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vor uns verschwinden konnte, daß man keine Idee hatte, wo sie war, daß man ganze Armeekorps ins Blaue hinein gegen eine Stellung dirigierte, auf der kein feindlicher Soldat stand, das ist ein nicht zu entschuldigender Fehler. Wer die Schuld trägt, das auszusprechen, auch nur zu vermuten, bin ich nicht imstande. Es müßte dazu eine Untersuchung angestellt, die Akten und Originalberichte und alle Befehle verglichen werden. Das wird wohl nie geschehen, denn nach so siegreichen Erfolgen, wie sich der vom 18. August schließlich doch noch gestaltete, deckt man auch über vorgekommene Versäumnisse den Schleier des Vergessens. Daß aber so etwas trop unserer vortrefflichen, tatendurstigen Kavallerie vorkommen konnte, mag fünftig den Generalstab und die Kavallerie ermahnen, ähnliches zu vermeiden.

Noch möchte ich eines unwichtig scheinenden kleinen Umstandes Erwähnung tun, der aber recht entscheidend werden kann. Bei der Befehlsausgabe wurden im Gardekorps täglich die Uhren nach der des Chefs des Generalstabes gestellt. Bei der Befehlsausgabe der Zweiten Armee war dies bis jest niemals geschehen. Als wir bei Mars la Tour mit dem Oberkommando der Zweiten Armee zusammenkamen, verglich ich unsere Zeit mit der der Zweiten Armee und konstatierte bereits einen Unterschied von zwanzig Minuten. Bei der jeßigen kritischen Wirkung der Feuerwaffen können zwanzig Minuten schon von entscheidendem Einfluß sein.

Abmarsch des Gardekorps. Um neun Uhr zehn Minuten, nach der Uhr des Gardekorps, sezte sich dies Korps in Bewegung, als die Sachsen unsere Front frei gemacht hatten. Da wir in Marschkolonnen abbrechen mußten, so sette sich das Korps in zwei Kolonnen. Die linke bestand aus der 1. Garde-Infanterie-Division, dann der Korpsartillerie und der schweren Kavallerie-Brigade, sie nahm den Weg durch Bruville auf den westlichen Ausgang von Doncourt, die rechte bestand aus der 2. Garde-Infanterie-Division, ließ Bruville links und marschierte auf den östlichen Ausgang von Doncourt. Die lettere hatte einen etwas weiteren Weg, kam also etwas später.*) Das Generalkommando des Gardekorps marschierte an der Tete der 1. Garde-Infanterie-Division.

Der Weg von Mars la Tour bis Doncourt beträgt eine starke deutsche Meile. Es mag also gerade elf Uhr gewesen sein, als die Spite

*) Die Divisionen marschierten hintereinander und nicht nebeneinander, und zwar: Avantgarde, Gros der 1. Garde-Infanterie-Division, Korpsartillerie, 2. Garde Infanterie - Division, 1. (schwere) Garde-Kavallerie-Brigade.

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der Infanterie dieser División ihren Bestimmungsort erreichte. Somit hatten wir nicht nur Bruville „genommen“, das unser Angriffsobjekt war, sondern auch Doncourt erreicht, bis wohin wir den Sieg verfolgen sollten. Es fehlte uns zur Lösung unserer Aufgabe nur die eine Kleinigfeit - der Feind. Unsere Husaren hatten auch noch nichts gemeldet. Nach allen diesen Vorbereitungen, sogar durch den Absolution erteilenden Geistlichen, kamen wir uns recht dumm vor. Lindequist sang wieder: „Das Gas verlischt, 's ist wieder nischt", und andere riefen: „Ein Königreich für einen Feind!"

Der Prinz von Württemberg hatte mit dem Kronprinzen von Sachsen, der das XII. Korps kommandierte (ich glaube auf des letteren Anregung) für diesen Tag eine sehr praktische Einrichtung verabredet, um die Verbindung miteinander aufrecht zu erhalten. Jeder gab dem anderen einen Adjutanten mit vier Ordonnanzreitern bei, lediglich zu dem Zwecke, um den eigenen kommandierenden General von dem zu unterrichten, was der andere tue und erfahre. So erfuhr der Prinz von Württemberg alsbald bei Doncourt, daß die Sachsen bei Jarny auch keinen Feind gefunden hätten und zunächst ihre Kavallerie-Division auf Auboué vorsenden wollten, von wo aus dieselbe nach allen Richtungen, auch nach Briey und Verdun zu, aufklären werde, da sie erfahren hätten, Moineville*) sei vom Feinde besest, eine Nachricht, die sich später als unrichtig erwies. Nach einiger Ruhe werde eine Division nach Auboué,**) eine nach Batilly***) marschieren. Um zwei Uhr könne man auf die lettere in Batilly rechnen.

Halt bei Doncourt. Da man noch gar nicht wußte, wo ein Feind zu finden, so wurden zunächst die anderen Husaren-Eskadrons auch vorausgesendet und Meldung an die Zweite Armee gemacht. In Erwartung von solchen Nachrichten über den Feind, die den Entschluß zu irgend einer Marschrichtung möglich machten, ward der Infanterie befohlen, links von Doncourt aufzumarschieren und im Ort Wasser zu holen, um Menschen und Pferde zu laben, denn es war wieder empfindlich warm. Der Aufmarsch, die große Straße Doncourt-Conflans vor der Front, fand statt. In Doncourt fand man preußische und französische Verwundete vom Kampfe des 16. August in leidlicher Pflege. Die Preußen sagten aus, daß die französischen Truppen den Ort seit gestern abend verlassen hätten.

*) 6 Kilometer südlich Briey. **) 15 Kilometer südöstlich Briey. ***) 5 Kilometer nordöstlich Doncourt. Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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Der Platz, auf dem wir aufmarschierten, war sichtlich der in überstürzung verlassene einstige Biwaksplay einer französischen Truppe. Man sah, wie sich dieselbe bereits eingerichtet hatte, um ihr Essen zu kochen. Portionsweise verteilt, fast parademäßig eingerichtet, lagen da Häuflein von Kartoffeln und dem militärischen französischen Zwieback, Biskuit genannt, den unsere Leute nicht essen mögen, weil er so fade schmeckt. Beim Anblick dieser auf dem Felde umkommenden Vorräte nahm ich zunächst meine Offiziere, Ordonnanzen und Handpferde führenden Trainsoldaten vor, ließ jeden mindestens zehn Kartoffeln in jede Rocktasche stecken (ich tat desgleichen), denn ich sagte ihnen, daß sie den nächsten Tag nichts zu leben haben würden. Das traf auch ein, und sie lebten den anderen Tag davon; dann ermunterte ich die Infanterie, auch mit diesen Vorräten aufzuräumen.

Während wir da hielten und die Infanterie noch abteilungsweise aus dem Dorf herausfam mit ihren wassergefüllten Kochgeschirren, traf eine Meldung vom Grafen Groeben ein. Er schrieb von Habonville am Bois de la Cusse und sah eine Avantgarde, die aus allen drei Waffen zusammengesezt war, von St. Privat la Montagne auf Ste. Marie aur Chênes herabmarschieren, wisse aber noch nicht, ob es Freund oder Feind sei.*) „Letteres wäre allerdings interessant“, meinte lächelnd Dannenberg.. Aber bald kam eine zweite Meldung, jene Avantgarde seien Franzosen, und die Höhe von St. Privat sei stark vom Feinde besetzt. Jezt wußten wir, wohin wir uns zu wenden hatten. Der Prinz von Württemberg beschloß, unverzüglich in breiter Front, drei Bataillone breit, die in Kolonne, nach der Mitte formiert, marschierten, von dem Rendezvousplaße aus direkt auf St. Privat loszugehen.**)

Ein breiter Höhenrücken, auf dessen Ende wir in Rendezvous standen, zieht sich nördlich an Doncourt vorbei und erlaubt, auf ebenem, freiem Felde ohne Hindernis von da aus, Jouaville links lassend, Anour la Grange rechts lassend, zwischen Habonville und dem Bois de la Cusse in breiter Front gerade auf die alles überragende Höhe von St. Privat zu marschieren.

Allerdings konnte der Feind von der Höhe von St. Privat aus jeden Mann von uns zählen. Aber es war schon Zeit genug verloren, also, wollte man heute noch etwas Entscheidendes erreichen, so hatte man keine Muße zu künstlichen Evolutionen.

*) Den lezten Zusay enthält die im Kriegsarchiv des Großen Generalstabes befindliche Meldung Groebens nicht.

**) Zunächst marschierten die Bataillone hintereinander. Die breite Formation wurde erst später angenommen.

Der kommandierende General befahl, die 1. Garde-InfanterieDivision solle in der oben angedeuteten Massenformation die erwähnte Richtung einschlagen. Ihr sollte die Korpsartillerie folgen. Die 2. Garde-Infanterie-Division, deren langgezogene Marschkolonnen man von Bruville her auf das Ostende von Doncourt zu ankommen sah, sollte sich nach kurzer Rast anschließen.

Die Avantgarde der 1. Garde-Division hatte sich soeben, elfeinhalb Uhr, in Bewegung gesezt, als ein Befehl des Oberkommandos der Zweiten Armee eintraf, das IX. Armeekorps sei eben im Begriff, den Feind von Verneville aus anzugreifen. Das Gardekorps habe sich auf Verneville zu dirigieren und sich zur Unterstüßung des IX. Armeekorps hinter demselben aufzustellen.

Dieser Befehl widersprach der ursprünglichen Disposition vollständig, nach welcher das IX. Armeekorps den Angriff des Gardekorps abwarten und dann erst zur Unterstüßung als zurückgehaltenes Echelon antreten sollte. Wenn diese Disposition auch unter der Vorausseßung gegeben war, daß der Feind in der Stellung Bruville-Marcel stehe, so war uns doch ganz unerklärlich, aus welchen Gründen das IX. Armeekorps das Vorschreiten der Garden nicht abgewartet habe und bereits bei Verneville angekommen sei. Sollte es vielleicht früh das Vorbeigehen des XII. Korps vor dem Gardekorps für ein Vorgehen des letteren gehalten haben? Sollte aus dem Kreuzen der Marschkolonnen des Garde- und XII. Korps ein Mißverständnis entstanden sein, das das IX. Armeekorps zu einem gefährlichen isolierten Vorgehen verleitete? Für meine Kenntnis ist diese Frage unaufgeklärt geblieben. Genug - das IX. Armeekorps war in den Kampf eingetreten.*) Ein gewaltiger Lärm von Geschüßfeuer, von Schnarchen der Mitrailleusen, kündete auch gleichzeitig mit dem Befehl die Heftigkeit des Kampfes an.

Der Befehl des Oberkommandos war aber geradezu unausführbar. Das ganze Gardekorps hätte eine rückwärtige Bewegung machen und viel Zeit verlieren müssen, um hinter das IX. Armeekorps zu gelangen. Angesichts des Gardekorps stand aber auf den Höhen von St. Privat ein zahlreicher Feind, der, wenn unbeschäftigt, leicht vorgehen, das IX. Korps in die Flanke nehmen und das XII. Korps von dem Rest der Armee trennen konnte.

Der Prinz von Württemberg kämpfte schwer in seinem Inneren. Der unbedingte Gehorsam, in dem er von Jugend auf erzogen war, stand

*) Das Eintreten des IX. Korps in den Kampf geschah, weil General v. Manstein sich die Überraschung des ihm gegenüberstehenden französischen 4. Korps nicht entgehen lassen wollte.

im Widerstreit mit dem, was er sah. Zum Glück sandte das Armeekommando die Nachricht, der Feind stehe mit dem rechten Flügel bei Amanvillers. Nun sahen wir aber mit dem Fernrohre deutlich, daß der Feind seinen rechten Flügel bis St. Privat ausdehnte, und hatten Meldung, daß auch Ste. Marie aur Chênes von ihm besezt war. Der Befehl des Oberkommandos war also auf Voraussetzungen gegründet, welche sich vor unseren Augen als irrtümlich erwiesen.

Mit schwerem Herzen und nachdem der Prinz außer dem General v. Dannenberg auch mich um meine Meinung gefragt hatte, entschloß er sich, den erhaltenen Befehl nicht buchstäblich zu befolgen. Er sandte den Rittmeister v. Senden an das Oberkommando mit der Meldung, er sehe den Feind vor sich bis St. Privat, und da sich der feindliche Flügel so viel weiter ausdehne, als das Oberkommando annehme, er auch das Gardekorps schon in der Richtung auf St. Privat in Marsch gesezt habe, so glaube er den Absichten des Oberkommandos besser zu entsprechen, auch das IX. Armeekorps besser und schneller zu unterstüßen, wenn er neben demselben angreife, als wenn er hinter demselben untätig aufmarschiere. Er werde also mit der 1. Division, der Korpsartillerie und der Kürassier-Brigade auf St. Privat*) marschieren und nur die 2. Division in der Richtung auf Verneville nach Caulre Ferme senden. Wir waren schon mit der Avantgarde in den Kampf eingetreten, als die Antwort des Prinzen Friedrich Karl eintraf. Sie lautete: „Seine Königliche Hoheit sei zwar mit dem Entschluß des Gardekorps nicht einverstanden, wolle denselben aber ausführen lassen, weil er vorausjeze, daß das Korps schon in Bewegung sei, und Kontremärsche zuviel Zeit kosten möchten. Jedenfalls brauche man aber vom Gardekorps eine Brigade zur Unterstüßung des IX. Armeekorps. Deshalb werde das Oberkommando von der 2. Garde-Division eine Brigade, Knappstädt,**) mit einer Batterie, Unruh, zur Unterstüßung des IX. Korps verwenden, den Rest der Division dem Gardekorps nachsenden.“***)

Vergegenwärtige man sich, was die Folge gewesen wäre, wenn der Prinz von Württemberg dem Befehl der Zweiten Armee nachgekommen wäre. Das Gardeforps wäre bei Verneville aufmarschiert, hätte den Miß

*) Es wurde die Richtung auf Habonville befohlen, dabei aber zunächst noch Amanvillers als weiterer Zielpunkt bezeichnet.

**) Es ist der kürzlich im 91. Lebensjahre verstorbene General der Infanterie Knappe v. Knappstädt.

***) Diese Antwort des Prinzen Friedrich Karl findet nirgends eine Bestätigung und erscheint schon um deswillen unwahrscheinlich, weil der Prinz inzwischen bereits dem Gardekorps den Weg auf Habonville freigestellt hatte.

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