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erneuere, weil man erst jezt die gezogenen Geschüße in der ganzen Armee einführe. Da man sich aber nicht am Vorabend eines großen Krieges befand, so schien mir, daß man sich bei der Fabrikation übereilte. Denn man änderte die Konstruktion bei jedem neuen Rohr, das auf die Ziehbank kam. Ich sah nur bronzene Rohre, sowohl für Feldgeschütz als auch für Festungsgeschüß, ja, gezogene Mörser mit unsinnig langem Flug, also von verhältnismäßig unnötigem Rohrgewicht. Auf meine Frage, ob sie Gußstahlgeschüße in Essen bei Krupp bestellten, erfuhr ich, daß man dort die Marinegeschüße habe machen lassen, aber jezt im Lande einige Gußstahlfabriken anlege, Privatunternehmungen, die der Staat subventioniere, um nicht vom Auslande abhängig zu sein und um dem eigenen Lande den Geldgewinn zukommen zu lassen. Offiziere, welche technische Kenntnisse hatten, waren durch bedeutende Geldzuschüsse seitens des Staates ermutigt worden, solche Fabriken von Gußstahl zu errichten. Da wurde mir unter andern der Hauptmann Bilderling genannt, der im Jahre 1869 meiner Schießübung zugesehen hatte und damals Flügeladjutant des Kaisers gewesen war. Als ich meine Bedenken aussprach, ob diese Fabriken bald imstande sein würden, einen für Kanonenrohre brauchbaren Gußstahl herzustellen, da es doch bis jest in Preußen weder den Königlichen Gießereien noch den größten Privaten, selbst Gruson in Magdeburg, nicht gelungen war, Krupp das Geheimnis abzulauern, ward mir mit dem russischen Muß“ geantwortet. Geschaffen wird es damit allerdings, aber schlecht und unbrauchbar.

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In der Patronenfabrik interessierten mich die zahllosen Maschinen, welche sinnreich erfunden sind, um dem Betrug und dem Diebstahl vorzubeugen. Sobald eine Patrone nur ein Paar Körnchen Pulver zu wenig hat, oder die Kugel ein Minimum zu wenig an Blei wiegt, steht die ganze Maschine still oder wirft das Corpus delicti heraus. Selbst das Einfüllen des Pulvers geschieht nur von Maschinen, und kein Mensch hat dort anzufassen, damit er nichts stehlen kann.

Die Arbeiter in der Patronenfabrik wurden mit einem Rubel täglich gelöhnt. Dieser Lohn kam mir sehr hoch vor. Und dennoch versicherte man mich, daß die Leute dafür nur ein äußerst ärmliches Leben führen könnten, weil die Preise der Lebensbedürfnisse und Wohnungen in Petersburg so hoch sind. Während in Frankreich die hohen Lagelöhne die Folge des Reichtums des Landes sind, liegt die Ursache der hohen Löhne in Petersburg in der dortigen Armut des Landes oder, besser gesagt, in der Unnatur der Lage der Reichshauptstadt in der unwirtlichen kalten Zone und in der großen Entfernung, aus der die kleinsten Lebensbedürfnisse herbeigeschafft werden müssen, die dadurch sehr kostspielig werden.

Mit imponierendem Glanz ist die Artillerieschule eingerichtet. Es ist dort alles geschehen, um die Schüler derselben in den Wissenschaften zu fördern und ihnen Lust zum Lernen zu machen. Als ich sah, wie jeder Schüler im Unterricht in Chemie sein eigenes Laboratorium hatte, in welchem er mit allerhand Drogen und Stoffen selbst experimentieren fonnte, da dachte ich mit Neid an den dürftigen Unterricht in Chemie, den ich auf der Artillerieschule erhalten, wo wir sechzig Schüler die Woche zweimal, nachmittags von vier bis sechs Uhr, in einem wegen. Holzersparnis ungeheizten Saal auf Bänken zusammengepfercht saßen und froren, während uns einer der ersten Professoren der Chemie an der Tafel für uns ganz unverständliche Apothekerformeln hinschrieb, die uns anwiderten, so daß wir nichts dabei lernten. Einer der Schüler lag hier in Petersburg auch im Lazarett, denn er hatte beim selbständigen Experimentieren aus Versehen eine explosible Flüssigkeit zusammengebraut, die auch erplodiert war und ihm Hände und Gesicht verbrannt hatte, so daß er um eine fühlbare praktische Erfahrung reicher war. Ich betrat auch den Unterrichtssaal, in welchem Mathematik gelehrt wurde. Ein berühmter Professor, der, wie alles in Petersburg, einen militärischen Rang, und zwar den eines Generals, hatte, aber troß dieser Uniform in seinem schlecht sitzenden, offenen Rock und nach seiner Haltung den Professor nicht verleugnete, stand auf dem Katheder. Die Schüler befanden sich im zweiten, vorlegten, Kursus, der, wie bei uns, im Oktober begonnen hatte, also im ersten Quartal. Vorgetragen wurden gerade, als ich da war, die Gesetze, nach denen der Luftwiderstand mit der Geschwindigkeit zunimmt, wie ich nach den Formeln der aufgeschlagenen Bücher sah. Ich staunte. Denn wenn dies schon im Beginn des zweiten Lehrjahres vorgetragen wurde, so mußten sämtliche Schüler am Ende des lezten Jahres die Grenzen des gesamten mathematischen Gebietes erreichen. Die Schüler sind älter als bei uns und erreichen beinahe das dreißigste Lebensjahr, wenn sie die Anstalt verlassen. Daß Menschen, die bis dahin nur studiert und weder praktischen Dienst noch Reiten gelernt haben, jest keine praktischen Batteriechefs mehr werden. können, ist klar. Die Unterrichtsklassen waren auch nur neun bis zehn Köpfe starf. Es konnte der jährliche übertritt von neun bis zehn Offizieren aus der Schule in die gesamte russische Artillerie den jährlichen Bedarf an Offizieren natürlich nicht decken, und somit mußte die russische Artillerie die große Masse ihres Bedarfs ebenso heranziehen wie der Rest der Armee. Diese neun bis zehn jährlich von der Artillerieschule ausgebildeten Offiziere waren nur eine durch Avancement bevorzugte gelehrte Elite, die nicht reiten und nichts kommandieren konnte. Mein

verstorbener Toppelmair war auch daraus hervorgegangen. Neun Gelehrte alle Jahre ist für die Artillerie zuviel. Im praktischen Dienst waren sie aber wegen ihres Mangels an Elementar-Dienstkenntnis wenig geschäßt, wegen der ihnen zuteil gewordenen Bevorzugung mit scheelen Augen angesehen. Die übrigen, die praktischen Offiziere, waren aber anderseits von einer solchen Unwissenheit, daß sie die Einrichtung der gezogenen Geschüße nicht einmal begriffen, wie ich bald zu bemerken Gelegenheit hatte. So entstand durch die Vorzüglichkeit der Artillerieschule und die geringe Zahl von Auserwählten, die auf ihr ausgebildet wurden, in der russischen Artillerie eine unüberbrückte Kluft zwischen Theorie und Praris. Diese Kluft existiert, wenn auch nicht in derselben Größe, in aller Armeen. Bei uns wird sie durch die Schießschule ausgefüllt, auf welcher jeder Artillerieoffizier während seiner Dienstzeit einige Male in der Zeit von ein paar Monaten Kenntnis von dem Gebrauch der neuen Erfindungen nimmt. Auf meine Frage nach einer Schießschule sagte mir Baranzoff: „A quoi bon une école de tir? Ils tirent assez bien dans la troupe." Das scheint sich nicht erfüllt zu haben, denn gegen Plewna haben sie nichts getroffen.

In den Kasernenstuben interessierte mich, daß am Ende jeder Stube. ein Heiligenbild steht, an dem ein Lämpchen Tag und Nacht brennt. So stark wird auf die Orthodorie auch in der Armee gehalten. Die Stuben waren vortrefflich gehalten. Aber ich würde nur in diejenigen. Stuben geführt, welche auf meinen Besuch vorbereitet waren. Der General Baranzoff sagte mir, die russischen Soldaten seien gewohnt, wenn man ihre Stuben besuche, daß man ihnen guten Tag" sage. Ich ließ mir das auf Russisch vorsagen und versuchte, es nachzusprechen. Es war ein Wort mit fast nur Konsonanten, und ich brachte es nicht heraus. Als ich daher eine Stube betrat, muß ich es so undeutlich ausgesprochen haben, daß mich niemand verstand, denn die Soldaten sahen mich stier und erstaunt an und antworteten die ihnen dafür vorgeschriebene Klausel nicht. Ich bat daher Baranzoff, die Begrüßung für mich auszusprechen.

Das Ererzieren von drei Geschüßarten im Ererzierhause war für mich sehr amüsant. Ich bat nur, daß jedes Geschütz mit jeder Geschoßart einmal geladen und abgefeuert werde, natürlich nur ererzierend ohne Patronen. Hierbei sah ich, daß die Mannschaft, welche doch gewiß ausgesucht war, ihr Geschüß nicht kannte, und daß auf ein genaues Zielen wenig Wert gelegt wurde. Es waren vorschriftsmäßig feldkriegsmäßig verpackte Proßen hinter den Kanonen aufgestellt, und als ich fragte, ob ich ein Schrapnell sehen könne, wurde nach einem solchen gerufen, aber es dauerte lange, bis es gefunden ward., Weder die Mannschaft, noch die Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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Unteroffiziere, noch der Offizier wußten, wo es zu finden war. zeigte man mir die Mitrailleuse und exerzierte blind damit. Daneben lag eine gleiche Mitrailleuse, die in ihre Teile zerlegt war. Man sagte mir, fie könne in fünf Minuten zusammengesetzt und schußfertig gemacht werden. Dies sollte mir produziert werden. Aber es gelang nicht, die Teile paßten nicht. Ich hatte gut achtgegeben und bemerkt, daß ein Teil verkehrt eingesetzt war, so daß ich ihnen aus der Verlegenheit helfen fonnte. Es war mir dies ein Beweis, daß die neuen Erfindungen in der Artillerie von der großen Menge derjenigen nicht verstanden werden, die damit kämpfen sollen, und führte mir die große Kluft zwischen Theorie und Praris deutlich vor Augen, von der ich oben gesprochen. Ehe die Zivilisation nicht bis in die alleruntersten Schichten der Bevölkerung verhältnismäßig durchgedrungen ist, wird auch die russische Armee nicht diejenige Kraft entfalten können, die der Zahl ihrer Soldaten entspricht.

Ich hatte darum gebeten, mir eine Abteilung zu zeigen, wie sie im Winter in der Bahn zusammen Reitunterricht erhielte, sei es Rekruten oder Remonten oder Reiter der reitenden Artillerie. Man ließ neun Reiter einrücken, es waren aber nicht Reiter, die zusammengehörten, das sah ich schon an den Farben der Pferde, denn in Rußland wird noch strenger als bei uns darauf gehalten, daß die Pferde derselben Batterie von derselben Farbe seien. Die mir vorgestellten Pferde waren aus drei Batterien entnommen. Sie zeigten mir solche Kunststücke der hohen Schule, wie man sie sonst nur in der spanischen Schule zu Wien oder im Zirkus von Renz sieht. Der Schritt war nur spanischer Tritt, Piaff, der Trab Radop. Die Seitengänge waren tadellos, die Pferde so in den Hanken gebogen, wie es bei einem Artilleriepferd fast ein Wunder genannt werden könnte. Es war mir klar, daß diese neun Pferde nur dazu gehalten und dressiert wurden, um gelegentlich Vorgesezten und Fremden gezeigt zu werden. Ich ließ mir aber nichts merken, sondern bewunderte nur die Leistungen und versicherte Massalsky und Baranzoff, daß so etwas bei mir nicht gezeigt werden könnte. Man zeigte mir auch die Karriere, aber keinen Galopp. Auf meine betreffende Frage ward mir gesagt, es sei verboten, daß die Artillerie galoppiere. Selbst in der Reitbahn dürfe nicht galoppiert werden. Die Artillerie dürfe nur Trab und Karriere üben. Ich konnte meine Verwunderung nicht unterdrücken, wie Pferde ohne Galoppübungen so vortrefflich in den Hanken gebogen werden und eine so gehaltene Karriere laufen könnten. Lächelnd vertraute man mir nun an, dies sei allerdings unmöglich. Im geheimen. galoppiere man auch, und dann zeigte man mir auch alle Galopp.

übungen in hoher Vollkommenheit, wie sie ein gut zugerittenes Pferd ausführen können muß.

Die Vierpfünder und Neunpfünder sind in Rußland größer als die unsrigen. Der russische Vierpfünder würde bei uns etwa Fünfpfünder, der Neunpfünder fast Zwölfpfünder genannt werden. Sie müssen danach mehr Wirkung haben als unsere Feldgeschüße, sind aber auch viel schwerfälliger. Die Mitrailleuse feuert nicht lagenweise wie die franzö sische, sondern gibt ein fortwährendes Einzelfeuer. Ich denke, es muß dies noch schwerer zu beobachten und zu korrigieren sein als das französische.

Größere Übungen im Freien konnte ich bei der Kälte von 17 bis 18 Grad Réaumur nicht sehen.

Zu Mittag gab der Botschafter Prinz zu Reuß der ganzen Deputa tion ein solennes und offizielles Diner. Nach demselben ging es wieder in die Oper. Es war ein interessanter Abend, denn die Lucca und die Patti sangen zusammen, was, soviel ich weiß, bisher und auch später nirgends vorgekommen ist. Die Verehrer der beiden Nivalinnen fanden sich vollzählig ein. Das Haus war Kopf an Kopf gefüllt, und der Applaus ein lärmender Kampf zwischen den beiden Parteien. Bei beiden KünstIerinnen wurde so viel Lärm als möglich gemacht, und es ist schwer zu sagen, welche von beiden Sängerinnen die gefeiertste war. Wenn aber der Erfolg der einen bedeutender genannt werden soll, so ist es der der Patti gewesen. Auch zahlte ihr der Pächter der Italienischen Oper ein höheres Honorar, denn er gewann es jeden Abend dem Herrn Nicolini, dem späteren Gemahl der Patti, im Spiel, wie man sagte, wieder ab, wogegen die Lucca ihr Geld behielt. Lettere war mürrisch und wenig erfreut über den Petersburger Aufenthalt. Nach der Oper war wieder Soirée bei der Großfürstin Helene von zwölf bis zwei Uhr.

Dienstag, den 12. Dezember. Frühmorgens wurden die Feuerwehr und das Pagenkorps besichtigt, wobei sämtliche Gäste zugegen waren. Dann wurden wir der Kaiserin vorgestellt.

Die Kaiserin bewohnte ein prächtiges Corps de Logis im Winterpalais zu ebener Erde. Die weiten, hallenartigen Salons waren durch Blumen, tropische Pflanzen und Gitter in Teile geteilt, die wie Gartenlauben eingerichtet waren, während man den Salon selbst für einen Garten halten konnte. Die künstliche Verbesserung der Luft, die ich schon erwähnte, fam auch den tropischen Pflanzen zugute und fristete der leidenden Kaiserin das Leben, die zwar damals schon an der ausgesprochenen Schwindsucht litt, aber doch noch fast neun Jahre durch die

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