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großen Hauptquartier vernehmen: „Geduld, es geschieht bald", jedoch mit dem geheimen Hintergedanken, daß die Bevölkerung nicht Lebensmittel auf lange Zeit haben und bald kapitulieren werde. Ein derartiges Vertrösten der öffentlichen Meinung mit Dingen, die nicht zur Wirklichkeit werden, ist immer recht bedenklich.

Als man sich endlich entschloß, Paris mit Artillerie anzugreifen, hat man in betreff der Wahl der Angriffsfront wiederholt geschwankt. Erst entschied man sich für St. Denis, dann für die Südfront und dann für ein Vertreiben des Feindes vom Mont Avron, der gar nicht zur Befestigung von Paris gehörte, sondern ein außerhalb derselben liegender Berg ist. Dann wurde im Süden geschossen, und endlich legte man erst den Schwerpunkt des Angriffs gegen St. Denis und führte dadurch die Entscheidung herbei. Fragen wir uns, ob und wieviel durch diese Schwankungen in den Entschlüssen versäumt ist.

Wir haben geschen, daß, solange uns nur eine, und zwar eine oft unterbrochene und oft den Zerstörungen durch die feindlichen Franktireurs ausgesette Eisenbahn aus der Heimat bis vor Paris zur Verfügung stand, diese Eisenbahn so sehr durch Truppentransporte, Lebensmittel für die 600 000 Streiter und alle ähnlichen, dringenderen Bedürfnisse in Anspruch genommen war, daß Belagerungsmaterial nur tropfenweis vor Paris ankam. überdem hat man auch wohl Anstand genommen, das schwerfällige und nicht schnell wieder fortzuschaffende Belagerungsmaterial vor Paris zu schaffen, solange man nicht über mehr. Armeen disponierte, die die Massenformationen in unserem Rücken zurückschlugen. Denn wenn es diesen gelungen wäre, uns auch nur vorübergehend zum Aufgeben der Einschließung zu bewegen, so wäre unser Belagerungsgeschütz in Feindeshand gefallen. Also ehe Metz gefallen war, hatte man wohl nicht ernstlich daran gedacht, Belagerungskanonen gegen Paris anzuwenden.*) Ward doch v. der Tann bei Coulmiers geschlagen und der Ausgang einige Zeit kritisch. Erst als die Armeen des Prinzen Friedrich Karl und Manteuffels zum Schuß des Rückens der Belagerer eintrafen, fonnte man daran denken, das schwere Geschütz kommen zu lassen.

Wir haben aber gesehen, wie wenig von den Leistungen der Eisenbahn diesem zugute kam, und wie bei den jezigen Mitteln der Ver

*) Schon am 9. September, auf dem Marsche nach Paris, aus Reims, ging dem Kriegsministerium der Befehl zu, möglichst viel Belagerungsgeschüße mit der nötigen Munition und der erforderlichen Festungsartillerie heranzuschaffen, und Ende Oktober standen schon 235 schwere Geschüße im Park von Villa Coublay.

teidigung und des Angriffs nur dann eine Belagerung einer großen Festung mit voller Energie durchgeführt werden kann, wenn eine Eisenbahn aus der Heimat in den Park zur Verfügung steht. Hätte man früher gegen St. Denis vorgehen können, wenn man diesen Angriffspunkt von Hause aus festgehalten hätte? Erst der Fall von Mézières am 1. Januar eröffnete uns diese Verbindung nach dem Bahnhofe Gonesse, und der Fall von Péronne schützte diese Linie. Selbst dann noch leistete diese Eisenbahn so wenig, daß der Kronprinz von Sachsen am 21. Januar nicht die volle für den Beginn für nötig erachtete Geschüßmasse in Tätigfeit jeten konnte. Es muß also in Zweifel gezogen werden, ob wir viel früher gegen St. Denis hätten vorgehen können, wenn auch diese Angriffsfront von Hause aus und dauernd im Auge behalten worden wäre, und wir haben durch den Befehl in den Entschlüssen eigentlich nichts verjäumt.

Wohl aber haben wir durch den Donner unserer Belagerungsgeschüße vom 28. Dezember bis 21. Januar mittlerweile unseren Soldaten die Zuversicht gestärkt, dem Feinde imponiert, die Ausfalltore nach Osten, Brie und Champigny, nach Süden, L’Hay und Chevilly, nach Norden, Bourget, gesperrt und verleidet, so daß nur noch die einzige Ausfallrichtung unter dem Schuße des Mont Valérien zur Sprache kommen fonnte.

Ferner gelang es gerade durch diese lange Verschleppung, den Feind zu überraschen, und die Überraschung ist der halbe Erfolg. Wir haben gesehen, daß der Feind unsere Vorbereitungen vor der Südfront erfahren hat. Als monatelang nichts erfolgte, glaubte er, wir hätten diesen Angriff aufgegeben, und am 20. Dezember hielt er die langen Züge unseres nach dem Mont Avron transportierten Materials für einen Rückzug, auf dem wir den Park in Sicherheit brächten. So überraschte ihn unsere Beschießung des Avron gewissermaßen im Schlafe, und der Feind verließ in eiliger Flucht diesen vorgeschobenen Posten. Von da ab machte er sich gegen einen regelmäßigen Angriff vom Mont Avron her gefaßt. Plöglich schossen wir von Süden her die drei Forts vor der Südfront zusammen, und während der Feind dort alle Aufmerksamkeit und Verteidigungskraft vereinigt, und nachdem er noch einen verzweifelten Versuch am Mont Valérien gemacht hat, sich Luft zu schaffen, überrascht ihn das überwältigende Feuer gegen St. Denis wieder und gibt in kräftiger Steigerung und im entscheidenden schnellen Vorschreiten binnen sechs Tagen den Ausschlag. So hat unser Wechsel in den Plänen, eine Schwankung, die sonst nur Unheil bringt, uns hier sogar genügt. Wir haben eben in diesem Kriege überall Glück gehabt.

In artilleristischer Beziehung haben wir vor Paris natürlich eine Menge Erfahrungen gemacht, die für eine zukünftige ähnliche Tätigkeit verwertet werden können.

Ich will hier nur die wichtigsten erwähnen.

Zunächst haben sich gegen früher die Grundsäße ganz geändert, welche von jest ab bei der Wahl der Angriffsfront maßgebend sein werden. Mit Ausnahme der kleinen und noch nach altem System erbauten Festungen, welche nur kurzen Widerstand leisten, werden jezt die Festungen von derjenigen Seite angegriffen werden, zu welcher eine Eisenbahn aus der Heimat des Belagerers führt. Terrain und Stärke der Werke wird meist erst in zweiter Linie in Betracht kommen. Denn die Angriffsmittel sind jezt so gewaltig, daß sie fast jedes Terrain überwinden und jedes Bauwerk zertrümmern können. Aber diese Mittel find an Gewicht so schwer, daß sie ungewöhnliche Transportmittel erfordern. Ja, die neu hinzukommenden Geschüße und Geschosse werden noch schwerer werden. Man denke nur an die 28 cm Mörser und 21 cm furzen Kanonen sowie die 15 cm Ringfanonen.

Damit Hand in Hand gehen geänderte Grundsäße über die Ausrüstung mit Munition. Die frühere Lehre, daß eine bestimmte Schußzahl für jedes Geschüß für die Belagerung einer Festung ausreichen müsse, und daß der Belagerungspark gleich mit dieser Schußzahl auszurüsten sei, ist hinfällig geworden. Denn die jeßigen Verkehrsmittel gestatten, besonders wenn man eine Eisenbahn zur Disposition hat, weit schnelleren Nachschub an Munition als die früheren. Es ist daher nur nötig, so viel Vorrat im Belagerungspark anzuhäufen, daß man so viel Tage fortzufeuern imstande ist, wie der Munitionsnachschub möglicherweise Stockungen erleiden kann. Dabei muß aber der tägliche MunitionsNachschub dem täglichen Munitionsverbrauch gleichkommen, denn sonst läuft man Gefahr, daß der Artillerieangriff aus Mangel an Munition ins Stocken kommt, und das ist ein großer übelstand, weil dann der Feind Zeit hat, nicht nur die verursachten Schäden auszubessern, sondern auch etwaige Schwächen seiner Werke zu beseitigen, die sich erst während der Beschießung herausstellen. Es kann daher vorkommen, daß bei einer Festung, je nach Lage des Krieges, ein dreitägiger Munitionsvorrat genügt, bei einer anderen ein zehntägiger nötig wird.

Der tägliche Munitionsverbrauch wird wohl, wie bisher, auf fünfzig bis sechzig Schuß pro Geschütz zu veranschlagen sein. Zwar kann man aus dem Vierundzwanzigpfünder wohl alle fünf Minuten einen Schuß tun, und das gäbe bei mittlerer Dauer des Tageslichtes 144 Schuß pro Tag. Aber jo schnelles Feuer halten die Kräfte der Mannschaft auf die

Dauer nicht aus, ebensowenig wie die Geschüße, die heiß werden und ausgewaschen werden müssen. Wenn also fünfzig bis sechzig Schuß pro Tag den Durchschnitt bilden, so können doch Fälle vorkommen, wo man lebhafter feuern muß, und es kann der doppelte Munitionsverbrauch eintreten. Zu diesem müssen die erbauten Geschoßräume, Pulverfammern, überhaupt Apparate, ausreichen. Deshalb und weil tros des besten Baus und der größten Sorgfalt das Explodieren einer Pulverkammer stattfinden kann, ist es gut, zu jeder Batterie zwei Pulverkammern zu bauen, hinter jedem Flügel eine. Dann braucht man wegen eines solchen Unfalls das Feuer nicht einzustellen.

Auf eine gehörige Anzahl von Unterstandsräumen für die Mannschaft muß gerechnet werden, und diese Räume müssen ebenso sicher eingedeckt sein wie die Pulverkammern. Denn es übersteigt die Nerven der Bravsten, permanent, Tag und Nacht, in Lebensgefahr zu sein. Selbst während des Kampfes muß der Mensch dann und wann von der Gefahr an einem ganz gesicherten Plaß ausruhen können. Nichts aber macht einen übleren Eindruck auf die Truppe, als wenn sie plöglich da in ihrem Leben gefährdet wird, wo man ihr gesagt hat, daß sie einen gesicherten Ruheplay hat. Daher sind die Unterstandsräume sehr fest und sicher mit Erde einzudecken.

Eine einfache Berechnung ergibt, daß eine kriegsstarke Kompagnie Mannschaft genug hat, um vierundzwanzig Geschüße zu bedienen oder bei dreifacher Ablösung fortdauernd Tag und Nacht im Feuer zu erhalten. Aber die Truppen rücken nie mit ihrer vollen Kriegsstärke ins Gefecht. Auf einen Prozentjak Abgang an Kranken usw. ist immer zu rechnen. Dann reduziert sich die Zahl der Geschüße, welche eine Kompagnie im Feuer erhalten kann, bald auf sechs, besonders wenn die BelagerungsArmee von der Artillerie noch Abkommandierungen verlangt. Bei der Beratung eines Normal-Belagerungsentwurfs hat mir deshalb die Zahl von sechs Geschützen in einer Batterie als eine normale vorgeschwebt. Denn es schien mir wichtig, daß dieselbe Batterie immer, solange sie schießt, von ein und derselben Kompagnie bedient werde, die dann am besten über alles orientiert ist. Aber die Subalternoffiziere hatten die Erfahrung gemacht, daß ein Kommandeur nicht gut mehr als vier Geschütze im Auge behalten könne, besonders weil Traversen und Unterstandsräume jezt noch den Raum vergrößern und störend zwischen den Geschützen liegen. Das fünfte und sechste Geschütz begingen immer Fehler oder mehr Torheiten, und auf ihre Wirkung sei nicht zu rechnen. Dies bewog die Kommission, für die Zukunft die Zusammenstellung von vier Geschützen zu einer Batterie als normal hinzustellen. Jezt ist man in

neuester Zeit davon abgegangen und will grundsätzlich wieder Batterien. zu sechs Geschüßen erbauen. Man mag wohl annehmen, daß in Zukunft die Belagerungsartillerie zuverlässiger und besser schießen wird und nicht so der permanenten Aufsicht durch den Kommandeur bedarf, seitdem nach der neuen Organisation mehr für ihre Ausbildung geschieht. Ich will wünschen, daß man sich darin nicht täuscht. Die Zusammenstellung der Batterien in Gruppen und deren Vereinigung unter dem Kommando eines höheren Offiziers hat sich bewährt.*)

Die Belagerungsartillerie leistete das Doppelte, wo die Feldartillerie ihr behilflich war, als wo dies nicht geschah. Bei der Maas-Armee fertigte die Feldartillerie nicht nur das ganze Baumaterial an, ehe die Belagerungsartillerie eintraf, sie half nicht nur durch Offiziere aus, sondern sie baute den Belagerungsartilleristen auch ganze Batterien mit Hilfe von Infanteriemannschaften, so daß die Belagerungsartillerie oft nur fämpfte und gar nicht durch die Erdarbeit in Anspruch genommen ward. Dazu hat diejenige Feldartillerie größtenteils Zeit, die einen integrierenden Teil der Belagerungs-Armee bildet, denn sie hat sonst während der Belagerung fast gar nichts zu tun. Sie wird solche Hilfe aber nicht mehr in Zukunft leisten können, seitdem die Feldartillerie organisch so von der Fußartillerie getrennt ist, daß den Offizieren der einen Truppengattung der Dienst bei der anderen ganz unbekannt bleibt. Dies ist ein Hauptgrund mit gewesen, weshalb ich mich so energisch gegen diese vollständige Trennung der Feldartillerie von der Fußartillerie ausgesprochen habe.

Der Friedensschluß. Nachdem die Arbeiten zur Fortsetzung des Kampfes gegen Paris beendet waren, diese Fortseßung aber nach dem Ausspruch des Kaisers keine Wahrscheinlichkeit für sich hatte, gab es für mich nichts mehr zu tun. Der Kaiser befahl aber, daß ich noch in meiner Funktion in Versailles bliebe, bis die Friedenspräliminarien wirklich abgeschlossen sein würden. So verlebte ich also vom 18. Februar ab eine Zeit in Versailles, in der ich weiter nichts zu tun hatte, als spazieren zu reiten. Bekannte in Menge kamen nach Versailles, und ich zeigte ihnen die Batterien und die Angriffsarbeiten. Einer derselben konnte, als er von der Höhe von Meudon herab Paris überblickte, den Ausruf nicht unterdrücken: Welche Riesencourage gehört von seiten des Kaisers dazu, den Angriff auf eine solche Welt von Stadt überhaupt nur zu beginnen!" Eines Tages besuchte mich auch der Herzog Wilhelm von

*) Bei einer Beurteilung dieser Vorschläge ist zu bedenken, daß sie im Jahre 1883 niedergeschrieben sind.

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