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don, Messieurs“, sagte ich sehr höflich, „je n'ai pas l'intention de passer, je désire seulement admirer cette belle église." — „Ah, c'est différent", riefen die Franzosen geschmeichelt,,,Monsieur ne veut qu'admirer l'église, c'est la Madeleine, une belle église, n'est-ce pas, Monsieur?" Während ich nach der Kirche hinblickte, sagte ich: „En effet, admirable!" Da wurden die Umstehenden ganz artig und freundlich und sagten: „Eh bien, et Paris, quelle belle ville par exemple!" Als ich nun sagte: „,Mais c'est connu, c'est la plus belle ville du monde", da hatte ich die Herzen derer gewonnen, welche es hörten. Die Pariser sind vor Eitelkeit lauter Narren. Ich kam durch meine Betrachtung dieser Kirche auf den linken Flügel der einziehenden Masse Reiter und streifte somit dicht an dem Spalier bildenden Volke vorüber, dessen Haltung meine Aufmerksamkeit am meisten fesselte. Eine junge, sehr hübsche Dame in Uniform machte sich dadurch bemerkbar, daß sie sich vordrängte und der Richtung des Einzuges entgegen an uns vorbeihüpfte. Als sie mich beinahe streifte, konnte ich bei ihrem Anblick nicht umhin, zu lächeln. Sie sah mir gerade ins Gesicht, steckte die Zunge heraus und lüftete ein wenig, bloß symbolisch, hinten das Kleid. „Ah“, rief ich,,,est-ce bien la grâce si fâmeuse des Parisiennes ?" Das Volk fiel entrüstet über sie her, und sie verschwand wieder unter den Verwünschungen der Menge. So ging es bis an die Tuilerien, die Grenze der Okkupation. Hier wandte ich mein Pferd und ritt, den Truppen begegnend, den Weg zurück, den ich gekommen, nach Versailles. Vom Paradeplag bis nach den Tuilerien hatte ich zwei Stunden gebraucht. Pferd und Reiter kamen aufs äußerste ermüdet in Versailles an.

Es war die Einrichtung getroffen worden, daß die beseßenden Truppen alle zwei Tage wechseln sollten, und zum 3. März waren die Garde, die Garde-Landwehr, die Königs-Grenadiere und die Belagerungsartillerie zur Parade auf dem Longchamps befohlen. Unterdessen durften unsere nicht eingezogenen Truppen, je nachdem sie Lust dazu hatten, nach Paris hinein, sich die Stadt ansehen und, jedoch ohne Waffen, die Tuilerien, Museen, Galerien und sonstigen Sehenswürdigkeiten besuchen, auch wo dieselben außerhalb des beseßten Rayons lagen. Ich sandte deshalb am 2. März alle Burschen, Trainsoldaten und Ordonnanzen, die am 1. März nicht mit mir eingezogen waren, zu Wagen in die Stadt. Meine Herren begaben sich auch dorthin. Ich hatte von dem einen Male genug.

Am 2. März abends traf schon die Ratifikation der Friedenspräliminarien aus Bordeaux ein. Die Nationalversammlung hatte sich allerdings sehr beeilt, und unsere Truppen mußten dem Vertrage zufolge

Paris schon am 3. März räumen. So haben nur Deputationen aller Truppen Paris gesehen.

Zu der Parade des 3. März bat ich um Erlaubnis, meine Funktionen als Kommandeur der Artillerie des Gardekorps dadurch übernehmen zu dürfen, daß ich auf dem dafür bestimmten Plat hielt und mit vorbeiritt. Es ward mir gestattet. Ich war demzufolge sehr früh auf dem Play. Der Kronprinz von Sachsen kommandierte diese Parade. Fünf Jahre vorher hätte er sich das nicht träumen lassen, daß er an diesem Orte 60 000 Mann preußischer Garden kommandieren werde. Die Truppen waren nämlich durch den requirierten Ersatz und die Rückkehr von Refonvaleszenten, auf die man beim Requirieren des Ersaßes nicht gerechnet hatte, überkomplett.

Es war die schönste Parade, die ich je gesehen. Die Massen kamen lautlos angegangen, die Anordnungen waren sehr gut getroffen. Kein Mißverständnis fiel bei der Aufstellung vor, kein Tadel war hörbar, wie es sonst wohl bei dem Eifer vor einer großen Parade vorschriftswidrig vorkommt. Die Truppen rückten in ihr Alignement, und die Richtung gelang gleich im ersten Einrücken so schnurgerade, daß man hätte glauben können, das Gardekorps habe während des ganzen Krieges weiter nichts getan, als Paraden geübt. Und doch hatten die Truppen gefämpft, marschiert, unsägliche Strapazen und Entbehrungen überwunden und Erdarbeiten durchgeführt. Nur eins war geschehen, um ihnen ein stattliches Anschen zu geben. Der Monat Februar war benußt worden, um die Bekleidung herzustellen, und so sahen die Truppen heute aus, als ob ihr Anzug eben vom Schneider gekommen wäre: Wie aus dem Ei gepellt", jagt man in Berlin.

Dazu kam das Selbstbewußtsein der Mannschaft, das große Taten erzeugen, und die Freude, ihren König als Kaiser wiederzusehen. Sie wollten ihm aber auch durch Eifer und Präzision zeigen, daß der Krieg ihre Disziplin, ihre Ererzierfähigkeit nicht geschädigt habe. Die Gesichter der Mannschaft strahlten, als des Kaisers erhabene und hohe Figur in bekannter wundervoller Haltung angesprengt kam. Das dreifache Hurra, das ihnen erlaubt war, donnerte lauter als das schwerste Belagerungsgeschüß, und als der Kaiser die Front entlang ritt, sahen ihm die Soldaten nicht nur, wie es Vorschrift, offen, ehrlich und gerade ins Gesicht, sondern freudeleuchtend und zuversichtlich, mit einer Körperhaltung unter und trop präsentiertem Gewehr ohne Zwang, aber gerade wie die Lichter, fest wie die deutschen Eichen. Nicht der älteste Exerziermeister konnte eine schönere Haltung ausflügeln, und wenn der selige

Möllendorf*) aus dem Grabe auferstanden wäre, er hätte an dieser Parade nichts auszusetzen gefunden. Und wie sie erst vorbeimarschierten, mit Gewehr über, den rechten Arm lose schwenkend! Wenn jener Sergeant für den Vorbeimarsch den Rekruten sagte, er solle den Vorgesetzten ansehen, als ob er hundert Taler in der Tasche habe, so hatte heute jeder Gardist eine Milliarde in der Tasche. Gerade diese freie stolze Haltung, die durch keine Angstlichkeit beeinträchtigt ward, bewirkte, daß die Richtung spielend festgehalten wurde und die Truppe so elegant und gut aligniert vorbeifam, wie ich es vor und nachher nie wieder gesehen habe. Zur Garde werden die größten und schönsten Männer der Monarchie ausgewählt. Wenn diese ein reiferes Alter erreicht haben, werden sie wahre Hünengestalten. Dann bilden sie die Garde-Landwehr, deren Soldaten das durchschnittliche Alter von dreißig Jahren haben. Mit ihren breiten. Schultern, ihrer mächtigen Brust, ihren sonnen- und wettergebräunten Gesichtern und ihren weit herabwallenden Bärten sehen diese Recken aus, wie man sich die alten Cimbern und Germanen vorstellt, wenn man liest, daß Marius und Cäsar ihre Soldaten sich erst wochen- und monatelang an ihren Anblick gewöhnen lassen mußten, damit sie sich nicht davor erschreckten. Was aber Zucht und Ordnung anbetrifft, so wollten sie vor ihren jüngeren Kameraden der Linie nicht zurückstehen und seßten ihre Ehre darin, es noch besser zu machen als diese. „Qu'est-ce que c'est que ces géants?" fragten die Franzosen. „,,C'est notre garde nationale mobile." -,,Ah, c'est pourquoi nous sommes perdus!"

Die Parade verlief somit in glänzendster Weise, und während derselben verließ Kameke die Stadt. Er ritt mit dem lezten Zuge Kavallerie, der die Arrieregarde bildete, zum Tore hinaus. Zwar drängte der Pöbel nach und versuchte zu insultieren. Die Kavallerie hatte manchmal Kehrt und Miene zur Attacke machen müssen, worauf die großen und kleinen Gassenjungen, übereinander stürzend, die Flucht ergriffen hatten. Auch sonst hatte es an kleinen Reibungen nicht gefehlt. Aber im großen und ganzen war die Okkupation von Paris friedlich verlaufen, und wenn auch der Pöbel seine Geschüße auf dem Montmartre gegen den Willen der schwachen Pariser Regierung behalten hatte, so ging uns das nichts an, was die Regierung mit dem Pöbel da zu tun hatte, denn diese Geschüße schossen nicht. Vierzehn Tage später waren diese Geschüße das Signal zum berüchtigten und entseglichen Aufstand der Kommune.

*) Feldmarschall v. Möllendorf war vor 1806 Gouverneur von Berlin. Er hatte einst als Hauptmann mit dem 3. Bataillon Garde in der Schlacht bei Leuthen am 5. Dezember 1757 den Kirchhof des Dorfes ruhmvoll gestürmt, wie es das bekannte Bild des Professors Röchling darstellt.

Am 4. März meldete ich mich ab und machte diverse Abschiedsbesuche. Am 5. März ritt ich nach Gonesse und übernahm dort beim Gardekorps wieder mein früheres Kommando.

Untätige Okkupation. Jest begann für uns eine Zeit der Untätigkeit, die ihresgleichen sucht und um so drückender wurde, als sie unmittelbar auf die soeben durchlebte wechselvolle Zeit folgte, und als wir, an unsere Kantonements mit seltenen Ausnahmen des Urlaubs gefesselt, wenig Mittel hatten, uns die Zeit nüßlich zu vertreiben, denn wir mußten täglich auf Befehl zum Marsch oder zum Kampfe bereit sein. Da blieb oft gar nichts anderes übrig, als vormittags Billard zu spielen, nach Tisch Whist, dann Croquet, als das Frühjahrswetter dazu einlud, abends wieder Whist. Nur wenige Momente brachten Abwechslung in dieses Leben voller Müßiggang in dieser Zeit von vollen drei Monaten!

Die erste Abwechslung war die Parade, die der Kaiser auf dem Schlachtfelde von Brie und Champigny über das XII. und I. bayerische Korps und die Württembergische Division abhielt. Es war eine echte Parade der Allierten, Bayern, Württemberger und Sachsen zusammen. Ich wohnte der Parade als Zuschauer bei. Als die Württemberger unseren Kaiser ankommen sahen, als sie seine Ansprache hörten, da waren sie entzückt und viele Offiziere tief bewegt.

Noch einmal weidete ich mich am 9. März an dem Anblick der kolossalen Belagerungsartillerie in ihren Batterien von Aubervilliers bis Romainville, ehe sie desarmiert und die Kanonen nach Preußen geschickt wurden.

Mr. de Varu. Am 12. März wurde die Armee in weitere Kantonements gelegt. Das Generalfommando des Gardekorps kam nach Senlis, einem kleinen Städtchen, wo ich eine außerhalb liegende Villa mit dem Stabe des Ingenieurkorps zusammen belegte. Sie gehörte dem Herrn v. Varu, einem alten Legitimisten aus der Zeit der Restauration. Sein Sohn war für die Zeit des Krieges Adjutant bei Trochu gewesen. Die Familie hatte in der Stadt Senlis noch ein Haus, in dem sie wohnte, so daß die Villa uns zur ungestörten Benußung blieb. Ich besuchte den Besizer. Unter vier Augen war er sehr freundlich und gesprächig, aber auf der Straße grüßte er mich nicht, aus Furcht, vom Pöbel für einen Preußenfreund gehalten und nach unserem Abmarsche gesteinigt zu werden. Ich hatte recht interessante Konversationen mit dem Vater und dem Sohne. Letzterer tauschte mit mir in einer bei den Franzosen seltenen Objektivität die Suppositionen und Pläne bei den verschiedenen Kämpfen um Le Bourget aus, und der Vater sprach über die Politif.

Er wunderte sich, daß wir Henri V.*) nicht wieder einseßten und so die Freunde Frankreichs würden, wie 1815. Ich sagte ihm, der Erfolg habe gezeigt, daß uns das nichts genügt, und wenn ein Experiment zum Nachteil ausschlage, tue man gut, es nicht zu wiederholen. Bei seinem Urteil über die Ursachen des gegenwärtigen Krieges zeigte er die Logik und Denkungsweise des Franzosen in unverhüllter Gestalt. Er sagte, Gram mont sei doch nicht so schuldig am Kriege, wie allgemein angenommen werde, denn er habe den Kriegsminister Leboeuf gefragt, ob er bereit sei, dieser habe ihm gesagt: „Je suis archiprêt", ich bin erzbereit, also sei Grammont zum Beginn des Krieges berechtigt gewesen. Was liegt darin für eine Auffassung! Schuldig ist der nicht am Kriege, der ihn mit sicherer Aussicht auf Erfolg beginnt, natürlich Erfolg im französischen Interesse, denn jeder Krieg ist nach Ansicht der Franzosen gerecht, der den Franzosen Sieg und Vorteil bringt. Die benachbarten Nationen sind nicht Menschen wie sie, sondern eine untergeordnete Rasse von Wesen, halbe Tiere, Herden, Raja, wie die Türken die Andersgläubigen nennen, die man als Franzose zu scheren und zu schlachten berechtigt ist, wenn es nur gelingt. Ich verzichtete auf die Entgegnung, denn gegen solche Denkungsweise ist nur durch Schlachten zu antworten. Und so denken alle Franzosen, sie mögen Republikaner, Sozialisten, Bonapartisten oder Legitimisten sein, wenn sie nicht zum großen Haufen des ,,tout le monde" gehören, der gedankenlos nachspricht, was die Schreier vorsagen.

Mademoiselle de C. Wie Herr v. Varu bei verschlossenen Türen. freundlich und liebenswürdig gegen uns war, uns aber auf der Straße nicht kannte, so machten es alle Franzosen. Wir hatten auch ein Beispiel davon an einer jungen Französin, einer Mademoiselle de C., aus einer der ersten französischen Familien. Sie flüchtete mit einer Tante und einer Großmutter aus Paris vor dem Aufstand der Kommune in Paris und kam nach Senlis, wo die Erscheinung einer Dame von achtzehn Jahren und seltener Schönheit Aufsehen erregte. Es gelang einigen Offizieren des Hauptquartiers, ihre Bekanntschaft zu machen. Sie verfehrte gern mit ihnen, natürlich nur in Begleitung ihrer Tante, und wenn es kein anderer Franzose sah. So kam sie gern nach der Villa außerhalb Senlis und spielte mit uns Croquet. Das Haus betrat sie nie, um zu keinem Gerede oder Verdacht Grund zu geben. Aber wenn

*) Gemeint ist Heinrich, Graf von Chambord, der Sohn des Herzogs von Berry und Enkel Karls X., das letzte Haupt der französischen Bourbons, der 1883 in Frohsdorf kinderlos starb. Mit ihm erloschen die französischen Bourbons.

Prinz zu Hohenlohe, Aufzeichnungen. IV.

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