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dorthin und bieten ihren Bären feil. So bildet sich in Petersburg beim Beginn des Winters eine vollständige Bärenbörse.

Wenn der Kaiser eine Bärenjagd abhalten will und in den Kaiserlichen Forsten gerade kein eingefesselter Bär sicher eingespürt ist, so kommt es auch vor, daß das Hofjagdamt einen Bären an der Bärenbörse kauft. In der Regel aber gibt es in den ausgedehnten Kaiserlichen Forsten eingefesselte Bären genug.

Nachdem ich dies vorausgeschickt habe, muß ich noch erwähnen, daß eine Bärin mit zwei Jungen eingefesselt war, daß der Wind auf das günstigste stand und alles eine gute Jagd versprach. Man marschierte mäuschenstill die Schüßenlinie entlang, von rechts nach links. Die Fährte des Bären ward lautlos gezeigt, auf ihr blieb der Kaiser stehen. Vorher, rechts von ihm, war der Prinz Friedrich Karl aufgestellt, weiter rechts schon die anderen Prinzen, links vom Kaiser war der Stand des Großfürsten-Thronfolgers, und ich erhielt Befehl, mich neben ihn in denselben Stand zu stellen. Der Großfürst sagte mir sehr freundlich: ,,Vous tirerez, je ne tirerai pas." Ich wollte Gegenvorstellungen machen, aber er befahl.

Der uns angewiesene Stand war vorn von einem dichten Kiefernschirm umgeben. Hinter uns standen zwei Jäger mit sehr ernsten Gesichtern, jeder mit zwei Doppelbüchsen versehen, und hinter diesen zwei riesenhafte, jeder mit einer Art von Hellebarde zum Nahkampf versehene Kerle. Diese Hellebarden waren gerade Sensen an einer langen Stange. Was fonnte uns sechs, bis an die Zähne bewaffneten Menschen wohl passieren, dachte ich. Dennoch kommt Unglück vor, wenn die vier dahinten nämlich ausreißen.

Wir standen noch nicht lange auf unseren Pläßen, als ein Schuß bei den Treibern das Signal zu einem infernalen Spektakel gab, den auf der anderen Seite der Dickung die Treiber erhoben, um die Bärenfamilie aus ihrem Schlummer zu wecken. Jeder Treiber schrie, was er konnte, in allen ihm zu Gebote stehenden Tonarten, klapperte mit Stöcken an den Bäumen, dazwischen erinnerten mich Flintenschüsse und die Erplosion von Kanonenschlägen an den im vergangenen Jahre oft erlebten Schlachtenlärm. Das war allerdings geeignet, selbst einen Bärenschlaf zu unterbrechen. Es dauerte auch nicht gar lange, da sah ich etwas auf fast 100 Schritte vor mir im Walde sich bewegen. „,Tirez", flüsterte der Großfürst. Ich schüttelte den Kopf, denn die schwarze Masse, die sich näherte, nahm vor mir die Richtung gerade auf den rechts von mir stehenden Kaiser zu. Dem wollte ich die Jagd nicht verderben. Hinter der ersten schwarzen Masse folgten zwei kleinere. Es war die Bärin mit

ihren Jungen. Bei der großen Geschwindigkeit, mit der sie flüchtig anfamen, glichen sie runden schwarzen, gerollten Kugeln, die vor mir nach rechts vorbeiflitten. Bald lag der Kaiser im Anschlage und schoß zweimal, dann die ganze Schüßenlinie nach rechts hin, wo die Bären sich entlang hingewandt hatten. Nach einer Weile fiel noch ein Schuß links, dann war alles stumm. Die Leiter der Jagd kamen, konstatierten und bliesen Halali.

Der Kaiser hatte auf die alte Bärin geschossen und behauptete, sie gefehlt zu haben, ob aus Höflichkeit gegen die Gäste oder aus überzeugung, das weiß ich nicht. Nächst ihm hatte der Prinz Friedrich Karl auf die alte Bärin geschossen und behauptete, sie getroffen zu haben, die russische Jägerei konstatierte auch pflichtschuldigst, daß die Bärin von des Prinzen Stand an geschweißt. Dann war sie dem Prinzen von Württemberg gekommen. Dieser war schlau genug, nicht danach zu schießen, denn er wußte, daß sie ihm nicht zugesprochen werden würde, also hatte er lieber nach einem der jungen Bären geschossen und diesen auch unter Feuer erlegt. Die Bärin war dann die ganze Schüßenlinie entlang gelaufen, hatte noch viele Kugeln erhalten, unter denen sie endlich verendete. Ehre und Haut ward dem Prinzen Friedrich Karl zugesprochen. Das andere Junge war gegen die Treiber und dann im weiten Bogen nach dem linken Flügel gewichen, wo es vom Rittmeister v. Krosigk, Adjutanten des Prinzen Friedrich Karl, erlegt ward. Man kann nicht leugnen, diese Bären waren gut diszipliniert. Erst waren sie pflichtschuldigst auf den Monarchen zugelaufen, dann hatte jeder der Königlichen Prinzen, die zu Gaste waren, einen geschossen, alle Gäste hatten Bären gesehen, viele hatten darauf geschossen und konnten sich mit der gerechtfertigten oder illusorischen Überzeugung tragen, einen Bären getroffen zu haben.

Der Kaiser selbst und alle Leiter der Jagd waren von dem schnellen und glücklichen Erfolg überrascht. Das Frühstück, das im Freien eingenommen werden sollte, war noch gar nicht bereitet, und man versammelte sich am Feuer und wartete. Ein Kaiser und warten! Und dieser Kaiser tat es lachend und scherzend, und die erlegten Bären wurden. malerisch aufgestellt, und wir standen und plauderten im Umkreise.

Frühstück. Die heftige Kälte zwang jeden zu besonderer Kleidung, und die meisten von uns sahen darin recht komisch aus. Der den Kaiser stets begleitende Hofmaler Zichy hat die Gruppe karikierend skizziert und dabei keinen geschont, auch den Kaiser selbst nicht, der, wie immer, frierend und schlotternd sich zusammenzieht. Prinz Friedrich Karl mit Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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über die Ohren gezogener Pelzmüße, Prinz von Württemberg, unter der sprichwörtlich gewordenen Jagdmüße mit unendlich weit vorstehendem Schirm, stehen in erster Linie neben dem Kaiser. überaus originell, fast baschkirenhaft, sieht Woronzow-Daschkows überzogener Baschlik mit den lang herabhängenden Enden aus, während des Grafen Lieven hagere Erscheinung in einem schlafrockähnlichen langen Pelz, mit der zweifelhaften Müße und den Ohrenklappen den Beschauer in Zweifel läßt, ob er die Gestalt eines alten Weibes oder eines vertrockneten Skeletts sieht. An der Seite stehen die beiden jungen Großfürsten am Feuer, und hungrig, wie sie immer sind, schauen sie in das brodelnde Essen hinein, um zu sehen, was es gibt. Dem Kaiser hat diese Skizze so gefallen, daß er sie photographisch vervielfältigen ließ und jedem Teilnehmer an der Jagd ein Exemplar schenkte.

Wolfsjagd. Nach Beendigung des Frühstücks beriet sich der Kaiser mit den Leitern der Jagd und rief dann alles in die Schlitten. Es seien noch Wölfe in der Nähe eingespürt, und wenn wir uns eilten, könnten wir noch vor Einbruch der Dunkelheit eine Wolfsjagd machen. Jeder sprang auf seinen Schlitten, und es ging drei Viertelstunden lang fort in einen entfernten Teil des Waldes.

Die Einleitung des Treibens war wie vorher, nur daß keine Beschüßer hinter uns standen. Wir standen wieder in derselben Ordnung, also auch ich wieder beim Großfürsten-Thronfolger.

Der Tag neigte sich zu Ende, als der Lärm der Treiber begann. Aber in diesen Breitengraden dauert die Dämmerung lange, und die Wölfe ließen sich nicht lange bitten. Bald kam einer auf mich zu und wandte sich auf den Kaiser. „Pourquoi ne tirez-vous pas ?", sagte der Großfürst ärgerlich. Wieder protestierte ich, denn ich wollte dem Kaiser nichts fortschießen. Dann kam ein Wolf, den der Kaiser gefehlt hatte, langsam zu uns getrollt. „A présent tirez“, sagte der Großfürst. Der Wolf hörte ihn sprechen, blieb stehen und sah uns groß an. Es waren achtzehn Schritte bis dahin. Ich schoß ihn tot; es war kein Kunststück. So ein gemütlicher Wolf war mir noch nicht vorgekommen. Ein anderer Wolf kam von links gleich darauf. „A vous Monseigneur", sagte ich. ,,Non, tirez", rief der Großfürst. Ich schoß auch diesen. Jetzt aber stellte ich mein Gewehr fort und erklärte, ich schieße nicht mehr. Es kam noch ein Wolf zu uns, etwas weit, der Großfürst schoß zweimal, traf ihn auch, aber der Wolf ging krank weiter.

Als das Signal Halali geblasen ward, ging der Großfürst auf den Anschuß seines Wolfs, und ich hörte unterdessen, wie der Graf Lieven

dem Kaiser acht Wölfe meldete. Ich folgte dem Großfürsten, und wir fanden Schweiß im Schnee auf seinen Schuß. Ich sagte ihm, es seien acht Wölfe erlegt. Da hörte er sofort zu suchen auf und begab sich zum Kaiser, indem er zu mir sagte: „Si tous les huit loups sont trouvés, je n'ai pas besoin de chercher."

Jest ward mir klar, warum die Wölfe so gemütlich waren. Es waren jung eingefangene, halb gezähmte Wölfe, die man bereit gehalten hatte, wenn die Bärenjagd verunglücken sollte. Gleich nach der Jagd ging es zu Schlitten, um durch eine Schlittenfahrt im Dunkeln den bereit stehenden Extrazug zu erreichen, der uns nach Gatschina zum Diner führte.

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Beim Diner saß ich neben dem Grafen Lieven, dem, als dem Leiter der Jagd, der Plaß dem Kaiser gegenüber angewiesen war. Ich begann damit, dem Grafen Glück zu wünschen zu dem glänzenden Resultat der Jagd. „Nun“, sagte er, mit dem Bären, das ist Glückssache, das kann man nicht zwingen. Ist der Wind schlecht, dann weiß man nicht, wie der Bär läuft. Aber mit den Wölfen, da habe ich es ganz sicher. Da kann Seine Majestät Wolfsjagd befehlen, wann er will, und wir werden. immer Wölfe haben.“ „So?“, sagte ich, und bat mir das Mittel aus, weil in meiner an Rußland grenzenden Heimat auch Wölfe vorkämen. „Sehen Sie", sagte er, ich füttere die Wölfe den ganzen Winter mit Pferdefleisch, immer ein klein wenig, daß sie in die Gegend kommen, und wenn Majestät befehlen, Donnerstag soll Jagd sein, dann füttere ich Mittwoch so viel, daß die Wölfe ganz vollgefressen sind und gehen, zu schlafen dicht am Futterplag. Sehen Sie, diese acht Wölfe kosten mich siebzehn Pferde." „Es gibt wohl viel Wölfe hier in den Wäldern?“ ,,, viele Hunderte." "Ich sah gar keine anderen Wildspuren auf der langen Fahrt im Schnee; gibt es gar kein Rotwild, keine Rehe, keine Hasen?“ „O nein, gar nichts.“ „Nur Wölfe und Bären?“ „Nur Wölfe, Bären und Luchse!" Wovon leben denn diese vielen Wölfe, wenn Sie sie nicht füttern?" "Ja, wovon werden sie leben“, sagte er mit der trübseligsten Miene von der Welt, „sehen Sie, das ist's ja eben, sie leben von Schafen, die sie den Bauern stehlen, und dann hauptsächlich von Kindern!"

Es gelang mir, nicht herauszuplaßen vor Lachen, sondern ein recht gläubiges, dummes und trauriges Gesicht über die armen Bauernkinder zu machen.

Der Kaiser selbst aber hatte nicht die Absicht, uns den Wig mit den Wölfen auf die Dauer vormachen zu lassen. Unter den Zichyschen Skizzen, deren Photographien er uns nach Deutschland nachsandte, ist

eine, welche darstellt, wie die berittenen Pikeure in der Dickung die Wölfe mit der Hespeitsche den Schüßen zutreiben.

Was übrigens die Luchse anbetrifft, so gibt es diese Tiere auch wild bei Gatschina, aber der Kaiser jagt nie darauf, weil man sie nicht einspüren fann, denn sie springen von Baum zu Baum. Es ist ein sehr seltener Zufall, daß ein Jäger auf einen Luchs zu Schuß kommt. Dieser Zufall hatte eben stattgefunden, als wir in Gatschina ankamen. Drei frisch geschossene Luchse lagen vor dem Schlosse für den Kaiser zur Ansicht.

Nach dem Diner fuhren wir mit Ertrazug nach Petersburg zurück. Wir famen um zehn Uhr abends an. Müdigkeit gibt es am russischen Hofe nicht, also mußten wir uns noch umkleiden und das Ballett im Theater bewundern, denn es ward uns angekündigt, daß der Kaiser ins Ballett gehe, und wem das angekündigt wird, der ist so gut wie ins Theater kommandiert.

Der 8. Dezember. Das Georgsfest. Der 8. Dezember war der Tag, zu dem wir eigentlich eingeladen waren, der Georgstag, und an diesem Tage werden alle in Petersburg anwesenden Ritter des Georgen-Ordens zum Kaiser eingeladen. Dieser Orden steht bekanntlich in Rußland in hohem Ansehen. Er kann nur vor dem Feinde erworben werden. Der Kaiser hatte dadurch, daß er zu diesem Feste aus der preußischen Armee Ritter dieses Ordens einlud und beim Feste genau wie russische Offiziere behandelte, eine Annäherung der Stimmungen in beiden Armeen herbeiführen wollen.

Das Fest bestand aus drei Akten. Des Morgens war zeremonielle und kirchliche Feier. Mittags, das heißt abends sechs Uhr, großes Galadiner, abends Galavorstellung. Vor dem Morgenfest holte ich mir einige Instruktionen bei Werder und Reuß, die mit den Sitten am russischen Hofe sehr vertraut waren, denn ich wollte um keinen Preis anstoßen. Der Kaiser, der mir wiederholt seinen Dank dafür aussprach, daß ich den armen, jezt verunglückten Doppelmair als meinen Gast zehn Monate im Kriege bei mir gehabt hatte, und der Großfürst Nicolaus hatten mir wiederholt gesagt, wenn es mich interessiere, irgend etwas Militärisches zu sehen, so solle ich nur den Wunsch aussprechen. Nun wußte ich nicht, ob derartige Offerten nur Redensarten seien, oder ob ich sie annehmen dürfe. Beide Herren sagten mir, ich müsse die Anerbietungen annehmen. und irgend etwas zu sehen erbitten, sonst werde ich als grob gelten. Ich begab mich daher in der Zwischenzeit zwischen der Morgenfeier und dem Diner zu Todleben, Baranzoff und Massalsky und besprach mit ihnen,

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