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geritten, der immer heftiger klang, je mehr sie sich ihm näherten. Dann hatten sie bei Mars la Tour eine große Schlacht gesehen, in der sich das III. und X. Armeekorps gegen einen sehr viel stärkeren Feind bis sechs Uhr abends behaupteten. Was aber seitdem geschehen, wußten sie nicht, denn sie hatten es nun an der Zeit gehalten, den weiten Rückweg von über vier Meilen anzutreten, um den kommandierenden General von der Lage der Dinge in Kenntnis zu seßen. Diese beiden Offiziere hatten nach dem Tagesmarsch von drei Meilen noch vier Meilen hin, ebensoviel zurückgeritten ohne Nahrung für sich und die Pferde. Der Prinz von Württemberg sandte alsbald den Adjutanten, Rittmeister v. Senden, ins Hauptquartier der Zweiten Armee und bat um Erlaubnis, den nächsten Morgen zum X. und III. Korps nach Norden, statt an die Maas nach Westen rücken zu dürfen. Aber dieser Adjutant konnte bei der Entfernung erst früh morgens zurück sein. Jezt kam noch ein Offizier aus Thiaucourt vom XII. Armeekorps in größter Aufregung und brachte die Mitteilung, das III. und X. Armeekorps seien noch gegen Abend total geschlagen worden und hätten fürchterliche Verluste crlitten. Man muß in der Aufregung gebrachte Nachrichten im Kriege nie glauben.

Jedenfalls stand uns aber immer ein recht anstrengender Tag bevor. Ich versuchte deshalb in der Stube, die ich mit dem Hauptmann Doppel. mair teilte, etwas zu schlafen. Aber mein Wirt war gar zu freundlich gegen unsere Leute und bewirtete sie mit Wein, soviel sie haben wollten. Die Stimmen wurden lauter und ließen mich nicht schlafen; denn die Stube, wo die Leute tranfen, war nicht weit von der meinigen. Als mein mehrmaliges Gebot, Ruhe zu halten, erfolglos geblieben war, wurde ich zornig und rannte, so bekleidet, wie ich im Bett lag, mit einem Knüppel in der Hand in das Lokal und jagte die Trinker fort. Der Schlimmste unter ihnen war der Privatdiener des Russen. Derselbe war erst in Berlin für den Feldzug engagiert, pflegte die drei Pferde Doppelmairs schlecht, bediente seinen Herrn fast gar nicht, reinigte dessen Kleider schlecht und betrank sich täglich.

Nachdem ich Ruhe geschaffen, versuchte ich einzuschlafen. Aber Doppelmair war darin eiliger und schnarchte so, daß ich keinen Schlaf fand. Ich tat alles, was in solchen Fällen angeraten wird, ich pfiff, schrie, endlich warf ich ihm meine Stiefel an den Kopf. Da änderte er. seine Musik und knirschte mit den Zähnen, daß mir alle Nerven weh taten.

Sehr lange dauerte dieser Kampf übrigens nicht. Das Alarmsignal machte ihm zwischen drei und vier Uhr ein Ende.

17. August, Hannonville. Mit Sehnsucht harrte der Prinz von Württemberg die ganze Nacht auf die Antwort vom Armeekommando. Bei dem bestimmten Befehl, den er hatte, den 17. nach St. Mihiel an die Maas zu rücken, war es ihm nicht erlaubt, selbständig auf ungewisse Alarmgerüchte hin eine ganz andere Richtung einzuschlagen. Anderseits fürchtete er, wenn das Korps früh schon im Marsch nach Westen begriffen sei zu der Zeit, da der Befehl eintreffe, dem III. und X. Armeekorps zu helfen, dann soviel Zeit mit der Veränderung der Marschrichtung zu verlieren, daß er die Hilfe zu spät bringen werde. Denn das Korps marschierte in einer Tiefe von mehr als drei Meilen. Es wurde deshalb der Befehl ausgearbeitet, wonach die Truppen den Marsch noch nicht antreten, sondern von fünf Uhr früh an weitere Befehle auf Sammelplätzen abwarten sollten.

Auf diese Weise stand das Korps an verschiedenen Punkten, von denen besondere Wege nach Norden führten, auf und bis zu einer halben Meile nördlich der bisherigen Straße und konnte, je nach dem eintreffenden Befehle, wieder die Richtung nach Westen einschlagen, wohin dann höchstens eine Stunde verloren war, oder nach Norden auf vier Parallelwegen aufbrechen, wohin man dann eine Stunde gewonnen hätte. Als bis zwei Uhr früh keine Nachricht eingetroffen war, galoppierten die Adjutanten des Korps mit diesen Befehlen zu den marschierenden Truppenteilen.

Nach drei Uhr früh kam endlich Senden zurück und brachte den Befehl zum Marsch in der Richtung auf Mars la Tour. Zugleich brachte er auch zuverlässige Kunde über das Ende der gestrigen Schlacht. Die beiden Korps hatten sich bis zur Dunkelheit gegen die übermacht behauptet, hatten aber so entseßliche Verluste erlitten, daß baldige Hilfe dringend notwendig war. Das Gardekorps und das XII. Korps sollten daher eiligst nach Norden marschieren.

Es ward vom Korps folgendes befohlen: Die Truppen legen auf den Rendezvous das Gepäck ab. Die dafür zu bestimmenden Wachmannschaften requirieren Wagen und führen es nach.

Die Kürassier-Brigade marschiert von Heudicourt über Vigneulles und St. Benoit nach Hagéville.*)

Die 2. Garde-Infanterie-Division von Richecourt über Essey, Pannes, Beney auf Hagéville.

Die 1. Garde-Infanterie-Division über Flirey, Euvecin, Bouillonville, Xammes Charch auf Hagéville.

*) 3 Kilometer südwestlich Chambley.

Die Korpsartillerie von Beaumont auf Flirey, trabt bei der 1. Divifion vorbei auf Essey und folgt dort der 2. Division.

Patronenwagen brigadeweise an der Queue der Divisionen.

Die Munitionskolonnen erster Staffel von Manonville über Novéant aux Prés auf Limey (die der zweiten Staffel wurden heute. abend in Dieulouard erwartet).

Es wurde sogleich aufgebrochen. Ich sandte meine beiden Adjutanten zur Korpsartillerie und zu den Munitionskolonnen und verwendete sie sonst im Dienste des Korps, dessen Adjutanten und Ordonnanzoffiziere fast alle des Nachts unterwegs gewesen waren.

Wir verließen um siebeneinviertel Uhr die Chaussee bei Bouillonville und verfolgten den Weg der 1. Garde-Infanterie-Division, der zum Teil auf über das Feld führenden, aber für alle Waffen gangbaren Fußwegen entlang ging.

Da famen wir dann unweit Thiaucourt ganz in die Nähe der parallel mit uns nach Norden marschierenden Sachsen. Wir hatten unsere früheren braven und geachteten Feinde, unsere jeßigen Bundesbrüder, mit denen wir gemeinschaftlich manchen harten Kampf bestehen sollten, noch nicht gesehen. Einige von uns, auch Waßdorf und ich, galoppierten querfeld die wenigen hundert Schritt hinüber, die Sachsen zu begrüßen.

Der Tag war drückend heiß. Der Marsch wurde oft durch kurze Ruhepausen unterbrochen. Zu langer Ruhe aber ließ man den Truppen keine Zeit, denn wenn der Feind den Kampf heute fortsette, so konnte jede Viertelstunde für die Existenz des III. und X. Armeekorps entscheidend werden. Major v. Roon vom Generalstabe ward zum Prinzen Friedrich Karl vorausgefandt mit der Meldung, daß das Korps mit seinen Teten um zehn Uhr morgens bei Hagéville eintreffen werde, und mit der Bitte um Befehle, wo es eingreifen könne.

Wenn auch die veränderte Sachlage ein Eingreifen des Gardekorps am 17. nicht mehr erforderlich machte, so konnte doch die Selbsttätigkeit des Prinzen von Württemberg, mit der er sein Korps ohne Befehl zum Abmarsch nach Norden bereitstellte, so daß es bereits um zehn Uhr früh bei Hagéville gefechtsbereit erschien, von großer Wichtigkeit werden. Man denke sich den Fall, er wäre, wie ihm befohlen, nach St. Mihiel marschiert, und Bazaine hätte mit seinen frischen Kräften am 17. August mit Tagesanbruch den Kampf erneuert. Das Gardekorps wäre, wenn es erst abends zehn Uhr bei Hagéville eintraf, zu spät gekommen. Wie

aber wäre es um zehn Uhr morgens im Falle eines solchen feindlichen Angriffs bei Hagéville als Rettungsengel begrüßt worden!

Unterdessen kamen unsere verschiedenen Kolonnenspißen in Hagéville zusammen. Die meisten Offiziere des Generalfommandos hatten in der vergangenen Nacht reiten müssen, statt zu schlafen. Viele von ihnen waren so ermüdet, daß, wenn man einen Ruhehalt machte, sie schlafend vom Pferde glitten und auf dem Stoppelfelde hinfielen, wo es gerade war. Erhielt aber einer einen Auftrag und wurde dazu beim Namen gerufen, so war er sofort munter und galoppierte, wohin er befohlen ward. Das ist die Macht der Gewöhnung an Disziplin und der deutschen Pflichttreue. Aber man konnte daraus sehen, wie gefährlich Kontre-Ordres sind. Das Generalkommando hatte seine allgemeinen Befehle zweimal ändern müssen. Schon waren seine Befehlsmittel am Ende ihrer Kräfte. Hier waren die Kontre-Ordres durch unvorhergesehene Ereignisse geboten. Wenn aber ein Feldherr in seinen Entschlüssen ohne Veranlassung schwankt und alle Augenblicke Gegenbefehle gibt, so muß er die Kraft seiner Befehlsmittel bald erschöpfen. Treten dann unvorhergesehene Ereignisse noch hinzu, wie immer vor der entscheidenden Krisis, dann reichen die erschöpften Befehlsmittel nicht mehr aus, und eine allgemeine Konfusion ist die Folge. Dies ist der Hauptgrund, weshalb Unentschlossenheit selbst der klügsten Führer zum Untergange führt, und warum weit weniger begabte Feldherren größere Erfolge erringen, wenn sie nur wissen, was sie wollen.

Um zehn Uhr morgens fing das Korps an, bei Hagéville, das Dorf vor der Front, aufzumarschieren. Hier erreichten uns Gerüchte über den gestrigen schweren Kampf. Die Dragoner-Brigade war nicht viel stärker wie ein Regiment. Sehr betrübt war Prinz Reuß von den Gardes du Corps. Sein Bruder von den 2. Garde-Dragonern war den Heldentod gestorben. Auch Graf Westarp war tot. Beide Dragonerkommandeure waren gefallen. Oberst v. Auerswald hatte mit einem Schuß im Unterleibe nach heroischer Attacke sein Regiment rangiert, zu nur zwei Eskadrons formiert, dem Könige ein Hurra gebracht und war dann tot vom Pferde gesunken. Oberst Graf Finckenstein hauchte mitten unter den französischen Chasseurs, mit Säbelhieben bedeckt, den Geist aus. Es war allgemeine Betrübnis. Da war wohl keiner, der nicht den Verlust von Verwandten oder Freunden beklagte.*) Man erzählte viel von dem glänzenden Auftreten der Batterie Planiß, wie seine Kühnheit und

*) Die beiden Garde-Dragoner-Regimenter hatten zusammen 12 Offiziere tot und 7 verwundet verloren.

Verwegenheit Freund und Feind in Erstaunen gesezt, und wie sein faltes Blut die Batterie vor dem scheinbar sicheren Verderben gerettet.*)

Um elfeinhalb Uhr traf der Befehl ein, Biwak zu beziehen. Der Feind hatte bis jest nichts unternommen, also glaubte man, er werde auch heute weiter nichts mehr beginnen. übrigens war man dem auch gewachsen, denn das XII. und Gardekorps waren jezt zur Stelle, mehr Verstärkungen (IX., VII., VIII.) wurden erwartet.

Indessen sollte das Gardekorps in erste Linie rücken. Es ward demnach noch eine Meile weiter vor ins Biwak bei Hannonville—Suzemont geführt, die Chaussee Mars la Tour-Hannonville vor der Front, beide Divisionen nebeneinander, den linken Flügel am Yronbache. Dahinter, westlich Sponville, die Korpsartillerie, die Kürassier-Brigade östlich Sponville. Sicherung gegen Verdun zu ward der 2. Garde-Division empfohlen. Das Korpshauptquartier sowie die beiden Stäbe der Infanterie-Divisionen kamen nach dem Doppeldorfe Hannonville-Suzemont. Die Stäbe der Kavallerie und Artillerie nach Sponville.

Es wurde uns auch die Nachricht mitgeteilt, der Feind stehe noch dicht vor uns in Jarny.**)

Das Korps trat um zwölfeinhalb Uhr wieder an, rückte in dichten. Massen, querfeldein marschierend, an die genannte Straße. Gegen vier Uhr waren die Biwaks eingerichtet.

Wir hatten keine leichte Kavallerie mehr bei der Kavallerie-Division. Die Dragoner waren noch beim X. Korps, die Ulanen-Brigade war zum Schutz gegen Westen in St. Mihiel gelassen. Die Divisionskavalleric flärte jest nach Norden auf und fand Jarny unbesetzt.

Das Biwak war sehr ungünstig. Das Plateau, auf dem wir uns befanden, hatte, wie die ganze Gegend zwischen Maas und Mosel, seit dem Frühjahr wenig Regen gehabt. Eine große Dürre war die Folge. Die Brunnen waren versiegt, die Bäche fast vertrocknet. Der Soldat, der seit drei Uhr morgens unterwegs war, litt bei der glühenden Hiße des Tages doppelten Durst. Nach einem Gewaltmarsch von nahezu

*) Der damalige Hauptmann v. der Planiß, zulcßt General-Inspekteur der Fußartillerie, hatte mit seiner Batterie, der 1. reitenden Garde-Batterie, den Angriff der 38. Brigade aus allernächster Nähe unterstüßt und bis zulegt im feindlichen Feuer ausgehalten.

**) In Wirklichkeit war das französische Heer schon am frühen Morgen des 17. August vom Schlachtfelde des 16. auf die Höhen westlich Mez abgezogen.

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