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durch die geschofssene Öffnung hineingegangen, erst vorsichtig, dann in größerer Anzahl. Blut floß hierbei nicht.

Vom 22. Mai ab begann jetzt ein entseglicher Kampf in Paris. Die Aufständischen suchten sich dadurch zu wehren, daß sie eine Scheidewand von Feuer zwischen sich und den Regierungstruppen zogen, indem sie ganze Stadtviertel in Brand steckten. Aber sie entbehrten dabei eines Planes und einer geregelten Führung, denn ihre Anführer suchten zu fliehen. Dombrowski, der Pole, den die Aufständischen zum Oberkommandierenden erwählt hatten, und sein Generalstabschef suchten vergeblich in St. Denis beim General v. Pape freies Geleit zu erhalten. Henri Rochefort ward auf der Flucht in Meaur verhaftet und, von preußischen Garde-Husaren eskortiert, nach Versailles ins Gefängnis gebracht. Ohne Führer, wehrten sich die Aufständischen planlos. Einmal des Todes gewiß, der sie ihrer zahlreichen Morde und Brandstiftungen wegen erwartete, brannten und mordeten sie weiter. Eine große Anzahl Geistlicher, der Erzbischof von Paris an der Spiße, die sie als Geiseln gefangen gehalten hatten, wurde von ihnen umgebracht, mit Hilfe von Petroleum alle öffentlichen und zahlreiche Privatgebäude in Flammen gesezt. Am Tage lagerte sich eine dichte Rauchmasse über der unglücklichen Stadt und verbarg uns, was darin vorging. Bei Nacht aber beleuchtete der Feuerschein weithin die ganze Gegend. Eines Abends um elf Uhr traten wir, ehe wir uns zur Ruhe begaben, auf den Bergvorsprung in Montmorency, angelockt durch die hellen Flammen, die zum Himmel emporloderten. Das Schauspiel, das sich uns darbot, war von einer grauenerregenden Mächtigkeit. Der Feuerschein war so hell, daß wir bei demselben die feinsten Bleinotizen in unseren Brieftaschen lesen konnten, und wir standen in einer Luftentfernung von zwei deutschen Meilen von dem Brandherde, den die Tuilerien und das Hotel de Ville bildeten. Eine große Menge Landvolk hatte sich auf derselben Stelle versammelt und staunte hinab nach der brennenden Stadt. Ein Redner in blauer Bluse bestieg eine improvisierte Tribüne und jezte den Zuhörern die Bedeutung dessen auseinander, was sie da sahen. Ich hörte, wie er mit Pathos und einer Stentorstimme rief: „Was Sie da sehen, meine Herren und Damen, ist die Lösung der sozialen Frage. Es hat viele Männer gegeben, die diese Lösung versucht haben, zuerst Sokrates. Er bestimmte, es solle zur Lösung dieser Frage immer ein Reicher eine Arme, und ein Armer eine Reiche heiraten. Aber mein lieber guter dummer Sokrates, was hast Du gemacht? Ich frage noch kühner: Schwachkopf von einem Sokrates, was ist Dir gelungen? Nichts! Du hast Gift trinken und jämmerlich sterben müssen!" Ein ungeheurer Applaus und schallendes

Gelächter antwortete diejem unsinnigen Wortschwall. So amüsiert sich der Franzose über Dinge, wegen deren er sich in Sack und Asche zu kleiden mehr Ursache hätte. Mir kamen diese Menschen, die einzeln so vortreff. liche Eigenschaften haben, in der Masse immer vor, entweder wie die Bewohner eines Tollhauses oder wie gute oder lärmende und unerzogene Kinder.

Der Straßenkampf dauerte vom 22. Mai früh bis zum 27. Mai abends. Solange es hell war, ging jeder von uns, wenn er nur irgend Zeit hatte, bis vorn an die Demarkationslinie und sah dem Gefecht zu. Die Aufständischen schlugen sich schlecht und waren schlecht bewaffnet. Aber auch die Truppen der Regierung waren sehr vorsichtig. Die schnell wieder in Kompagnien, Bataillone und Regimenter zusammengestellten Gefangenen entbehrten noch des inneren Zusammenhalts, des Vertrauens zu ihren Führern, und man konnte also von ihnen nicht erwarten, daß sie sich ebensogut schlagen würden wie bei Colombey, Mars la Tour und St. Privat. Die Regierung hat großes Wesen von der Erstürmung des Montmartre gemacht. Das war ebensowenig eine Heldentat wie das Eindringen in die Stadtenceinte. Die Geschüße der Aufständischen auf dem Montmartre hatten geschwiegen, die der Regierung dagegen noch eine Weile gedonnert. Dann hatte eine Patrouille gemeldet, der Montmartre sei verlassen, und es erhielten zwei Bataillone den Befehl, ihn zu besezen. Sie marschierten hinauf, und als sie auf der halben Höhe waren, verbreitete sich unter ihnen das Gerücht, der Montmartre sei unterminiert, und sofort stürzten sie in wilder Flucht herab. Einige Offiziere blieben aber oben, winkten und riefen:,,Il n'y a pas de danger", und da gingen die Bataillone wieder hinauf und besezten den Berg. Das nannte man den Sturm auf den Montmartre. Indessen war es unseren Truppen doch vergönnt, einmal einen recht eleganten Coup mit anzu sehen. Die Aufständischen hatten nämlich in der Nähe der Porte Aubervilliers auf dem Festungswalle zwei Feldgeschüße aufgestellt, welche den Wall entlang feuerten, und die Truppen, die aus der Richtung von Clichy, von Westen, auf dem Walle selbst vordrangen, an weiteren Fortschritten verhindert. Da wir außerhalb des Walles auf wenige Hunderte von Schritten als neutrale Macht standen, so hatten die Aufständischen gar keine Aufmerksamkeit in der Richtung nach uns hin. Ein Offizier der Truppen benußte diese Unaufmerksamkeit, froch mit einer Handvoll Leute durch eine Scharte auf die äußere nach uns zugekehrte Böschung des Walles und dort, von uns genau gesehen, aber vom Feinde unbemerkt, bis hinter die Geschüße, die er, plöglich über den Wall springend, von hinten angriff und nahm. Beim Anblick dieses Streichs sprangen

unsere Besatzungen der Demarkationslinie auf die an der Grenze aufgestellte Barrikade und brachten den Franzosen ein Hurra. Der französische Offizier trat auf den Wall und jalutierte dankend.

So standen wir auf dem besten Fuß der Artigkeit mit den Truppen und ihren Führern, welche vor wenigen Monaten unsere erbitterten Feinde gewesen waren. Gönnten wir ihnen doch auch von ganzem Herzen den Sieg gegen die Feinde aller Ordnung. Sobald die Truppen. bis an die Porte de St. Denis vorgedrungen waren, standen sie auch in einem steten Verkehr mit unserem Divisionskommando in St. Denis durch Ordonnanzen und Adjutanten. Vielen unserer Offiziere war es fast unertäglich geworden, täglich Zeugen eines Kampfes sein zu müssen, ohne daran teilnehmen zu dürfen. Wenn sie eine Blöße der Aufständischen sahen, gelüftete es sie, dieselbe zu benußen und anzugreifen. Fehler der Truppen ärgerten sie, und es drängte sie, hinzueilen und ihren Rat zu geben, denn sie hatten doch mehr Erfahrung als die aus der Gefangenschaft eben zurückgekehrten Franzosen. Da ritten eines Tages zwei Offiziere, ein Hauptmann und ein Rittmeister, die sich beide beson. ders im Kriege hervorgetan hatten, unverfroren über die Demarkationslinie hinaus und durch die Porte St. Denis geradenwegs auf den Montmartre. Die französischen Wachen, an den Verkehr der Adjutanten gewöhnt, ließen sie nicht nur passieren, sondern präsentierten sogar das Gewehr. Aber der auf dem Montmartre kommandierende französische General fragte sie nach ihrer Legitimation, mit der sie die Demarkationslinie überschritten hatten, und da sie eine solche nicht vorzeigen konnten, erklärte er ihnen sehr höflich, er müsse sie eigentlich arretieren, aber wenn sie ihm ihre Namen nennen wollten, so werde er sich begnügen, Klage zu führen und sie zu ersuchen, baldigst wieder dorthin zu reiten, wo sie hergekommen. Die Klage ward beim Kronprinzen von Sachsen geführt, der sehr ungehalten war und die Angelegenheit dem Prinzen von Württemberg zur Erledigung anheimstellte. Dieser war sehr aufgebracht über solche Eigenmächtigkeit und stellte dem General v. Pape anheim, das Weitere gebührend zu veranlassen. Pape ließ sie kommen und sagte ihnen, ihr Betragen sei im höchsten Grade unüberlegt. Wenn sie dahin hätten reiten wollen, dann hätten sie zu ihm kommen können und mit ihm reiten, denn bisher sei er täglich bei den Franzosen im Kampfe gewesen, aber er habe vorher die Genehmigung des betreffenden französischen Generals erbeten. Jetzt sei ihm dieser Spaß verdorben, denn nachdem solches zum Gegenstand der Klage geworden, könne er selbst sich dies Vergnügen nicht mehr erlauben. Das schmerzte ihn tief. Damit waren die beiden Herren entlassen, aber gewiß weit betrübter, als wenn ihnen eine Arreststrafe zuerkannt worden wäre.

Als die französischen Truppen weiter gegen Osten vordrangen, kamen sie bis an den Canal de l'Ourcq. Dieser führt, von Fußpfaden zu beiden Seiten begleitet, in der Nähe der Barriere von Pantin sein Trinkwasser unter dem Stadtwalle hindurch nach Paris hinein. An diesem Tage bildete der Kanal innerhalb der Stadt die Grenze zwischen den Streitenden. Alle Versuche der Regierungstruppen, den Kanal auf den Brücken zu überschreiten, waren bei dem mörderischen Feuer der Aufständischen gescheitert, das diese aus den gegenüberliegenden Häusern unterhielten. Aber auch die Aufständischen hatten den Kanal verlassen. Auf der der Barriere zunächst gelegenen Brücke über den Kanal hatten sie indessen eine rote Fahne aufgepflanzt. Diese Fahne ärgerte den Offizier vom Garde-Füsilier-Regiment, der sie von der Barrikade bei Pantin aus sah, wo er die Wache an der Demarkationslinie hatte. Er ging daher ganz allein auf dem Fußweg am Kanal unter dem Stadtwalle hindurch bis auf die Brücke, nahm troß des heftigsten Feuers der Aufständischen die Fahne fort, schwenkte sie gegen diese zum Zeichen des Triumphes dreimal, salutierte damit den Regierungstruppen und kehrte unverlegt mit der Fahne zu seiner Barrikade zurück. Arrest wird er wohl dafür erhalten haben, denn das Verbot, die Demarkationslinie zu überschreiten, war eben in Erinnerung gebracht, aber die rote Fahne behielt er zum Andenken.

Nachdem die Versailler Truppen in Paris weit genug nach Often vorgedrungen waren, erbaten und erhielten sie die Erlaubnis, durch unsere Linien hindurch zu marschieren, um auch vom Plateau von Romainville und vom Fort von Vincennes her die Aufständischen anzugreifen. Jest waren diese von allen Seiten eingeschlossen, und im Laufe des 27. Mai wurden sie allseitig bewältigt, nachdem am Abend auch die Butte Chaumont genommen war. Ein großer Teil der Stadt, besonders die größten und schönsten Gebäude, war ein rauchender Trümmerhaufen. Im Laufe des 28. trafen aus allen Teilen Frankreichs, selbst aus London, Löschmannschaften mit Spriten ein, um die Brände zu löschen.

Jezt wurde unser Rücktransport ins Werk gesezt. Am 4. Juni, früh vier Uhr, sezte sich von der Barriere von Pantin aus der MilitärTransportzug in Bewegung, der das Hauptquartier des Gardekorps nach Berlin schaffen sollte. Der Transport dauerte vier Lage und drei Nächte in einem Zuge. Mit Erlaubnis des fommandierenden Generals, der es ebenfalls tat, verließ ich diesen langsamen Zug auf heimatlichem Boden in Bingerbrück, um einen Kurierzug zu besteigen, überschlug einen Zug in Homburg, wo ich den dort zur Nekonvaleszenz weilenden Hauptmann v. Elern besuchte, der die Chassepotkugel als

Berlocke an der Uhr trug, welche durch seine Lunge gedrungen war, verlebte einen Tag in Frankfurt a. M. mit meiner Schwester Erbach, meinem Schwager und meinem Bruder und traf zugleich mit dem Transportzuge des Hauptquartiers in Berlin ein.

Mein erstes Wiedersehen mit einem Bekannten in Berlin war wegen der Persönlichkeit und der Art der Begrüßung sehr komisch und originell, Als ich nämlich am 8. Juni früh meine Wohnung verließ, um meine Meldung bei Seiner Majestät dem Kaiser zu machen, traf ich wenige Schritte von der Wohnung mit dem berühmten Professor Leopold v. Ranke zusammen. Ich begrüßte ihn, und er freute sich unendlich, mich wiederzusehen. Er habe, meinte er, mich solange nicht gesehen, ich sei wohl verreist gewesen. „Gewiß“, sagte ich, „über zehn Monate." ,,So?", meinte er, haben gewiß viel Interessantes gesehen? Müssen mir einmal erzählen!" Ich glaube, dieser gute Herr lebt als Historiker so sehr lediglich der Vergangenheit und gar nicht in der Gegenwart, daß er vom ganzen Kriege nichts gemerkt hat. Mein etwaiger Stolz auf die siegreiche Durchführung des Artillerieangriffs auf Paris ist dadurch wesentlich herabgestimmt worden.

Am 16. Juni fand der feierliche Einzug des Gardekorps in Berlin statt. Dieser große Festtag ist wohl noch in der Erinnerung eines jeden, der ihn erlebt hat. Wohl eine Million Fremde kamen dazu aus allen Teilen Deutschlands herbei. Vom ersten Hause von Berlin an vor dem Halleschen Tor, die ganze Königgräßerstraße und die Linden entlang bildeten eroberte Geschütze, Rad an Rad, mit den Mündungen nach der Mitte stehend, zu beiden Seiten des für die Truppen reservierten Weges Spalier, es waren also mehrere Tausend. Ich kam auf den Gedanken, Tags zuvor mir die Straße anzusehen, und entdeckte, daß am Denkmal Friedrichs des Großen diese Geschüße so eng standen, daß die Artillerie der einziehenden Truppen dort nicht hätte hindurch marschieren können, um auf dem Opernplage zu defilieren, und ich machte der Kommandantur Mitteilung, die Abänderung versprach. Die Pracht, mit der die Stadt geschmückt war, die Triumphbogen, die provisorisch aufgeführten Kunstwerke, Malereien usw. waren über jede Beschreibung schön. Um zehn Uhr erschien der Kaiser auf dem Tempelhofer Felde und begrüßte die in Parade aufgestellten Truppen. Dann sette er sich an ihre Spiße und zog die Triumphstraße entlang ein. Der Tag war entseßlich heiß. Es erwuchs den Truppen, besonders der Infanterie, eine ganz außergewöhnliche Anstrengung daraus, daß sie in solcher Glut mit zugemachtem Kragen den langen Weg auf dem heißen Steinpflaster in strammer Haltung zurücklegen mußten, denn der ganze Einzug dauerte sechs Stunden. Es war

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