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fünf Meilen fühlte er sich sehr matt, und nun sollte er noch Wasser suchen gehen, ehe er die spät ankommenden Lebensmittel kochen konnte, und nach langem Suchen fand er endlich im Yronbache etwas sumpfiges, fauliges Wasser. Die Brunnen der Dörfer waren bald ausgepumpt und gaben nur noch Schlamm. Einige wenige wurden aber für die Verwundeten vorbehalten, die in Hannonville-Suzemont die Häuser anfüllten. Da war also ein recht empfindlicher Mangel bei der Truppe eingetreten. Ich sah einen Soldaten, der einem andern für eine Schnitte Brot vergeblich zehn Silbergroschen bot, ebensoviel bot ein anderer vergeblich für ein halbes Glas Wasser. Da war also viel zu tun, um Rat und Hilfe zu schaffen.

Auch unser Mittagessen wurde sehr spät angefeßt. Wir mußten doch erst warten, bis die nachgeführten Lebensmittel gekocht waren. Ich versuchte, vor dem Essen noch eine halbe Stunde in meinem Quartier zu ruhen, denn ich war auch sehr erschöpft. Aber davon war keine Rede. Ich hatte eine Stube erhalten für uns vier. Wenn wir das eine Bett mit seinen vielen Matraßen auseinanderzogen, die wir nebeneinander auf die sandige Diele legten, dann konnten wir vier nebeneinander ein Lager finden. Dies geschah. Aber im Hause an der Tür meiner Stube war ein quietschender Brunnen. Die unglücklichen Infanteristen hatten ihn entdeckt, und nun ertönte das nervenzerreißende Quietschen fortwährend. Ich konnte mich nicht entschließen, meiner Ruhe wegen den verdursteten braven Soldaten das frische Wasser zu entziehen. Erst als auch dieser Brunnen nur Schlamm gab, ließ ich das Haus schließen. Die Einwohner waren während der Schlacht von gestern zum größten Teil geflohen. In dem Hause gab es nur eine magere, keifende Frau im Alter von etwa fünfzig Jahren, die fortwährend schwaste, tobte und schrie und mehr Lärm machte als der Brunnen und die Soldaten zusammen. Sie behauptete, man habe ihr alles gestohlen, es sei gar nichts da. Es war aber Geflügel im Hof. Ich ließ es fangen und braten und bezahlen. Da hatte sie auch eine Flasche Wein, die leßte, wie sie sagte, und als ihr diese bezahlt wurde, hatte sie noch eine leßte, und so verkaufte sie hintereinander zehn leßte Flaschen. Nach der Schlacht von St. Privat kam ich in dasselbe Quartier. Es war niemand mehr darin, und deshalb wurde im Hause gesucht. Man fand ungeheure Weinvorräte in Fässern im Keller, die requiriert und an die Truppen verteilt wurden gegen Quittung an den zurückgekehrten Maire, der uns nebenbei sagte, daß jene Frau eine Fremde gewesen war, der nichts davon gehörte. Sie soll geflohen sein, als minder geduldige Einquartierte als ich ihr Keifen mit einer Ohrfeige lohnten.

Abends besuchte ich noch einige verwundete Offiziere im Dorfe. Es fehlte ihnen an nichts und Hilfe war ihnen nicht weiter nötig. Einer von ihnen, am Bein verwundet, nicht gefährlich, aber noch nicht transportabel, machte eine grauenerregende Schilderung von der Wirkung des französischen Chassepotschnellfeuers und des Mitrailleusenfeuers. Er erklärte es geradezu für vernichtend und sagte, wir seien so im Irrtum gewesen über die Wirkung der französischen Waffen, daß wir alle ins Verderben gingen. Einem im heftigen Kampfe Verwundeten kommt das leicht so vor. In dem Augenblick, wo er fallend die Besinnung verliert, dreht sich alles um ihn, und er glaubt, alles fiele mit ihm; deshalb sollte nur der vor der Schlacht Lazarette besuchen, den die Pflicht dahin ruft. Sonst frage man über den Feind die Gesunden unter den Truppen, die gekämpft haben. Da erhält man andere Antworten: „Die feindlichen Waffen treffen gar nichts“, sagt so ein Mann, „sehen Sie mich an. Den ganzen Tag stand ich dicht am Feinde, und er traf mich nicht."

Am Abend wurde folgender Befehl ausgegeben:

Die Truppen müssen morgen vierdreiviertel Uhr früh gefrühstückt haben und zum Abmarsche bereit sein. Der Befehl zum Aufbruch ist abzuwarten. Die 2. Garde-Infanterie-Division zieht mit Tagesanbruch die Vorposten ein und nach ihren Biwaks heran und läßt bis zu ihrem Abmarsche nur die notwendigsten Patrouillen auf den gegen den Feind zu führenden Straßen stehen. Die Munitionsfolonnen erster Staffel stehen um sieben Uhr früh bei Sponville und erwarten dort weitere Befehle, die sechs Munitionskolonnen zweiter Staffel rücken nach Thiaucourt. Gerade am Tage vor der ersten großen Schlacht konnte ich den ersten Befehl an die sämtlichen Munitionskolonnen geben.

Prinz Friedrich Karl befahl, sämtliche kommandierenden Generale sollten den folgenden Morgen um vierdreiviertel Uhr auf der Höhe östlich von Mars la Tour zum Empfang der Disposition erscheinen, die er persönlich ausgeben werde. Ein jeder wußte, daß es morgen zu einer großen Schlacht kommen werde. Die ernsteste feierlichste Stimmung herrschte vor.

Ich suchte unser Lager auf, auf dem wir dicht nebeneinander lagen. Die Schlaflosigkeit der vergangenen Nacht, die Anstrengungen und die Hiße des Tages machten sich so ermüdend geltend, daß ich doch einigen Schlaf fand.

4. Die Schlacht von St. Privat.

(Hierzu Karte 2 „Schlacht bei Gravelotte-St. Privat“ am Schluß des Bandes.)

Der 18. August 1870. Um drei Uhr früh war alles munter. Um vier Uhr ritten wir nach Mars la Tour. Es folgten uns nur unsere Handpferde. Auf der Chauffee nach Mars la Tour ritten wir unweit des Biwaks des XII. Armeekorps vorbei, das, wie wir, südlich der Chaussee, Front nach Norden, also rechts vom Gardekorps stand.

Befehlsausgabe. Prinz Friedrich Karl gab die Befehle mit wenigen Worten. Er teilte mit, der Feind stehe vor uns in der Stellung St. Marcel-Bruville.*) Diese Stellung solle derart angegriffen werden, daß der Feind von Verdun abgeschnitten und nach Met geworfen werde. Hierzu mußte die ganze Armee eine großartige Rechtsschwenkung machen.

Zunächst sollte das XII. Armeekorps antreten und über Jarny die rechte Flanke des Feindes gewinnen. Wenn somit das XII. Korps am Gardekorps vorbeimarschiert sei, solle dieses die genannte Stellung in der Richtung auf Bruville in der Front angreifen, dann auf Doncourt vordringen. Nach dem Antreten des Gardekorps solle das IX. Korps, Manstein, antreten und von Vionville in der Richtung auf St. Marcel angreifen. Das III. und X. Korps hatten in Reserve zu folgen. Zur Nachricht wurde gegeben, daß rechts von der Armee des Prinzen die Erste Armee, Steinmeg, mit dem VII. und VIII. Armeekorps bereitstände, denen das II. Armeekorps in Reserve folge. Es lauerten also acht Armeekorps auf den Befehl zur Schlacht.

Der Prinz von Württemberg bat, daß das Gardekorps die Umgehung machen dürfe und das XII. Korps auf Bruville vorgehen, weil das erstere schon links vom letteren stand. Vergebens. Noch einmal stellte ich dem General Stiehle, Chef des Stabes des Prinzen Friedrich Karl, dringend vor, man möge doch eine derartige Kreuzung zweier Armeekorps vermeiden, die viele Stunden koste, und dann, wenn sie vollzogen, die Unordnung und Unsicherheit in alles bringe, was hinter

*) 3 Kilometer nördlich Mars la Tour. Daß Prinz Friedrich Karl von einer Stellung des Feindes bei St. Marcel-Bruville gesprochen haben soll, ist nicht sehr wahrscheinlich, da er ihn auf Grund nächtlicher Nachrichten im Marsche nach Westen vermutete. Der im folgenden Sage erwähnte Entschluß, eine Rechtsschwenkung zu machen, ist erst später gefaßt worden.

uns herkomme, weil da die Kolonnen, Trains, der Munitionsersaß, Feldlazarette, welche uns links von den Sachsen wüßten, sich verirren, günstigstenfalls sich gegenseitig kreuzen und aufhalten müßten. Es war bergebens! Stiehle sagte, der Prinz habe diese Umstände erwogen und doch darauf bestanden, daß das Gardekorps in der Mitte fechte. Das XII. Korps fenne der Prinz noch nicht. Vom Gardekorps wisse er, was er daran habe. Man stelle die besten Truppen ins Zentrum. Das war nun recht schmeichelhaft. Aber mit Redensarten schlägt man den Feind nicht, wohl aber mit Zeitersparnis.

Unsere Vorstellungen hatten nur den einen Erfolg, daß der Befehl gegeben ward, die Truppen sollten, um die Zeit der Kreuzung abzu. fürzen, in Massen von Brigadebreite beieinander vorbeiziehen.

Wir wurden entlassen. Das Armeekorps ward aus seinem Biwak näher an Mars la Tour herangezogen, was mit einem einfachen „Rechts um" leicht bewerkstelligt war, und seßte in der Rendezvousstellung die Gewehre zusammen, um das Vorüberziehen der Sachsen abzuwarten.

Halt im Rendezvous. Das XII. Korps sette sich um fünfeinhalb Uhr in Bewegung. Aber statt in Brigademassen, kam es in der Marschkolonne an uns vorbeigezogen. So verloren wir über dreieinhalb kostbare Stunden mit Warten. Wir waren damals sehr aufgebracht über diese Formation der Sachsen, aber wir überzeugten uns bald, daß sie unschuldig waren. Denn als wir uns in Bewegung seßten, konnten auch wir nicht in Brigademassen marschieren, weil das Terrain vor uns bald zum Abbrechen in die Marschkolonne zwang.

Während wir so in peinlicher Ungeduld an der Chauffee westlich von Mars la Tour warteten, ritt der Divisionsprediger Rogge von Bataillon zu Bataillon, von Regiment zu Regiment und hielt kurze kräftige Ansprachen an die Truppen. Er ist als ein bedeutender Redner berühmt. Aber noch nie habe ich ihn so ergreifend sprechen hören. Gewiß war er selbst begeistert durch die Wichtigkeit des Tages. Ein Prediger, der in einer glänzenden Kirche nach Orgelton und Glockenklang eine schöne Rede hält, kann ebenso durch diese wie durch die Feierlichkeit der Umgebung Eindruck machen. Aber die feierlichste Zeremonie ist in ihrem Eindruck nichts gegen das Erscheinen eines Predigers in seinem einfachen langen Priesterrock zu Pferde vor den Truppen, die im Begriff sind, dem Tode ins Angesicht zu schauen. Und als er gar die Hände erhob und die Vergebung der Sünden verkündete, da kniete alles nieder und nahm die Absolution gläubig an, ob Katholik oder Protestant, ob

Jude oder Christ. Kommt her, dachte ich mir, Ihr Atheisten und Rationalisten, Ihr Darwinisten und Materialisten, schaut auch dem Tode ins Angesicht und versucht es, für Euch und für die Masse der Krieger Trost und Kraft zu finden in den Worten: „Im Anfang war der Kohlenstoff". Ihr werdet in solchen Augenblicken, gerade wie Heine auf dem Sterbebette, bekennen, es sei doch möglich, daß es einen Gott gebe, Ihr werdet an der Wirkung der Worte des Predigers sehen, daß der Gottesglaube eine Wirklichkeit, eine gewaltige Macht ist.

Während wir so hielten und warteten, trafen Meldungen ein. Der Prinz von Württemberg hatte nämlich eine Husaren-Eskadron, Graf Gröben, quer durch die Marschkolonnen der Sachsen traben lassen und dahin gesandt, wohin wir marschieren sollten, um Stellung und Stärke des Feindes zu erkunden. Graf Gröben meldete, daß in Bruville kein Feind zu sehen sei, dann kam die Nachricht, daß die Sachsen Jarny, Graf Gröben Doncourt vom Feinde verlassen gefunden.

Es kann nur als eine große Versäumnis bezeichnet werden, daß Prinz Friedrich Karl in so völliger Unkenntnis über den Feind geblieben war. Wem diese Versäumnis zur Last zu legen ist, kann ich nicht beur. teilen. Am 16. August war allerdings die ganze vorhandene Kavallerie in den heftigsten Kampf verwickelt gewesen. Die heißesten Reiterfämpfe hatten der Kavallerie von Freund und Feind die legten Kräfte gekostet. Wir hatten die feindliche Kavallerie nicht geschlagen. Der Kampf hatte, je nachdem von der einen oder von der anderen Seite Verstärkungen eintrafen, hin und her gewogt. Zulegt waren beide Teile ermattet, hatten sich rückwärts gesammelt und die blutige Wahlstatt zwischen sich gelassen. Andere preußische Kavallerie hatte auf französische Infanteriemassen verwegene Attacken gemacht, hatte diese dadurch in ihren siegreichen Fortschritten zum Stillstand gebracht und war, auf die Hälfte reduziert, total ermüdet zurückgekommen. Am 16. abends stand der Feind, zur Fortseßung der Schlacht bereit, ihnen gegenüber. Erklärlich war es, wenn auch immer nicht richtig, daß am 17. August mit Tagesanbruch die preußische Kavallerie sich so ermüdet fühlte, daß sie die Aufklärung eines Feindes unterließ, den man kampfbereit vor sich sah. Patrouillen um die Flanken des Feindes hätten fonstatiert, daß und wohin der Feind seinen Abzug einleitete. Zu solchen Patrouillen mußte man noch Kavallerie haben, denn es gab noch einzelne wenige Schwadronen, die am 16. nicht attackiert hatten.

Daß aber solche Fühlung am Abend des 17. und in der Nacht vom 17. zum 18. unterlassen wurde, ist entschieden nicht zu entschuldigen; daß eine so ungeheure Armee wie die französische mit einem Mal derart

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