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vier Uhr vorbei, als die lezten Truppen auf dem Plaße vor dem Opernhause vorbeimarschiert waren, und die meisten von ihnen mußten zu der Paradeaufstellung auf dem Tempelhofer Felde, die um zehn Uhr angesezt war, aus meilenweiten Kantonements herbeimarschieren und nachher wieder in solche zurückkehren. Die größte Anstrengung fand schließlich kurz vor dem Vorbeimarsche statt. Die Öffnungen, welche die Kommandantur zu beiden Seiten des Denkmals Friedrichs des Großen in den Dekorationen hatte machen lassen, erwiesen sich schmäler, als daß die Infanterie in derselben Front hätte hindurch marschieren können, in der sie eingezogen war (Zugbreite). Da stockte der Marsch an diesem Denkmale, und die Kolonnen rückten in Massen dicht auf, hierdurch die Luft noch mehr verdickend und erhißend. Die Infanterie mußte abbrechen, auf der anderen Seite im Laufschritt aufmarschieren und im Laufschritt nacheilen, um die verlorenen Distanzen wiederzugewinnen. So erhigten sich die Leute immer mehr. Noch einmal nahmen sie alle Kräfte zusammen, um gut beim Kaiser vorbeizumarschieren. Aber sobald sie vorbei waren, ließen die Kräfte nach, und schon an der Schloßbrücke fielen manche vor Hiße um. Nicht geringer war die Anstrengung derjenigen höheren Führer, welche in der ganzen Zeit stramm zu Pferde neben oder hinter dem Kaiser halten mußten. Nur der Kaiser selbst, der Älteste von allen, fühlte weder Hize noch Ermüdung. Er schenkte dem durch die erwähnten unglücklichen Einrichtungen teilweise verunglückenden Vorbeimarsche dauernd die gespannteste Aufmerksamkeit, aber auch volle Nachsicht mit Rücksicht auf das Festliche des Tages, und als der Vorbeimarsch beendet war, ritt er nach dem Lustgarten, wo das Denkmal jeines Vaters enthüllt wurde. Dem Denkmal gegenüber war ein Zeltpavillon für die Kaiserliche und Königliche Familie errichtet, die anderen. drei Seiten des Plates waren durch Deputationen der sämtlichen Truppen eingenommen. Vor dem Denkmal standen alle Fahnen, die preußischen sowohl als auch die eroberten französischen. Als das Zeichen zum Fallen der Hülle gegeben ward, salutierten die Truppen die Musiken intonierten die Nationalhymne, die Hülle fiel, und die Fahnen senkten sich vor der Reiterstatue Friedrich Wilhelms III. Dann wurden die Fahnen. wieder gehoben, aber nur die preußischen, die französischen blieben liegen zu den Füßen des verewigten Monarchen, eine Huldigung, eine Sühne, die der Sohn dem Vater darbrachte für die vielen Unbilden, die dieser dereinst von demselben Feinde erlitten. Es war ein erhebender Augenblick! Danach ritt der Kaiser noch zu den Deputationen und verweilte längere Zeit bei ihnen. Es war, als wünsche er, daß dieser Tag kein Ende nehmen möge.

Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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Nachtrag.

8. Die Reise nach Ruhland.

Urlaub. Als ich vollständig in den Zustand der Ruhe zurückgekehrt war, fühlte ich erst, wie sehr die aufgeregte Zeit meine Nerven erschüttert hatte. Ich konnte keinen Lärm hören, ohne zu erschrecken. Ich konnte feine Soldaten marschieren sehen, ohne mit Bewegung an ihre Bravour zu denken. Wenn aber erst die „Wacht am Rhein“ gespielt wurde, traten jene Sänger bei der Moranville Ferme wieder vor meine Augen, die mir das Lied in der ersten Biwaksnacht auf französischem Boden so hübsch vorgesungen und so bald darauf den Heldentod gefunden hatten, und es kostete mich die äußerste überwindung, um der Gefühle Herr zu bleiben, die mich zu überwältigen drohten. Zugleich erfaßte mich eine schreckliche Langeweile und Gleichgültigkeit bei allem, was auf den militärischen Dienst im Frieden Bezug hatte. Ich fühlte die dringende Notwendigkeit, demselben längere Zeit fern zu bleiben, wenn ich ihm noch später einiges Interesse zuwenden wollte. Daher erbat ich einen längeren Urlaub, besuchte erst meine Eltern und ging dann nach Tölz*) und nach Reichenhall. Überall sah und hörte ich nichts von Soldaten, und als ich im September auf meinen Posten zurückkehrte, waren meine Nerven wieder stark und mein Interesse für den Friedensdienst wieder erneut.

*) Anmerkung des Verfassers aus dem Jahre 1891:

In der Nähe von Tölz wurde im Jahre 1871 das Oberammergauer Passionsspiel fortgesetzt, welches der Krieg 1870 unterbrochen hatte, weil der Christusspieler als Kanonier zur Truppe einberufen worden war. Viele strömten hin, das Spiel zu sehen. Ich nicht. Mir widerstrebte es, das, was mir am heiligsten ist, auf einem Theater dargestellt zu sehen. Aber durch die vielen Photographien wurden mir die Gesichtszüge der Darsteller bekannt. Ein Jahr später übernachtete ich in Innsbruck. Abends sah ich im Speisesaale des Hotels den Herrn Joseph Mayer, den Christusdarsteller von Oberammergau, im tadellosen englischen Reiseanzug mit zwei Damen soupieren, einer in mittleren Jahren und einem Backfisch. Ich erfuhr vom Kellner, die Damen seien eine englische Lady mit ihrer Tochter. Erstere habe sich so für den Christus begeistert, daß sie ihn bewogen habe, ihr steter Begleiter zu sein. Den andern Morgen, als ich über den Plag nach dem gegenüberliegenden Bahnhofe ging, sah ich den Herrn Maher eine Havanna rauchend zum Fenster hinausliegen. Wilhelmine v. Hillern hat in einem sensationellen Roman „Am Kreuz“ diesen Studentenstreich des falschen Christus idealisiert.

Schießübung. Ich hatte im September noch eine Schießübung zu leiten, denn die im Herbst 1870 bei der Ersatz-Abteilung eingestellten Rekruten hatten noch keinen Kanonenschuß abgefeuert. Diese Schießübung war etwas abgekürzt, aber troßdem anstrengend für die Truppe. Es war die lette übung, die ich leitete, denn während derselben ward ich zum Inspekteur der 2. Artillerie-Inspektion ernannt.

Diese Schießübung hatte mir eine besondere Befriedigung gewährt, denn ich hatte derart Fühlung mit meinen Untergebenen, ich ward so von ihnen unterstüßt und verstanden, daß alles ohne die geringste Störung wie spielend ablief und ich selten in die Lage kam, erinnernd einzugreifen. Von Tadel oder Strafe ist in der ganzen Zeit nicht die Rede gewesen. So geht es im militärischen Leben. Wenn man sich am besten in seine Stellung hineingelebt hat, wenn die Truppen am vortrefflichsten auf unsere Intentionen eingehen, wenn wir uns ganz mit ihnen eins wissen, dann werden wir von ihnen getrennt und müssen in eine andere Stellung rücken.

Nach der Schießübung schrieb ich, aufgefordert durch die militärische Gesellschaft, einen Vortrag in derselben zu halten, den Extrakt meiner Erfahrungen im Belagerungskriege nieder. Ich kam am 15. März 1872 an die Reihe mit meinem Vortrage, dem ich den Titel gab: „Ideen über Belagerungen".

Im Oktober hatte ich einen großen Schmerz. Mein guter Begleiter im Feldzug, der russische Oberst Doppelmair, der während des Krieges vom Leutnant zum Obersten und Flügeladjutanten des russischen Kaisers avanciert war, stürzte beim Spazierenreiten mit dem durchgehenden Pferde im Tiergarten und zerschmetterte sich den Schädel.*) Ich erwartete ihn gerade zum Mittagessen, wozu ich ihn und den auf Besuch anwesenden Oberstleutnant Heydenreich eingeladen hatte, und erhielt statt dessen die Nachricht von dem Unglück. Er verschied denselben Abend.

Einladung nach Rußland. Während ich im Herbst mit den Arbeiten der Inspektion beschäftigt war, erhielt ich im November eine Einladung des Kaisers von Rußland zum Feste des Georgen-Ordens nach Petersburg. Es schien mir fast unmöglich, dieser Einladung Folge zu leisten, denn ich hatte gerade in dieser Zeit die Qualifikationsberichte zu bearbeiten mit dem unendlichen Material, welches die Taten der Offiziere während des großen Feldzuges hierzu darboten. Aber unser Kaiser äußerte sich bei Gelegenheit eines Diners, es liege ihm viel daran, daß

*) Er stürzte über einen von ruchloser Hand über den Weg gezogenen Eisendraht.

alle, die zu diesem Fest vom Kaiser Alexander eingeladen seien, der Einladung Folge leisteten, weil die Einladung ein politischer Akt sei, unsere Freundschaft mit Rußland zu befestigen. Kaiser Alexander, der in uns seine ältesten und natürlichen Bundesgenossen sah und so begeistert war von den Leistungen der preußischen Armee, daß er stolz darauf schien, deren Uniform zu tragen, wollte das nächste Georgsfest zu einer Art Verbrüderungsfest der beiden Armeen machen. Bei der politischen Wichtigkeit dieser Einladung mußten selbstverständlich alle anderen Rücksichten in den Hintergrund zurücktreten, und es nahmen alle Geladenen die Einladung an.

Es waren: der Prinz Friedrich Karl, der Feldmarschall Graf Moltke, der Prinz August von Württemberg, der General Constantin v. Alvensieben,*) General v. Werder,**) Generalleutnant v. Budrigki, ich und der Oberst Graf zu Lynar, Kommandeur der Gardes du Corps, der im Feldzuge die Kaiser von Rußland-Kürassiere kommandiert hatte, außerdem der junge Herzog Paul von Mecklenburg-Schwerin. Im Gefolge der Königlichen Prinzen befanden sich noch einige Herren, wie Major v. Arnim und Rittmeister v. Krosigk beim Prinzen Friedrich Karl und Hauptmann v. Lindequist beim Prinzen von Württemberg.

Die Einladung des russischen Kaisers ward uns auf Befehl des unsrigen durch das Militär-Kabinett übersandt und dabei anheimgestellt, uns über den Tag der Reise bei dem Prinzen Friedrich Karl zu erkundigen.

Abreise nach Petersburg. Am Abend des 3. Dezember sezte sich die ganze Reisegesellschaft in dem nach Petersburg abgehenden Kurierzug in Bewegung. Die Eisenbahnverwaltung hatte jedem der Königlichen Prinzen einen Salonwagen zur Disposition gestellt. Der Prinz von Württemberg lud mich ein, in dem seinigen mit Platz zu nehmen. Den Prinzen Friedrich Karl bekam ich bis Eydtkuhnen nicht zu sehen. Der Winter war früh eingetreten, die Kälte recht empfindlich, und da uns mitgeteilt war, daß in Petersburg die Kälte noch strenger sei, so nahm jeder mit, was er an Pelzen nur besaß und in der Eile gekauft hatte. Unterwegs litten wir aber nicht, denn der Salonwagen war geheizt.

Der Prinz von Württemberg hatte zu seiner Begleitung noch Lindau mitgenommen, und als wir nach der Nachtfahrt in Königsberg gefrühstickt hatten, verkürzte das aus dem Feldzuge gewohnte Whistspiel uns

*) Im Kriege 1870 kommandierender General des III. (Brandenburgischen) Armeekorps.

**) Der Sieger von der Lisaine.

die Zeit, dann und wann wechselnd mit der lustigen und heiteren Konversation, zu der Lindequist, Lynar und Lindau Stoff genug lieferten. So kamen wir gegen Einbruch der Dunkelheit am 4. Dezember in Eydtfuhnen-Wirballen an, wo uns russische Offiziere empfingen: General v. Albedynsky, Oberst Sedler, Oberst Baron v. Korff, General v. Minfwiß. Die ersteren beiden waren bestimmt, uns in Petersburg zu führen, General, v. Albedynsky im speziellen dem Prinzen Friedrich Karl beigegeben.

Im russischen Extrazuge. Wir bestiegen den Extrazug, den uns der Kaiser von Rußland entgegengesendet hatte. Ich machte hierbei den Versuch, mich in Gemeinschaft meines Dieners um mein Gepäck zu be kümmern. Aber ich irrte vergeblich in der Dunkelheit mit meinem Gepäckschein in der Hand umher. Eine Menge Russen, die kein Wort Deutsch oder Französisch verstanden, waren über eine Menge Kisten und Koffer hergefallen. Die ruffischen Offiziere, denen ich meine Not klagte, sagten ,,Venez toujours", und führten mich in den Extrazug, und mein Diener ward ebendahin von Leuten „verladen“, die sich nur durch Zeichen mit ihm verständigen konnten.

Als ich die Einrichtung des Ertrazuges jah, wurden meine Besorgnisse, wie ich später zu meinem Gepäck kommen könne, bedeutend vermindert.

Die Mitte des Ertrazuges wird durch drei Salonwagen gebildet. Zwei davon sind als Gesellschafts-, Rauch- und Spielfäle eingerichtet, einer ist Dinersaal. An diese drei Wagen schließen sich die Schlafwagen, welche an der Seite einen Kommunikationsgang haben, von dem in die einzelnen Schlafzimmer Türen hineinführen. In jedem Schlafzimmer standen zwei sehr bequeme Schlafstellen, Chaiselongues, quer zur Zugrichtung. Das Fußende der Chaiselongue konnte aufgeklappt werden, und da fand man Raum, einen Wandschrank zu drehen, der eine mit allen Bequemlichkeiten versehene Waschtoilette produzierte. Unter dem Kopfende der Chaiselongue war Raum für das Gepäck.

An die Schlafwagen schlossen sich die der Diener und daran die Gepäckwagen. Sämtliche Wagen waren durch Brücken miteinander verbunden und diese Brücken durch eine elastische Umgebung (dichte Leinwand auf Drahtreifen) vor äußerer Luft geschüßt. So konnte man während der Fahrt von einem Ende des Zuges zum anderen gelangen und das Gepäck ordnen, alles erreichen, ohne eine Station abwarten zu müssen.

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