Abbildungen der Seite
PDF
EPUB

was ich mir ansehen könne. Als der passendste Tag für militärische Besichtigungen ward der 11. Dezember ausgesucht.

Bei dem Feste selbst wurde die ganze Pracht des Hofes und der Toiletten entfaltet. Die Prunksäle des Winterpalais sind von einer ganz enormen Ausdehnung und Anzahl und ihre Ausstattung von einem großen Lurus. Das zeremonielle Fest des Morgens erinnert an das Ordensfest in Berlin, wenn auch die Anordnungen wesentlich voneinander verschieden sind. Bei der Versammlung wird jeder auf seinen Platz gestellt, den er nicht anders als in der Reihe marschierend verläßt. Die Aufstellung erfolgte nach dem Datum, an welchem man den GorgenOrden erhalten hatte. Man wurde paarweise abgeteilt. Ich erhielt danach als Festkumpan einen russischen General, der nur einen Fuß hatte und sich mit Stelzfuß und Krücke mühsam durch die Säle schleppte.

Der Kaiser erschien bei den Versammelten, begrüßte sie und begab sich dann nach der Kirche. Hinter ihm marschierten die Georgsritter zu zweien durch die endlosen Säle nach. Vor dem Eingange in die große Kirche des Palastes ließ der Kaiser die Georgsritter im Parademarsch an sich zu zweien vorbei- und in die Kirche hineinmarschieren. Trompeten-, Fanfaren- und andere Militärmusik erfüllten die Räume mit betäubendem Lärm. Voraus und hinterdrein marschierende Riesensoldaten verschiedener Truppen fehlten nicht. Der Parademarsch auf dem glatten Parkett fiel sogar bei den geübten Soldaten recht ungünstig aus. Bei den Generalen konnte man ihn lächerlich, bei den unglücklichen alten Herren, zum Teil lahm, zum Teil mit einem Holzfuß, kläglich

nennen.

In der Kirche fand eine Zeremonie statt. Ich verstand kein Wort davon. Die Geistlichen mit ihren langen, bis auf die Brust herabwallenden Bärten sehen viel ehrwürdiger aus als unsere glattrasierten Prediger. Daß ich keine Silbe von den Popen verstand, fiel zu ihren Gunsten bei mir aus, denn sie sollen von einer entseßlichen Unwissenheit sein. Als die Zeremonie in der Kirche beendet war, verließ sie der Kaiser zuerst und nahm Aufstellung in den anstoßenden Sälen. Wir mußten dann die Kirche in umgekehrter Ordnung, die Jüngsten zuerst, zu zwei und zwei verlassen und wieder ebenso beim Kaiser vorbeimarschieren. Eine originelle Zeremonie.

Das Diner war glänzend. Alle in Petersburg anwesenden Georgsritter, auch die aus dem Stande der Unteroffiziere und Gemeinen, waren geladen. Man saß in den großen Sälen an unglaublich langen Tafeln. Der Kaiser brachte einen Toast auf den besten Freund der russischen Armee, den Deutschen Kaiser, aus. Der Toast wurde telegraphiert, die

Antwort kam noch aus Berlin während der Tafel und wurde vom Kaiser verkündet. Der Deutsche Kaiser verlieh damit dem russischen den Orden pour le mérite. Die Antwort erregte einen lauten Beifallssturm.

Theater. Es ward uns angekündigt, der Kaiser werde nach dem Diner in das russische, dann in das deutsche Theater gehen. Er mußte sich nämlich an diesem größten Ehrentage der russischen Armee im russischen Theater zeigen, wo patriotische Stücke gegeben wurden, und so mußten wir alle auch in ein Theater gehen, wo wir keine Silbe verstanden. Nachdem wir dort eine Stunde gesessen, ging der Kaiser, also auch wir, in das deutsche Theater, wo die berühmte Goßmann spielte. Wir verstanden aber auch nicht viel, denn wir kamen in der zweiten Hälfte des Stücks. Das Theater war zwischen elf und zwölf Uhr zu Ende, worauf wir einer Einladung der Großfürstin Helene zum Tee folgen mußten. Die Gesellschaft dauerte bis gegen zwei oder drei Uhr des Morgens. Wir kamen somit erst zwischen drei und vier Uhr zur Ruhe. Das ist in Petersburg Regel. Bälle dauern länger.

In einem Breitengrade, in dem es im Winter kaum Tag, im Sommer faum Nacht wird, ist es eigentlich gleichgültig, wann man schläft und wacht. Wer aber an dieje Tagesordnung nicht gewöhnt ist, den ermüdet sie sehr, besonders, wenn man des Morgens noch zu militärischen oder anderen Tätigkeiten aufgefordert wird.

Bei der Großfürstin Helene. Ich erwähnte schon, daß man bei der Großfürstin Helene gebildete Leute aus allen Ständen fand. Da wurde musiziert, deklamiert und alles mögliche durch die Kunst geleistet, was das Leben angenehm macht und veredelt. Der Salon der Großfürstin war sehr gesucht. Den Künstlern, die dorthin geladen wurden, gab es wegen des als ausgesucht anerkannten Geschmacks der Großfürstin ein besonderes Relief, und wer in der Gesellschaft für gebildet gelten wollte, suchte, dort empfangen zu werden. Daher kam es, daß sich natürlich auch alles dort einfand, was die Petersburger Aristokratie an Blaustrümpfen aufzuweisen hatte. Dieses Genre von Damen ist dort entstanden, seitdem der Kaiser Alerander sein liberales Regiment angetreten und den Unterricht obligatorisch gemacht hat. Es sezten damals viele junge Damen eine Ehre darin, ihr Lehrerinneneramen zu machen, che sie in die Welt traten, und Frau v. S., eine Schöne von 22 Jahren, jagte, indem fie stolz ihren Busen mit dem Fächer berührte: „Je suis professeur, moi". Ich verschwieg, daß ich im stillen wünschte, sie hätte deshalb ihre Toilette nicht vernachlässigt. Als sie aber gar auch noch ansing, zu politisieren und uns über die Verhältnisse der Ostseeprovinzen aufklären

wollte, da riß meinem Freunde, dem dicken Lynar, die Geduld, denn alle Welt redete uns auf diese Ostseeprovinzen an, für die wir uns doch gar nicht interessierten. Aber die Russen fürchteten eben, es könne uns in den Sinn kommen, sie zu erobern. Lynar machte also ein möglichst treuherzig stupides Gesicht und fragte: „Die Ostseeprovinzen, wo liegen denn die?" „Mein Gott, an der Ostsee!" rief die junge Frau ganz entrüstet. „Liegen sie schon lange da?" fragte Lynar. Alles lachte, nur die junge Gelehrte war sehr gekränkt.

Man fühlte sich sehr behaglich in diesem Salon der Großfürstin Helene, denn die steife Etikette war aus diesen Räumen verbannt. Wenn Musik gemacht oder etwas vorgestellt wurde, so ward durchaus nicht die ganze Gesellschaft gezwungen, da zuzuhören und sich steif hinzusehen. Im Gegenteil. Ein großer Teil der Gesellschaft verkehrte in den anderen Zimmern, schwaßte oder spielte Whist, wie es jedem gefiel. Die Großfürstin und ihre Tochter Katharina, Gemahlin des Herzogs Georg von Mecklenburg-Strelig, verkehrten unter der Gesellschaft wie deutsche bürgerliche Hausfrauen, für jeden sorgend und keine Rücksicht auf sich beanspruchend, ja sogar solche Rücksichten ganz unmöglich machend. Dafür legte sich die Großfürstin auch selbst keinen Zwang auf, wenn sie, da sie schon bei Jahren war, sich angegriffen fühlte. Da verschwand sie wohl von der Gesellschaft unbemerkt und begab sich zur Ruhe, ihrem Hofstaat die Sorge für die Gäste überlassend.

Es war mir anfangs sehr auffallend, daß die Russen sie kurzweg ,,die Helene Paulowna" nannten, und ich glaubte darin eine Nichtachtung bemerken zu können. Später aber beobachtete ich, daß man in Rußland alle diejenigen, mit denen man entweder besonders vertraut ist, oder die man besonders hoch achtet, und deren allgemeine Bekanntschaft man voraussett, einfach mit dem Taufnamen und Vatersnamen bezeichnet. So würde z. B. der vornehme Russe nicht sagen: Ich kann heute nicht zur Großfürstin Helene gehen, weil ich zum Großfürsten Nicolaus geladen bin", sondern: Ich kann heute nicht zur Helene Paulowna gehen, weil ich zum Nicolaus Nicolajewitsch geladen bin".

Der 9. Dezember. Am 9. Dezember fand große Parade statt. Aufstellung und Vorbeimarsch der Truppen waren auf dem großen Plate vor dem Winterpalais.

Es wird in Rußland noch mehr als an anderen Höfen auf den Anzug Wert gelegt. So hatte sich der Kaiser bei dieser Parade ausgedacht, die preußische Armee durch den Anzug besonders zu ehren, denn es ward dasselbe Kostüm befohlen, das die preußischen Truppen beim Siegeseinzug

in Berlin am 16. Juni getragen hatten, also kleine Uniform, ohne Busch mit Feldachselstiiden, aber mit Ordensband. Weil aber die Kälte so empfindlich war (ich glaube zwölf Grad), daß man die Mäntel anziehen mußte, so war von dieser Finesse des Anzuges nichts zu sehen als das Fehlen des Busches auf dem Helm. An die Parade schloß sich ein Dejeuner beim Kaiser im Winterpalais, zu dem alle Stabsoffiziere befohlen waren. Auch bei diesem Dejeuner ward uns durch die Toilette eine besondere Aufmerksamkeit erwiesen, denn es durften nur Kriegsorden angelegt werden, deren wir natürlich gerade jezt mehr hatten als die Russen.

Die Parade in dem kniehohen, durch die herrschende Kälte in dünnen, tiefen Sand verwandelten Schnee hatte ihre großen Schwierigkeiten. Um sie recht stattlich zu gestalten, waren die Gardetruppen aus den nächsten Garnisonen mit dazu herangezogen worden. Ein KavallerieRegiment hatte dazu um Mitternacht abmarschieren müssen.

Man fonnte fein Urteil über die Truppe von dieser Parade fällen. Infanterie in langen Mänteln, die durch knietiefen Schneesand vorbeisteigt, kann keine Ererzier- und Marschtätigkeit zeigen. Erstarrte Hände können weder Gewehre noch Zügel richtig führen. In solchem Boden können die Pferde keinen richtigen Trab traben. Gewisse Schwa. dronen mußten in der Karriere vorbeireiten, und der Chok fiel in dem tiefen Schnee gewaltig aus. Die Geschütze wurden nur mühsam unter großer Anstrengung fortgeschleppt. Aber das konnte die vorzüglichste Truppe unter diesen Umständen nicht besser machen.

Der Pferdeschlag der Gardekavallerie gefiel mir gar nicht. Die großen, aufgezogenen, häßlichen Gäule mit hohem Hinterteile, niedrig gestellter Vorhand, infolge von überzäumung das Kinn auf der Brust tragend, schienen mir zu schnellen Gängen auf die Dauer nicht geeignet. Die kleinen, kurzen, gedrungenen Kosakenpferde gefielen mir besser.

Nach dem Frühstück wurden die sämtlichen Gäste en grand cortège in der Stadt herumgeschickt, um die Merkwürdigkeiten derselben zu sehen. Eine ganze Reihe von Kaiserlichen Schlitten und Equipagen jagte in sausendem Tempo von einem Platz zum anderen, von einem Denkmal zum anderen, von einer Kirche zu anderen. Wo man aussteigen mußte, war alles vorbereitet, um das Innere zu sehen, und der Prinz Friedrich Karl, der natürlich an der Spize fuhr, wurde auch von den Führern und Erklärern empfangen und geleitet; wir andern konnten aber nicht zugleich mit ihm aussteigen, denn der tiefe Schnee erlaubte nur das Aussteigen vor den betreffenden Portalen; auch stand überall eine so dichte Volksmasse neugierig bei den Eingängen, daß sie von anderwärts Aus

gestiegenen nicht hätte durchdrungen werden können. Die Polizei hatte auf eine solche Neugier des Volks wohl nicht gerechnet und nicht die gehörige Anzahl Mannschaft überall aufgestellt, um die Eingänge freizuhalten. Da strömte die Menge der Russen in ihren dicken Pelzen und mit ihren Schaffellmüßen hinter dem Prinzen Friedrich Karl in die Kirche nach, und wir später Nachfolgenden wurden abgedrängt, sahen nichts von den Merkwürdigkeiten und hörten nichts von den Erklärungen. Am meisten traf das uns, Lynar und mich, die wir nach unserem militärischen Range mit zu den letzten gehörten. In der einen Kirche war mir durch die dichte Volksmasse, die dem Prinzen Friedrich Karl nachfolgte, als er wieder einstieg, der Ausgang absolut versperrt, und ich sah kommen, daß ich den Anschluß ganz verfehlen würde. Ich schaffte mir durch eine List Plaß. Die gemeinen Russen fragten uns nämlich fortwährend, mitten im Gedränge: „Wo is Moltke?" in ihrem gebrochenen Deutsch. Da zeigte ich nach dem Innern der Kirche, Moltke sei noch am Altar. Sofort strömte die Masse dorthin, denn Moltke war ihnen der Merkwürdigste von allen. Ich hatte die Tür frei und konnte weiterfahren. Aber ich hatte doch so viel Zeit verloren, daß ich bei der nächsten Kirche gerade ankam, als deren Besichtigung beendet war. Ich kann ehrlich sagen, daß ich von allen diesen Merkwürdigkeiten eigentlich gar nichts gesehen habe, bis wir schließlich bei den Kaiserlichen Stallungen. einen Ruhepunkt der Hetjagd fanden. Hier zeigte uns der Oberstallmeister, Fürst Galißin, die ganzen Stallungen und Wagen und produzierte auch einige Pferde. Ich kann nicht sagen, daß mir die Pferde imponierten. Selbst die Leibreitpferde des Kaisers sind nicht tadelfrei. Einen Vergleich mit dem Pferdeschlag des Berliner Königlichen Stalles halten sie nicht aus. Die häßlichen, langschwänzigen Harttraber, die meist einspännig im Schlitten gefahren werden, und von denen auch unser Kaiser zwei vom russischen Kaiser geschenkt erhalten hat, mit denen. man ihn oft in Berlin fahren sieht, gefielen mir noch am besten.

Zum Diner waren wir bei der Großfürstin Helene geladen, nach dem Diner ging es in die Oper; es wurde „Don Juan" gegeben, und die Lucca sang die Rolle der Zerline, durchaus nicht ihre glänzendste Rolle. Die Oper war etwa gegen Mitternacht zu Ende, und danach fand bei der Fürstin Galigin, Gemahlin des Oberstallmeisters, die Soiree statt. Ich glaube, daß der Fürst Galizin diese Soiree auf Befehl und Kosten des Kaisers gab.

Alle die Soireen der ersten Gesellschaft beginnen in Petersburg erst nach der Oper, denn der Besuch der Oper ist dort so kolossal teuer, daß jeder, der einen Platz bezahlt, ihn auch bis zum Schluß verwertet. Wenn

« ZurückWeiter »