Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

terie Gräveniz den ersten Schuß tat, sah ich nach der Uhr und war überrascht, daß dieselbe schon eineinhalb Uhr zeigte. Wenn ich aber jezt die Entfernungen auf der Karte messe, so wundere ich mich nicht, daß über zwei Stunden vergingen, ehe die Infanterie von dem Rendezvous westlich Doncourt südlich der Chaussee das eine deutsche Meile entfernte St. Ail erreichte, da sie, um sich in den Schluchten zu decken, zu Umwegen. genötigt war. Sie ging nämlich im Grunde bis gegen Habonville, von da wandte sie sich in der Schlucht links, bis sie wieder die nach St. Ail führende Seitenschlucht erreichte. Ich konnte in diesem Augenblick unsere Infanterie von meinem Standpunkt vorwärts St. Ail aus nicht sehen, gewahrte dagegen eine entwickelte feindliche Tirailleurlinie, welche aus Ste. Marie gerade auf St. Ail, also auf die linke Flanke meiner Artillerielinie, avancierte. Ich ritt nach St. Ail hinein. Es waren keine Truppen darin. Westlich vom Dorfe, in der Tiefe, aber hielten verdeckt drei Eskadrons Garde-Hujaren unter Oberst v. Hymmen. Ich fragte ihn, ob er nicht St. Ail an der Lisiere mit abgesessenen Husaren bejegen und etwas knattern wolle, damit der Feind glaube, Infanterie sei darin, und stuge, bis ich Infanterie herangeholt. Hymmen sagte kurz „Nein“. Ich sah mich um und fand General Dannenberg, der die Gefahr auch gesehen hatte und nach dem gefährdeten Punkt geeilt war. Er sagte mir, er habe dieselbe originelle Antwort auf dieselbe Frage erhalten und könne ja im Namen des Generalkommandos, wenn nötig, befehlen. Ich möchte ihm aber erst sagen, ob ich nicht glaube, daß unsere Infanterie früher in St. Ail sein werde als die feindliche, und er zeigte mir die Tete der Massen, die eben aus der Hauptschlucht in die Seitenschlucht auf St. Ail einbogen. Es fiel mir ein schwerer Stein vom Herzen, als ich mich überzeugte, daß unsere Infanterie nur halb so weit vom Dorfe war wie die feindliche. Sie beseßte es im Laufschritt, die feindlichen Tirailleurs wichen, als sie das Dorf besezt sahen, nach Ste. Marie zurück.

Erste Hauptstellung. Nachdem meine Besorgnisse um meinen linken Flügel behoben waren, begab ich mich in die Mitte meiner Aufstellung. Seit halb zwei Uhr waren von mir also vierundfünfzig Geschüße, 1. und 2. Fuß-Abteilung und 2. reitende Batterie, in Tätigkeit. Rechts davon feuerten vier Batterien Hessen. So standen von St. Ail bis zum Bois de la Cusse achtundsiebzig Kanonen in einer Front, das war für den Anfang schon etwas. Der durch die einschlagenden und plaßenden feindlichen Granaten vermehrte Lärm dieser Artillerielinie war um so gewaltiger, als beim Beginn unser Feuer etwas zu eilig war. Den Bemühungen des braven Obersten Scherbening und der Stabsoffiziere

gelang es im Verein mit den meinigen, Ruhe und überlegung in dies Feuer zu bringen. Wenn eine Batterie im Galopp oder in der Karriere vorgegangen ist, unterwegs feindliche Granaten hat plagen sehen, nachdem oder während sie über Gräben sprang oder gefährliche Abhänge hinab und hinauf fuhr, dann werden die Gemüter der Kanoniere erhißt, sie eilen sich, sie übereilen sich, sie überstürzen sich, sie zielen nicht oder schlecht mit den erhißten Augen und schießen ins Blaue. Ein ruhiges, langsames, wohlgezieltes, wohlbeobachtetes und langsam geleitetes Feuer trifft früher als ein übereiltes, also wirkt es mehr. Es sieht im Frieden sehr elegant und imposant aus, wenn eine reitende Batterie in der Karriere vorgeht und unmittelbar auf das Kommando „Halt!" der erste Schuß fällt. Daß dieser Schuß im Kriege nicht hätte treffen können, weil die Zeit zum Zielen nicht vorhanden war, das bedenkt und bemerkt man im Frieden nicht, wenn blind gefeuert wird. Im Kriege aber muß man darauf achten, daß alles mit Ruhe und Bedacht geschehe, wenn man treffen will. Deshalb ist es gar nicht gut, wenn man in der Karriere in die Stellung rückt, wo nicht gerade höchste Eile nötig. Ein ruhiger entschlossener Trab wäre hier ganz ausreichend gewesen. Einige Minuten Zeitverlust bringen sich durch die Seelenruhe der Kanoniere wieder ein.

Nachdem alles in Ordnung war, begab ich mich hinter die Mitte der Artillerielinie der Garde. Mein Aufstellungspunkt war etwa hinter dem. rechten Flügel der Korpsartillerie. Hier konnte ich alles übersehen. Scherbening bat mich, näher an den Feind herangehen zu dürfen, denn er schieße jezt auf mehr als 2000 Schritt gegen die feindliche Artillerie. Dies Feuer sei nicht entscheidend. Als er diese Absicht aussprach, beobachtete ich gerade den Feind mit meinem Fernrohr und bemerkte ihm, gerade vor uns, auf 1000 bis 1200 Schritt, liege eine dichte feindliche Tirailleurlinie flach gedeckt in den Ackerfurchen, er möge sich nur umsehen, die feindliche Artillerie treffe fast gar nichts bei uns, denn alle Granaten gingen über uns weg in die tiefe Schlucht hinter uns, dennoch sähe ich viele Leute und Pferde umsinken. Dies käme infolge des Chassepotfeuers der feindlichen Infanterie, die aus diesen Ackerfurchen schösse. Wenn er vorginge, so werde er schnurstracks in die feindliche Infanterie hineintraben und ohne Rettung gefangen sein. Er meinte, er habe gute Augen, aber er sehe nichts, als drei Reiterpaare, wahrscheinlich Patrouillen. Ich hatte schlechte Augen, aber mein Fernrohr war gut, und ich sagte ihm, daß ich die dichte Reihe der roten Hosen wie einen roten. Strich auf dem Felde erkennen könne. Mit dem Fernrohr sah ich auch die kleinen Wölkchen des Tirailleurfeuers, das man bei dem heftigen Artilleriefeuer nicht hörte, und dessen Pulverdampf sich auch mit dem

allgemein sich lagernden Pulverdampf merklos vermischte. Ich gab Scherbening mein Fernrohr. Er sah hindurch und erblaßte. „Wir haben vor uns“, sagte er, „zunächst eine Linie von drei in Tirailleurs aufgelösten Bataillonen. Was ich für die Patrouillen hielt, das ist jedesmal der Commandant de bataillon, begleitet vom Commandant-aide de Camp des tirailleurs. Ich kenne die französischen Einrichtungen von den Manövern, denen ich beiwohnte. Wenige hundert Schritte dahinter liegt noch so eine Linie und weiter den Abhang hinauf eine dritte. Das sind neun Bataillone oder 9000 Mann Infanterie. Wenn die Kerle Courage haben und auf uns zulaufen, dann sind wir alle verloren. Ich bin der Ansicht, wir müssen weiter zurück und uns unserer Infanterie wieder nähern.“

Ich sagte ihm, wenn ich auch ein weiteres Vorgehen nicht gut heißen könne, so werde ich doch ein Zurückgehen nicht erlauben. Das Zurückgehen einer so bedeutenden Artillerielinie sei eine verlorene Schlacht. Nachdem er einmal so unvorsichtig vorgeeilt, müßten wir den Plaß behaupten. Ich würde nicht weichen. Damit ein jeder von diesem Entschluß beseelt sei, solle er das Signal zum Absißen der Fahrkanoniere geben, dann könne kein Geschütz zurück. Das Signal erfolgte, und die Fahrer saßen ab.

Der Oberst v. Scherbening hatte den Batterien befohlen, sich mit großen Batterieintervallen voneinander aufzustellen, in welche er die Wagen der ersten Staffeln einrücken ließ. Daher kam es, daß die achtundsiebzig Geschüße vom rechten Flügel der Hessen am Eisenbahneinschnitt beim Bois de la Cusse bis an das Dorf St. Ail eine Front von fast 3000 Schritten einnahmen, wogegen, wenn da die Geschüße mit ihrer reglementsmäßigen Intervalle von zwanzig Schritt dicht nebeneinander gestanden hätten, hundertfünfzig Geschüße Plaß finden mußten. Die Nähe der zahlreichen feindlichen Tirailleurs vor unserer Front, die lange Ausdehnung unserer Linie und der Umstand, daß ich in unserer Nähe gar keine anderen Truppen sah, erfüllte auch mich mit der Besorgnis, die Scherbening ausgesprochen hatte, und ich sandte alsbald einen Adjutanten an den kommandierenden General mit der Meldung von der Situation und der Bitte, mir einige Infanterie zur Deckung zu senden. Es wurde mir zunächst ein Bataillon Augusta, v. Rosenberg, gesandt. Später wurden noch zwei Kompagnien Alerander, v. Seeckt, bei Habonville bereitgestellt.

Die erwähnten Intervalle zwischen den Batterien hatten somit den Nachteil, daß sie die Front der Artillerie sehr ausdehnten, aber das Zwischenschieben der Munitionswagen hatte seinen großen Vorteil. Es

wurde nicht nur alle Munition sofort erseßt, sondern auch, als die Kanonade länger dauerte, jeder Schuß gleich aus den Munitionswagen genommen, und so blieben die Prozen für kritische Augenblicke ganz gefüllt. Außerdem hätten die Munitionswagen, wenn die Batterien dicht. beieinander standen, hinter den Batterien (300 bis 400 Schritt) halten müssen und den Kugelfang für die zu weit gehenden Granaten und die Sprengstücke abgegeben. Der Einwand, den man dagegen erheben könnte, nämlich die Munitionswagen dadurch zu sehr dem Feuer auszusegen, erwies sich als nicht zutreffend, denn der Feind zielt bei der längeren Kanonade nur gegen die Punkte, von denen Feuer kommt, und die Munitionswagen waren gerade dadurch weniger dem Feuer ausgesezt. Es ist mir an diesem Tage kein einziger explodiert, wohl aber flogen Prozen in die Luft, die hinter den Kanonen standen.

Den zur Bedeckung kommandierten vier Kompagnien befahl ich, sich zugweise und halbzugweise zwischen die Batterien in die Intervalle zu verteilen und dort, in Tirailleure aufgelöst, hinzulegen und nur dann zu feuern, wenn die feindlichen Tirailleure vorgehen sollten, die noch auf solcher Entfernung lagen, daß unser Zündnadelgewehr nicht dorthin reichte, wogegen ihre Chassepotkugeln uns Schaden zufügten.

Erstürmung von Ste. Marie. Ich war noch mit diesen Anordnungen beschäftigt, als mir General v. Pape sagen ließ, er wolle Ste. Marie nehmen und bäte um Mitwirkung der Artillerie gegen dieses Dorf. Der General war nämlich, während wir hier schossen, mit seiner ganzen Division in der Schlucht hinter uns fortmarschiert, ohne daß wir es sehen. konnten, und somit stand die ganze Division gedeckt in der Mulde hinter (westlich) St. Ail auf dem linken Flügel der Korpsartillerie, also war deren ganze Front von der eigenen Artillerie, der 1. Abteilung, getrennt. Es war allerdings jezt das Schnellste, daß die Korpsartillerie der 1. Garde-Division beistand. Ich eilte nach dem linken Flügel und beorderte die beiden Batterien desselben, gegen Ste. Marie zu feuern; es waren die 2. reitende, Grävenit, und die 4. leichte, Mutius. Sie mußten links schwenken und sich östlich von St. Ail aufstellen, obgleich sie dadurch der feindlichen Hauptstellung auf der Höhe von St. Privat die rechte Flanke derart preisgaben, daß sie von dort hätten der Länge nach ecrafiert werden können. Daß der Feind es nicht tat, unsere Bewegung vielleicht nicht bemerkte, ist mir noch jezt unbegreiflich. Man kann eben mitten im Kampf, im Pulverdampf, viel wagen. Wenn es gelingt, ist's richtig gewesen.

Grävenit proßte zuerst ab, auf einer kleinen Terrainwelle, am Wege

Habonville-St. Ail, auf der eben der Oberst v. Erckert,*) Kommandeur der zum Angriff beorderten Avantgarde, seinen Bataillonskommandeuren die Weisungen zum Angriff erteilte. Ersterer war immer etwas hastig. „Nanu kann ich gar nicht schießen“, schrie er ärgerlich. „Warum denn nicht?", sagte Erdert. „Na, ich kann Sie doch nicht totschießen, Sie stehen ja vor meinen Kanonen." Erdkert lachte und machte Play. Er wußte, daß man in der Hiße des Gefechts nicht immer jedes Wort auf die Wagschale legt.

Der Angriff auf Ste. Marie glückte im ersten Anlaufe troß der tapfersten Gegenwehr des Feindes. Ein französisches Regiment wurde in dem Dorf ganz und gar vernichtet.**) Die außerhalb des Dorfes stehenden Feinde aber wichen nach St. Privat zurück. Daß die Sachsen von Westen her gleichzeitig das Dorf stürmten, habe ich nicht gesehen, steht aber fest, wie ich nachträglich erfuhr. Da das Dorf um halb drei Uhr genommen ward, so haben die Sachsen ihr Versprechen innegehalten, um zwei Uhr in Batilly zu sein. Nach der Wegnahme von Ste. Marie wurden die Batterien im allgemeinen aligniert, so daß der linke Flügel etwa 800 Schritt vorwärts St. Ail zu stehen kam, und ich begab mich an meinen früheren Aufstellungspunkt in der Mitte der Artilleriestellung zurück. Von da leitete ich bei der Garde-Artillerie jene Kanonade, welche mehrere Stunden lang dauerte.

Die Kanonade. Nachdem Ste. Marie aur Chênes genommen war, machten die 2. reitende und die 4. Ieichte Batterie (Grävenit und Mutius) wieder Front gegen St. Privat, und dann rückten noch drei Batterien der 2. Garde-Infanterie-Division vorwärts der Linie St. Ail -Ste. Marie in Stellung, so daß hier zweiundsiebzig von meinen Geschützen (zwölf Batterien) in Stellung waren. Rechts von mir vermehrten sich die Batterien des Oberstleutnants Stumpff auf sechs, und links von Ste. Marie traten zwölf Batterien Sachsen ins Gefecht. Es wirkten jezt also dreißig Batterien oder hundertachtzig Geschütze gegen die Hauptstellung des Feindes in und zu beiden Seiten von St. Privat, zum Teil allerdings auf sehr großer Entfernung. Die Infanterie des Feindes, welche vor uns in den Ackerfurchen verteilt lag, fügte uns während dieses Kampfes mehr Schaden zu als die feindliche Artillerie, welche von der Überzahl und besseren Wirkung unserer Geschüße der Feind soll im ganzen nur siebzig bis achtzig Geschütze in der Stellung

*) Kommandeur des Garde-Füsilier-Regiments, das mit den Gardejägern

die Avantgarde der 1. Garde-Infanterie-Division bildete.

**) Der größte Teil entzog sich rechtzeitig der Vernichtung.

« ZurückWeiter »