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sämtlichen anwesenden Offiziere, die Generale müssen sämtlich da sein, und zwar genau nach ihrem Patent geordnet. Der Kaiser hatte es sich als eine uns besonders erwiesene Ehre ausgedacht, daß wir nicht als fremde Offiziere behandelt, sondern nach unserem Patent unter die russischen Offiziere gestellt wurden. Wenn der Kaiser den Raswod ab. hielt, marschierten auch nach der Wachtparade die Tscherkessen usw. vom Dienst vorbei, und zwar in der Karriere, wobei sie ihre Kunststücke machten. Der eine schoß in der Karriere scharf durch ein auf dem Boden liegendes Papier, der andere hob es, in der Karriere vorbeireitend, vom Boden auf, ein dritter stach dabei durch einen Ring usw. Böse Zungen behaupteten, daß das aber nicht immer die Tscherkessen und Kosaken vom Dienst seien, sondern daß für anwesende Fremde dazu immer dieselben, nur auf dies eine Kunststück eingeschulten Kerle ausgesucht würden und damit die Fremden nur glauben gemacht werden sollten, daß alle Kosaken und Tscherkessen ebenso geschickt seien. Bei diesem ersten Raswod machte ich die Bekanntschaft von einer so ungeheuren Zahl von Generalen, daß ich keinen einzigen Namen behalten habe.

Nach Gatschina. Nachdem wir alle unsere Visiten und Meldungen abgemacht hatten, fand im Winterpalais für uns Generale eine Marschallstafel statt, während die beiden Königlichen Prinzen beim Kaiser an der Familientafel speisten. Unmittelbar nach der Tafel mußten wir in höchster Eile die Toiletten wechseln, die Diener hatten während des Essens eingepackt, und dann ging es in der Karriere auf den Bahnhof, um nach Gatschina zur Bärenjagd zu fahren. Obgleich ich mich entseßlich beeilt hatte und mein Diener sehr gewandt war, kam ich doch nur eine Minute vor dem Kaiser auf dem Bahnhof an, der in unglaublich kurzer Zeit Toilette macht und in seinem leichten, von drei Pferden gezogenen Schlitten mit einer fabelhaften Geschwindigkeit durch die Straßen fliegt. Es waren noch nicht alle zur Jagd Geladenen zur Stelle, als der Kaiser kam, so daß dieser auf dem Bahnhofe warten. mußte. Er tat dies mit großer Liebenswürdigkeit und Geduld und unterhielt sich in heiterster Laune mit den Gästen, bis ihm gemeldet ward, daß alles bereit war. Es war etwa zwischen sieben und acht Uhr, als der Zug sich nach Gatschina in Bewegung sette. Dort warteten offene Schlitten auf dem Bahnhofe und führten uns mit Windeseile durch die Dunkelheit nach dem Schloß. Daselbst fand Souper und Unterhaltung statt. Um zwei Uhr nach Mitternacht begab man sich zur Ruhe.

Während der Fahrt und bei der Abendgesellschaft war der Anzug: Militärüberrock und Müße. Einen Zivilanzug kennt man beim russischen

Hofe nicht. Nur während der Jagd selbst trug man einen beliebigen Jagdanzug. Moltke, Werder, Alvensleben und Budrizki waren nicht Jäger und hatten für die Jagdeinladung gedankt. Außer uns Gästen aus Berlin nahmen an der Jagd teil: der Kaiser mit seinen beiden Söhnen, dem Thronfolger und Großfürsten Wladimir, der alte Fürst Kutusow, der berühmte Todleben, Verteidiger von Sebastopol, der zu jeder Jagd den Kaiser begleitet, ein Fürst Woronzow-Daschkow, Kommandeur der Garde-Husaren, Flügeladjutant Fürst Dolgorucky, der zum Prinzen Friedrich Karl kommandiert war, ein Prinz von Altenburg und die beiden Oberjägermeister, Graf Lieven und der Fürst Trubetkoi. Außerdem begleiteten, wie zu jeder Jagd, den Kaiser der deutsche Botschafter, Prinz Reuß, und der Generalmajor v. Werder.

Bei der Abendunterhaltung war der Kaiser von der größten Heiterkeit und Liebenswürdigkeit. Er sprach stets deutsch mit uns. Unsere Sprache war ihm sehr geläufig. Er hatte nur einen unbedeutenden Akzent, und es kam sehr selten vor, daß er nach einem Ausdruck suchte. Aber er war nicht nur gegen die Gäste freundlich. Auch die russische nähere Umgebung bewegte sich sehr frei und ungeniert. Der alte Zwang, der starre Blick aller Russen nach dem Kaiser, die Angst, wenn er erschien, die ich in früheren Zeiten bemerkt hatte, als Kaiser Nicolaus noch lebte, waren aus seiner Nähe verschwunden, und nur in den weiteren Kreisen, die den Kaiser nur selten sahen, zeigte sich noch die alte Unterwürfigkeit. Statt dessen freute sich ein jeder, wenn der Kaiser erschien, sichtlich. Die beiden anwesenden Söhne, sechsundzwanzig und vierundzwanzig Jahre alt, verkehrten ebenfalls ganz ungezwungen mit ihrem Vater, der große Freude an ihnen zu haben schien, besonders an ihrem ganz enormen Appetit. Er verzog sie sehr, bestellte ihnen ihre Lieblingsspeisen und lachte von ganzem Herzen über die Massen, die seine Söhne verzehrten. Er war aber auch gegen die Dienerschaft ebenso freundlich wie gegen die Söhne und die Offiziere. Wenn etwas vorfiel, was gegen die Befehle des Kaisers lief, so erkundigte er sich ruhig und gelassen nach der Ursache. So war ich sehr erstaunt, mit welcher Unbefangenheit und Ungezwungenheit, als der Kaiser ein Gericht vermißte, das er für den Großfürsten Wladimir bestellt hatte, der darüber befragte erste Kammerdiener seinem Gebieter lächelnd die Gründe auseinandersezte, die den Monarchen zufrieden zu stellen schienen. Man fühlte sich unbedingt äußerst behaglich in der Nähe dieses russischen Zaren. Dazu fam seine wunderschöne, große imposante Figur, sein edles Gesicht und seine freundlichen blauen, etwas schwärmerischen Augen. Mir wurde gesagt, daß der Kaiser stets in dieser gleichmäßigen, wohlwollenden

Stimmung sei, außer wenn er an einer gewissen Migräne litte. Dieser heftige Kopfschmerz plage ihn zuweilen vierundzwanzig Stunden. Dann sei er ein ganz anderer Mensch. Dann suche jeder seine Nähe zu fliehen und bessere Zeiten abzuwarten.

Die beiden Großfürsten waren sehr freundlich. Sie sahen weit jünger aus, als sie waren. Beim Großfürsten-Thronfolger keimte ein fleines, rötliches Schnurrbärtchen, aber der Großfürst Wladimir sah noch aus wie ein wohlgenährter Knabe von siebzehn Jahren. Sie sprachen beide nur sehr gebrochen Deutsch und zogen es vor, mit uns Französisch zu reden.

Der 7. Dezember. Bärenjagd. Am 7. Dezember früh, noch ehe es Tag war, wurde zur Jagd aufgebrochen, nachdem in der großen Jagdhalle, die uns am Abend vorher vereinigt hatte, der Kaffee gemeinschaftlich eingenommen worden war. Selbstverständlich mußte man in der Dunkelheit aufbrechen, denn wir lebten ja in der Zeit der kurzen Lage, in denen in Petersburg die Sonne kaum erscheint und es nur von zehn bis zwei Uhr so hell ist, daß man schießen kann. Man mußte also um zehn Uhr auf dem Plaß sein und hatte noch weit zu fahren. Die Schlitten führten uns auf den Bahnhof, von da der Extrazug noch eine Stunde weit ins Land hinein. Auf dem freien Felde ward gehalten. Eine große Anzahl Schlitten erwartete uns daselbst, um uns noch etwa eine Stunde lang über Felder und durch dichte Wälder auf den Plaß zu führen.

Ein jeder von uns ward an seinen einspännigen Schlitten geführt. Mit Erstaunen sah ich mir das Instrument an, das man hier einen Schlitten nannte und mit einem Pferd in der Gabeldeichsel bespannt hatte. Es waren eigentlich nur zwei eng aneinander laufende, mit. einander fest verbundene, niedere, hölzerne Kufen, auf denen ein Bund Heu lag und nur ein Mensch Plaß hatte. Das Gefährt war dem Pickschlitten ähnlich, auf dem Kinder im Winter einen Rutschberg herabfahren. Davor stand in einer daran befestigten Bracke ein jämmerlich aussehendes Bauernpferd in einer Gabeldeichsel, deren Stangen nach vorn hoch in die Höhe gingen, so daß ihre Spizen höher standen als die Ohren des Pferdes. Der Bauer stand daneben und schwatte Russisch, während er mich durch Handbewegungen bedeutete, auf dem Heubunde Platz zu nehmen. Ich dachte, er werde nebenher laufen, und gehorchte. Sobald ich mich aber gesetzt hatte und mich so ohne Lehne oder Seitenstüße wenige Zoll über dem Erdboden befand, machte mir der Bauer noch durch Zeichen verständlich, daß ich mich mit den Händen an den Kufen zur

Seite festhalten solle, und hüpfte mit Behendigkeit so hinein oder hinauf, daß er auf meinen Füßen saß, die seinen aber auf die beiden Stangen der Gabeldeichsel legte. Und nun ging es mit einem Zuruf an das Pferdchen fort, in die lange Schlittenkolonne hinein, an deren Spize sich der Kaiser in einem ähnlichen, nur etwas hübscher ausgestatteten Schlitten in Bewegung gesetzt hatte.

Während der etwa einstündigen Fahrt amüsierte ich mich vortrefflich. Der Russe schwaßte unaufhörlich auf Russisch, und ich antwortete auf Deutsch, und dann lachten wir beide herzlichst, denn keiner verstand vom andern auch nur eine Silbe. Wir kamen auch durch einige Dörfer. Die Bauern kamen gelaufen und riefen dem Kaiser jubelnd etwas zu. Es wurde mir später gesagt, sie hätten gerufen: „Seht da, unser Väterchen, das uns frei gemacht." Auch der Thronfolger, Zäsarewitsch, ward jubelnd begrüßt. Beide Personen gelten dem Volke als besonders heilig. Um die anderen Großfürsten kümmert sich der gemeine Russe nicht. Man sah aber, wie die Blicke der Bauern leuchteten, wenn sie den Kaiser sahen. Und dennoch haben zehn Jahre später solche Freigemachte diesen Kaiser umgebracht! Wer denkt da nicht an den Sklaven, der mit den gelösten Ketten seinen Befreier erschlägt!

Alle Augenblicke stutte die Kolonne. Die Folgenden fuhren dann dicht auf, und es ertönte ein Halt! Ho! Hoi! durch die ganze Reihe in der Morgendämmerung. Denn man hörte, anfangs erschreckend überrascht, bei solchem Stußen in der Luft hinter sich keuchen, und wenn man sich umsah, hatte man den schnaubenden Kopf mit den beiden hoch in die Luft ragenden Deichseln der Gabel des aufgeprellten nachfolgenden Schlittens über sich. Das Stußen der Schlittenkolonne rührte immer daher, daß irgend ein Schlitten umgeworfen war und erst wieder aufgerichtet werden mußte, denn die Reihe ging geradlinig auf das Ziel los, ohne Weg und Steg, über freie Flächen, deren magere, aus dem tiefen Schnee herausragende Spißen der Dornsträucher auf einen geringen Grad der Kultur schließen ließen, und durch Nadelholzwaldungen, nicht felten über querüber liegende Baumstämme hinweg. Solches Umwerfen mit diesem Gefährt wird aber sehr harmlos betrachtet, denn die Geschwindigkeit der Fahrt ist nicht bedeutend, und man fällt nur ein paar Zoll tief in einen weichen Schnee wie in ein Bett, d. h. man wird gemütlich auf die Seite gelegt. Dann steht man auf, kippt den Schlitten wieder gerade, legt das Heu hinein und setzt sich wieder darauf. Es gehört dies Umwerfen so mit als wesentliches Element zu der Fahrt, daß der Kaiser nach der Ankunft auf dem Rendezvous jeden lachend fragte, nicht etwa: „Sind Sie umgeworfen?", sondern: „Wie oft sind Sie

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umgeworfen?“, und als ich nur „zweimal“ melden konnte, bemerkte: Gar nicht zu rechnen!" Außerdem war man fleißigst unterwegs damit beschäftigt, sich an den Schlittenkufen festzuhalten, um nicht herabzufallen von dem Siß, auf dem man balanzierte; dies kostete mich solche Anstrengung, daß ich troß der scharfen Kälte schweißgebadet ankam. Als alles ausgestiegen war, ging es zu Fuß auf die Schüßenlinie.

Bald wurde das Sprechen verboten, und die Gesellschaft marschierte in ernstem Schweigen, einer hinter dem anderen. In ernstem Schweigen, denn eine Bärenjagd kann auch ihre ernsten Seiten haben. Hatte doch vor kurzem ein krank geschossener Bär den Kaiser angegriffen, und dieser hatte mit bewundernswertem kalten Blute dem auf ihn zustürmenden Pet die Kugel auf solche Nähe sicher durchs Herz gejagt, daß das sich überkugelnde Tier auf die Pelzdecke zu liegen kam, die dem Kaiser auf dem Stande unter die Füße auf den Schnee gelegt wurde, damit er sich nicht erkältete, denn er neigte zu Erkältungen. Ein anderer angeschossener Bär hatte, ebenfalls vor kurzem, den türkischen Gesandten schon verwundet, als er von den zu Hilfe Eilenden getötet ward. Da der Türke von der sehr leichten Kraßwunde sehr viel Aufhebens machte, so erzählten die Russen, ein Bär habe einen Türken angefressen, dem Türken habe das nichts geschadet, aber dem Bären, der sei darüber draufgegangen.

Aber auch aus anderem Grunde nimmt man die Bärenjagd sehr ernst, denn es gehören viel Vorbereitungen dazu, und sie gelingt nicht immer, also sucht man alles zu vermeiden, was zum Mißlingen der Jagd beitragen könnte.

Wenn der Winter eingetreten und der erste Schnee gefallen ist, dann begibt sich nämlich der Bär zu seinem Winterschlafe in irgend eine Dickung des Waldes. Er kesselt sich ein, wie die Jäger sagen. Wird er nicht gestört, so verläßt er sie nicht eher, als bis das Frühjahr kommt. Hat man an der Spur im Schnee eine Dickung erkannt, in der sich der Bär eingefesselt hat, dann kann man ihn sicher treiben. Er geht ziemlich genau, aus dem Schlafe aufgescheucht, auf derselben Spur zurück, die er auf dem Wege zum Kessel hinterlassen hat. Ist dann der Wind dort günstig, so kommt er dem Schüßen so gut wie sicher. Wenn aber der Wind ungünstig ist, dann bekommt der Bär Wind vom Schüßen, und es ist unsicher, welchen Weg er nimmt. Zuweilen bricht er auch durch die Treiber.

Besizer, welche keine Jäger sind, in deren Waldung sich aber ein Bär einkesselt, verkaufen denselben nicht selten im Lager und überlassen es dem Käufer, ihn erst zu jagen und zu schießen. Weil sich die leidenschaftlichsten Jagdliebhaber in Petersburg befinden, gehen solche Besitzer gleich

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