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ich nach seiner Gesundheit, nach seiner Verdauung in allen Formen, nach seinem früheren Nierenleiden, Blasenbeschwerden und all dergleichen. Da flagte er entseglich. Und mitten im ärgsten Entscheidungskampfe unterhielten sich die zwei Artilleriegenerale über Blasenbeschwerden! Mit einem Male aber brach er ab und sagte: „Na, Sie haben aber hier anderes zu tun. Hier geht ja alles sehr gut, ich bin hier nicht nötig, ich werde nun meine Männer aufsuchen." Damit wandte er sich nach rechts. „Aber um Gotteswillen, wo wollen Sie denn hin?", fragte ich. Nun, da rechts hinüber." Mir graute vor dem Gedanken, daß der alte Herr die Front des feindlichen Tirailleurfeuers entlang Spießruten laufen wollte. „Ganz allein, das geht nicht“, sagte ich, „ich werde Ihnen Ihren Neffen Braumüller mitgeben.",,Nein, ich danke, der ist bei Ihnen Adjutant, den brauchen Sie, ich bin ja nicht allein, ich habe ja einen Mann bei mir." Jezt erst sah ich mir den „Mann“ an. Ein kleiner schmutziger Trainsoldat, der gottsjämmerlich auf einem miserablen Pferde hing und entseßlich vor den Kugeln zitterte, der konnte ihm nicht viel helfen, wenn er Hilfe gebrauchte. Man konnte sich keine kläglichere Gestalt denken. Ich bat den General, wenigstens nicht nach rechts zu reiten, wenn er den Prinzen Friedrich Karl suchen wolle, sondern nach rückwärts auf jene Höhe zwischen Batilly und St. Ail, von der aus das Hauptquartier des Gardekorps das Gefecht leitete, weil er dort erfahren könne, wo der Standpunkt des Prinzen Friedrich Karl sei. Er tat es, und ich verfolgte ihn mit den Augen. Ich war sehr froh, als er endlich gesund aus dem Feuerbereich heraus war.

Das Eingreifen bei den Batterien war, so vortrefflich sich die Truppe auch hielt, immer doch hier und da nötig. Die eintretenden Verluste brachten Störung in den Befehlsmechanismus. Insbesondere wo die bewährten Batteriechefs gefallen waren, ging den nächstältesten Offizieren zuweilen das Feuer aus der Hand, denn man sah schon junge Herren von einundzwanzig Jahren Batterien kommandieren; die Unteroffiziere und Leute hatten nicht jenes unbedingte Vertrauen zu ihnen und feuerten unregelmäßig. Wo aber das Feuer unregelmäßig wird, hört die Beobachtung, also auch die Wirkung auf. Da half ich hier und da nach und brachte wieder Ruhe und Besonnenheit in die Bedienung.

Kaas. Mit Sehnsucht blickte ich nach hinten, wann Kaas zurückkommen werde, mich von den Absichten des Generalfommandos zu unterrichten. Endlich sah ich ihn aus der etwa tausend Schritt hinter uns befindlichen Schlucht heraus auf mich zu galoppieren. In diesem Augenblick sauste eine Granate über unsere Köpfe, fuhr zweihundert bis

dreihundert Schritt hinter uns in den Acker, und die blau hervorkräuselnde Wolke bewies, daß der Zünder brannte. Kaas ritt in scharfem Jagdgalopp gerade auf den Fleck zu. Einen Warnungsruf hörte er nicht. In dem Augenblick, als er über der Stelle war, erfolgte die Explosion. Roß und Reiter verschwanden in einer dichten Wolfe von Pulverdampf und Staub, die sich verzog und dann den Reiter liegend unter dem zappelnden Pferde sehen ließ. Ehe wir uns aber auf ihn zu bewegen konnten, war der gewandte junge Offizier wieder auf den Beinen, riß sein Pferd am Zügel auf, sprang hinauf und galoppierte zu mir. Er machte seine Meldung von dem Auftrage, den er vom Prinzen von Württemberg brachte, mit einer Ruhe und Sicherheit, als ob er im tiefsten Frieden sei, und beantwortete noch einige Fragen, die ich über die Stellung des Korps tat, mit einem taktischen Überblick, als ob gar nichts vorgefallen wäre. Ich tat erst auch so. Endlich aber fragte ich ihn nach seinem Befinden, drückte ihm die Hand und bezeugte ihm meine Freude, daß er so wunderbar glücklich davongekommen. Später sorgte ich dafür, daß sein kaltes Blut anerkannt wurde.

Der Befehl des Prinzen von Württemberg ging dahin, daß ich für den kritischen Augenblick Munition sparen sollte. Ich wurde benachrichtigt, daß die Infanterie der 1. Garde-Infanterie-Division und eine Brigade der 2. Garde-Infanterie-Division in der Mulde zwischen Ste. Marie und St. Ail, Ste. Marie besetzt haltend, in Bereitschaft ständen, zweiundzwanzig Bataillone, wogegen die Brigade Knappstädt*) zum IX. Armeekorps abgegeben sei. Es sei nicht die Absicht, hieß es, mit diesen zweiundzwanzig Bataillonen die mächtige Stellung in der Front anzugreifen, sondern man wolle warten und eine hinhaltende Kanonade führen, bis die Sachsen mit einer Division über Auboué und Montois nach Roncourt gelangt seien, von wo sie den Feind in der Flanke angreifen würden. Wenn daher feindliche Maßregeln keinen größeren Munitionsaufwand nötig machten, sollte ich die Kanonade recht langsam führen lassen. General v. Dannenberg hatte hinzugefügt, man werde mich benachrichtigen, wenn der Angriff beschlossen werde.

Wir waren auch des feindlichen Feuers so ziemlich Herr geworden. Die Geschüße, welche anfangs auf eintausendachthundert Schritt versucht hatten, sich zu wehren, hatten den Kampf aufgegeben und sich hinter die Höhe zurückgezogen. Auch die weiter oben stehenden Batterien verschwanden allmählich vor unserem Feuer. Nur dann und wann fiel

*) 3. Garde-Infanterie-Brigade.

noch ein Schuß. Es lag kein rechtes Objekt für unser Feuer mehr vor. Ich bestimmte daher, daß jede Batterie nur alle fünf Minuten einen Schuß abgeben sollte, und zwar, wenn sie gar keinen anderen Feind sehen sollte, nach dem Dorfe St. Privat, es sei denn, daß irgendwo feindliche Massen sich zeigen sollten, die mit regulärem Feuer zu begrüßen seien. Wer unsern Kampf nur hörte, nicht sah, mußte glauben, daß derselbe erlahmte oder aufgegeben sei, denn es trat wie eine lange Pause ein, in der nur einzelne Kanonenschüsse fielen.

Dann und wann zeigten sich aber einzelne Truppenmassen links vorwärts, jenseits der Chaussee St. Privat-Ste. Marie. Zweimal Infanterie, einmal Kavallerie. Sofort richteten wir unsere Geschütze dorthin, auf Entfernungen bis zu 3200 Schritt. Diese Massen zogen sich bald zurück, ohne Ernstliches zu unternehmen.

Werder. Während dieser langsamen hinhaltenden Kanonade kam Major v. Werder die Front entlang von rechts nach links geritten. Er war dem General v. Colomier im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl beigegeben. Ich fragte ihn, wie denn die ganze Schlacht stehe. Er meinte, vortrefflich. Auf meine Bemerkung, daß wir nun schon mehrere Stunden nicht von der Stelle kämen, meinte er, das sei ganz gut, Steinmez sei unterhalb Mez über die Mosel gegangen und werde den Feind bald im Rücken angreifen. Ich erklärte dies für unmöglich, wie es ja auch war.

Beginn des Angriffs der Garde-Infanterie. Im weiteren Verlaufe der Kanonade hatte jener ominöse feindliche Schimmelreiter seinen dritten, für uns stets verlustreichen Ritt die eigene Tirailleurlinie entlang gemacht, als Major v. Rosenberg mich um die Erlaubnis bat, uns durch Vorschieben einer Offensivslanke von den lästigen feindlichen Tirailleuren zu entlasten. Ich erlaubte ihm dies unter der Bedingung, daß er unser Geschüßfeuer nicht maskiere. Er sandte dann eine Kompagnie, ich glaube Hauptmann v. Arnim, rechts von der 1. Fuß-Abteilung in einer flachen Schlucht gedeckt, tausend Schritt vor. Diese Mulde trennte den rechten Flügel meiner Batterie von der hessischen Batterie. Sie war fast unmerklich, und dennoch konnte eine ganze Kompagnie sich darin, vom Feinde ungesehen, vorbewegen. So kam sie überraschend in die Verlängerung der feindlichen Tirailleurlinie, schwärmte aus und beschoß diese der Länge nach so wirksam, daß die Tirailleure erschreckt aufsprangen und schleunigst die Höhe hinan flüchteten. Sofort richteten meine Batterien ihr Feuer auf dieselben, denn es zeigte sich jezt, daß es recht bedeutende Massen waren. Die Entfernung war

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infolge der langen Kanonade bekannt, und Granate auf Granate schlug in die dichten Scharen der Flüchtigen, viele derselben niederreißend, zur großen Freude der Infanteristen wie der Kanoniere. Während ich durch das Glas beobachtete, wie so unseren Peinigern, die uns in den vergangenen Stunden das Leben so sauer gemacht hatten, der Laufpaß gegeben ward, bemerkte ich, daß plößlich oben auf der Höhe von St. Privat und daneben in der Hauptstellung der ganze Horizont wieder lebendig wurde. Nicht nur eine Anzahl Batterien trat wieder in Tätigkeit, sondern auch das Dorf St. Privat und die daran anstoßende Hauptposition wurde von einem kleinen Rauch umgeben, der von Schnellfeuer aus dem Chassepot herrührte. Aber dies Feuer war nicht nach uns gerichtet, denn bei uns kamen noch keine Geschosse an. „Was soll denn das bedeuten?" sagte ich zu Oberst Scherbening, der gerade neben mir hielt. Wir sahen uns um, und ich rief aus: „Um Gotteswillen, nun greift die Garde-Infanterie doch in Front an, ehe die sächsische Umgehung ausgeführt ist.“ „Ich bin der Meinung, wir feuern jezt, so weit es auch ist, nach St. Privat hinein", sagte Scherbening. Gewiß", sagte ich, ,,mit Schnellfeuer“. Und die Befehle ergingen an die Batterien. Denn in der Tat, aus dem deckenden Grunde tauchten die Massen unserer Infanterie auf und bewegten sich von St. Marie aus zu beiden Seiten der Chaussee in der Richtung auf St. Privat. Ihnen galt das mörderische Höllenfeuer des Feindes, der sich bis zu diesem Augenblick zuletzt ganz schweigsam so verdeckt in seiner Stellung verhalten hatte, daß man im Generalkommando des Gardekorps der Meinung war, der Feind sei größtenteils abgezogen. Eben begann unser Schnellfeuer, und Massen von Granaten schlugen in das feindliche Dorf hinein. Da bemerkte auch die zwischen meinen Batterien stehende Infanterie, Bataillon Rosenberg, den Sturmangriff. Sofort rannten alle diese einzelnen Züge mit Hurra vorwärts auf den Feind zu, und zwar vor meine Batterien, die nun nicht schießen konnten. Ich jagte ihnen nach und schrie: „Seid Ihr verrückt, zurück, damit die Batterien feuern können!" „Das ist gegen unsere Ehre“, schrie Hauptmann v. Falckenstein, wenn unsere Kameraden stürmen, bleiben wir nicht zurück. Vorwärts, Jungens, Hurra!" Das war nun barer Unsinn, denn die weit wichtigere Wirkung von vierundachtzig Geschüßen, die schwerer wogen als das eine Bataillon, wurde dadurch lahm gelegt im allerkritischsten Augenblicke. Aber es war nicht zu ändern. Alles rannte vorwärts. Ich gab jezt Befehl, alle Batterien sollten baldmöglichst schnell vorgchen, so weit, bis sie wieder freies Schußfeld hätten. Batterien können sich aber aus dem Feuer nicht. so schnell in Bewegung seßen wie Infanterie, die nur aufzuspringen und

loszulaufen braucht. Schon im Frieden vergehen einige Sekunden, bis aufgeprost ist und die Mannschaft zum Gefecht auffizt. Im Kriege aber müssen erst noch die eben bereitgestellten Granaten wieder festgepackt und angeschraubt werden. Hier und da ist gerade ein Pferd gefallen und muß aus dem Geschirr genommen werden. Kurz, es gibt überall mehr oder weniger Aufenthalt. Da wird eine Batterie früher, eine später fertig. Ich befahl daher an Scherbening und an Bychelberg, jede Batterie solle so bald und so schnell als möglich vor, um der Infanterie zu helfen.

Vorgehen der Artillerielinie. Sobald die Infanterie begonnen hatte, zwischen meinen Batterien vorzustürmen, schlug das Chassepotschnellfeuer von der Höhe vor uns auch uns entgegen. Es war ein solches Pfeifen und Schwirren in der Luft, daß man unwillkürlich mit den Augen blinzelte, wie wenn man gegen Schneegestöber zu sehen gezwungen wäre. Ich überblickte meine Batterien, welche sich zum Vorgehen anschickten. Die erste unter ihnen war in der Nähe des rechten Flügels die 2. schwere Batterie, v. Prittwiz. Sie proste zum Avancieren auf, die Mannschaft saß zum Gefecht auf, aber sie sette sich nicht in Bewegung, sondern der Hauptmann hielt Front nach der Batterie vor derselben. In der Entfernung von einigen hundert Schritt von ihm begriff ich nicht, warum er zögerte, und ich hatte ihn in meinem Inneren im Verdacht, es wandle ihn ein Zagen an. Mit einem Fluch, der diesem Verdachte Ausdruck gab, stach ich meinem Pferde die Sporen und jagte auf ihn zu. Mein Gaul hatte die Wunde verschmerzt und konnte wieder galoppieren. Unterwegs machte einer meiner Adjutanten eine Äußerung, daß Prittwiß wohl der Zaghaftigkeit unfähig sei, und ich überlegte, daß ich den Verdacht nicht aussprechen wolle, bis ich den Beweis hätte. Bei ihm angekommen, rief ich ihm daher zu: „Der größte Fehler, den Sie machen können, ist, in solchem Feuer aufgeprost zu halten. Entweder Sie müssen schießen, wenn Sie Schußfeld haben, oder vorgehen." Der nie aus seiner Ruhe zu bringende Prittwit sah mich einen Augenblick an, wandte sich dann zu seinem Trompeter und kommandierte: „Signal Trab“ und bald darauf: „Signal Galopp!" Und num jagte die Batterie die Höhe hinauf über das Feld, auf das ein Geschoßzhagel niederfiel. Ich ritt neben dem linken Flügel der Batterie, ebenso der Abteilungskommandeur Bychelberg. Auch Heineccius, der Kolonnenkommandeur, mit seinem Adjutanten v. Seydewig konnte es sich nicht versagen, die Batterie, die er bei Königgräß so ruhmvoll geführt, bei diesem Vorgehen zu begleiten. Als wir auf die Höhe kamen, holten wir

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