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eine Ausnahme für seinen Sohn zu machen, und er den Play erhielte, der ihm nach seiner Anciennität zukomme. Als ich von dieser Unterredung nach meiner Wohnung kam, fand ich einen Befehl der GeneralInspektion der Artillerie vor, eine andere Verteilung der Batterie- und Kompagniechefstellen vorzuschlagen, und zwar nicht nach den bisherigen Bestimmungen, sondern nach der Geeignetheit und Übung jeder einzelnen Persönlichkeit. Der Hauptmann v. Roon hatte sich nun bei der Festungsartillerie bisher fast gar keine Praris erworben, dagegen eine Feldbatterie schon mit großer Sicherheit geführt und, von einer eisernen Ruhe und einem sehr scharfen Auge auf das günstigste unterstüßt, sich besonders dadurch ausgezeichnet, daß er mit seiner Batterie auf dem Schießplaß am besten schoß. Ich mußte ihm also nach jener Verfügung eine Feldbatterie übergeben. Denselben Abend konnte ich noch, da die Entscheidungen jest immer umgehend erfolgten, dem besorgten Vater durch ein Billett Meldung von dieser Änderung der Bestimmung seines Sohnes machen. Er war sehr glücklich darüber. Der Hauptmann v. Roon führte seine Batterie mit großer Bravour in den Schlachten von St. Privat und Sedan. In dieser letteren aber traf ihn eine Chassepotkugel in den Unterleib, und zwei Tage darauf starb er. Der Vater war untröstlich, denn er glaubte, seine Bitte habe mich lediglich bewogen, seinem Sohne diese Stellung zu geben, in der er seinen Tod fand. Jch konnte ihn erst im November sehen und damit trösten, daß der Play, den sein Sohn erhalten, unabhängig von den Bitten des Vaters bestimmt sei.

Doppelmair. Im Laufe des 19. Juli suchte mich der russische Hauptmann Doppelmair auf. Dieser war erst vor kurzem Hauptmann geworden und in Berlin kommandiert, um die Geschüße von Krupp abzunehmen, die Rußland bestellt hatte. Der junge Mann teilte mir mit, daß Preußen sich zwar die Anwesenheit aller fremden Offiziere in der preußischen Armee verbeten habe, für Rußland aber im geheimen. eine Ausnahme gemacht werden solle. Er habe Aussicht, vom Kaiser Alexander mit Genehmigung unseres Königs bei uns kommandiert zu werden, um dem Kriege beizuwohnen, und frage mich, ob es mir genehm sei, wenn er darum bitte, in meinem Gefolge den Krieg mitzumachen. Ich holte das Einverständnis des Prinzen August von Württemberg ein und gab gern meine Zustimmung. Dabei fragte mich Doppelmair, wieviel Zeit er zu seinen Vorbereitungen habe. Ich sagte ihm, er habe sehr viel Zeit, denn zehn Tage seien sehr viel Zeit. Ich ersuchte ihn nun, binnen zehn Tagen zu jeder Stunde bereit zu sein, um mit seinen Pferden und Effekten mit der Eisenbahn transportiert zu werden. Un

gläubig lächelnd sah mich Doppelmair an und meinte, er kenne die Organisation der preußischen Armee auch und wisse, daß kein Armeekorps, geschweige denn das Gardekorps binnen zehn Tagen marschbereit sei; indessen er werde fertig sein. Ich zuckte mit den Achseln und sagte ihm, wenn er in zehn Tagen nicht bereit sei, so laufe er Gefahr, zu spät zu kommen.

Nach zehn Tagen teilte ich Doppelmair mit, er habe sich am nächsten Abend mit Sachen und Pferden auf dem Anhaltischen Bahnhofe einzufinden, heute, den 29., werde die 3. Fußabteilung bereits mit der Eisenbahn abreisen. Der Russe schüttelte wieder mit dem Kopfe und sagte: "Ich glaube, Ihr Preußen, Ihr könnt zaubern."*)

Stimmung. überhaupt machte die Ruhe und Sicherheit, mit der unsere Mobilmachung vor sich ging, einen imponierenden Eindruck auf die fremden Diplomaten.

Vom 21. bis 25. Juli trafen die Augmentationsmannschaften in Berlin ein, und man sah hier und da in den Straßen von Berlin wohl einen Trupp von mehr oder weniger Landleuten, die, von Soldaten regelmäßig geführt, mit einem Effektenbündel in der Hand, wohl als Einberufene kenntlich waren. Auch sah man zuweilen bedeutendere Pferdetransporte, als Händler sie zu bringen pflegen. Im übrigen aber sah Berlin äußerlich so friedlich aus, daß jemand, der die Zeitungen nicht gelesen, nicht hätte ahnen können, daß wir einen Krieg vor der Tür wußten. Alles ging seinen gewöhnlichen Gang. Ja, man sah weniger Truppen durch die Straßen marschieren als sonst, denn die Berliner Garnison war vollauf von früh bis abends in den Kasernen beschäftigt, und die Truppentransporte anderer Garnisonen, welche Berlin berührten, wurden mittels der Verbindungsbahn um die Stadt herum weitergeschafft, den Blicken der Menge entzogen. Wo Offiziere an einer öffentlichen Mittagstafel, wie an der Table d'hote der Hotels oder im großen Kasino speisten, da verkehrten sie auch weiter, wie bisher, als ob gar nichts im Werke sei, zur gewohnten Stunde. Nur sah man fast keinen Offizier mehr im Theater, auch blieben sie kürzere Zeit nach dem Essen in den betreffenden Lokalen, denn sie hatten zu tun.

Allmählich fehlte der eine oder der andere an dem gewohnten Tisch. Das fiel erst nicht auf, denn es kam ja vor, daß sie einer Einladung

*) Der damalige Hauptmann v. Doppelmair war nach dem Kriege, inzwischen zum Obersten befördert, zur russischen Botschaft in Berlin kommandiert und verunglückte hier tödlich durch einen Sturz mit dem Pferde am 27. Oktober 1871 in der Nähe des Zoologischen Gartens, wo ein Denkstein an den Unglücksfall erinnert.

folgten, bis endlich alle fehlten, denn sie waren abmarschiert. Diese vornehme Ruhe, mit der unsere Armee ihr Mobilmachungsgeschäft betrieb, stand in einem angenehmen Gegensatz zu dem entseglichen Straßenskandal, von dem die Zeitungen aus Paris berichteten, und diejenigen Diplomaten, die mir davon sprachen, wollten darin Vorboten des Erfolges zu unseren Gunsten erblicken.

Wir in der Armee waren nicht so fest von unserem Siege überzeugt. Wir machten uns im speziellen darauf gefaßt, im Anfang recht bedeutende Echecs zu erleiden, denn die französische Armee war noch vom Krimkriege und vom italienischen Kriege her mit einem Nimbus umgeben, der in unseren Augen selbst durch unsere Siege von 1866 noch nicht ganz geschwunden war. Indessen wir vertrauten auf die geeinigte deutsche Kraft, auf die Zahl der ausgebildeten Streiter, die unser Wehrsystem geliefert hatte, und das Endurteil nach allen Privatgesprächen über unsere Aussichten war immer das: „Zulegt siegen wir doch; wir müssen nur bei den ersten unglücklichen Schlägen den Mut nicht verlieren."

Moltke. Am 16. Juli spielte der Telegraph auch in alle Himmelsrichtungen, um die entfernt von Berlin sich erholenden Spißen unserer Behörden zurückzurufen. Inzwischen war Moltke am 12. nachmittags aus seinem Kreisau zurückgekehrt. Zur gewohnten Stunde ritt er im Tiergarten spazieren, als ob gar nichts Besonderes im Werke sei. „Nun, wie steht es Exzellenz", rief ihm ein neugieriger Bekannter aus dem Zivil in höchster Aufregung zu. „Nun, gut!" So, also Erzellenz meinen, daß —“ — „das heißt“, unterbrach ihn Moltke, „ich meine die Sommersaat. Mit den Kartoffeln bin ich auch zufrieden, aber das Winterkorn steht nicht besonders."

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Bismarck und Gortschakoff. Bismarck sah ich aus Varzin zurückkehren. Er kam vom Stettiner Bahnhofe und kreuzte von der Neuen Wilhelmstraße her die Linden in dem Augenblicke, als der russische Kanzler, Fürst Gortschakoff, von Wildbad kommend, um nach Petersburg zu reisen, nach der letzten Nachtfahrt mittags eine Spazierfahrt nach dem Tiergarten machte. Die beiden Kanzler sahen sich, ließen die Wagen halten und tauschten einen Händedruck aus. Es war ein recht bemerkenswerter historischer Augenblick, den hier der Zufall schuf. Sie werden beide wohl noch denselben Tag mehr miteinander besprochen haben.

Prinz von Württemberg. Den 18. Juli früh kehrte auch unser kommandierender General von Petersburg zurück und übernahm das Kommando seines Korps wieder.

Der Prinz von Württemberg war bereits an der Grenze in Eydtfuhnen auf dem Bahnhofe durch einen Sängerchor empfangen worden, der ihm die Wacht am Rhein vortrug. Es war in der Tat wie ein Zauber, der dieses bis dahin noch wenig bekannte Lied im ganzen Deutschland wie mit einem Schlage bekannt werden ließ, denn als es in Ostpreußen dem Prinzen vorgesungen ward, waren noch nicht zwei Tage verstrichen, seit der König aus Ems zurückgekehrt war und die Mobilmachungsordre gegeben hatte.

Die jubelnden Offiziere. Schon während der Mobilmachungsarbeiten lernte ich den Obersten v. Scherbening*) von seinen vortrefflichen Seiten kennen. Nichts machte ihm irgend eine Schwierigkeit. Was er auch für einen Befehl erhielt, er nahm ihn mit Lächeln auf und führte ihn sofort aus. Da sollte das Regiment, weil die vom Lande gelieferten Pferde meist sehr schwach waren, tausend Stangenpferde in der Eile ankaufen. Er sagte: sehr schön“ und besorgte den Ankauf in wenigen Tagen, dann kam während des Ankaufs der Wunsch des Generalkommandos, er solle noch schnell einige hundert Pferde für den Train und einige hundert für das Pionier-Bataillon kaufen. Mit größter Bereitwilligkeit war er auch hierzu erbötig und leistete das Gewünschte. Er war von früh bis abends tätig, sah dabei rosig blühend aus und war von der besten Laune. Er schien eine große Freude über diesen Krieg zu haben.

Außer ihm jubelten einige Hauptleute am lautesten. Da war Hauptmann v. Dewiß, der seine Festungs-Kompagnie in Cüstrin zwar vortrefflich kommandierte, aber als alter reitender Artillerist doch in der Feldartillerie mehr heimisch war. Nach der Bestimmung, die Hindersin erlassen hatte, mußte ich ihm also eine Feldbatterie geben. Er jubelte, als er die 1. leichte übernahm. Dann konnte sich der elegante Hauptmann v. Niederstätter vor Freude über diesen Krieg gar nicht lassen, den er an der Spiße der 2. leichten Batterie mitzumachen berufen war. Hauptmann v. Friederici-Steinmann, der im Frühjahr eine große Erbschaft gemacht und zu deren Verwaltung vorläufig ein halbes Jahr Urlaub genommen hatte, um nach Ablauf dieser Zeit voraussichtlich seinen Abschied zu erbitten, kehrte voller Freude von seinem Urlaube zurück an die Spize seiner, der 3. leichten Batterie. Wie aber jubelte Bernhard v. Roon, als er die 5. schwere Batterie übernahm! Und gerade diese fröhlich und hoffnungsvoll in den Krieg ziehenden braven vier Offiziere

*) Oberst v. Scherbening war an Stelle des Prinzen Hohenlohe seit 1868 Kommandeur des Garde-Feldartillerie-Regiments. Vgl. Hohenlohe, III, S. 378.

waren die ersten Opfer der Gardeartillerie, welche die feindlichen Kugeln forderten.

Reichstag. Am 19. Juli fand die Eröffnung des telegraphisch zusammenberufenen Reichstages statt, welcher die Geldmittel zu dem Kriege bewilligen sollte, der uns aufgedrungen war. Diese Zeremonie war diesmal mehr als eine Zeremonie. Die Stimmung war sehr ernst und feierlich. Ein jedes Reichstagsmitglied erkannte die Größe der Gefahr an, die wir zu bestehen hatten, aber auch die Notwendigkeit, ihr festen Blicks ins Auge zu sehen. Der Enthusiasmus, mit dem der König empfangen ward, war so stürmisch, wie er wohl nicht leicht wieder vorkommen wird, und der Wille, die Mittel zu gewähren, einstimmig. Es war ein recht erhebender Anblick. Von da kehrte ich zu meinem täglichen Geschäft zurück, an die Speiche, die mir in dem großen Rade angewiesen war, welches jezt die Geschicke der Nationen in Bewegung seyen sollte.

Kriegsgliederung. Am 20. Juli trafen die Ordre de Bataille (Kriegsgliederung) und die Bestätigung der Feldstellen ein. Die allgemeine Ordre de Bataille bestimmte die Zuteilung der 1. Fußabteilung an die 1. Garde-Infanterie-Division, der 3. Fußabteilung an die 2. Garde-Infanterie-Division und der drei reitenden Batterien an die einzelnen drei Brigaden der Garde-Kavallerie-Division, die Korpsartillerie sollte aus der 2. Fußabteilung bestehen. Es hatte somit die Korpsartillerie nur vier Batterien. Dies widersprach allen Grundsätzen der Instruktion für die höheren Truppenführer und allen denen, die der König bei jedem Manöver über die Vereinigung einer entscheidenden Artilleriemasse ausgesprochen hatte, sowie allen Ideen, denen sich der Prinz von Württemberg bisher über eine Verwendung der Artillerie in Masse hingegeben hatte, um Entscheidendes zu erreichen, denn sie zersplitterte die neunzig Geschüße des Korps in sechs Teile, drei zu vier Batterien und drei zu je einer Batterie. Alsbald ließ mich der Prinz durch den Chef des Stabes aufsuchen, der um meinen Rat fragte. Gegen die Ordre de Bataille ließ sich nichts machen, denn sie war vom Könige unterschrieben. Aber ich wies darauf hin, daß eine Nachtragsbestimmung eine Hintertür offen gelassen hatte. Da war nämlich gesagt, daß die Ordre de Bataille, wie sie der König genehmigt, im allgemeinen zu gelten habe, daß aber die kommandierenden Generale nach Bedarf jeden Tag in ihrer speziellen Truppeneinteilung davon abweichen könnten. Darauf fußend, schlug ich dem Generalfommando vor, einen Befehl hinzuzusetzen, wonach die drei reitenden Batterien bis auf weiteres bei der Korpsartillerie zu verbleiben. und nur auf speziellen Befehl des kom

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