando, welche hundertsechsundfünfzig Kanonen repräsentierten. Zwar standen sie nicht Rad an Rad, wie sich später Hauptmann Hellmuth in einem Vortrage poetisch ausdrückte, denn so hätten sie nicht bedient werden können, aber der Raum. von 2500 Schritten war doch nicht genügend für diese Masse, um sich mit dem reglementsmäßigen Intervall von 20 Schritten pro Geschütz aufzustellen, und die neu einrückenden Batterien mußten verkleinerte Intervalle nehmen. Ich sagte, daß meine Artillerielinie hundertsechsundfünfzig Kanonen repräsentierte", denn sie waren nicht alle zur Stelle. Manches Geschütz lag noch zurück mit zerschossenem Rad oder Nichtmaschine und wurde erst wiederhergestellt. Aber zwischen hundertundvierzig und hundertfünfzig Kanonen feuerten hier in einer Linie. Rechts unten in der Tiefe, jenseit des Bois de la Cusse, sah ich auch das Feuer der Batterie Unruh, die mit der Brigade Knappstädt im Anschlußz an das IX. Armeekorps gegen Amanvillers vorging.

*) Damals trug nur die reitende Artillerie Bandoliere.

Links von St. Privat (nördlich des Dorfs) nahm die gesamte sächsische Artillerie Stellung gegen Often, über hundert Geschütze stark, so daß jezt zur Behauptung der eroberten Stellung über zweihundertfünfzig Kanonen gegen den Feind donnerten. Es war ein sinnbetäubender, Erde und Himmel erschütternder Lärm!

Jest fing es aber an, mit den Munitionsvorräten bedenklich auszusehen. Bei den Munitionskolonnen erster Staffel war alles aufgebraucht, denn General v. Colomier hatte ihnen am frühen Morgen schon die Hälfte ihres Bestandes fortgenommen, um beim III. Armeekorps den Verbrauch von vorgestern zu erseßen. Da erschienen die Munitionskolonnen v. der Planiß II und v. Keudell aus der zweiten Staffel und verteilten die Munition direkt an die Batterien. Diese beiden Kolonnen waren mit den anderen früh, wie befohlen, von Dieulouard nach Thiaucourt marschiert. Von dort hatten sie sich auf den Donner, den sie hörten, wieder in Bewegung geseßt, den Weg des Gardekorps durch alle die Trainfuhrwerke, die einer Armee immer folgen, gefunden und gebahnt, und kamen zur rechten Stunde - nach einem Marsche von sieben Meilen

bei den kämpfenden Batterien an, so daß nirgends ein Mangel an Munition eintrat. Wenn man an die Unsicherheit der Bestimmung hinter einer Armee denkt, die eine Entscheidungsschlacht schlägt, an die Gerüchte, die sich da kreuzen, von Sieg und Niederlage, dann wird man das Verdienst dieser beiden Munitionskolonnen würdigen, die nur von dem einen Gedanken beseelt waren, ihren Kameraden die Mittel zum Kampfe nachzubringen, und dies ohne Befehl auf eigene Gefahr taten. Hier auf der Höhe wurden sie freudig bewillkommnet.

Die lette feindliche Artillerielinie. Unsere Kanonade war jezt vornehmlich gegen eine ansehnliche Artillerielinie gerichtet, welche sich vor und zu beiden Seiten der Steinbrüche von Amanvillers immer mehr ausbreitete. Ihre Geschosse waren größer, die Explosionen derselben gewaltiger, als die derjenigen Geschütze, welche uns bisher gegenüber gestanden hatten. Dennoch taten sie fast gar keinen Schaden. Sie gingen fast alle viel zu hoch. Die Schrap tells platten in der Luft, wohl 30 bis 40 Fuß über uns, und schleuderten ihre Stücke und Kugeln weit hinter uns, die Granaten aber gingen hoch über unsere Köpfe hinweg und fielen weit hinter uns in der Gegend von St. Ail und Ste. Marie in der Tiefe herunter. Es kann sein, daß einzelne derselben dort die Artillerielinie des X. Korps erreicht hatten, wodurch dort das Mißverständnis entstanden sein mag, sie seien von der Höhe herabgefeuert, und weshalb diese Artillerie mich von hinten beschossen hatte.

Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

7

Dem Feinde scheint der Vorrat an Granaten ausgegangen zu sein, denn zuletzt beschoß er uns nur noch mit Schrapnells, und zwar in recht großer Zahl, die aber alle, wie schon erwähnt, wirkungslos über uns platten. Um diese Zeit muß es wohl gewesen sein, als ein zur freiwilligen Krankenpflege weit hinter uns anwesender Johanniter-Ritter, von gemischten Gefühlen bewältigt, ausrief: „Welch herrliches Wetter zu diesem grauenhaften Schauspiel! Sehen Sie, kein Wölkchen am Himmel", und der ihn begleitende Kammerherr eines hohen Herrn entgegnete: Kein Wölkchen? O doch! Sehen Sie! Eigentümliche Wolkenbildung am Horizont, mein Lieber, lauter kleine kreisrunde Wölkchen!" Das waren nämlich die Explosionen der massenhaft plaßenden Schrapnells.

Der Feind uns gegenüber bestand, wie die Gefangenen aussagten, aus der schweren Artilleriereserve, größtenteils Gardeartillerie, wie auch die Kavalleriemasse, die wir vor kurzem abgewiesen hatten, die Garde-Kavallerie gewesen war. Es machte uns besonderes Vergnügen, daß wir nun Gardekorps gegen Gardekorps im Kampfe standen. Ob die Entwicklung der feindlichen Artillerielinie lediglich den Rückzug der feindlichen Truppen in die Waldungen decken oder einen Vorstoß der Reserven einleiten sollte, der darauf berechnet wäre, uns wieder von der entscheidenden Höhe hinabzuwerfen, das wußten wir nicht. Das Schlimmste, also das leptere, annehmend, machten wir uns bis in die Nacht hinein auf einen solchen Angriff gefaßt. Deshalb fegten wir aus den zweihundertfünfzig Kanonen das ganze Terrain vor uns derart mit plazenden Granaten, daß jedem Feinde die Lust zu Angriffsbewegungen vergehen mußte, denn wenn wir St. Privat hielten, so mußte die Schlacht gewonnen, die ganze Höhenlinie für den Feind unhaltbar, die ganze feindliche Armee nach Meß hineingeworfen sein.

Ende der Schlacht. Von unserer Infanterie konnte man nichts mehr verlangen. Alle Verbände waren gelöst, fast alle Vorgesetzten lagen tot oder verwundet an der Erde. Die Regimenter und Bataillone waren in einzelne Gruppen aufgelöst, die hier einem Offizier, hier einem Unteroffizier, da einem Gemeinen folgten. Es gab Bataillone bei der GardeInfanterie, die noch am anderen Morgen von einem Fähnrich, als dem im

Range Ältesten, kommandiert wurden.*) Vom nachrückenden X. Armeekorps ging bei hereinbrechender Dunkelheit noch ein Infanterie-Regiment durch St. Privat und zu beiden Seiten der nach Met

*) Das Gardekorps verlor an diesem Tage 307 Offiziere, 7923 Mann an Toten und Verwundeten.

« ZurückWeiter »