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gehabt haben - bald erdrückt ward und ebenso unsicher als sparsam feuerte. Alle Augenblicke jank ein Pferd oder ein Mensch lautlos zusammen. Die Anforderungen, welche an die Nerven eines Kanoniers gestellt werden, sind viel bedeutender, als die, denen seine Kameraden von der Infanterie und Kavallerie entsprechen müssen. Diese können selbst wiederschießen oder, zu einem Ansturm begeistert, vorstürmen und Hurra schreiend, sich ihrer Haut wehrend, hauen oder stechen. Der Kanonier soll, unbekümmert um die ringsum sausenden Geschosse, angesichts bedrohlicher Massen, der Bedienung der Geschüße die größte Sorgfalt zuwenden. Der eine soll das Geschütz reinigen, der andere eine Granate sorgfältig getragen bringen, der Unteroffizier schraubt achtsam die Zündschraube ein, ein dritter Kanonier richtet, ein vierter zieht die Schlagröhre ab, wenn das Kommando „Feuer“ erfolgt, aber wenn es aus für ihn nicht sichtbaren Gründen nicht erfolgt, darf er nur regungslos stehen, das Ohr auf den Offizier gerichtet, ohne Rücksicht auf die Gefahr ringsum, auf die Kameraden, die neben ihm fallen. Es fielen aber so manche. Die Hiobsposten häuften sich. Da war Dewiß zurückgebracht und bald verschieden, Leutnant v. Vangerow hatte eine Kugel vor die Stirn erhalten und war tot geblieben, Hauptmann v. Niederstetter, am Halse verwundet, mußte auf den Verbandplay getragen werden.

Die Infanterie, die mir zur Bedeckung gegeben war, verlor bei den vielen Chassepotkugeln, die sie nicht erwidern sollte, die Geduld, und da sie für das Zündnadelgewehr zu weit vom Feinde war, sette sie sich, plötzlich ausschwärmend, in Bewegung, um die feindlichen Tirailleurs zu vertreiben. Die Idee, mit vier Kompagnien gegen neun Bataillone vorzugehen, war mehr als tollkühn. Die ausschwärmende Infanterie aber begab sich vor meine Kanonen und hinderte diese am Schießen. Ich sah den Augenblick kommen, wo diese kleinen Trupps im Infanteriegefecht unterliegen und wo Feind und Freund pêle-mêle in meine Batterien stürzen würde. Daher rief ich die Infanterie zurück, und da sie meine Stimme nicht vernahm, sprengte ich schleunigst vor und brachte sie mit ernsten Worten zurück. Ein Hagel von Chassepotkugeln schlug um mich herum ein. Daß mich keine traf, ist mir unbegreiflich. Ärgerlich stellten sich die einzelnen Infanteriezüge und halbzüge jezt in die Batterieintervalle und formierten sich mit Points vor" in zwei Gliedern. Ich tadelte diesen Unverstand und befahl, sie sollten sich einzeln mit Zwischenräumen von einem Schritt auf die Erde legen, um Verluste zu vermeiden. Ein Offizier antwortete mir, es sei gegen die Ehre der Infanterie, sich hinzulegen und zu ducken, wenn die Kameraden von der Artillerie aufrecht stehend im Feuer ihre Geschütze bedienen müßten.

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Ich brachte ihn mit der Bemerkung zur Vernunft, daß die größte Ehre des Soldaten im Gehorsam bestehe. Jezt geschah, was ich gesagt, und faum hatte ich mich fortgewandt, als eine feindliche Granate in die Stelle einschlug, auf der sich der Zug befand. Ich sah aus dem Staube und Pulverdampf der Explosion zwei Oberkörper wie rechts und links auseinanderfliegen. Daher wandte ich mein Pferd, ritt wieder hin und fragte, ob jemand getroffen sei: „Det hat noch janz jut gegangen", riefen die Leute lachend. Die Granate war zwischen zwei liegenden Leuten tief in die Erde gedrungen und hatte sie nur mit Erde und Dampf überschüttet. Seht Ihr wohl?", sagte ich.

An einer anderen Stelle wollte Hauptmann v. Elern ein Geschütz abfeuern lassen, solange die unnüt vorgeeilte Infanterie noch nicht zurück war. Ich verbot ihm dies, denn ich hatte schon mehrere Male gesehen, daß Granaten in dem Rohre geplaßt waren. Er glaubte, er fönne über die Infanterie hinwegschießen. Ich holte aber die Infanterie erst zurück, worauf das Geschüß abgefeuert ward. Und richtig, die Granate plagte im Rohr und kam als Kartätschschuß heraus. Sie würde diese Infanterie mörderisch von hinten beschossen haben. Die Luft war sehr trocken bei dem stetigen Ostwinde. Dadurch wurde der Pulverrückstand im Rohre schnell hart, verdickte sich, verengte das Rohr und zerquetschte die Granate. Nur so ist es zu erklären, daß solche Erplosionen der Granaten im Rohre bei schönem, warmem, trockenem Wetter oft, bei feuchter Witterung nie vorkamen.

Gegen die feindliche Tirailleurlinie, welche uns so zuseßte, mußte aber doch etwas geschehen, denn die Verluste wurden immer empfindlicher. Ich befahl daher, daß auf jedem Flügel eine Batterie sich auf die feindliche Tirailleurlinie gut einschießen und dann immer dahin einige Granaten senden sollte, wo Infanteriefeuer herkam. Das half. Der Feind war jetzt auch gezwungen, sich zu decken, und die Tirailleure legten sich glatt in die Ackerfurchen. Wenn sie sich nicht bemerkbar machten, ließen wir sie auch zufrieden, und dadurch hatten wir bald Ruhe vor ihnen. Da kam aber von der Höhe von St. Privat herab ein einzelner Reiter auf einem Schimmel und ritt die ganze Front entlang mit eingestemmter rechter Hand im ruhigen Schritt. Wo er hinkam, fingen die Tirailleure an zu schießen, und neue Wolken von Chassepotfugeln verursachten bei uns neue Verluste. Wir konnten nicht umhin, dem braven französischen Offizier Achtung zu zollen, der in solcher Nähe des Feindes im ruhigen Schritt die Front entlang ritt. Wenn er aber weiter fort war, wirkten meine Granaten wieder beruhigend. Dreimal im Laufe des Nachmittags hat dieser Schimmelreiter denselben Weg im

ruhigen Schritt gemacht. Zulegt ward er von den Zurufen der Kanoniere begleitet: Da ist wieder der verfluchte Schimmelreiter".

Ich stand ungefähr hinter der Mitte der Korpsartillerie. Die Adjutanten machten mich darauf aufmerksam, daß dann und wann um uns herum der Staub aufwirbelte, als ob eine Handvoll Erbsen dahin geworfen würde, denn das Erdreich des Feldes war sehr ausgetrocknet. Ich glaubte daher, daß wir gerade in der Schußlinie einer feindlichen Mitrailleuse ständen, und, indem ich diese Vermutung aussprach, entschloß ich mich, meinen Standpunkt 100 bis 200 Schritt weiter rechts zu wählen. Als ich mein Pferd rechts wandte, klatschte etwas an den Hals des Tieres. Braumüller machte mich darauf aufmerksam. Eine Kugel war durch den Kamm meines Pferdes gefahren, ohne Schaden zu tun. Ein neuer Streifschuß tat auch nicht mehr. Aber während ich nach rechts hin ritt, begleitete mich der vermeintliche Erbsenregen. Ich wurde jezt inne, daß ein feindlicher Infanteriezug mich mit meinem Gefolge zum Zielpunkte von wiederholten Salven genommen hatte. Man mochte dort wohl meine sich abhebende Generalsuniform und den Umstand bemerkt haben, daß Adjutanten und andere Offiziere von mir und zu mir galoppierten. Während ich auf dem neuen Aufstellungspunkt mein Pferd wieder linksum wandte, um den Feind zu beobachten, brach der treue „Farmer" hinten unter mir zusammen, auf einen heftigen Klatsch, den ich unter mir hörte. Eine feindliche Kugel hatte das Sprunggelenk des rechten Hinterbeines getroffen, und der arme Kerl stand kläglich auf drei Beinen. Ich stieg ab, er wollte sich nicht rühren. Ich stieg wieder auf und versuchte zu reiten; er ging nicht von der Stelle. Da gab ich ihm ein paar Sporen. Der brave Gaul brauchte das verwundete Bein, wenn auch lahmend, ein Beweis, daß kein Knochen gebrochen war. Ich sandte meine Stabsordonnanz zurück, mir ein anderes Pferd hinter jenem Wäldchen zu holen. Er hat mich nicht mehr gefunden, und mein armes verwundetes Tier mußte mich weiter tragen.

Ich sandte jezt den Leutnant v. Kaas zum kommandierenden General, ihm Meldung über die Lage abzustatten. Denn das feindliche Artilleriefeuer ließ nach. Die meisten Batterien verschwanden hinter der Höhe, nur dann und wann ward uns noch eine Granate zugesandt. Ich bat, mir mitteilen zu lassen, was das Korps beabsichtige, damit ich die Artillerie den Intentionen des Korps gemäß führen könne. Ich mußte lange auf die Rückkehr des Leutnants v. Kaas warten.

Unterdessen hatte ich viel Verkehr mit Scherbening, dessen Art und Weise im Gefecht ich bewunderte. Je ärger das Feuer war, desto höf. licher und freundlicher ward er. Zum Adjutanten sagte er: „Lieber Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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Herr Leutnant 2., haben Sie die Güte, zum Major v. K. zu reiten und ihm zu sagen, ich ließe ihn um die Gefälligkeit bitten" usw. Wenn der Adjutant zurückam und meldete, was er bestellt, sagte er dann: Sic sind sehr gütig, ich danke Ihnen vielmals." Daneben machte er taktische Beobachtungen und Scherze über den Feind und war so ganz in seinem Element.

Einmal kam Major v. Krieger an uns heran, und hatte eine Meldung. Da fiel mein Auge auf einen Vorderreiter, der, abgesessen wie er war, nicht nur seine Pferde, sondern auch die eines Offiziers und eines Feldwebels hielt. Diese vier Pferde hatte er vor sich zu einer Barrikade gruppiert, hinter die er sich so kauerte, daß er sich vor den pfeifenden Infanteriegeschossen ganz sicher wähnte. Ich wies lachend auf die komische Figur, die dieser Mann spielte, und hinderte den Major v. Krieger, der ihn schelten wollte und zum Geradestehen zwingen, denn der Mann versäumte seine Pflicht nicht, sondern hielt die Zügel der vier ihm anvertrauten Pferde, ob kauernd oder stehend, das war gleichgültig. Aber das Geschick ist tückisch. Eine Granate sauste uns über die Köpfe und fuhr zwanzig bis dreißig Schritt hinter uns in den Erdboden, sich dort schräg einbohrend. Wenige Sekunden darauf stieg ein blaues Wölkchen kräuselnd empor, ein Zeichen, daß der Zünder brannte, dann platte die Granate und schleuderte, dem selbst gebohrten Loch wie einer Röhre folgend, ihre eigenen Stücke nach uns schwirrend zurück. Man hörte einen derben Schlag, der kauernde Fahrer sank um, ein Granatstück hatte ihm den Schädel eingeschlagen. Er war mausetot. Man ist eben in der Schlacht nirgends seines Lebens sicher.

Jezt kam auch Heineccius an. Er hatte die Munitionskolonnen, erste Staffel, nach der Höhe von Batilly vorgebracht, und ich benachrichtigte die Batterien und die Divisionen, wo sie ihre verbrauchte Munition zu ersehen hatten. Seitdem blieb Heineccius bei mir, bis er weitere Anordnungen zu treffen hatte.

Colomier. Ehe er zu mir gekommen war, hatte sich eine Zeitlang Generalleutnant v. Colomier bei mir eingefunden. Er ritt ganz allein, nur von einem Trainsoldaten begleitet. Er erkundigte sich, wie es hier stehe. Ich orientierte ihn über den Stand des Gefechts. Da meinte er, er habe eigentlich den Befehl des Prinzen Friedrich Karl, die ganze Garde-Artillerie rechts vom Bois de la Cusse bei Verneville zu verwenden. Da sind die Männer vom IX. Korps hereingefallen", sagte er. Denken Sie sich, traben vor über das Feld, die feindliche Infanterie liegt in den Feldfurchen versteckt, läßt sie antraben, schießt ihnen die

Pferde tot, und die ganzen sechs Batterien der Korpsartillerie sind verloren."*) Ich bewies dem General, daß ich vorwärts des Bois de la Cusse nicht herumgehen könne, weil ich dort durch den Feind traben müßte, daß aber, wenn ich rückwärts um den Wald herum ginge, das Zurückgehen einer solchen Artilleriemasse das Signal zum Verlust der Schlacht geben werde. Ich bat ihn daher, wenn er auf der Ausführung des Befehls bestehen solle, sich an den kommandierenden General des Gardekorps zu wenden, ohne dessen Befehl ich nicht aus dem Gefecht zurückgehen werde. „Nein“, sagte er, „das sehe ich ein, das geht gar nicht. Sie müssen hier bleiben. übrigens geht alles sehr schön bei Ihnen, so hübsch regelmäßig. Da hat man seine Freude dran." Als er die leeren Munitionswagen im Trabe oder Schritt zurückfahren und die Verwundeten oder Toten zurückbringen, die vollen Munitionswagen aber im vollen Galopp zum Entsaß vorkommen sah, da schmunzelte er billigend: „Sehr gut. Immer Galopp auf den Feind zu und langsam vom Feinde weg. Und die Toten und Verwundeten den Kämpfenden aus dem Gesicht schaffen. Bravo!" Als ich ihm mein Bedauern ausdrückte, noch so weit vom Feinde zu stehen, aber wegen der feindlichen Tirailleure nicht näher heranrücken zu können, sagte er: „Gott behüte, nicht näher, Sie fallen sonst rein wie die Männer vom IX. Korps." Jezt fing er mir an, des längeren und breiteren zu klagen, wie schlecht es ihm im Armeekommando gehe, wie er die schlechtesten Quartiere erhalte, wie sich niemand um ihn kümmere, wie er vorgestern gar nicht einmal etwas von der schönen Schlacht erfahren habe und ruhig im Quartier geblieben sei, und jest suche er den Prinzen Friedrich Karl schon seit einer Stunde und wisse nicht, wo er sei, denn: Denken Sie wohl, daß die Männer mir beim Fortreiten einen Mann zurückgelassen haben, damit der Mann mir sagen fann, wo die Männer hingeritten sind?" Daß ich derartige Auseinandersetzungen über kleine persönliche Unannehmlichkeiten mitten im Infanteriefeuer mit anhören mußte, war mir doch ein bißchen zu viel. Außerdem sah ich in der Gefechtslinie meiner Batterien doch auch hier und da so manches, wo ich es für nötig hielt, einzugreifen, und es fing mich eine innere Ungeduld an zu quälen, welche dem einem Vorgesetzten schuldigen Respekt Eintrag zu tun drohte. Mit einem Male erfaßte mich der sogenannte Galgenhumor, und um meinem braven Vorgesetzten, der die feindlichen Kugeln nie beachtete, ein paroli zu biegen, fragte

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*) Die Batterien des IX. Armeekorps hielten in schwierigster Lage unter großen Verlusten aus, bis ein teilweiser Rückzug befohlen wurde. Nur vier Geschüße fielen starker anstürmender feindlicher Infanterie in die Hände. Davon wurden ihr aber auch noch zwei wieder entrissen.

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