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Württemberg, österreichischer Feldmarschall-Leutnant, derselbe, der 1864 bei Översee verwundet worden war. Ich konnte meine Freude nicht unterdrücken, ihn in österreichischer Uniform im preußischen Heere zu sehen. Er meinte, seit der Schlacht von Sedan sei die preußische Armee in Österreich beliebt und in der östereichischen aller Haß gegen uns geschwunden. Auf meine Frage, was denn die Schlacht von Sedan damit zu tun habe, erklärte er mir diese Erscheinung, indem er darauf hinwies, die österreichische Armee habe es bisher als eine Schande empfunden, bei Königgräß von der preußischen geschlagen worden zu sein. Seitdem aber die preußische Armee die ganze französische gefangen habe, von der doch die österreichische 1859 geschlagen worden sei, da liege keine Schande für diese mehr darin, daß sie habe vor der preußischen zurückweichen müssen.

Am 26. Februar war ich zum Diner beim Kronprinzen. Nach Tische sprach ich mit Kameke über die schwebenden Friedensverhandlungen. Er war sehr erregt, denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, Bismarck wolle den Vorstellungen von Thiers nachgeben und für Deutschland auf den Besitz von Met verzichten.

Am 27. Februar gaben wir der Einladung des Oberstleutnants Heydenreich zu einem Frühstück nach. Beide Stäbe, der des Generals v. Kameke und der meinige, vereinigten sich da wieder fröhlich. Als wir eben begonnen hatten, den Austern in bester Laune zuzusprechen, ward Kameke zu Moltke gerufen. Er kam zurück mit der Nachricht, die Friedenspräliminarien seien abgeschlossen, übermorgen, den 1. März, würden danach die Truppen in Paris einziehen, und er, Kameke, sei zum Gouverneur von Paris ernannt. Seinen Stab solle er bilden. Ich sagte ihm, vor allem brauche er einen Artillerieoffizier vom Plaz, und deutete mit den Augen auf unseren Wirt, der auch sofort dazu ernannt ward. Da vorauszusehen war, daß die Nationalversammlung von Bordeaux sich beeilen werde, die Präliminarien zu bestätigen, und die Okkupation der Stadt nur bis dahin dauern sollte, so war die Dauer dieses Dienstgrades natürlich auch nur sehr vorübergehend, die Stellung des Gouverneurs nur eine Ehrenstellung und ebenso die seines Gefolges.

Mittags fand ein großes Galadiner beim Kaiser zu Ehren des Königs von Württemberg statt, welcher auf dem Kriegsschauplate angekommen war. Es waren sämtliche anwesenden Generale befohlen. Während wir uns in dem hierzu bestimmten Saale versammelten, kam der Kaiser tief bewegt heraus aus dem Zimmer, in dem die deutschen Fürsten sich versammelten, und verkündete unter Tränen der Rührung und Freude das Ende des langen und schweren Kampfes. Dann ging er von einem zum anderen und drückte jedem dankend die Hand. Während er so Umgang

hielt, trat Moltke herein. Sowie ihn der Kaiser sah, stürzte er mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu und küßte ihn auf beide Wangen, indem er sagte: „Und Sie, Moltke, waren mir alles." Der alte Moltke erbleichte, dann stürzten ihm die Thränen aus den Augen.

Am Dienstag, den 28. Februar abends, erhielt ich eine Allerhöchste Kabinetts-Ordre, die meiner Stellung als oberster Leiter der Belagerungsartillerie von Paris ein Ende machte. Als ich mich indessen den folgenden Tag, am 1. März, nach der Parade beim Kaiser abmelden wollte, befahl er mir, noch in Versailles zu bleiben, weil ich doch vielleicht noch wieder in Tätigkeit treten könnte, solange die Okkupation von Paris dauerte.

In der Nacht vom 28. Februar zum 1. März hatte sich nämlich die Nationalgarde der stets aufrührerischen Vorstädte, die nur aus dem niedersten Pöbel bestand, der Feldgeschüße der Nationalgarde von Paris überraschend bemächtigt und sie nach dem Montmartre hinaufgebracht, wo sie mit den Mündungen nach den Einzugsstraßen aufgepflanzt standen. Dies war die erste Handlung des Volkes unter der unterirdischen Leitung jener Verschwörer, welche später als „Kommune von Paris“ eine Schreckensherrschaft ausübten. Die französische Regierung hatte vergeblich versucht, diese Menschen in Güte zur Herausgabe der Geschüße zu bewegen, sie wollte uns auch nicht das Schauspiel eines Bürgerkrieges gerade während unseres Einzuges bieten und vermied deshalb, Gewalt zu versuchen, sondern erklärte uns nur, sie sei der Vorstädte Villette, Belleville und Montmartre nicht mächtig und könne für nichts stehen. Unserseits wurde dagegen den Machthabern eröffnet, daß beim ersten feindlichen Akt der Friede als gebrochen angesehen werde. Die Einäscherung von Paris durch unsere Artillerie sei dann die unausbleibliche Folge. Unsere Kanoniere bejezten die Kanonen der Belagerungsartillerie, und während die Truppen friedlich auf dem Longchamps vor dem Kaiser in Parade vorbei- und dann in Paris einzogen, standen jene 680 schweren Geschüße wieder bereit, um auf einen telegraphischen Wink die Musik zu beginnen, welche schon zum 19. Februar bereitgehalten war und das französische Babel in einen großen Schutthaufen verwandelt haben würde.

In Paris. In dieser Unsicherheit fand die erste Parade auf dem Longchamps am Bois de Boulogne statt. Vom Paradeplage aus rückten die zur Besatzung von Paris bestimmten Truppen durch die Porte de Neuilly und den Triumphbogen, die Champs Elysées entlang, in die Stadt ein, nachdem sie am Kaiser vorbeimarschiert waren. In Parade

standen das XI., II. bayerische und VI. Armeekorps. Soviel ich mich erinnere, waren aber die Truppen nur in halber Stärke, denn die Zernierungspositionen blieben besett.

Es war ein eigenartiger Anblick diese Parade auf dem Longchamps, wo sonst die Garnison von Paris den Einwohnern das militärische Schauspiel gab, auf diesem Rennplay, wo die berühmtesten und teuersten Rennen des Kontinents bisher vor den Augen von ganz Europa abgehalten worden waren und dadurch dem Pariser Volk den Glauben beigebracht hatten, daß es auch auf dem Felde des Sports der ganzen Welt überlegen sei, an diesem Bois de Boulogne, diesem Stolz der stolzen Stadt, das allerdings durch Ausdehnung, üppigkeit der Vegetation und Schönheit der Anlagen den Wiener Prater und den Berliner Tiergarten übertrifft. Da paradiert jezt die preußische Infanterie und die Bayern, ces soldats bleus, die seit der Schlacht von Sedan und der Vernichtung von Bazeilles der Schrecken der Franzosen geworden waren. Les barbares entweihten den geheiligten Boden, geheiligt durch die Eitelkeit und den Glauben an Unüberwindlichkeit der Nation, die an der Spitze der Zivilisation zu marschieren sich eingeredet hatte.

Aber uns befriedigten dieser Einzug und diese Parade nicht. So wie die Konvention nur eine halbe Kapitulation war, die uns nur die Forts und nicht die ganze Festung in die Hände lieferte, so war der Triumphzug nach Paris hinein doch auch nur ein halber Einzug und trug mit seinen Einschränkungen den Stempel einer Schüchternheit, die mit der Größe unserer Siege nicht im Einklang stand. Durften wir doch nur etwa den vierten Teil der Stadt betreten, zwar den schönsten, üppigsten und reichsten Teil, aber immer nur einen Teil. Da oben auf dem Montmartre stand eine fanatisierte Volksmasse mit ihren geladenen Kanonen der Nationalgarde, stolz und jeden Augenblick bereit, ein Feuer zu eröffnen, das zwar den Untergang der Stadt herbeigeführt haben würde, aber sie stand immer doch da in dem ungedemütigten Glauben, daß sie uns nur gnädigst erlaube, da unten in das Viertel der Reichen hineinzugehen und die Kunstschätze zu bewundern. Und wir duldeten das! Noch mehr. Die Trophäen, die preußischen Fahnen und Adler, die Frankreich vom Jahre 1806 her im Hotel des Invalides aufbewahrte, und die eine übel angebrachte Milde schon zweimal, 1814 und 1815, dort belassen hatte,*) wir durften sie wieder nicht fortnehmen und damit die vor mehr

*) Das Invalidenhotel bewahrt keine preußischen Fahnen und Adler von 1806 mehr auf. Diese wurden vielmehr vor dem Einzuge der Verbündeten in Paris am 30. März 1814 vom Marschall Serrurier auf dem Hofe des Invalidenhotels verbrannt und ihre Reste in die Seine geworfen. Später sind daraus einige Fahnenspißen von den Franzosen wieder herausgefischt.

als sechzig Jahren uns zugefügte Schmach fühnen. Das alles stimmte uns wehmütig und traurig und erinnerte uns an des alten Blüchers Aussprüche über die Diplomaten.

Als die Parade beendet war, ritt der Kaiser zu seinem Wagen und fuhr nach Versailles zurück. Er ist am nächsten Tage ohne Eskorte, nur vom Adjutanten, Fürsten Anton Radziwill, begleitet, den Jäger auf dem Bock, ganz allein im offenen, zweispännigen Wagen durch Paris gefahren. Der Mut, der dazu gehörte, wird richtig bemessen, wenn man erfährt, daß er damals täglich Drohbriefe erhielt, die ihm seine demnächstige Ermordung ankündigten, und deren höflichster mit den Worten anjing: „Cochon de Guillaume". Er fuhr auch durch ganz entlegene Straßen der Stadt, und Radziwill erzählte mir, er habe wiederholt die Rufe gehört: „Qu'est-ce que ceci? Mais c'est Guillaume! Tiens, il a osé!“ Verschiedene Herren unter den deutschen Fürsten hatten den Kaiser gefragt, ob er ihnen erlaube, mit in Paris einzurücken. Er hatte geantwortet, er dürfe ihnen die Erlaubnis dazu nicht erteilen. Wie konnte er auch die Verantwortung dafür übernehmen, da er die Kanonen in feindlicher Absicht auf dem Montmartre wußte, und ein einziges Mißverständnis, der geringste Streit, während des Einzuges einen wütenden Straßenkampf auf Leben und Tod herbeiführen konnte, in dem der einzelne sehr leicht durch Zufall umzukommen in Gefahr geriet. Wer ohne Erlaubnis hineinritt, der tat es eben auf seine Gefahr. Daher hielt ich es für besser, nicht erst zu fragen, um kein Verbot zu hören, und ritt in der Richtung des Einzuges. Doppelmair fragte mich: Ziehen wir mit in Paris ein?" — „Nein“, sagte ich, „wir reiten nach Versailles." „Aber das ist nicht die Richtung", sagte Doppelmair. Ich mache nur einen Umweg." - „Na“, sagte Doppelmair befriedigt, mit Ihnen bekommt man doch etwas zu sehen." Einige hatten aber doch ebenso gedacht wie ich. Ich befand mich bald in der Nähe des Prinzen Albrecht (Vater), Bruders des Kaisers, der, elend, wie er war, aber troß seiner Leiden es nicht versäumen wollte, diesem Triumph der preußischen Waffen beizuwohnen, und des Prinzen Adalbert in seiner Marineuniform.

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Der ganze Einzug bot eine solche Fülle von bunten, jeden Augenblick wechselnden Bildern dar, daß es mir unmöglich war, sie alle festzuhalten. Ging er doch durch die schönste, von den stolzesten Palästen mit ihren herrlich gepflegten Gärten begleitete Straße der weltberühmten Stadt, durch die Champs Elysées, und hatte ich doch diese Stadt noch nie gesehen. Alle auf die Straße führenden Fenster waren fest verschlossen. Nur hier und da hatten sie sich weit geöffnet, um von dicht gedrängten Neugierigen besetzt zu werden, deren Kopfformen die Kinder Albions

verrieten, und dann und wann wurde der schließende Laden so weit gelüftet, daß die Spalte einer Pariserin durchzublicken gestattete, deren Neugierde doch noch stärker war als der nationale Haß.

Das Straßenvolk stand dichtgedrängt zur Seite, durch eine Rette Sergeants de ville von der Mitte fern gehalten. Es war schwer, das Volk von den Hütern der öffentlichen Ordnung zu unterscheiden, denn jeder Mann trug die Nationalgarde-Uniform, blauen Rock und blaue Hosen mit breiten roten Streifen. Selbst die Knaben von zehn Jahren waren ebenso angezogen, und der größte Teil der Weiber, besonders die jungen und hübschen, stolzierten in einer Art von Marketenderinuniform einher, und eine jede bildete sich ein, ein Mädchen von Saragossa zu sein.*) Am allerdichtesten waren die Massen da, wo die Querstraßen durch eine Schnur in den Farben der Republik abgesperrt waren, zum Zeichen, daß hier die Grenzen unserer Okkupation gezogen seien. Das Volk war unbewaffnet, wenn auch in Uniform. Zum größten Teil zeigte es eine stumme Neugierde. Aber nicht selten ertönten Rufe, welche dem Haß Ausdruck gaben, oder, wenn ihnen etwas komisch vorkam, Spott und Gelächter. Als die Bayern auf dem großen runden Platz ankamen, auf dem der Triumphbogen steht, versuchte das Volk, feindlich auf sie einzudringen, denn es war durch die bisherige schweigsame Haltung unserer Truppen immer dreister geworden, und die Hellblauen waren von allen am meisten gehaßt und gefürchtet. Da ließ der Bataillonskommandeur halten und mit ungeladenen Gewehren auf die betörte Volksmenge zielen. Sofort stürzte alles in Hast davon, und viele purzelten übereinander.

Der Triumphbogen war durch Ketten abgesperrt, damit die Truppen nicht hindurchziehen könnten. Unsere Truppen beseitigten die Ketten. Von den den Triumphbogen umgebenden großen Statuen war diejenige in Trauerflor gehüllt, welche Straßburg darstellte. Der Gouverneur von Paris, Kameke, ließ den Franzosen diesen Spaß. Eine breite Seitenstraße nach links ließ eine große Kirche sehen, und da mir gesagt wurde, dies sei die Madeleine, so ritt ich darauf zu, um einen Anblick auf die Fassade zu gewinnen. Da brüllte mir die Volksmasse donnernd ein Halt zu. Ceci c'est la limite, vous ne passerez pas par ici.“ ,,Par

*) Bei der Belagerung von Saragossa 1808 durch die Franzosen feuerte ein 22jähriges Mädchen, Auguste Aragon, deren Verlobter vor ihren Augen fiel, an feiner Stelle das von ihm bediente Geschüß auf die Angreifer und rettete so die Batterie. Diese Tat ist die geschichtliche Unterlage für die poetische Gestaltung des „Mädchens von Saragossa“.

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